BT-Drucksache 16/267

Offene Fragen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle klären - Verantwortung für nachfolgende Generationen übernehmen

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/267
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Antrag
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer,
Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Offene Fragen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle klären – Verantwortung für
nachfolgende Generationen übernehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Zur Nutzung der Kernspaltung als Technik zur Energiegewinnung gibt es unter-
schiedliche Auffassungen. Unabhängig von diesen unterschiedlichen Positionen
sollte politische Einigkeit herrschen, was die Entsorgung radioaktiver Abfälle
betrifft. Denn diese Abfälle sind bereits in beträchtlichem Umfang angefallen
und werden weiterhin anfallen. Diese Reststoffe müssen im Interesse nachfol-
gender Generationen unbedingt so schnell wie möglich einer sicheren Endlage-
rung zugeführt werden. Unabhängig vom sogenannten Ausstieg aus der fried-
lichen Nutzung der Kernspaltungsenergie in Deutschland müssen zugehörige
Fragen so rasch wie möglich beantwortet werden.

Seit der damaligen Regierungsübernahme durch SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN im Jahre 1998 herrscht in Deutschland in dieser Hinsicht jedoch Still-
stand. Die Entsorgungsfrage wurde verschleppt. Zu Lasten nachfolgender Gene-
rationen ist die damalige Bundesregierung in den beiden vergangenen Legisla-
turperioden den erforderlichen Entscheidungen zur Standortauswahl und zur
Umsetzung eines tragfähigen Endlagerkonzepts stets ausgewichen. Dies hat die
Fraktion der FDP im Deutschen Bundestag immer wieder als verantwortungslos
kritisiert.

Auch der Bundesrechnungshof hat die Endlagerpolitik der abgewählten Bundes-
regierung als nicht zielgerichtet, unwirtschaftlich und wenig transparent be-
zeichnet. Widersinnig erscheint es insbesondere, an dem Salzstock Gorleben als
einem möglichen Standort für ein Endlager zwar festzuhalten, zugleich aber un-
ter Hinweis auf bestehende Zweifel an dessen Eignung die erforderlichen Er-
kundungsarbeiten durch ein Moratorium zu unterbrechen. Statt dessen müssen

Drucksache 16/267 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– wenn an der Eignung des Salzstocks Gorleben begründete Zweifel bestehen –
unverzüglich weitere Untersuchungen zu deren Klärung durchgeführt werden.

Die inakzeptable Verzögerungspolitik der vergangenen Jahre muss unverzüglich
beendet werden. Der Standort Gorleben als Endlager für hochradioaktive Ab-
fälle muss endlich mit dem Ziel einer definitiven Aussage über seine Eignung
abschließend erkundet werden. Die noch in der Vereinbarung der damaligen
Bundesregierung mit den Energieversorgungsunternehmen vom 11. Juni 2001
zum sogenannten Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie getrof-
fene Feststellung, dass bisher keine geologischen Befunde existierten, die einer
Eignung des Salzstocks Gorleben entgegenstünden, ist nach wie vor zutreffend.
Auch ein jüngst vorgelegtes Abschlussgutachten des Bundesamtes für Strahlen-
schutz zu Grundsatzfragen der Endlagerung radioaktiver Abfälle ergibt keine
gegenteiligen Anhaltspunkte. Der Salzstock Gorleben ist demnach aus metho-
disch-konzeptioneller und aus sicherheitstechnischer Perspektive als mögliches
Endlager für radioaktive Abfälle geeignet.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– sich ihrer Verantwortung in der Frage der Endlagerung nuklearer Abfälle zu
stellen und diese nicht auf nachfolgende Generationen zu verschieben,

– die in der Vereinbarung mit den Energieversorgungsunternehmen vom
11. Juni 2001 von ihrer Vorgängerin übernommenen Verpflichtungen, vor
allem im Hinblick auf die Erklärung des Bundes zur Erkundung des Salz-
stocks Gorleben, zu erfüllen,

– in Übereinstimmung mit der Vorgehensweise anderer europäischer Staaten
von der Ein-Endlagerstrategie abzugehen und zu der bis 1998 verfolgten
Zwei-Endlagerstrategie zurückzukehren, da die sicherheitstechnischen An-
forderungen an die Endlagerung von hochradioaktiven wärmeentwickelnden
Abfällen sowie schwach- und mittelradioaktiven Abfällen unterschiedlich
sind,

– das Moratorium zur Erkundung des Salzstocks Gorleben aufzuheben, die Er-
kundungsarbeiten zügig fortzusetzen und mit dem Ziel zu Ende zu führen,
danach eine abschließende Aussage über die Eignung des Standorts Gorleben
als mögliches Endlager für hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle
treffen zu können,

– nach Abweisung der Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss in der ers-
ten verwaltungsgerichtlichen Instanz den „Schacht Konrad“ als Endlager für
schwach- und mittelradioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeent-
wicklung ohne weitere Verzögerungen auszubauen und schnellstmöglich in
Betrieb zu nehmen, zumal der Hauptanteil der zurzeit für „Schacht Konrad“
bereits vorgesehenen Abfälle der öffentlichen Hand zuzurechnen ist,

– das Erkundungsbergwerk Gorleben und die Anlage „Schacht Konrad“ in Ab-
stimmung mit dem Land Niedersachsen als Forschungs- und Kompetenzzen-
trum für die nationale und internationale Fachwelt sowie für die interessierte
Öffentlichkeit zu öffnen sowie die bestehenden Einschränkungen der Be-
suchsmöglichkeiten beider Örtlichkeiten für die interessierte Öffentlichkeit
rückgängig zu machen und dadurch insgesamt einen wesentlichen Beitrag
zur Transparenz und Akzeptanz sowie zur Vertrauensbildung in Bezug auf
die Entsorgung und Endlagerung radioaktiver Abfälle in tiefen geologischen
Formationen zu leisten und

– eine neue Bund-Länder-Vereinbarung auf den Weg zu bringen und abzu-
schließen, die in Abstimmung mit der Energiewirtschaft eine einvernehm-
liche und (sach-)gerechte Regelung zum Ausgleich der besonderen Lasten
mit Blick auf die Endlager trifft.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/267

Berlin, den 13. Dezember 2005

Begründung

Bis zum Jahr 1998 waren die gemeinsamen Beschlüsse von Bund und Ländern
aus den Jahren 1979 und 1990 Grundlage für die nukleare Entsorgung in
Deutschland. Den darüber bestehenden Konsens zwischen SPD, CDU/CSU und
FDP hatte die damalige Bundesregierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN im Jahr 1998 ohne weitere Abstimmung mit den Bundesländern ein-
seitig aufgekündigt. Bezüglich der im Jahr 1979 begonnenen und bis heute mit
einem finanziellen Aufwand von 1,3 Mrd. Euro betriebenen Erkundung des
Salzstocks Gorleben als Endlager für hoch radioaktive Abfälle hatte die abge-
wählte Bundesregierung ein Moratorium verhängt, welches bis zum heutigen
Tage andauert. Darüber hinaus verfolgte die damalige Bundesregierung einen
„Ein-Endlager-Ansatz“, wobei wichtige Fragen der alternativen Standorterkun-
dung noch immer völlig ungeklärt sind.

Die Fraktion der CDU/CSU im 15. Deutschen Bundestag hatte in dem Antrag
„Keine weitere Verzögerung in der Frage der Entsorgung nuklearer Abfälle“
(Bundestagsdrucksache 15/3492 v. 29. Juni 2004) zu Recht darauf hingewiesen,
dass beide vorgenannten Elemente des Ansatzes der damaligen Bundesregie-
rung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rechtlich und fachlich mehr als
umstritten seien. Im Ergebnis hätte dies zu einer Stagnation im Prozess der
Lösung der Entsorgungsfrage bzw. zur Gefährdung der bis 1998 entwickelten
und im internationalen Vergleich vorbildlichen Entsorgungsstrukturen in
Deutschland geführt. Die Verantwortung sei von der damaligen Bundesregie-
rung bewusst auf nachfolgende Generationen verschoben worden. Die dezentra-
len Zwischenlager drohten zu „Quasi-Endlagern“ zu werden. Überdies würden
nach der „Ein-Endlager-Konzeption“ in Deutschland sowohl schwach- und mit-
tel- als auch hochradioaktive Abfälle an einem gemeinsamen Standort endgültig
gelagert werden. Da „Schacht Konrad“, für den ein Planfeststellungsbescheid
als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle vorliege, für hoch-
radioaktive Abfälle nicht geeignet sei, entstünden nach Einschätzung des
Bundesrechnungshofes Risiken für den Bundeshaushalt in Höhe von mehreren

Angelika Brunkhorst
Michael Kauch
Horst Meierhofer
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger

Dr. Werner Hoyer
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Florian Toncar
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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Milliarden Euro infolge möglicher Rückzahlungsforderungen der Vorausleis-
tungspflichtigen. Der Umfang der Haushaltsrisiken stiege nach Einschätzung
des Bundesrechungshofes bei einer weiteren Verzögerung in der Entsorgungs-
frage durch die Bundesregierung signifikant an. Alle vorgenannten Sachverhalte
sind unverändert zutreffend. Diese von der Fraktion der CDU/CSU in der
15. Wahlperiode im oben genannten Antrag gemachten Aussagen decken sich
mit der im vorliegenden Antrag beantragten Beschlussfassung.

Bis zu ihrer Abwahl ist es der Bundesregierung nicht gelungen, eine Bewertung
der Ergebnisse bzw. ein Konzept zur Umsetzung der Empfehlungen des von ihr
selbst eingesetzten „AK End“ vorzulegen. Diese Ergebnisse und Empfehlungen
des „AK End“ liegen bereits seit Dezember 2002 vor. Aufgrund der erheblichen
rechtlichen, fachlichen und finanziellen Probleme bei einer etwaigen Umset-
zung der Ergebnisse und Empfehlungen des „AK End“ dürfte eine Implementie-
rung ohnehin kaum darstellbar sein. Die Einsetzung und die Arbeit des „AK
End“ stellt sich vor diesem Hintergrund als reine Verzögerungsstrategie dar.
Eine besondere Brisanz gewinnt die Verzögerungspolitik der damaligen Bun-
desregierung angesichts der wissenschaftlichen Unhaltbarkeit ihrer These, es sei
möglich, unter Berücksichtigung der von ihr festgelegten Auswahlkriterien und
der atomrechtlichen Bestimmungen bis zum Jahr 2030 in Deutschland ein End-
lager für schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle in Betrieb zu nehmen.
Die gesamte einschlägige Fachwelt veranschlagt hierfür einen deutlich größeren
Zeitbedarf. Als frühestmöglicher Zeitpunkt wird das Jahr 2050 genannt, andere
Schätzungen reichten bis zum Jahr 2062. Damit zeichnet sich eine Diskrepanz
zwischen der begrenzten Nutzungsdauer der Zwischenlager und der zeitlichen
Perspektive für die Inbetriebnahme eines Endlagers ab. Daraus erwachsen ernst
zu nehmende Sicherheitsprobleme, die von der damaligen Bundesregierung zu
verantworten sind. Ein fortgesetztes Beharren auf der Ein-Endlager-Politik der
damaligen Bundesregierung müsste sich auch den Zweifeln des Bundesrech-
nungshofes an der Wirtschaftlichkeit dieses verfehlten Konzepts stellen. Da für
den „Schacht Konrad“ ein Planfeststellungsbescheid als Endlager für schwach-
und mittelradioaktive Abfälle vorliegt, dieser Standort für hochradioaktive
Abfälle jedoch nicht geeignet ist, entstehen nach Berechnungen des Bundes-
rechnungshofes durch ein Abrücken von der Zwei-Endlager-Strategie infolge
möglicher Rückzahlungsforderungen der Vorausleistungspflichtigen finanzielle
Risiken für den Bundeshaushalt in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Vor
diesem Hintergrund wird vorliegend beantragt, „Schacht Konrad“ ohne weitere
Verzögerungen auszubauen und schnellstmöglich in Betrieb zu nehmen. Dies ist
auch aus Sicherheitsgründen geboten, weil anderenfalls bei schwach- und mit-
telradioaktiven Abfällen nach längerer oberirdischer Lagerung unter Umständen
Nachbearbeitungen des Materials erforderlich werden, die anderenfalls erübrigt
werden könnten.

Zum Ausgleich der von den Endlagerstandorten zu übernehmenden besonderen
Lasten sollten aufgrund einer Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Ener-
gieversorgungsunternehmen Sach- und Personalmittel bereitgestellt werden, die
eng an das Entwicklungskonzept der Standortregion gebunden sein sollten.
Dabei sollten Vorschläge für eine nachhaltige Verbesserung der regionalen
Infrastruktur und zur Schaffung von Arbeitsplätzen von den Vertretern der End-
lager-Standortregionen selbst, ggf. mit Unterstützung des Bundes und des
betreffenden Landes, erarbeitet und vor allem die Eigeninitiativen von kommu-
nalen Selbstverwaltungsorganen, Vereinen, Verbänden, Unternehmen und ande-
ren Institutionen unterstützt werden.

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