BT-Drucksache 16/241

Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/241
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Antrag
der Abgeordneten Dirk Niebel, Dr. Heinrich L. Kolb, Detlef Parr,
Sibylle Laurischk, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst
Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam
Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gisela Piltz, Dr. Max
Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing,
Dr. Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland leidet unter der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit. Die Zahl der
registrierten Arbeitslosen wird nach der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt
und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) auch in 2006 mit
4,82 Millionen Personen nur wenig unter der des Vorjahres liegen.

Wer älter als 50 Jahre ist, hat bei der schwierigen Wirtschaftslage auf dem deut-
schen Arbeitsmarkt kaum noch eine Chance, auf einen neuen Arbeitsplatz ver-
mittelt zu werden. Die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen liegt in
Deutschland mit rd. 40 Prozent deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Das be-
schäftigungspolitische Ziel der europäischen Lissabon-Strategie wird damit
deutlich verfehlt. Jeder Vierte der mehr als 5 Millionen registrierten Arbeits-
losen ist älter als 50 Jahre. Diese Zahl fällt noch deutlich höher aus, wenn man
diejenigen mitzählt, die sich im Vorruhestand befinden oder der Bundesagentur
für Arbeit nach der so genannten 58er-Regelung nicht mehr zur Verfügung ste-
hen wollen.

Die mit den Hartz-Reformen neu eingeführten Instrumente zur Förderung der
Beschäftigung älterer Arbeitnehmer konnten keine Trendwende herbeiführen.
Die Instrumente zur Förderung der Möglichkeiten der beruflichen Weiterbil-

dung älterer Arbeitnehmer (§ 417 SGB III), die Entgeltsicherung (§ 421j SGB
III) und der Beitragsbonus für ältere Arbeitnehmer (§ 421k SGB III) wurden
kaum in Anspruch genommen. Anderes gilt für die so genannte 58er-Regelung
(§ 428 SGB III), die den Bezug von Arbeitslosengeld unter erleichterten Bedin-
gungen ermöglicht. Sie wurde in den letzten Jahren verstärkt genutzt. Zwischen
1996 und 2003 hat sich die Teilnehmerzahl mehr als verdoppelt. Auch das Inte-
resse an Altersteilzeit hat seit der Einführung des Gesetzes kontinuierlich zuge-

Drucksache 16/241 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

nommen. Im Jahr 2004 haben knapp 80 000 Personen diese Möglichkeit in An-
spruch genommen. Diese Maßnahmen haben die Funktion eines Vorruhestandes
übernommen. Das IAB kommt daher in seinem Kurzbericht vom 5. Oktober
2005 zu der Bewertung, dass die Regelung des § 428 SGB III konsequent aus-
laufen sollte, um die Möglichkeit des vorzeitigen Ausscheidens mit längerfristi-
gem Transferbezug auszuschließen. Gleichermaßen notwendig sei eine Abkehr
vom Blockmodell der Altersteilzeit.

Um ältere Menschen erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrieren zu können,
müssen strukturelle Hemmnisse beseitigt werden. Dazu gehören das Ende der
Altersteilzeit, das Auslaufen der 58er-Regelung sowie beim Kündigungsschutz
der Verzicht auf das Alter als Kriterium für die Sozialauswahl. Auch der Sach-
verständigenrat weist in seinem Jahresgutachten 2005/2006 darauf hin, dass in
jedem Fall das Lebensalter aus den Kriterien zur Sozialauswahl im Kündigungs-
schutzgesetz herausgenommen werden soll: „Lange im Betrieb beschäftigte Ar-
beitnehmer werden bereits über die Betriebszugehörigkeit geschützt, so dass die
separate Berücksichtigung des Lebensalters nur die Arbeitsmarktchancen älterer
Arbeitnehmer verschlechtert.“

Um ältere Menschen in den Arbeitsmarkt besser zu integrieren, braucht
Deutschland eine Steuer-, Wirtschafts-, Tarif- und Arbeitsmarktpolitik, die zu
mehr Wachstum und damit mehr Arbeitsplätzen führt. Kontraproduktive
Schutzbestimmungen für ältere Arbeitnehmer, die sich z. B. in der Kündigungs-
schutzgesetzgebung oder auch im Sozialgesetzbuch im Hinblick auf den Vor-
ruhestand befinden, müssen dahin gehend geändert werden, dass ältere Arbeit-
nehmer nicht mehr benachteiligt sind. Das gilt auch für so genannte Senioritäts-
prinzipien in Tarifverträgen. Die erleichterten Befristungsmöglichkeiten bei
Arbeitsverträgen für ältere Arbeitnehmer müssen europarechtskonform ausge-
staltet werden (EUGH C-144/04).

Auch die Unternehmen und Tarifpartner sind gefordert, die Rahmenbedingun-
gen zur Nutzung der Potentiale älterer Arbeitnehmer zu verbessern. Die Kom-
petenz und die Lebenserfahrung älterer Arbeitnehmer müssen stärker genutzt
werden. Eine über Jahre verfehlte Tarif- und Arbeitsmarktpolitik hat dazu ge-
führt, dass Ältere vom Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden. Statt deren Integration
zu fördern, richten sich viele tarifliche Regelungen nach dem Alter oder der
Dauer der Betriebszugehörigkeit. Um die Beschäftigungsaussichten Älterer zu
erhöhen, müssen daher alle tariflichen und gesetzlichen Regelungen für den Ar-
beitsmarkt auf ihre hemmende Wirkung für die Einstellung älterer Arbeitsloser
hin überprüft werden. Mögliche Hemmnisse, die einer besseren Integration älte-
rer Erwerbspersonen in das Erwerbsleben entgegenwirken, müssen beseitigt
werden. Nur wenn sich die Rahmenbedingungen ändern, haben auch ältere
Menschen wieder eine reelle Chance, an einer Belebung des Arbeitsmarktes zu
partizipieren.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

Fehlanreize und Einstellungshemmnisse für die Beschäftigung älterer Arbeit-
nehmer zu beseitigen, um deren Beschäftigung zu fördern, und hierzu einen Ge-
setzentwurf unter Maßgabe folgender Eckpunkte vorzulegen:

– Die Altersteilzeit wird unter Wahrung des Vertrauensschutzes abgeschafft.

– Die Rahmenbedingungen für Erwerbstätigkeit neben dem Bezug von Alters-
rente werden verbessert.

– Die Regelung des § 428 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), wonach
der Bezug von Arbeitslosengeld unter erleichterten Bedingungen älteren
Arbeitslosen ab 58 Jahren gewährt wird, läuft zum 31. Dezember 2005 aus.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/241

– Das Lebensalter als Kriterium für die Sozialauswahl bei betriebsbedingten
Kündigungen wird gestrichen, da diese Regelung die Reintegration älterer
Arbeitsloser erheblich erschwert.

– Im Kündigungsschutzgesetz wird ein Optionsmodell (Abfindungsregelung
statt Kündigungsschutz) eingeführt.

– Gesetzlich fixierte berufliche Altersgrenzen werden überprüft bzw. gestri-
chen.

– Das Instrument der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen wird
abgeschafft und auf Mindestlohnvorschriften verzichtet.

– Die Beschäftigungssicherung wird als Kriterium für die Ausgestaltung des
Günstigkeitsprinzips im Tarifvertragsrecht eingeführt.

– Generationsübergreifende Freiwilligendienste werden geschaffen und die
laufenden Modellprogramme ausgebaut.

Berlin, den 13. Dezember 2005

Dirk Niebel
Dr. Heinrich L. Kolb
Detlef Parr
Sibylle Laurischk
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein

Dr. Werner Hoyer
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Gisela Piltz
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Volker Wissing
Dr. Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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Weichenstellung für eine Verbesserung der Beschäftigungschancen Älterer

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