BT-Drucksache 16/235

Die duale Berufsausbildung in Deutschland kontinuierlich verbessern

Vom 14. Dezember 2005


Deutscher Bundestag Drucksache 16/235
16. Wahlperiode 14. 12. 2005

Antrag
der Abgeordneten Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Uwe Barth, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul
K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb,
Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Horst Meierhofer, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Rainer
Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Die duale Berufsausbildung in Deutschland kontinuierlich verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die duale Berufsausbildung ist eine tragende Säule des deutschen Bildungssys-
tems. 1,6 Millionen Jugendliche absolvieren derzeit eine betriebliche Ausbil-
dung. Damit durchlaufen rund 60 Prozent eines Jahrgangs das duale System. Be-
ruflich ausgebildete Fachkräfte bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft
und haben wesentlich zu ihrer langen Erfolgsgeschichte beigetragen. Die Aus-
bildung in den Betrieben gewährleistet eine enge Verbindung mit dem Arbeits-
markt. Die deutschen Unternehmen wenden dafür jährlich etwa 28 Mrd. Euro
auf. Auch international ist das deutsche System der Berufsbildung noch immer
hoch anerkannt und dient vielerorts als Vorbild.
Allein die mittelständischen Unternehmen stellen rund 80 Prozent aller Ausbil-
dungsplätze zur Verfügung. Sie teilen sich diese Verantwortung mit dem Bund
und vor allem den Bundesländern mit ihren Berufsschulen.
Durch die schnellen technologischen und durch die Globalisierung hervorgeru-
fenen Veränderungen in den Anforderungen sieht sich die duale Berufsausbil-
dung erheblichen Herausforderungen gegenüber. Zugleich muss sie auf die Tat-
sache reagieren, dass nach wie vor eine erhebliche Zahl von Jugendlichen die
allgemeinbildende Schule ohne jeglichen Abschluss verlässt – mehr als 80 000
pro Jahr – und eine noch größere Zahl die Eingangsvoraussetzungen für eine
Ausbildung nicht oder nicht wirklich erfüllen. Die Analyse der Kultusminister-

konferenz im Hinblick auf die neue PISA-Studie geht davon aus, dass – in den
Ländern unterschiedlich – der Anteil der leistungsschwachen Schülerinnen und
Schüler sogar bei 12 bis 30 Prozent liegt. Sie sind damit im Hinblick auf die
Berufsausbildung der Problemgruppe zuzurechnen.
Das duale System muss sich den Veränderungen der Gesellschaft, der Wirtschaft
und der Technik anpassen und soll zugleich mit möglichst vielen nur unzurei-
chend vorgebildeten Jugendlichen erfolgreich arbeiten. Dies stellt eine kontinu-

Drucksache 16/235 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

ierliche und höchst anspruchsvolle Aufgabe insbesondere für die unmittelbar Be-
teiligten, die Ausbilder, die Ausbildungsbetriebe und die beruflichen Schulen und
ihre Lehrkräfte, aber auch für die Politik dar. Dabei bleibt Ziel der Berufsausbil-
dung das Herstellen einer modernen Beruflichkeit für möglichst viele junge Men-
schen. Die Dualität der Ausbildung ist ein besonders wertvolles Gut, das durch
die Ausweitung vollzeitschulischer Ausbildungsgänge gefährdet werden könnte.
Die immer noch vorhandene enge Beziehung zwischen Ausbildung und nachfol-
gender Beschäftigung darf jedoch keinesfalls im Kern aufgehoben werden.
Unsere Gesellschaft basiert darauf, dass jeder Mensch und besonders jeder
Jugendliche eine gerechte Chance auf Selbstgestaltung seines Lebens und ange-
messene Bildung bekommt. Die Ergebnisse des Bildungsprozesses liegen dann
nicht nur an den eingeräumten Chancen, sondern hängen entscheidend auch von
dem selbstverantwortlichen Beitrag und Einsatz jedes Einzelnen ab. Eltern und
Schulen sind gefordert, die Ausbildungsreife und Eigeninitiative der Bewerber
zu verbessern. Eine wesentliche Aufgabe des Berufsbildungssystems ist es, mög-
lichst allen jungen Menschen, die beruflich ausgebildet werden wollen, die
Chance auf eine Berufsaubildung und damit zum Einbringen der eigenen Leis-
tungen einzuräumen. Dafür müssen hinreichend gut qualifizierte Ausbildungs-
plätze bereitstehen. Die Hindernisse, die immer noch für Betriebe bei der Bereit-
stellung von Ausbildungsplätzen bestehen, müssen weiter abgebaut werden.
Das in der letzten Legislaturperiode verabschiedete Berufsbildungsreformgesetz
ist daher weiterzuentwickeln. Entsprechende Vereinbarungen der Koalitions-
fraktionen werden ausdrücklich begrüßt, wenn sie in diese Richtung gehen. Be-
strebungen, erneut eine Ausbildungsplatzabgabe ins Spiel zu bringen und damit
die Betriebe erneut zu verunsichern, muss energisch entgegengetreten werden.
Zwar hat die Anfang 2005 beschlossene Neufassung des Berufsbildungsgesetzes
(BBiG) einige Schritte in die richtige Richtung gebracht. Jedoch sind erhebliche
Schritte noch zu gehen. Die Entbürokratisierung und Flexibilisierung des Berufs-
bildungsrechts ist nicht gelungen. Die Chance, die Berufsbildungsausschüsse
sachangemessen zu verkleinern, wurde nicht genutzt. Strukturen, um neue Aus-
bildungsberufe schnell, flexibel und effizient einzurichten, wurden nicht ge-
schaffen. Die Überprüfung bestehender Ausbildungsgänge im Hinblick auf die
Möglichkeit der Stufungen geschieht nicht schnell genug.
Laut Koalitionsvertrag soll das Angebotsspektrum der Berufsausbildung durch
„gestufte Ausbildungsordnungen“ erweitert werden. Es ist jedoch nicht eindeutig
definiert, welche Form von Ausbildung gemeint ist. Stufenausbildungen nach
dem geltenden Berufsbildungsgesetz verpflichten die Unternehmen zu einem Ver-
tragsabschluss über drei Jahre und bieten lediglich den Jugendlichen eine Aus-
stiegsoption nach zwei Jahren. Es sollte daher nicht mehr Stufenausbildungen,
sondern mehr aufeinander aufbauende Berufe wie z. B. Verkäuferin und Verkäu-
fer und darauf aufbauend Kaufleute im Einzelhandel geben. Jugendliche und Be-
triebe können dann gemeinsam entscheiden, ob und wie es nach dem ersten Ab-
schluss weitergeht.
In vielen Berufen und Branchen sind die Ausbildungskosten oft zu hoch. Starre
Tarifverträge verhindern flexible und den betrieblichen Verhältnissen ange-
passte Lösungen. Die Tarifparteien sind gefordert, pauschale Übernahmever-
pflichtungen abzuschaffen und überhöhte Ausbildungsvergütungen zu vermei-
den. Für Auszubildende unter 18 Jahren sollten flexiblere Arbeitszeiten gelten,
die sich an der realen Arbeitswelt orientieren.
Nach wie vor schreibt das Gesetz die Zahlung einer „angemessenen Ausbil-
dungsvergütung“ vor, die tatsächlich nach der Rechtsprechung eine Ankoppe-
lung der Vergütungen an die Tarife bedeutet. So erreichen Ausbildungsvergütun-
gen auch bei grundsätzlich ausbildungswilligen Betrieben, die nicht tarifgebun-
den sind, oftmals eine Höhe, die sie sich nicht leisten können. Die betrieblichen

Möglichkeiten, eigene Schwerpunktsetzungen in der Ausbildung vorzunehmen,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/235

bleiben nach wie vor zu gering. Hemmnisse für das Schaffen von mehr Ausbil-
dungsplätzen sind nicht hinreichend abgebaut worden.

Der von der Europäischen Kommission geplante Europäische Qualifikations-
rahmen (EQF) darf die in betrieblicher Ausbildung erworbenen Qualifikationen
nicht unter schulisch erworbenen Qualifikationen einordnen. Die nationale Um-
setzung des EQF muss mehr Transparenz und Mobilität schaffen und darf nicht
zu mehr Bürokratie führen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, auf eine weitere
Modernisierung der dualen Berufsbildung hinzuarbeiten und dabei insbeson-
dere folgende Maßnahmen vorzusehen:

1. die Ausweitung der Stufenausbildungen und die Modularisierung für alle Be-
rufsbilder konsequent zu verfolgen,

2. die Auswirkungen des § 43 Abs. 2 BBiG – Anerkennung vollzeitschulischer
Ausbildung – kritisch zu überprüfen und ggf. den Rechtsanspruch von Absol-
venten vollzeitschulischer Ausbildungsgänge auf Zulassung zur IHK-Prü-
fung wieder zurückzunehmen,

3. durch Deregulierung und Flexibilisierung der Höhe der Ausbildungsvergü-
tungen den Betrieben das Anbieten einer größeren Zahl von Ausbildungsplät-
zen zu ermöglichen,

4. den Bestrebungen, durch die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe den
Betrieben weitere Belastungen aufzubürden, entschieden entgegenzutreten,

5. die Zügigkeit der Genehmigung und Einführung neuer Berufsbilder und mo-
dernisierter Ausbildungsordnungen zu beobachten und ggf. den durch das
neue Berufsbildungsgesetz abgeschafften Ständigen Ausschuss wieder ein-
zurichten,

6. die im Koalitionsvertrag angekündigte Öffnung der Hochschulen für Absol-
venten der beruflichen Bildung schnellstens umzusetzen,

7. die Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens kritisch zu beglei-
ten und insbesondere auf die angemessenen Einstufung der dualen Berufsab-
schlüsse zu achten,

8. das Bundesministerium für Bildung und Forschung zu beauftragen, den
EUROPASS mit einem lebenslang gültigen Aus- und Weiterbildungspass zu-
sammenzuführen und eine Konzeption für eine verbindliche Einführung zu
entwickeln,

9. den Deutschen Bundestag zeitnah über die geplante Weiterentwicklung des
„Nationalen Pakts für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs“ zu unterrichten.

Berlin, den 14. Dezember 2005

Cornelia Pieper
Patrick Meinhardt
Uwe Barth
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff

Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht

Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Marina Schuster
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen

Horst Meierhofer
Jan Mücke

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