BT-Drucksache 16/2658

Doha-Runde wieder beleben - WTO-Generaldirektor als Schlichter einsetzen

Vom 21. September 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2658
16. Wahlperiode 21. 09. 2006

Antrag
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Hellmut Königshaus, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Doha-Runde wieder beleben – WTO-Generaldirektor als Schlichter einsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der vorläufige Verhandlungsstopp der Doha-Runde ist in mehrfacher Hinsicht
ein schmerzlicher Rückschlag auf dem Weg zu Freihandel und mehr Wohlstand
auf der ganzen Welt. Die Autorität der Welthandelsorganisation (WTO) als glo-
bal anerkannte Institution für Handelsfragen steht auf dem Spiel. Ihr multilate-
raler Ansatz ist in Gefahr. Die möglichen ökonomischen und politischen Kos-
ten eines Scheiterns der Welthandelsrunde sind immens. So beziffert die Welt-
bank globale Einkommenseffekte einer vollständigen Liberalisierung unter der
Doha-Runde bis 2015 auf 461,2 Mrd. US-Dollar.

Aber nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen müssen die Verhandlungen so
schnell wie möglich wieder aufgenommen werden. Unter dem Eindruck der
Terrorangriffe des 11. Septembers 2001 sollte die Doha-Runde eine Demon-
stration der Handlungsfähigkeit der freien Welt sein. Sie sollte dafür sorgen,
dass der freie Handel von Gütern und Dienstleistungen eine Quelle des Wohl-
stands und der Freiheit bleibt. Von Doha sollte das Signal an die Entwicklungs-
länder ausgehen, dass sie stärker als bisher in den Austausch von Waren und

Dienstleistungen einbezogen werden. Vor diesem Hintergrund wäre es fatal,
wenn die Runde endgültig scheitern würde.

Gerade Deutschland als größte Exportnation der Welt profitiert von offenen
Märkten. Der Export leistet seit Jahren einen erheblichen Wachstumsbeitrag
und gleicht Schwächen in der Binnenkonjunktur zum Teil aus. Allein im Jahre
2005 hat die Bundesrepublik Waren und Dienstleistungen im Wert von rd. 786

Drucksache 16/2658 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Mrd. Euro exportiert. Jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder
indirekt von den Erfolgen der Exportwirtschaft ab. Umgekehrt sorgen offene
Importmärkte für Wohlstandsgewinne im Inland, weil Kostenvorteile genutzt
werden können: Unternehmen können Rohstoffe und Vorleistungsprodukte
günstig einführen. Die privaten Haushalte profitieren von niedrigen Preisen und
einer vielfältigen Güterauswahl.

Es ist äußerst bedauerlich, dass die auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg ver-
einbarten Handelsziele schon einige Tage später zu Makulatur geworden sind.
Besonders bei den umstrittenen Agrarfragen haben die Europäer mit der
Reform der Zuckermarktordnung, der Entkoppelung der Landwirtschafts-
subventionen von der Produktion und der Verpflichtung von Hongkong, die
Agrarexportsubventionen bis 2013 auslaufen zu lassen, weitreichende Zu-
geständnisse gemacht. Andere G8-Teilnehmer sind bei ihren Beiträgen über
Lippenbekenntnisse bislang nicht hinausgekommen. So wurde der im G8-
Papier in Aussicht gestellte Abbau interner Stützungsleistungen im Agrar-
bereich bei den anschließenden Verhandlungen zwischen der EU, den USA,
Japan, Indien, Brasilien und Australien von den USA nicht ausreichend konkre-
tisiert. Es wäre nun an der Zeit, dass nicht nur die EU, sondern auch andere
WTO-Mitglieder unter den Industriestaaten, insbesondere die USA, und die so
genannten Schwellenländer zu Zugeständnissen bereit sind. Bei der internen
Stützung des heimischen Agrarsektors oder bei Themen wie Industriezöllen,
Dienstleistungsexport oder Schutz geistigen Eigentums sollten einige WTO-
Mitgliedstaaten endlich Kompromissbereitschaft zeigen.

Die Ankündigungen von EU-Handelskommissar Peter Mandelson, mit Indien
und anderen Ländern separate Handelsverträge schließen zu wollen, zeigen,
dass bei einem endgültigen Scheitern der WTO-Verhandlungen der Bilateralis-
mus auf dem Vormarsch ist. Doch bilaterale Handelsabkommen können nur die
zweitbeste Lösung für mehr Freihandel sein. Sie erhöhen die Informations- und
Transaktionskosten der Handeltreibenden. Außerdem werden tendenziell eher
bestehende Handelsströme verstärkt als neue erschlossen. Darunter leiden am
Ende die am wenigsten entwickelten Länder am meisten, weil sie einmal mehr
außen vor bleiben.

Es ist Fakt, dass der Zugang zu den internationalen Märkten ein wichtiges
Instrument der Entwicklungspolitik ist. Die Teilnahme am Welthandel sorgt für
mehr Wohlstand, eine bessere Bildung und Gesundheit in den am wenigsten
entwickelten Ländern. Als Sofortmaßnahme für die am wenigsten entwickelten
Länder hat der EU-Handelskommissar Peter Mandelson einen Aktionsplan vor-
geschlagen, der separat von den WTO-Verhandlungen und damit sofort um-
gesetzt werden könnte. Er ist in vielen Punkten deckungsgleich mit den ent-
wicklungspolitischen Passagen der Erklärung des G8-Gipfels. Die geforderte
Aufstockung der handelsbezogenen Entwicklungshilfe, der Bürokratieabbau
bei den Zollverfahren, ein quotenfreier Marktzugang und vereinfachte Streit-
schlichtungsverfahren sind Instrumente, die den ärmsten Ländern der Welt
Chancen eröffnen, am Handel teilzunehmen und Wohlstand aus eigener Kraft
zu schaffen.

Die Doha-Runde braucht einen erfolgreichen Abschluss. Verhandlungsunter-
brechungen gab es auch in vorherigen Welthandelsrunden. Der Durchbruch bei
der Uruguay-Runde wird heute maßgeblich dem so genannten Dunkel-Draft
zugeschrieben. Damals ergriff der GATT-Direktor Arthur Dunkel die Initiative
und stellte ein Papier aus den unterschiedlichen Forderungskatalogen der Mit-
gliedstaaten zusammen, das trotz anfänglicher massiver Widerstände und Pro-
teste der Mitgliedstaaten schließlich als Verhandlungsgrundlage diente. In An-
betracht der festgefahrenen Verhandlungen und der bald auslaufenden Handels-

vollmacht des US-Präsidenten könnte auch diesmal ein solches von der WTO
erstelltes Papier neuen Schwung in die Verhandlungen bringen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2658

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. der großen Bedeutung des freien Welthandels mehr Aufmerksamkeit zu
widmen. Gerade weil auch innerhalb der EU große Mitgliedstaaten zu
Protektionismus neigen, muss der Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie seine bislang wenig aktive Rolle aufgeben und künftig die
Einflussmöglichkeiten der Mitgliedstaaten der EU zumindest in gleicher
Weise nutzen wie dies andere große Mitgliedstaaten in der Vergangenheit
auch getan haben. Hierzu bietet insbesondere die deutsche EU-Ratspräsi-
dentschaft im ersten Halbjahr 2007 beste Voraussetzung;

2. sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass der Generaldirektor der
WTO als Schlichter eingesetzt wird. Aufbauend auf die Erfahrungen der
Uruguay-Runde sollten die WTO-Mitglieder den Direktor dieses Mal be-
wusst beauftragen, ein Kompromisspapier zu entwerfen, das dann als
weitere Verhandlungsgrundlage dienen kann. Mit diesem Schritt würde
gleichzeitig die WTO als supranationale Institution gestärkt;

3. die Pläne des EU-Handelskommissars für einen Aktionsplan zu unterstüt-
zen, der Sofortmaßnahmen für die am wenigsten entwickelten Länder
vorsieht.

Berlin, den 21. September 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.