BT-Drucksache 16/2096

Rechtsstaatskonforme Behandlung von Verhafteten nach der Übergabe durch deutsche Stellen im Ausland sicherstellen

Vom 30. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2096
16. Wahlperiode 30. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer,
Birgit Homburger, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel
Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Rechtsstaatskonforme Behandlung von Verhafteten nach der Übergabe durch
deutsche Stellen im Ausland sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Rahmen von Nation-Building-Prozessen kommt dem Aufbau einer eigen-
ständigen Polizei und Justiz eine sehr hohe Bedeutung zu. Im Mittelpunkt dieser
Bemühungen muss die Vermittlung menschenrechtlicher Standards stehen.

Bei internationalen Friedensmissionen kommt es in einer Übergangsphase auch
zu Verhaftungen von Personen durch internationale Streitkräfte. Im Rahmen
der deutschen Beteiligung an solchen Missionen wie etwa im Kosovo und in
Afghanistan werden solche Verhaftungen auch von Angehörigen der Bundes-
wehr vorgenommen. Zudem wirkt die Bundeswehr an Verhaftungen durch Stel-
len anderer Nationen mit.1 Von der Bundeswehr festgenommene Personen
werden anschließend regelmäßig den zuständigen örtlichen Behörden über-
stellt. An Informationen über den weiteren Verbleib dieser Personen fehlt es
bisher.

Entscheidend ist, welchen Sicherungen diejenigen Menschen unterliegen, die
deutsche Stellen in den Gewahrsam anderer Staaten überstellen bzw. an deren

Ingewahrsamnahme oder Inhaftierung deutsche Stellen maßgeblich beteiligt
sind.

Diese Frage wird insbesondere dann politisch bedeutsam, wenn wie in jüngster
Zeit der Verdacht entsteht, dass Verdächtige im Rahmen des weltweiten Kamp-

1 Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 16/349, Nr. 30.

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fes gegen den Terror in geheimen Gefängnissen inhaftiert, unter Einsatz von
Folter verhört und einem rechtsstaatlichen Verfahren vorenthalten werden. Unter
dem Eindruck des Verdachts auf solch gravierende Menschenrechtsverletzun-
gen ist es besonders wichtig, dass sich die Bundesrepublik Deutschland verge-
wissert, dass jedenfalls ihre eigenen Handlungen keinen Beitrag zu solchen
Vorgängen leisten. Erst mit dieser Gewissheit kann die Bundesrepublik
Deutschland glaubhaft, selbstbewusst auftreten und international die Aufklärung
von Menschenrechtsverletzungen einfordern.

Bedeutsam ist dabei auch, dass die Bundeswehr als Teil der deutschen öffent-
lichen Gewalt bei ihren Handlungen im Ausland nicht nur den Verpflichtungen
der völkerrechtlich normierten Menschenrechte unterliegt, sondern auch in die
durch Artikel 1 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) normierte Bindung an die deut-
schen Grundrechte einbezogen ist. Darüber hinaus muss die Bundesrepublik
Deutschland dafür Sorge tragen, dass ihre Handlungen keinen Beitrag und
keine Grundlage dafür bilden, dass diesen Menschen eine Behandlung wider-
fährt, die mit dem Kernbestand des deutschen Grundrechtsschutzes im Wider-
spruch steht. Das deutsche Grundgesetz begnügt sich nicht damit, allein die in-
nere Ordnung des deutschen Staates festzulegen, es bindet die deutsche
öffentliche Gewalt auch, soweit Wirkungen ihrer Betätigung im Ausland ein-
treten. Dies bedeutet, dass bei Verhaftungen durch deutsche Stellen nicht nur
menschenrechtliche Pflichten wie die Beachtung des Rechts auf Leben, des
Verbots willkürlicher Verhaftung, des Rechts auf ein faires Verfahren oder des
Folterverbots einzuhalten sind. Vielmehr besteht auch eine strikte Bindung an
die deutschen Grundrechte, selbst wenn wie hier Handlungen im Ausland
gegenüber Ausländern erfolgen. Neben den bereits menschrechtlich gesicher-
ten Grundrechten betrifft dies etwa auch die Rechtsschutzgarantie des
Artikels 19 Abs. 4 GG. Danach ist jedem Nichtkombattanten (auch einem Aus-
länder), der sich durch die (deutsche) öffentliche Gewalt in seinen Rechten
verletzt sieht, der Rechtsweg eröffnet. Dieser Rechtweg muss zwar nicht not-
wendigerweise dem innerdeutschen Instanzenzug entsprechen, wohl aber den
Grundsätzen einer möglichst lückenlosen und unabhängigen richterlichen
Kontrolle genügen.

Die Menschenrechte wie auch die deutschen Grundrechte knüpfen weniger an
die konkreten Handlungen des Staates an, sondern wollen das Individuum vor
allem vor den Folgen staatlichen Handelns schützen. Soweit also das Verhalten
der Bundesrepublik Deutschland eine Grundlage dafür schafft, dass den Men-
schenrechten widersprechende Handlungen durch einen anderen Staat vor-
genommen werden, so kann dieses Verhalten der Bundesrepublik Deutschland
gegenüber den Betroffenen nicht mehr als neutraler Akt gesehen werden. Dabei
geht es nicht darum, die grund- und menschenrechtlichen Verpflichtungen der
Bundesrepublik Deutschland auch auf die Akte fremder Hoheitsgewalt anzule-
gen. Es geht vielmehr darum, dass diese Verpflichtungen es der Bundesrepublik
Deutschland verwehren, sich an solchen fremden Akten zu beteiligen, die dazu
im Widerspruch stehen.

Dabei wird es nicht bei allen Staaten ausreichen, dass sich die Bundesrepublik
Deutschland im Wege so genannter diplomatischer Versicherungen eine men-
schenrechtskonforme Behandlung der überstellten Personen versprechen lässt.
Die Unzulänglichkeit und Unverbindlichkeit solcher Zusagen haben sich in der
Vergangenheit bereits mehrfach erwiesen. Notwendig ist vielmehr die Verein-
barung verbindlicher Regelungen. Mittels dieser Vereinbarungen muss der
Gewahrsamsstaat gegenüber der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet wer-
den, die grundlegenden Menschenrechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte, im Internationalen Pakt über die bürgerlichen und politi-
schen Rechte oder in der UN-Antifolterkonvention enthalten sind, sowie die im

humanitären Völkerrecht wie dem III. Genfer Abkommen von 1949 über die
Behandlung von Kriegsgefangenen bzw. dem IV. Genfer Abkommen von 1949

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2096

über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten statuierten Rechte einzuhal-
ten. Besonderes Gewicht ist dabei auf das ausnahmslos und absolut geltende
Verbot der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung und auf die Ausprägungen des Rechts auf einen gesetzlichen Rich-
ter und ein faires und schnelles Verfahren zu legen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. den Aufbau der örtlichen Sicherheitsbehörden in den Einsatzgebieten der
Bundeswehr zu forcieren. Hierbei muss ein Hauptanliegen die an menschen-
rechtlichen Standards orientierte Ausbildung sein;

2. sicherzustellen, dass mit allen Staaten, an die Personen überstellt werden
oder mit denen bei der Ingewahrsamnahme oder Inhaftierung von Personen
zusammengearbeitet wird, verbindliche Vereinbarungen bestehen, die es der
Bundesrepublik Deutschland ermöglichen, über das weitere Schicksal dieser
Personen Informationen einzuholen;

3. diese Bedingungen – soweit möglich – in die bereits bestehenden interna-
tionalen und bilateralen Übereinkommen zum Auslieferungsverkehr zu integ-
rieren und – soweit nötig – neue vertragliche Grundlagen zur Sicherstellung
dieser Bedingungen bei Auslieferungen oder Überstellungen zu schaffen;

4. sich dabei nicht allein auf so genannte diplomatische Versicherungen zu ver-
lassen, selbst wenn darin ein Beobachtungsprozess enthalten sein sollte
oder, wie es derzeit im Europarat angedacht ist, zukünftig Minimumstan-
dards für die Verwendung von diplomatischen Verpflichtungen bestehen
sollten;

5. sich nicht für die Aufwertung diplomatischer Versicherungen durch Errich-
tung von Minimumstandards einzusetzen, wenn diese dazu benutzt werden
können, die bestehenden Verpflichtungen nach internationalem und nationa-
lem Recht zu umgehen oder zu schwächen und sich stattdessen dafür einzu-
setzen, dass die bestehenden internationalen Verpflichtungen, insbesondere
zur Verhinderung der Folter, effektive Mechanismen zu ihrer Durchsetzung
erhalten;

6. Gefangene nicht an Staaten zu überstellen, die nicht Mitgliedstaaten des
Internationalen Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte und der
UN-Antifolterkonvention sind.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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