BT-Drucksache 16/2092

Sprache schafft Identität und ist Schlüssel zur Integration

Vom 30. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2092
16. Wahlperiode 30. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Michael Kauch,
Gisela Piltz, Ina Lenke, Miriam Gruß, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel
Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald
Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper,
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker
Wissing, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Sprache schafft Identität und ist Schlüssel zur Integration

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland ist seit Jahrzehnten ein Zuwanderungsland und wird es bleiben.
Daher muss die Integrationspolitik in all ihren Facetten klare Ziele benennen.
Ziel muss es sein, Menschen mit Migrationshintergrund gleiche Bildungs- und
Berufschancen in unserer Gesellschaft zu gewähren und sie umfassend am ge-
sellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben zu beteiligen.

Integration ist ein wechselseitiger Prozess. Migranten müssen selbst bereit sein,
sich verpflichtenden Anforderungen bei der Integration zu stellen und diese ak-
tiv zu unterstützen. Integration braucht daher ein beidseitiges Einverständnis.
Es geht um das Finden und Pflegen von Gemeinsamkeiten und somit um Chan-
cengleichheit unabhängig von der Herkunft.

Der Wille zur Integration beinhaltet, die deutsche Sprache zu erlernen sowie die
Grundwerte unserer Verfassungs- und Rechtsordnung zu akzeptieren. Gerade
die Sprache mit ihrer direkten Ausstrahlung auf das Annehmen und Finden der
eigenen Identität ist hierbei von herausragender Bedeutung. Bisher wird die
identitätsstiftende Integrationswirkung der Sprache unterschätzt.

Somit wird unterschätzt, welche Integrationswirkung allein durch die deutsche
Sprache erreicht werden könnte. Wenn es in Deutschland beispielsweise Schu-
len gibt, an denen über 80 Prozent keine deutschen „Muttersprachler“ sind, so
heißt dies nicht, dass zu 80 Prozent eine einheitliche Sprache gesprochen wird.
Vielmehr wird Türkisch, Arabisch, Russisch, Serbisch, Polnisch usw. gespro-
chen. Dies führt bereits in der Schule zu einer ethnischen Gruppenbildung, die
die Züge der Parallelgesellschaft in sich trägt. Die Sprachgruppen bleiben unter

Drucksache 16/2092 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

sich. Ein Austausch findet nicht statt, was bedeutet, Integration findet nicht statt
und Konflikte entstehen. Erst das Selbstverständnis einer gemeinsamen Um-
gangssprache wird diese Separation verringern.

Für eine erfolgreiche Integration von Migranten ist ein gutes Deutsch eine
wichtige Voraussetzung; allerdings kann Integration nicht auf den Sprach-
erwerb verkürzt werden. Integration gelingt nur, wenn neben der Sprachförde-
rung auch eine gleichrangige Förderung der sozialen und beruflichen Einglie-
derung tritt und Migranten von Anfang an Gelegenheit zur Teilhabe an der
Gesellschaft erhalten.

Sprache als Schlüssel zur Integration

Die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund ist eine staatliche und
gesellschaftliche Aufgabe. Integration betrifft alle Bereiche der Gesellschaft.
Sie vollzieht sich im Gemeindeleben, in der Nachbarschaft, im Verein und am
Arbeitsplatz. Das Feld reicht beispielsweise von den Tageseinrichtungen für
Kinder über die verschiedenen Schularten bis zu den Hochschulen, betrifft
Handwerk, Mittelstand und Industrie ebenso wie die Kultur und den Sport.
Dementsprechend tangiert die Integration zahlreiche Lebensbereiche. Integra-
tion ist ein Thema auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen. Eine
besondere Bedeutung kommt der Sprachintegration zu, sie ist der Schlüssel zur
gesellschaftlichen Teilhabe. Gemeinsames ehrenamtliches Engagement ist hier-
bei zum Erlernen der Sprachfertigkeit, aber auch zum gegenseitigen kulturellen
Verstehen, von großer Wichtigkeit.

Die Lebenswirklichkeit zeigt deutlich, dass bei einer großen Zahl der Bürger
mit Migrationshintergrund die Deutschkenntnisse nicht ausreichend sind.
PISA, IGLU und andere Studien bestätigen dies mit geradezu erschreckender
Deutlichkeit. Der entscheidende Befund, dass in keinem anderen Vergleichs-
land die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen derart vom sozialen
Status der Eltern abhängen, macht deutlich, dass das deutsche Bildungssystem
offenbar nicht in der Lage ist, soziale Ungleichheit zu kompensieren und zu
Chancengleichheit am Start zu führen.

Obwohl die heutige Generation der Kinder und Jugendlichen mit Migrations-
hintergrund zum überwiegenden Teil in Deutschland geboren und aufgewach-
sen ist, ist sie im Vergleich zu den deutschen Jugendlichen weit weniger erfolg-
reich.

Die Zahlen sind dramatisch: 19 Prozent der Ausländer verlassen die Schule
ohne Abschluss, 42 Prozent bestehen den Hauptschulabschluss. Im Vergleich
hierzu verlassen bei den Deutschen nur 8 Prozent die Schule ohne Abschluss.
Der Rückstand der 15-jährigen Migranten in der Lesekompetenz gegenüber
den Deutschen beträgt gemäß der Pisa-Studie zwei Schuljahre.

Sprachliche Frühförderung

Sprachbildung ist eine generative Querschnittsaufgabe und dann besonders
effizient, wenn neben den Kindern auch die Eltern in das Bildungsangebot mit
einbezogen werden. So ist das Projekt „Mama lernt Deutsch – Papa auch“ Teil
eines Gesamtprojekts, das Eltern ausländischer Herkunft besser vorbereiten
soll, die schulische und berufliche Integration ihrer Kinder zu unterstützen. Die
Familie ist der Geburtsort der Sprache. Vater, Mutter, Geschwister und Ver-
wandte sind die ersten Sprachlehrer. Mit der Sprache lernt das Kind nicht nur
Worte, sondern auch Verhaltensregeln, Werte und kulturelle Traditionen, die
der Familie wichtig sind. Je nach Lebensweise bildet dabei jede Familie eigene
Sprachmuster und -gewohnheiten heraus. Es ist daher besonders wichtig, die
Eltern bei der Sprachförderung einzubeziehen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2092

Schon der Anfang muss stimmen. Jedes Kind, d. h. auch jedes deutsche Kind,
muss dem Unterricht ab der ersten Klasse folgen können. Mit dem Eintritt in
die Schule muss die deutsche Sprache also hinreichend beherrscht werden. Lei-
der ist dies auch für deutsche Kinder nicht mehr selbstverständlich. Daher
müssen verbindliche Diagnosen mit Sprachstandserhebungen zwischen dem
dritten und vierten Lebensjahr eingeführt werden. Diese Sprachtests ermögli-
chen es, sofortige Maßnahmen der Sprachförderung einzuleiten. Diejenigen
Kinder, bei denen die Sprachstandserhebung erhebliche Mängel offenbart,
müssen angemessen gefördert werden. Sprachfähigkeit beeinflusst den Erwerb
der meisten anderen Kompetenzen und ist daher die entscheidende Grundlage
im Bildungsbereich.

Obwohl ausländische Eltern in nahezu gleichem Umfang wie deutsche Eltern
ihren Kindern vorschulische Lern- und Förderprogramme zukommen lassen,
zeigen die Erfahrungen aus dem Saarland, dass sich diese Zahl steigern lässt.
Nach Auskunft des saarländischen Kultusministeriums ist die Zahl der auslän-
dischen Kinder in den Kindergärten deutlich gestiegen, seit das letzte Kinder-
gartenjahr kostenfrei angeboten wird. Dies scheint in direktem Zusammenhang
mit Erkenntnissen des Deutschen Jugendinstituts zu stehen, wonach Kinder aus
besser gestellten Familien häufiger einen Kindergarten besuchen als Kinder aus
niedrigen Einkommensgruppen. Migrantenkinder stammen überproportional
häufig aus Familien der niedrigen Einkommensgruppen; aus diesem Grund
scheint es möglich, mit einem kostenlosen letzten Kindergartenjahr den
Sprachschatz der Kinder signifikant zu verbessern. Ein intensiver spielerischer
Kontakt mit deutschen Kindern trägt ebenfalls entscheidend zur Steigerung der
Sprachfähigkeit bei.

Sprachförderung an der Schule

PISA, IGLU und andere Studien verdeutlichen, dass der normale Schulunter-
richt bisher großenteils nicht ausgereicht hat, um die notwendigen Sprach-
kenntnisse zu vermitteln. Die Sprachförderung sollte daher nicht nur im vor-
schulischen Bereich ausgebaut werden, sondern muss auch in der Grundschule
und in Auffangklassen weiterführender Schulen fortgesetzt werden.

Jugendliche mit Migrationshintergrund werden an einigen Schulen mit dem
Unterrichtsfach „Deutsch als Zweitsprache“ gefördert. Dies ist methodisch ein
guter Ansatz, wenn es um die Förderung der Sprachkompetenz geht. Allerdings
weist der Titel des Unterrichtsfachs in die Irre. Nach den Erfahrungen der letz-
ten Jahrzehnte ist davon auszugehen, dass diese Schüler ihr Leben in Deutsch-
land verbringen werden und nicht in das Herkunftsland ihrer Familien zurück-
kehren. Wenn aber Deutschland damit zur Heimat oder Wahlheimat geworden
ist, dann ist Deutsch nicht die Zweit-, sondern die Erstsprache. Dies muss auch
in der Schule mit aller Deutlichkeit klargemacht werden.

Mehrsprachigkeit ist ein Gewinn. Fakt ist aber, dass ein erheblicher Teil der
jungen Migranten weder ausreichend Deutsch spricht noch ihre Familienspra-
che perfekt beherrscht. Aufgabe des deutschen Staates und der Gesellschaft ist
es, die deutsche Sprache zu vermitteln. Bietet es sich schulisch an, so sollte
auch das schulische Angebot an Fremdsprachen erweitert werden.

Neben der Förderung in speziellen Deutschkursen erscheint es naheliegend, zu-
mindest die gesamte in der Schule verbrachte Zeit als Lernzeit zu betrachten.
Daher ist es zu begrüßen, wenn Schulen Deutsch als gemeinsame Sprache für
das Schulgelände festlegen. Hierdurch wird der Lernerfolg verstärkt und der
Sprachgebrauch in Alltagssituationen trainiert.

Ein erheblicher Teil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund spricht weder
im Familien- oder Freundeskreis noch auf der Straße Deutsch. Fremdsprach-
liche Fernsehprogramme machen es überflüssig, Deutsch lernen zu müssen.

Drucksache 16/2092 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Schule ist daher für diese Kinder und Jugendlichen der einzige Ort des Ler-
nens. Die Schule muss als „Integrationsagentur“ verstanden werden, die die
Kinder auf ein Leben in dieser Gesellschaft vorbereitet.

Sprache als Grundlage des beruflichen Erfolgs

Berufsausbildung ist die Ausgangsbasis für qualifizierte Beschäftigung, für be-
ruflichen Aufstieg und somit auch für gesellschaftliche Integration. Ohne eine
solche Qualifizierung ist die Gefahr der Arbeitslosigkeit besonders hoch.

In den alten Bundesländern einschließlich Berlin lag bei einem Bevölkerungs-
anteil von 12,4 Prozent der Anteil der ausländischen Auszubildenden an allen
Auszubildenden bei nur 6,1 Prozent. Es ist daher naheliegend, dass Jugendliche
und junge Erwachsene mit Migrationshintergrund erheblich häufiger als an-
oder ungelernte Arbeiter beschäftigt werden und über keinen formalen Berufs-
abschluss verfügen. Gerade dieser Beschäftigungsbereich ist überproportional
von Arbeitslosigkeit betroffen. Ursächlich für die schlechte Ausbildungsplatz-
situation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist einerseits der immer
noch bestehende Mangel an Ausbildungsplätzen, der zu einer verschärften Aus-
wahl mit steigendem Anforderungsprofil an die Bewerber führt – andererseits
aber auch die schon dargelegte ungünstige Bildungssituation. Daher beginnen
sie oft ihr nachschulisches Leben mit so genannten Maßnahmekarrieren, also
einem meist von der Arbeitsagentur bereitgestellten kostspieligen Qualifizie-
rungsweg. Auch daran wird die sehr hohe Bedeutung einer Verbesserung der
Sprachkompetenz der Kinder und Jugendlichen deutlich.

Integrationskurse nach dem Zuwanderungsgesetz und nachholende Sprach-
integration

Mit dem Inkrafttreten des neuen Zuwanderungsgesetzes zum 1. Januar 2005
wurden die Integrationskurse als neues Instrument eingeführt. Der Rechtsan-
spruch auf Teilnahme besteht grundsätzlich nur für ausländische Neuzuwande-
rer aus Drittstaaten, sofern deren Aufenthalt auf Dauer angelegt ist. Menschen
aus Drittstaaten, die bereits länger in Deutschland leben, und Unionsbürger ha-
ben keinen festen Anspruch. Sie können nur teilnehmen, wenn noch Kursplätze
verfügbar sind. Dies wird dem Stellenwert der nachholenden Integration nicht
gerecht.

Integrationskurse gemäß dem Zuwanderungsgesetz bestehen aus einem Basis-
und einem Aufbausprachkurs. Hinzu kommt ein Orientierungskurs zur Vermitt-
lung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Geschichte
Deutschlands. Die Teilnahme ist grundsätzlich kostenpflichtig; für Spätaussied-
ler und ihre Familienangehörigen sind die Integrationskurse demgegenüber
kostenfrei. Eine Verpflichtung zum Besuch eines Integrationskurses besteht
etwa, wenn der Ausländer Arbeitslosengeld II bezieht und die Agentur für Ar-
beit dies angeregt hat. Ferner sind Ausländer zur Teilnahme verpflichtet, wenn
sie in besonderem Maße integrationsbedürftig erscheinen. Nach § 3 Abs. 2 der
Integrationsverordnung ist das Kursziel erreicht, wenn sich der Kursteilnehmer
im täglichen Leben in seiner Umgebung selbstständig sprachlich zurechtfinden
und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und
sich schriftlich ausdrücken kann (B 1). Das Niveau B 1 soll innerhalb von 600
Lernstunden erreicht werden Die Praxis zeigt deutlich, dass es für die Mehrzahl
der Kursabsolventen unmöglich ist, in dieser Zeit das angestrebte Niveau zu er-
reichen. Die alte Regelung sah 1 200 Stunden Deutschunterricht vor. Es ist im
gesamtgesellschaftlichen Interesse, wieder zu dieser Regelung zurückzugelan-
gen, um ein Mindestsprachniveau zu sichern.

Die Sprachkenntnisse (B 1) reichen aber nicht aus, wenn im Herkunftsstaat er-
worbene Prüfungen oder Titel in der Bundesrepublik Deutschland nicht aner-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2092

kannt werden und, je nach Berufsgruppe oder angestrebter Tätigkeit, gegebe-
nenfalls ein Studium, ein Fachsprachkurs oder eine Gleichwertigkeitsprüfung
absolviert werden muss.

Im Jahr 2005 haben rund 215 000 Ausländer und Spätaussiedler eine Teilnah-
meberechtigung für einen Integrationskurs nach dem Zuwanderungsgesetz er-
halten; 115 000 haben einen Kurs begonnen oder bereits abgeschlossen. Beson-
ders groß ist die Nachfrage nach den Kursen bei bereits länger in Deutschland
lebenden Ausländerinnen und Ausländern: mit knapp 60 Prozent der Kursteil-
nehmer stellten sie die größte Teilnehmergruppe; die meisten nahmen freiwillig
an den Kursen teil. Auf starkes Interesse stieß das Angebot bei den Migrantin-
nen: sie stellten 2005 fast zwei Drittel der Kursteilnehmer.

Auch wenn die Evaluation des Kursangebots erst 2007 abgeschlossen sein
wird, zeigen die Erfahrungen des ersten Jahres, dass bereits jetzt Handlungs-
bedarf hinsichtlich eines qualitativ besseren und bedarfsgerechteren Angebots
besteht. Dies belegen nicht zuletzt die Zahlen zu den erfolgreichen Kurs-
abschlüssen: Nur rund 40 Prozent der Kursabsolventen haben 2005 die Ab-
schlussprüfung erfolgreich bestanden und damit das Sprachniveau erreicht, das
die Kurse gewährleisten sollen (B-1-Niveau des Gemeinsamen Europäischen
Referenzrahmens).

Entscheidend wird es sein, das Angebot so auszugestalten, dass Neuzuwan-
dernde möglichst schnell einen Kurs besuchen können und möglichst vielen
Kursteilnehmern der erfolgreiche Kursabschluss ermöglicht wird. Zudem müs-
sen auch weiterhin ausreichend Mittel zur Verfügung stehen, um die freiwillige
Nachfrage von bereits länger in Deutschland lebenden Ausländerinnen und
Ausländern befriedigen zu können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

A die Verbesserung der Integrationskurse nach folgenden Eckpunkten zu ge-
stalten:

a) Bedarfsgerechte Differenzierung des Kursangebots

In der Anlaufphase der Integrationskurse hat sich gezeigt, dass das Ange-
bot vielerorts nicht ausreichend differenziert ist. Die Kurse sind oft sehr
heterogen zusammengesetzt, akademisch vorgebildete sitzen neben bil-
dungsungewohnten Teilnehmern und Analphabeten. Die bisherige Modu-
larisierung des Angebots kann dieses Problem nicht beheben. In den all-
gemeinen Kursen würden sich mit homogeneren Lerngruppen bessere
Lernerfolge erzielen lassen. Die bisher erst ansatzweise entwickelten An-
gebote für die Zielgruppen Jugendliche und Frauen/Eltern sollten mög-
lichst passgenau auf die jeweilige Lebenssituation zugeschnitten werden.
Analphabeten oder auch Menschen, die in einer anderen Schriftsprache
alphabetisiert wurden, brauchen besondere Vorschaltangebote, um sie
überhaupt zum Deutschsprachwettbewerb zu befähigen. Aber auch
„Schnelllerner“ und erfolgreiche Kursabsolventen sollten gezielter geför-
dert und insbesondere auf den Eintritt in den Arbeitsmarkt vorbereitet
werden.

1. Kursangebot nach Leistungsfähigkeit der Teilnehmer differenzieren

Eine homogenere Zusammensetzung der Teilnehmer in den allgemei-
nen Kursen ließe sich durch ein Angebot von Kursen auf unterschied-
lichen Leistungsniveaus bzw. für unterschiedliche Lerntempi errei-
chen. Kursteilnehmern, die das an sich als Kursziel festgesetzte
Sprachniveau in weniger als 600 Stunden erreichen, sollte die Mög-
lichkeit gegeben werden, die verbleibenden Stunden für weitergehen-
den Spracherwerb zu nutzen.

Drucksache 16/2092 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Eine solche bedarfsgerechte Angebotsdifferenzierung ist vor Ort aller-
dings nur zu gewährleisten, wenn die lokalen Sprachkursträger ihre
Angebote abstimmen.

2. Angebotsabstimmung der Träger verbessern

Durch die Einführung der Kooperationsverpflichtung für die Träger
als Kriterium für die Trägerzulassung könnte sichergestellt werden,
dass die Kursträger vor Ort ihre jeweiligen Angebote abstimmen und
Kursinteressierte gezielt untereinander verteilen, um so leistungsdiffe-
renzierte Kurse und Zielgruppenangebote zeitnah zu ermöglichen.
Beispiele für solche erfolgreichen Trägerkooperationen gibt es bereits
in einigen Regionen. Ziel sollte die möglichst flächendeckende Ein-
führung von lokalen Trägerkooperationen sein.

3. Erreichte Leistungen verbindlich zertifizieren

Jeder Integrationskurs sollte mit einer verbindlichen Prüfung abge-
schlossen werden, mit der den Teilnehmern das jeweils erreichte Leis-
tungsniveau auch zertifiziert wird. Die bisherigen Erfahrungen zeigen,
dass ein erheblicher Teil der Kursteilnehmer in 600 Unterrichtsstun-
den das Zielsprachniveau nicht erreichen kann und deshalb erst gar
nicht zur Abschlussprüfung angemeldet wird.

Zurzeit wird die Entwicklung eines skalierten Sprachtests vorbereitet,
der Lernerfolge differenziert erfassen soll; die Testentwicklung wird
jedoch voraussichtliche zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen. Bis
dahin sollte übergangsweise auf bereits vorhandene Sprachfeststellun-
gen bzw. niveaubezogene Testverfahren/Zertifikatsprüfungen zurück-
gegriffen werden.

4. Integrationskursangebot und berufsbezogene Sprachförderung verzah-
nen

Nicht nur Kursteilnehmer mit Lernschwierigkeiten, auch Schnell-
lerner brauchen gezielte Förderung. So sollten besonders erfolgreiche
Kursabsolventen durch berufsbezogene Aufbauförderung gezielt für
den Eintritt in den Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Anknüpfungs-
punkte für eine Angebotsverzahnung könnte die berufsbezogene
Sprachförderung im Rahmen des Europäischen-Sozialfonds-Bundes-
agentur-für-Arbeit-Programms (ESF-BA) sein, das voraussichtlich ab
2007 vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übernommen
wird.

Bereits geplant ist die stärkere Verzahnung von Integrationskursen
und Sprachfördermaßnahmen nach SGB II/SGB III. Zusammen mit
der Bundesagentur für Arbeit bereitet das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge zurzeit eine entsprechende Handlungsempfehlung zu-
nächst für den Bereich der jugendspezifischen Angebote vor; eine
weitere für frauenspezifische Angebote soll folgen. Vorgesehen wer-
den sollten auch Berufspraktika.

5. Integrierte Jugendangebote ausbauen

Gerade bei Integrationsangeboten für Jugendliche ist es unerlässlich,
die unterschiedlichen Förderkomponenten (Sprachangebote, sozial-
pädagogische Begleitung, Berufsvorbereitung, Nachqualifizierung) in
hohem Maße aufeinander abzustimmen und zu vernetzen. Insbeson-
dere die differenzierte sozialpädagogische Begleitung sollte bei Ju-
gendlichen integraler Kursbestandteil sein. Hier haben die Jugend-
migrationsdienste, die für diese Angebote verantwortlich sind, eine
besondere Kooperationsverpflichtung mit den lokalen Kursanbietern.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/2092

6. In den Jugendkursen gezielter auf Ausbildung und Beruf vorbereiten

Gerade Migrantenjugendliche haben besondere Probleme im Ausbil-
dungs- und Arbeitsmarkt. Nach Integrationskursverordnung sollen die
Jugendintegrationskurse auf den Besuch einer weiterführenden Schule
oder Hochschule oder eine andere Ausbildung vorbereiten. Um die-
sem Anspruch gerecht zu werden, müssen in das noch zu entwi-
ckelnde Rahmenkonzept für diese Zielgruppe in hohem Maße berufs-
und ausbildungsvorbereitende Elemente, z. B. Berufspraktika als re-
gelmäßiger Kursbestandteil, aufgenommen werden.

7. In Eltern- und Frauenkursen familien- und frauenspezifische Themen
aufgreifen

Eltern- und Frauenkurse bieten Gelegenheit, in besonderem Maße fa-
milien- und frauenspezifische Themen aufzugreifen und auf Bildungs-
fragen einzugehen. Das Rahmenkonzept für diese Kurse sollte darauf
gerichtet sein, Erziehungskompetenz und Empowerment zu stärken.
Da gerade Mütter von schulpflichtigen Kindern ein erhöhtes Interesse
am Erlernen der deutschen Sprache haben, bietet sich eine Anbindung
dieser Zielgruppenkurse z. B. an Schulen oder Nachbarschaftszentren
an.

8. Angebote zur Alphabetisierung und Umalphabetisierung vorschalten

Wer bisher nicht oder in einer anderen Schriftsprache alphabetisiert
wird, hat – auch bei leistungsdifferenzierten Angeboten – wenig Aus-
sicht, in den allgemeinen Sprachkursen zu reüssieren. Deshalb sollte
für diese Zielgruppe ein zusätzliches Angebot vorgeschaltet werden,
an das sich dann der allgemeine Sprachkurs oder ein Zielgruppenkurs
anschließen können.

9. Lokale Integrationsnetzwerke ausbauen

Integrationsförderung vor Ort kann nur gelingen, wenn alle beteiligten
Akteure – Sprachkursträger, Ausländerbehörden, Jobcenter, Migra-
tionserstberatungsstellen und Jugendmigrationsdienste und die Regio-
nalkoordinatoren des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge – in
hohem Maße zusammenarbeiten. Vorgeschlagen wird deshalb die Ein-
richtung von Runden Tischen oder anderen Netzwerkstrukturen, die
lokale Bedarfsprofile erarbeiten und die Angebote entsprechend aus-
richten. Auch Schulen und Migrationsorganisationen und insbeson-
dere die Elternvereine sollten in diese Netzwerke einbezogen werden.

b) Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Kursqualität

Eine Differenzierung des Kursangebots wird nur zu realisieren sein,
wenn die Rahmenbedingungen für die Träger entsprechend verbessert
werden. Die Qualität der Kurse hängt in hohem Maße von ihrer finanziel-
len Ausstattung ab.

1. Nachholende Integration ermöglichen

Insgesamt sollte sichergestellt sein, dass im Bundeshaushalt auch
künftig ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, um die freiwillige
Kursnachfrage von bereits länger in Deutschland lebenden Auslände-
rinnen und Ausländern decken zu können. Gerade mit Blick auf die
besonderen Probleme der zweiten und dritten Migrantengeneration im
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt sind Angebote zur „nachholenden
Integration“ unverzichtbar.

Drucksache 16/2092 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Finanzausstattung der Kurse verbessern

Der den Sprachkursträgern bisher gewährte Stundensatz (2,05 Euro)
ist angesichts der hohen bürokratischen Anforderungen an die Träger
und der aus diesem Satz zu deckenden Personal- und Sachkosten zu
knapp bemessen. Auch die vom Bundesamt für Migration und Flücht-
linge bereits eingeführte einmalige Verwaltungspauschale (7 Euro je
Teilnehmer) kann dies nicht kompensieren. Um dem Träger ein kos-
tendeckendes Arbeiten zu ermöglichen, sollte der Stundensatz pro
Teilnehmer auf mindesten 3 Euro angehoben werden. Für die Alpha-
betisierungsangebote ist darüber hinaus eine erhöhte Finanzausstat-
tung vorzusehen.

3. Kleinere Lerngruppen ermöglichen

Die bisherigen engen finanziellen Rahmenbedingungen führen dazu,
dass die Kursträger unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten mit mög-
lichst großen Lerngruppen arbeiten müssen. Dies ist Lernerfolgen ab-
träglich. Die Reduzierung der zulässigen Teilnehmerzahl auf maximal
18 Personen pro Kurs wäre ein wesentlicher Beitrag für eine bessere
Kursqualität. Bei den Alphabetisierungsangeboten sollte die Höchst-
teilnehmerzahl auf zehn Personen festgesetzt werden.

4. Lernzeiten, insbesondere bei zielgruppenspezifischen Kursen, verlän-
gern

Insbesondere bei den Zielgruppenangeboten für Jugendliche, Frauen/
Eltern und Analphabeten reichen 600 Stunden Deutschunterricht
i. d. R. nicht aus, um ausreichende Deutschkenntnisse zu vermitteln.
Deshalb ist für diese Angebote eine Aufstockung des Stundenkontin-
gents auf mindestens 900 Stunden unerlässlich. Notwendig wäre die
Wiedereinführung des Stundenkontingentes von 1 200 Stunden, wie
es bis zum Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes bestand.

5. Hohe Qualität der Lehrkräfte sicherstellen

Die Qualifizierung und Motivation der Lehrkräfte ist von entscheiden-
der Bedeutung für die Qualität der Kurse. Deshalb müssen auch lang-
fristig die Rahmenbedingungen für eine kontinuierliche Lehrerfort-
bildung sichergestellt werden. Zudem sollte ein angemessenes
Mindesthonorar für die Lehrkräfte der Integrationskurse (in Anleh-
nung an die Regelung des ehemaligen Sprachverbands) eingeführt
werden, da derzeit aufgrund der niedrigen Kostensätze ein dramati-
sches Absinken der Honorare zu beobachten ist.

6. Träger von Verwaltungsaufgaben entlasten

Aufgrund der vielfältigen Rechtsvorgaben müssen die Kursträger ei-
nen Großteil der Finanzmittel, die ihnen das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge für die Kursdurchführung zur Verfügung stellt, für
Verwaltungsaufgaben aufwenden. Ein Bürokratieabbau bei den Trä-
gern käme der Qualität der Kurse zugute. Eine Vereinfachung der Ab-
rechnungsmodalitäten und Gebührenverfahren und die Übernahme
von bisher bei den Trägern angesiedelten Verwaltungsaufgaben durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könnte den bürokrati-
schen Aufwand erheblich reduzieren.

c) Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Teilnahme

Oft hängt die Teilnahme am Integrationskurs von eingeschränkten Bedin-
gungen wie etwa fehlenden Kinderbetreuungsangeboten oder schlechten
Verkehrsverbindungen ab. Es sollte im Interesse aller liegen, die Inan-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/2092

spruchnahme der Integrationskurse durch entsprechende Anpassung der
teilnehmerbezogenen Rahmenbedingungen zu steigern.

1. Möglichst zügige Kursteilnahme sicherstellen

Um neu zugewanderten Ausländern und Spätaussiedlern die Einge-
wöhnung in Deutschland zu erleichtern, ist eine möglichst zügige
Kursteilnahme wünschenswert. Während zur Teilnahme verpflichtete
Neuzuwanderer und „Bestandsausländer“ auch jetzt schon gehalten
sind, sich unverzüglich zu einem Integrationskurs anzumelden, gilt
der Anspruch auf Kursbesuch bei den nicht verpflichteten Neuzuwan-
dernden zwei Jahre (Ausländer) bzw. unbefristet (Spätaussiedler).
Vorgeschlagen wird eine Angleichung der Anspruchsfristen an die Zu-
lassungsfrist der „Bestandsausländer“, die freiwillig am Kurs teilneh-
men (ein Jahr). Zur Umsetzung dieses Vorschlags sind die Änderun-
gen des Aufenthalts- und Bundesvertriebenengesetzes erforderlich.

2. Kursbegleitende Kinderbetreuung verbessern

Fehlende Kinderbetreuungsangebote hindern insbesondere Frauen an
der Kursteilnahme. Dies gilt keineswegs nur für die Zielgruppenkurse,
sondern auch für die allgemeinen Integrationskurse. Ergänzend zur bis-
herigen Regelung zur Kinderbetreuung sollten die Träger und lokalen
Trägerverbände in die Lage versetzt werden, trägerübergreifende Be-
treuungspools für Unter-Dreijährige zu bilden. Vor dem Hintergrund
des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für Über-Dreijährige
wäre zudem in Erwägung zu ziehen, bei Bedürftigkeit für die Dauer
des Kursbesuchs die Kindergartenkosten zu erstatten. Da ursprünglich
eine geteilte Finanzverantwortung von Bund und Ländern für die
Kurse vorgesehen war, wären hier ggf. die Länder einzubeziehen.
Grundsätzlich wünschenswert wäre es, die Betreuungsangebote der
Kinder mit den Angeboten der frühkindlichen Sprachförderung zu
verbinden.

3. Auch Geringverdienern Kursteilnahme ermöglichen

Der von allen Nichtsozialleistungsbeziehern zu erbringende Eigenbe-
darf von 1 Euro pro Kursstunde (630 Euro pro Kurs) ist für Geringver-
diener oft Grund, die Kurse nicht zu besuchen. Dies gilt insbesondere,
wenn mehrere Familienmitglieder an einem Integrationskurs teilneh-
men wollen oder müssen. Entsprechend der Vorgabe des Aufenthalts-
gesetzes, wonach für die Teilnahme Kosten „in angemessenem Um-
fang und Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit erhoben werden“
sollen, sollten Geringverdiener daher grundsätzlich von der Zahlung
des Eigenbeitrags weitgehend befreit werden.

4. Erreichbarkeit der Kurse sicherstellen

Auch die von Teilnehmern aufzuwendenden Fahrtkosten können zum
Teilnahmehindernis werden. Bislang können nur teilnahmeverpflich-
tete „Bestandsausländer“ und Teilnehmer der Zielgruppenkurse einen
Zuschuss zu den ihnen entstehenden Fahrtkosten beantragen. Für
Spätaussiedler und ihre Kernfamilie ist eine entsprechende Regelung
geplant. Für sonstige Teilnehmergruppen – d. h. neu zugewanderte
Ausländer und nicht verpflichtete „Bestandsausländer“ in den allge-
meinen Sprachkursen – ist dies bisher nicht vorgesehen. Um Gering-
verdienern in diesen Teilnehmergruppen die Kursteilnahme zu ermög-
lichen, sollte auch ihnen die Fahrtkostenzuschussgewährung
eingeräumt werden.

Hinsichtlich der Zuschussgewährung für Leistungsbezieher nach dem
SGB II bedarf es zudem einer bundesweiten Zuständigkeitsregelung,

Drucksache 16/2092 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

da die Zuständigkeit zwischen Bundesamt für Migration und Flücht-
linge und Arbeitsverwaltung bisher unzureichend geklärt ist.

5. Erfolgreiche Kursteilnahme honorieren, Teilnahmeverweigerung sank-
tionieren

Zusätzliche Anreize können die Motivation der Kursteilnehmer weiter
stärken. So sollten bei erfolgreicher Kursteilnahme zusätzliche Ver-
günstigungen bei der Erteilung der Niederlassungserlaubnis (z. B.
Verkürzung der Voraufenthaltsfrist auf vier Jahre) sowie bei den Ein-
bürgerungsvoraussetzungen (s. u.) eingeräumt werden. Im Gegenzug
wäre bei Verletzung der Teilnahmepflicht die konsequentere Anwen-
dung der bestehenden sozialrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten erfor-
derlich.

d) Orientierungskurse

1. Grundrechte vermitteln, Frauenrechte stärken

Nach dem Aufenthaltsgesetz dient der Orientierungskurs der Vermitt-
lung von Kenntnissen der Rechtsordnung, der Kultur und der Ge-
schichte Deutschlands. Dieser Themenkanon sollte jedoch möglichst
auf die konkrete Lebenssituation der Kursteilnehmer bezogen sein und
deshalb unbedingt auch Themen wie Menschen- und Frauenrechte
umfassen. Gerade die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist eine
entscheidende Thematik, um Integration zu befördern. So müssen Zu-
wanderinnen aktiv und ohne diskriminierende Einschränkungen am
Erlernen der deutschen Sprache, an Bildung, Ausbildung, Beruf und
anderen Bereichen teilhaben können. Bereits in den Orientierungskur-
sen sollte vermittelt werden, dass der Regelunterricht in Schulen für
alle Kinder ausnahmslos verpflichtend sein muss. Kultur und Religion
sind auf keinen Fall eine Rechtfertigung für die Unterdrückung von
Mädchen und Frauen.

2. Orientierungskurs als ersten Schritt zur Einbürgerung anlegen

Zurzeit wird die Einführung von Einbürgerungskursen zur Vorberei-
tung auf Einbürgerungstests diskutiert. Bei entsprechender Ausgestal-
tung des Orientierungskurscurriculums könnte die erfolgreiche Teil-
nahme am Orientierungskurs auf den Einbürgerungskurs angerechnet
werden.

3. Stundenzahl der Orientierungskurse erhöhen

Die vorgesehene Stundenzahl von 30 Stunden für Orientierungskurse
hat sich als nicht ausreichend herausgestellt. Hier sollte ebenfalls auf
die Regelung vor Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes zurückge-
griffen und die Stundenzahl wieder auf 60 Stunden erhöht werden.

B in Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen folgende Aufgaben umzu-
setzen:

– die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund und ihrer Fami-
lien gezielter zu fördern. Besonderes Augenmerk ist dabei auf die sprach-
liche Förderung zu legen. Gerade die Kindertageseinrichtungen müssen
in besonderem Maße zur Integration von Migrantinnen und Migranten
und zur Vermittlung sprachlicher Kompetenz beitragen. Dabei ist es ge-
nauso wichtig, dass Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund
lernen, mit Unterschiedlichkeit tolerant und gewaltfrei umzugehen, und
interkulturelle Kompetenz erwerben;

– die Einführung von verbindlichen Diagnosen mit Sprachstandserhebun-
gen zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr für alle Kinder voran-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/2092

zutreiben. Diese Sprachtests ermöglichen es, sofortige Fördermaßnah-
men einzuleiten, die dem Entwicklungsstand jedes Kindes gerecht
werden. Die Bundesländer werden aufgefordert, Kindern, die bei der
Sprachstandserhebung erhebliche Mängel aufweisen, angemessene För-
derung zukommen zu lassen und sicherzustellen, dass möglichst alle Kin-
der nach der Einschulung dem Unterricht der ersten Klasse in deutscher
Sprache folgen können;

– die Verstärkung der Möglichkeit, Eltern, insbesondere Mütter von Kin-
dern mit Migrationshintergrund, durch ein gezieltes Angebot von Sprach-
kursen in die sprachliche Integration einzubeziehen;

– die Erarbeitung eines Erwachsenenbildungskonzepts zur Unterstützung
der Erziehungs- und Bildungskompetenz der Eltern;

– die mittelfristige Schaffung eines bundesweiten Rechtsanspruchs (unter
Beachtung des Konexitätsprinzips) für einen Betreuungsplatz für Kinder
vom vollendeten zweiten bis zum dritten Lebensjahr, um besonders in
den alten Bundesländern die Vorraussetzung zu schaffen, dass alle Kinder
mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen;

– die Entwicklung des letzten Kindergartenjahrs vor der Einschulung so
schnell wie möglich zu einem für die Eltern kostenfreien Angebot zu ent-
wickeln, um hierdurch einen Anreiz zum Besuch des Kindergartens zu
geben;

– die konzeptionelle und strukturelle Reform der Ausbildung von Erziehe-
rinnen und Erziehern auf hohem Niveau. Die Ausbildung muss neben der
bisherigen sozialpädagogischen Ausrichtung verstärkt auf die Bildungs-
prozesse, aber auch auf kindgerechte Sprachförderung ausgerichtet sein.
Die Leiterin einer Tageseinrichtung sollte eine Ausbildung auf Fachhoch-
schulniveau haben;

– die Förderung von freiwilligen Vereinbarungen zur deutschen Sprache als
Umgangssprache an den Schulen, weil die gesamte in der Schule ver-
brachte Zeit als Lernzeit zu betrachten ist;

– die schulische Anerkennung der Familiensprache als Fremdsprachen-
äquivalent für Bildungsabschlüsse, wenn eine entsprechende Prüfung
abgelegt wird und der Schüler dies wünscht. Auf diese bereits heute
teilweise bestehende Möglichkeit muss seitens der Schule aufmerksam
gemacht werden;

– die verstärkte Einführung von Ganztagsschulen, besonders in so genann-
ten Brennpunktgebieten;

– die im Rahmen der Bildungsforschung durchgeführten Untersuchungen
müssen um integrationspolitische Fragestellungen erweitert werden. Er-
folgreiche integrationspolitische Ansätze im Bildungssystem sind in die
fortlaufende Bildungsberichterstattung aufzunehmen, um diese schnellst-
möglich flächendeckend umsetzen zu können.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.