BT-Drucksache 16/2089

Innovation und Lebensqualität durch marktwirtschaftlichen Umweltschutz sichern - Grundsätze und Schwerpunkte rationaler Umweltpolitik

Vom 29. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2089
16. Wahlperiode 29. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Michael Kauch, Angelika Brunkhorst, Horst Meierhofer, Birgit
Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Dr. Werner Hoyer, Dr. Heinrich L. Kolb, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Patrick
Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Innovation und Lebensqualität durch marktwirtschaftlichen Umweltschutz
sichern – Grundsätze und Schwerpunkte rationaler Umweltpolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Mensch steht im Mittelpunkt der Umweltpolitik. Sachgerechte Umwelt-
politik wendet sich an Menschen, die sich um die Zukunft unserer Kinder und
Enkel sorgen und sich deshalb für Naturschutz, für eine saubere Umwelt und
für gesunde Ernährung interessieren. Der Umweltpolitik geht es um den Schutz
und die Entwicklung von Natur und Lebensräumen, die Verbesserung von
Lebensqualität und Gesundheit sowie um zukunftsfähige Rahmenbedingungen
für einen dauerhaft generationengerechten Umgang mit der natürlichen Um-
welt und mit ihren Ressourcen. Umweltpolitik ist gleichberechtigt mit wirt-
schafts- und sozialpolitischen Zielsetzungen.

Natur und biologische Vielfalt sind nicht statisch. Natur bedeutet Wandel, nicht
das Konservieren willkürlich gewählter Zustände. Nur wer die Natur kennt,
kann sie schützen. Das Bewusstsein der Menschen für ökologische Zusammen-
hänge muss untermauert werden – durch konsequente und wissenschaftlich
kompetente Umweltbildung, durch eine transparente Umweltinformation für
die Verbraucher und durch eigenes ökologisch vorbildliches Verhalten. Es geht
darum, Verantwortungsbewusstsein vorzuleben in den Familien, in den Schulen
und in der Öffentlichkeit. Auch der Staat selbst muss bereit sein, konsequent

ökologisch so zu handeln, wie er es von den Bürgern verlangt.

Akzeptanz bei den Menschen ist eine entscheidende Voraussetzung, damit Poli-
tik zum Schutz der Umwelt langfristig erfolgreich betrieben werden kann. Die
Umweltpolitik muss deshalb die Menschen einbeziehen. Der Mensch ist nicht
Störenfried, sondern Gestalter der Umwelt mit einem ureigenen Interesse am
Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen. In diesem Sinne muss Umweltpolitik
für die Menschen und mit ihnen gestaltet werden.

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Zeitgemäße Umweltpolitik setzt auf Verantwortungsbewusstsein, Selbstver-
trauen und Zuversicht. Statt Emotionalisierung und Ökosymbolik des vergan-
genen Jahrzehnts ist eine Umweltpolitik erforderlich, deren Ziel in einem
Gewinn an Lebensqualität besteht. Die Menschen erwarten Neues von der Um-
weltpolitik, einen Aufbruch zu neuen Ufern und moderne, zeitgemäße Wege
dorthin: Innovationsfähigkeit statt Technologiefeindlichkeit, Realismus statt
pessimistischer Untergangsszenarien, Pluralismus verantwortlicher Lebens-
stile statt asketisch belehrenden Gutmenschentums.

Eine vernunftgeleitete und sachgerechte Umweltpolitik

– setzt auf Freiheit und Verantwortung. Umweltpolitik ist langfristige Wirt-
schaftspolitik. Was heute billig erscheint, kann auf Dauer sehr teuer werden.
Ohne staatlichen Eingriff ist der Schutz der Natur, der Gesundheit und der
Interessen kommender Generationen oft nicht realisierbar. Der Staat muss
einen ökologisch verantwortlichen Ordnungsrahmen setzen, um externe
Kosten und diejenigen Kosten, die auf kommende Generationen verschoben
werden, auszugleichen. Der Staat darf sich dabei nicht Wissen anmaßen, das
er nicht hat. Er sollte den Wettbewerb von Lösungen zulassen, statt Mono-
pole zu errichten oder Technologien vorzugeben. Der Staat sollte Ziele defi-
nieren, nicht die Wege der Zielerreichung. Zu seinen Aufgaben gehört die
Zielkontrolle, in der Regel aber nicht die Aufgabendurchführung;

– sieht Chancen, nicht nur Risiken. Ein kompletter Ausschluss von Risiken ist
auch in der Umweltpolitik nicht möglich. Drängende Fragen der Umwelt-
politik gilt es durch Augenmaß und den jeweiligen Stand der naturwissen-
schaftlichen Diskussion entsprechend zu lösen. Nicht die gute Absicht und
das Spiel mit der Angst der Menschen sollen das Leitbild sein, sondern eine
Politik der besten Erfolge, wo Ziele und Mittel in einer vernünftigen Rela-
tion stehen. Das Vorsorgeprinzip ist im Rahmen einer Risikoabwägung von
Bedeutung, aber es darf nicht als Prinzip des Risikoausschlusses miss-
braucht und damit zum Argument gegen jede neue technische Entwicklung
werden;

– ist innovations- und technologieorientiert. Forschung und Technologie müs-
sen in den Dienst von Natur, Gesundheit, Umwelt und der Schaffung von
Arbeitsplätzen gestellt werden. Als High-Tech-Standorte tragen die Industrie-
länder dabei eine besondere Verantwortung auch im Interesse des weltweiten
Umweltschutzes. Der Verzicht auf Wissen ist nicht nachhaltig. Forschungs-
und Denkverbote schränken mögliche Entwicklungspfade unzulässig ein
und entziehen dem ökologischen Fortschritt die Basis. Nachhaltig ist, was
dazu beiträgt, das technisch und wirtschaftlich nutzbare Ressourcenpotenzial
dauerhaft zu erhalten oder sogar zu erweitern – durch neues Wissen, techni-
schen Fortschritt und effizientere Organisation der Ressourcennutzung;

– will beste Lösungen, nicht leere Ökosymbolik. Rationale Umweltpolitik ver-
langt Glaubwürdigkeit. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich die Ein-
satzbereitschaft der Menschen für den Umweltschutz auf Dauer erhalten.
Wenn sich ökologische Politik in symbolischen Gesten erschöpft, beschädi-
gen Ökosymbolik und lebensabgewandte Verzichts- und Verbotsideologien
ihre Akzeptanz. Deshalb müssen umweltpolitische Ziele und Instrumente im
Eindruck der Entwicklungen von Wissenschaft und Technik stets überprüft
werden. Nicht alles, was aus ökologischen Gründen einmal als richtig er-
kannt worden ist, behält seine Gültigkeit unverändert für Jahrzehnte. Erlasse
und Verordnungen sind nach Möglichkeit mit einem Verfallsdatum zu ver-
sehen. Das Maß für eine gute Umweltpolitik ist das Erreichen ökologischer
Schutzziele, nicht das Durchsetzen abgeleiteter Instrumente als Selbst-

zweck;

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– setzt auf ökologische und ökonomische Effizienz. Rationale Umweltpolitik
steht für einen wirtschaftlichen Umgang mit knappen Ressourcen. Ökologi-
sche Ziele müssen anspruchsvoll sein und auch absolute Belastungsgrenzen
von Ökosystemen beachten. Dabei sind ökologische Zielkonflikte offen zu
analysieren. Die Ziele müssen klar begründet, formuliert und durchgesetzt
werden. Sie sind stets mit minimalen Kosten und geringst möglichem büro-
kratischen Aufwand zu realisieren. Das ist am besten mit marktwirtschaft-
lichen Anreizen, Eigentumsrechten, Wettbewerb und Unternehmertum zu
realisieren. Der Verbrauch von Umweltgütern muss in die Nutzen- und Kos-
tenkalkulation der Unternehmen und Konsumenten einfließen. Verbraucher
und Unternehmen werden dann nach den effizientesten Lösungen suchen.
Gefordert ist dafür kein Absenken von Schutzstandards, aber eine Entbüro-
kratisierung der Instrumente und Verfahren;

– will Bürokratieabbau. Die Erfolge der Umweltpolitik der letzten 35 Jahre
sind unbestritten. Allerdings sind wir mit der Regelungsdichte inzwischen
über das Ziel hinausgeschossen. Das Umweltrecht ist zersplittert und un-
übersichtlich. Die Schaffung eines Umweltgesetzbuches muss deshalb auch
auf das Ziel Bürokratieabbau verpflichtet werden (siehe dazu im Einzelnen
den Antrag der Fraktion der FDP „Zukunftsfähige Rahmenbedingungen für
ein wirksames Umweltrecht im föderalen Deutschland schaffen“, Bundes-
tagsdrucksache 16/674 vom 14. Februar 2006). Insbesondere sind Doppel-
prüfungen und Doppelplanungen zu vermeiden. Zudem ist in zunehmendem
Maße zu erwägen, Verwaltungsakte durch Verträge mit Betroffenen zu erset-
zen. Bei der notwendigen Planungsbeschleunigung ist sachgerecht abzuwä-
gen zwischen dem individuellen Rechtsschutz, der nicht zur Disposition
steht, und dem Interesse der zügigen Verwirklichung volkswirtschaftlich be-
deutender Infrastrukturprojekte. Verwaltung und Gerichte müssen materiell
in die Lage versetzt werden, zügig zu entscheiden. Die Verbandsklage ist im
Rahmen international eingegangener Verpflichtungen vorzusehen;

– setzt auf Zertifikate statt Abgaben. Umweltpolitisch motivierte Abgaben
können im Einzelfall ökologisch sinnvoll und geboten sein. Allerdings ber-
gen Umweltabgaben die Gefahr finanzieller Belastungen für die Bürger,
ohne dass umweltbezogene Ziele hierdurch tatsächlich erreicht werden. Ab-
gaben, die ihr ökologisches Ziel erreicht haben, sind danach wieder abzu-
schaffen. Wegen der ökologischen Zielgenauigkeit und ihrer ökonomischen
Effizienz sollte die Umweltpolitik bei der Verwirklichung absoluter ökologi-
scher Mengenziele vorrangig auf den Einsatz von mengenbegrenzenden und
handelbaren Lizenzen und Zertifikaten setzen. Das Ordnungsrecht ist wegen
seiner Bürokratieanfälligkeit und seiner ökonomischen Ineffizienz so zu-
rückhaltend wie möglich einzusetzen. Allerdings ist auch dieses Instrument
unverzichtbar – etwa beim Schutz der Menschen vor unmittelbaren und gra-
vierenden Gefahren;

– beachtet die soziale Balance ihrer Maßnahmen. Zahlreiche Maßnahmen der
staatlichen Umweltpolitik der vergangenen Jahre haben zu regressiven Ver-
teilungswirkungen geführt. So verschieben z. B. Zugeständnisse gegenüber
großen Industriekonzernen bei der Ökosteuer und beim Emissionshandel
CO2-Minderungsziele auf Verkehr und Wärmemarkt sowie die Kosten letzt-
lich auf die privaten Haushalte und mittelständische Unternehmen. Das ge-
fährdet die Akzeptanz der Umweltpolitik in der Bevölkerung und damit
langfristig die Erreichung ökologischer Ziele. Neben der ökologischen Ziel-
erreichung und der Wirtschaftlichkeit der Instrumente müssen Maßnahmen
daher so verteilungsneutral wie möglich ausgestaltet werden. Umweltpolitik
ist auch ein Gerechtigkeitsthema;
– setzt auf Subsidiarität in Europa. Der Deutsche Bundestag begrüßt die Kom-
petenz der EU in der Rahmenrechtsetzung. Die EU muss sich dabei auf Bin-

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nenmarktaspekte und grenzüberschreitende Aufgaben konzentrieren. Dabei
soll im Zweifel die Zuständigkeit bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Not-
wendig ist eine umfassende praxisorientierte Folgenabschätzung im Vorfeld
von Rechtsetzung. Statt immer neuer Strategien, Richtlinien und Verordnun-
gen ist es sinnvoll, sich zunächst mit der Verwirklichung vorhandenen
Rechts in den Mitgliedstaaten zu befassen. Die Chancen der Revisionsklau-
seln sind konsequent zu nutzen. Richtlinien der Europäischen Union sind
grundsätzlich eins zu eins umzusetzen, um die Wettbewerbsgleichheit im
Binnenmarkt nicht zu gefährden;

– will internationalen Wettbewerb und internationale Verantwortung. Armut
ist eine der wichtigsten Ursachen für eine zunehmende Umweltbelastung in
den wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern. Erst wenn die Grundbe-
dürfnisse der Menschen befriedigt werden können, entsteht ein ernsthaftes
Eigeninteresse an einer intakten Umwelt. Die Erfahrung der vergangenen
Jahrzehnte lehrt, dass ein besonders verantwortungsloser Raubbau an natür-
lichen Ressourcen, Umweltverschmutzung in katastrophalem Ausmaß sowie
Armut und soziale Spannungen vor allem in solchen Ländern zu beobachten
waren und sind, in denen es keine freiheitlichen Strukturen für Markt und
Gesellschaft gibt. Die Bekämpfung der Armut gelingt letztlich nur durch
eine Öffnung der Märkte. Unter ökologisch verantwortlichen Rahmenbedin-
gungen müssen die innovativen und kostensenkenden Kräfte des Wett-
bewerbs auch auf internationalen Märkten in den Dienst der Nachhaltigkeit
gestellt werden. Umweltaspekte müssen in die WTO-Verhandlungen einge-
bracht werden.

Es gilt, der Umweltpolitik neue Impulse zu geben, um in Zeiten der Globalisie-
rung und des rasanten technologischen Fortschritts engagiert Verantwortung für
nachfolgende Generationen zu tragen. Deutschland war seit dem ersten Um-
weltaktionsprogramm von 1971, das der damalige FDP-Innenminister Hans-
Dietrich Genscher erfolgreich auf den Weg gebracht hat, Vorreiter im Umwelt-
schutz. Durch diese Vorreiterrolle hat die Wirtschaft in Deutschland in vielen
Bereichen eine Technologieführerschaft erreicht, die Arbeitsplätze schafft und
sichert. So kommen etwa Weltmarktführer in der Umwelttechnik oder der So-
larindustrie aus Deutschland und exportieren ihre Produkte und Dienstleistun-
gen in alle Welt. Der Rückblick ist ermutigend. Dennoch gibt es keinen Anlass,
die Hände in den Schoß zu legen. Ökologische Herausforderungen verlangen
national und weltweit umweltpolitische Kompetenz und verantwortungsbe-
wusste Lösungskonzepte. Mit den richtigen Konzepten kann die Lösung dieser
Herausforderungen einen weiteren Innovationsschub für unser Land bringen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Umweltpolitik in den Bereichen

– Klima und Energie,

– Lebensqualität und Gesundheitsschutz,

– Schutz von Lebensräumen und Natur sowie

– Versorgung und Entsorgung

im Sinne der vorstehenden Leitlinien neu zu fassen und dabei von nachstehen-
den Feststellungen und Bewertungen auszugehen:

1. Klima und Energie

1.1 Generationengerechtigkeit erfordert Klimaschutz und Ressourcenschonung

Klimaschutz und Ressourcenschonung sind zentrale Aufgaben einer genera-

tionengerechten liberalen Umweltpolitik. Heutiges Handeln ist eine wichtige

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/2089

Voraussetzung dafür, dass nachfolgende Generationen akzeptable Lebensbedin-
gungen und ausreichende Rohstoffpotenziale vorfinden werden. Klimaschutz-
anstrengungen sind zugleich eine wirtschaftspolitisch sinnvolle Investition, da
eine aktive Klimaschutzpolitik ökonomische Anreize zu einem vernünftigen
Umgang mit fossilen Energierohstoffen setzen kann. Deren verschwenderische
Nutzung sollte mit Blick auf die absehbaren Bedürfnisse einer wachsenden
Weltbevölkerung nicht fortgesetzt werden. Auch ist bei globaler Erwärmung
mit volkswirtschaftlichen Schäden zu rechnen. Dabei würden von einem Kli-
mawandel nicht alle Regionen auf der Erde gleichermaßen betroffen sein. Be-
stimmte Regionen würden zu Gewinnern oder Verlierern des Klimawandels
gehören. Zur Generationengerechtigkeit gehört auch die Schaffung technologi-
scher Optionen. Es gilt deshalb, neben mehr Energieeffizienz auf einen um-
weltverträglichen, breiten und technologieoffenen Energiemix zu setzen. Ziel
muss es sein, die fossilen Energieträger nach und nach zu ersetzen. Vision muss
eine Energieproduktion sein, die den natürlichen Treibhauseffekt nicht ver-
stärkt.

1.2 Kyoto-Protokoll und Emissionshandel

Das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls war ein wichtiger Schritt für den inter-
nationalen Klimaschutz. Der Deutsche Bundestag begrüßt das Inkrafttreten des
Kyoto-Protokolls, setzt auf dessen flexible Instrumente und bekennt sich zum
Klimaschutz als wichtigem Ziel seiner Politik. Das seit 1996 von der EU vertre-
tene Ziel, den globalen Temperaturanstieg auf höchstens zwei Grad Celsius ge-
genüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist unverändert sinnvoll
und bedarf weiterer Anstrengungen. Das Ziel, die Treibhausgasemissionen in
der EU bis zum Jahre 2020 um mindestens 30 Prozent zu reduzieren, ist daher
richtig. Deutschland hat an der Verwirklichung dieses Ziels einen angemesse-
nen Anteil zu tragen, ohne im Vergleich zu anderen EU-Ländern einseitige Las-
ten zu schultern. Die Bundesregierung muss sich mit Blick auf die Zeit inter-
nationaler Klimapolitik nach 2012 dafür einsetzen, dass der mit dem Kyoto-
Protokoll begonnene Prozess auf internationaler Ebene in Gang gehalten wird
und dass weitere Länder für ein neues globales Abkommen gewonnen werden.

Um für alle Staaten dieser Welt attraktiv zu werden, muss das Kyoto-Protokoll
wirtschaftlich leistungsfähig sein. Dies kann nur gelingen, wenn für jeden ein-
gesetzten Euro soviel CO2-Vermeidung wie möglich erwirtschaftet wird. Die
Bundesregierung muss sich deshalb dafür einsetzen, unverzüglich alle Kyoto-
Mechanismen im Rahmen der nationalen, europäischen und internationalen
Klimapolitik zu nutzen und im Sinne einer weiteren Kostensenkung weiter-
zuentwickeln: die Gemeinsame Implementierung (JI), den Mechanismus für
umweltgerechte Entwicklung (CDM) und den Emissionshandel. Dies gilt auch
für die Anerkennung von Projekten für CO2-Senken (z. B. Aufforstung) und für
die Einlagerung von CO2, soweit die Option dafür auf internationaler Ebene
vereinbart ist.

Damit können große Minderungspotenziale bei Treibhausgasemissionen und
zugleich erhebliche Kostensenkungspotenziale erschlossen werden, z. B. weil
man über Solarstromanlagen in sonnenreichen Ländern Treibhausgasemissio-
nen kostengünstiger einsparen kann als in Deutschland. Dies betrifft insbeson-
dere auch die Nutzung erneuerbarer Energien in Regionen, in denen es keine
geeignete Netzinfrastruktur zur Stromübertragung gibt (siehe im Einzelnen den
Antrag der Fraktion der FDP „Exportaktivitäten deutscher Unternehmen im
Technologiebereich Erneuerbare Energien sachgerecht unterstützen“, Bundes-
tagsdrucksache 16/1565 vom 19. Mai 2006). Die Bundesregierung muss sich
dafür einsetzen, dass eine Nutzung der flexiblen Kyoto-Instrumente künftig
Teilnehmern auf der subnationalen Ebene auch dann ermöglicht werden soll,

wenn die nationale Regierung sich noch nicht entschlossen hat, dem Kyoto-
Protokoll beizutreten. Dies könnte beispielsweise einzelnen Bundesstaaten der

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USA eine frühzeitige Teilnahme am Emissionshandel ermöglichen und die
internationale Kyoto-Gemeinschaft rasch erweitern. Zudem sollte die Bundes-
regierung inländischen Investoren unverzüglich die Möglichkeit eröffnen, Pro-
jekte gemeinsamer Implementierung im eigenen Land mit nicht am Emissions-
handel teilnehmenden Sektoren durchzuführen. Dies wäre ökologisch und
ökonomisch sinnvoll, weil man etwa in der Altbausanierung CO2 wesentlich
kostengünstiger einsparen könnte als über eine Optimierung des bereits ver-
gleichsweise effizienten industriellen Anlagenparks (siehe im Einzelnen den
Antrag der Fraktion der FDP „Klimaschutz-Offensive 2006“, Bundestags-
drucksache 16/242 vom 14. Dezember 2005, sowie weitere dort zitierte An-
träge der Fraktion der FDP).

Bei der Weiterentwicklung des Emissionshandels sollten die Emissionsrechte
im Versteigerungsverfahren vergeben werden. Dies bedeutet für den Nationalen
Allokationsplan für den Zeitraum 2008 bis 2012, die Möglichkeiten des EU-
Rechts soweit wie möglich auszuschöpfen und 10 Prozent der Zertifikate zu
versteigern. Die Zertifikate sind in ihrer Summe so zu bemessen, dass die
Kyoto-Verpflichtungen für 2012 eingehalten werden. Langfristig sollten die
europarechtlichen Grundlagen so verändert werden, dass eine vollständige Ver-
steigerung der Zertifikate möglich wird. Die Versteigerungserlöse sollen nicht
beim Staat verbleiben, sondern in den privaten Sektor zurückfließen, z. B. durch
eine Absenkung der Stromsteuer. Die Versteigerung der Zertifikate kann einen
weiteren Anstieg der Strompreise nicht begründen, da in den heutigen Strom-
preisen der Marktwert der – gegenwärtig noch verschenkten – Zertifikate ohne-
hin bereits einkalkuliert ist. Durch eine mögliche Absenkung der Stromsteuer
kann der Strompreis sogar sinken. Mit der Versteigerung werden lediglich die
Zuteilungsgewinne der großen Energieversorger abgeschöpft. Sinkende Strom-
preise würden zugleich nicht die Emissionen erhöhen, da die gesamte Emis-
sionsmenge durch die Anzahl der ausgegebenen Zertifikate begrenzt ist.

Solange eine vollständige Versteigerung EU-rechtlich noch nicht zulässig ist,
muss das Zuteilungsverfahren von überflüssiger Bürokratie entlastet werden.
Ausnahmeregelungen sind zurückzuführen, um Marktverzerrungen zu vermei-
den. Dazu gehört auch, bei beabsichtigten Investitionsanreizen in effizientere
Technologien eine Gesamtökobilanz der Technologie von der Energiequelle bis
zum Energieprodukt zu Grunde zu legen. So sind z. B. wegen der Pipeline-
verluste beim Gas Regelungen für Gas- und Dampfkraftwerke kritisch zu über-
prüfen. Bei der künftigen Ausgestaltung des Zertifikatehandels muss sicher-
gestellt werden, dass energieintensive Unternehmen und besonders energie-
effiziente Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke in Deutschland nicht unzu-
mutbar gegenüber anderen Standorten benachteiligt werden.

Über das bestehende Regime hinausführend müssen der Luftverkehr sowie
darüber hinaus – soweit mit akzeptablem Aufwand realisierbar – der gesamte
Verkehrssektor und die Wärmegewinnung für Gebäude in den Emissionshandel
einbezogen werden. Für eine Ausweitung des Emissionshandels auf den
Wärme- und Verkehrssektor ist ein brennstoff- bzw. kraftstoffbezogener Ansatz
zu wählen, der zugleich eine Handelbarkeit von Zertifikaten zwischen den Sek-
toren der Volkswirtschaft sicherstellt. In dem Maße, wie der Emissionshandel
im Verkehr und Wärmesektor greift und zusätzliche CO2-Minderungsziele
erreicht werden, können sektorale Instrumente wie KWK-Förderung, Mineral-
ölsteuer und Ökosteuer zurückgeführt werden. Es gilt, den Instrumentenkasten
aufzuräumen und pro Ziel möglichst nur ein effektives und effizientes Instru-
ment einzusetzen.

1.3 Klimaschutz durch Energieforschung und neue Technologien
Klimaschutz reicht über das Kyoto-Protokoll und seine Instrumente weit hi-
naus. Es geht nicht um ein „Entweder – Oder“ zwischen technologieorientierter

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/2089

Klimapolitik auf der einen und Kyoto-basierter Klimapolitik auf der anderen
Seite. Es gilt deshalb, konstruktiv auch auf jene Länder zuzugehen, die unlängst
die „Asien-Pazifik-Partnerschaft für saubere Entwicklung und Klima“ unter-
zeichnet haben, u. a. die USA. In dieser Initiative ist nicht eine Alternative zu
Kyoto zu sehen, sondern eine zusätzliche Chance zu erkennen. Der Emissions-
handel gibt dieser Partnerschaft einen zusätzlichen ökonomischen Anreiz und
vermeidet das Trittbrettfahrerproblem. Parallel sind Technologien stärker zu
entwickeln, die zur Prävention und Schadenseingrenzung bestimmt sind (z. B.
Erdbeobachtungssysteme der Meeres- und Polarforschung sowie der Raum-
fahrt und Maßnahmen zum Hochwasserschutz). Die Anstrengungen in diesen
Technologiebereichen müssen verstärkt werden (siehe dazu im Einzelnen die
Anträge der Fraktion der FDP „Implementierung eines wirksamen Tsunami-
Frühwarnsystems für den Indischen Ozean unter Einbeziehung des deutschen
Forschungsnetzwerkes“, Bundestagsdrucksache 15/4854 vom 16. Februar
2005, sowie „Gashydratforschung fest in die Forschungen ,System Erde‘ und
,Neue Technologien‘ integrieren“, Bundestagsdrucksache 15/3814 vom
29. September 2004, und „Stärkung der europäischen Raumfahrtpolitik – Ge-
winn für den Wirtschafts- und Forschungsstandort Deutschland“, Bundestags-
drucksache 15/1230 vom 25. Juni 2003).

Deutschland muss als High-Tech-Standort seine Kräfte darauf konzentrieren,
energiewirtschaftliche Technologieführerschaft zu entwickeln und auszubauen.
Hier geht es vordringlich um eine Steigerung der Energieeffizienz (u. a. durch
verlustärmere Stromübertragung, siehe dazu im Einzelnen den Antrag der Frak-
tion der FDP „Forschung und Entwicklung für innovative Energieübertragungs-
technologien voranbringen“, Bundestagsdrucksache 15/5140 vom 16. März
2005), um Techniken klimaneutraler Energiegewinnung (u. a. Forschung für
Biomasse, Geothermie, Windenergie auf See, Photovoltaik sowie Kernfor-
schung), um modernste Abscheide- und Einlagerungstechniken für Treibhaus-
gase, alternative Antriebe sowie eine Versorgungsinfrastruktur für Wasserstoff
als Speichermedium. Prioritär ist auch die Energiespeicherforschung, um jene
erneuerbaren Energien, die nicht ständig verfügbar sind, in eine einfach trans-
portierbare und lagerfähige Form mit hoher Energiedichte zu bringen und sie
somit zeitlich unabhängig verfügbar zu machen (siehe im Einzelnen die Anträge
der Fraktion der FDP „Förderung der Energiespeicherforschung“, Bundestags-
drucksache 14/5576 vom 14. März 2001, und „Energiespeicherforschung voran-
treiben – Höchsttechnologien für die Speichertechnik entwickeln“, Bundestags-
drucksache 15/1605 vom 24. September 2003).

1.4 Energieeinsparung und Energieeffizienz

Eine wichtige energiepolitische Aufgabe ist es, zu mehr Energieeffizienz und
Energieeinsparung beizutragen. Hier bedarf es einer neuen politischen Schwer-
punktsetzung. Das bisher weitgehend ungenutzte Potenzial der Energieeinspa-
rung in Gebäuden und der regenerativen Wärmegewinnung (etwa durch Solar-
thermie und Erdwärme) muss im Rahmen eines konsistenten energie- und
klimapolitischen Gesamtkonzepts erschlossen werden. Hierzu ist die Einbezie-
hung des Gebäudesektors und des Wärmemarkts in den Emissionshandel ein
zentrales Instrument (siehe dazu im Einzelnen den Antrag der Fraktion der FDP
„Wärmebereich für den Klimaschutz erschließen – Erneuerbare Energien markt-
wirtschaftlich einbeziehen“, Bundestagsdrucksache 15/5731 vom 15. Juni
2005). Die Bundesregierung muss endlich ein regeneratives Wärmegesetz vorle-
gen. Dabei ist ein Regelungsrahmen zu schaffen, der den Einsatz erneuerbarer
Energien für die Wärmegewinnung explizit und konkret mit den Mechanismen
internationaler Klimapolitik, namentlich mit dem Zertifikatehandel auf natio-
naler, europäischer und internationaler Ebene, verknüpft. Der Energiepass für
Gebäude wird zudem die Marktposition energetisch moderner Wohnungen ver-

bessern, so dass sich für Hauseigentümer Investitionen lohnen, für die es ange-
sichts der Überwälzung der Nebenkosten heute kaum Anreize gibt.

Drucksache 16/2089 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Schon die Auswahl von Baumaterialien bietet Energieeinsparpotenziale. Für
den Bau eines Gebäudes wird ein Vielfaches der jährlich benötigten Heizener-
gie aufgewendet. Vorschriften, die CO2-ärmeres Bauen behindern, müssen auf
den Prüfstand gestellt werden. Bei Geräten und Beleuchtung in den privaten
Haushalten ist eine verbesserte Verbraucherinformation über den Energiever-
brauch erforderlich. Mit Blick auf eine Energieeinsparung im Automobilsektor
ist die Kfz-Steuer abzuschaffen und auf die Mineralölsteuer umzulegen, um
nicht das Halten, sondern den Verbrauch an fossilem Treibstoff zu besteuern.

Mit der Modernisierung des Kraftwerksparks zur Stromerzeugung ist eine we-
sentliche Steigerung der Wirkungsgrade zu erreichen. Einen Anreiz hierzu kann
der aktuelle Nationale Allokationsplan für den Emissionshandel geben. Dabei
muss die Versorgungssicherheit berücksichtigt werden. Die Politik sollte daher
nicht einseitig Gaskraftwerke bevorzugen. Schließlich müssen die Betreiber der
Stromnetze einen Anreiz haben, in eine effizientere Stromübertragung zu inves-
tieren. Zentrale politische Aufgabe ist es hier, die staatliche Regulierung der
Netzbetreiber so zu gestalten, dass die Unternehmen Einsparerfolge aus mög-
lichen Investitionen wirtschaftlich für sich nutzen können. Um Energieeffizienz
zu fördern, müssen zuerst die ökologisch kontraproduktiven Subventionen,
z. B. für die Kohle, abgeschafft werden.

1.5 Alternativen zu Öl und Gas

Klimaschutz, Ressourcenschonung und Versorgungssicherheit – diese Zielset-
zungen verlangen nach Alternativen zu Öl und Gas. Das Zeitalter der fossilen
Energieträger geht seinem Ende zu. Abnehmende Rohstoffreserven bei dyna-
mischer Entwicklung von Volkswirtschaften, langfristig steigende Preise für
fossile Energieträger sowie eine zunehmende Konzentration der wirtschaftlich
erschließbaren Reserven in politisch instabilen Regionen der Welt kennzeich-
nen die Zukunft.

Die Energieversorgung der Zukunft muss deshalb – unter Wahrung eines brei-
ten, technologieoffenen Energiemixes – stärker als bisher auf erneuerbare Ener-
gien und auf CO2-reduzierte Energieproduktion aus Kohle (mittels Abschei-
dung und Lagerung von CO2) setzen, sofern die dauerhafte Lagerung des CO2
sichergestellt werden kann. Gerade im Wärme- und Verkehrssektor haben die
erneuerbaren Energien nicht zuletzt bei einer Ausweitung des Emissionshan-
dels ein erhebliches Potenzial. Dabei ist es nicht Aufgabe von Politik, bereits
heute zu entscheiden, welcher Energiemix in zwanzig, dreißig oder fünfzig
Jahren realisiert werden soll. Vielmehr muss die Politik heute Optionen öffnen,
mit denen alle potenziell wirtschaftlich und ökologisch vertretbaren Energie-
erzeugungstechnologien eine Chance bekommen. Generell ist für die Entwick-
lung erneuerbarer Energien zum Erreichen eines Mindestmaßes an Marktdurch-
dringung der diskriminierungsfreie Netzzugang Voraussetzung.

Bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien sind Biomasse, Erdwärme
und Wasserkraft grundlastfähig. Die technische Entwicklung von Speichertech-
nologien kann auch den anderen erneuerbaren Energien eine große Zukunfts-
chance eröffnen. Auch Kombinationen von Windkraft- und Biomasseanlagen
stellen Optionen dar, um die Netzstabilität zu erreichen.

Die bisher einseitig auf die Netzeinspeisung von aus regenerativen Quellen
unwirtschaftlich gewonnenen Stroms abstellende Förderung erneuerbarer Ener-
gien ist abzulehnen. Neben Speichertechnologien und der Nutzung erneuer-
barer Energien im Wärmemarkt sollte die netzunabhängige dezentrale Strom-
erzeugung stärker in den Fokus rücken. Das derzeitige „Gesetz über den
Vorrang erneuerbarer Energien“ (EEG), das die Förderung auf die Einspeisung
in Stromnetze konzentriert, ist ein ausgesprochen kostspieliges Instrument, um

den Ausbau der erneuerbaren Energien zu erreichen. Zudem maßt sich der Staat

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/2089

an, über den „richtigen“ Einspeisepreis für jede Technologie zu entscheiden,
und schaltet dadurch den Wettbewerb zwischen den erneuerbaren Energien aus.

Da das EEG unkoordiniert neben dem Emissionshandel eingesetzt wird, erbringt
es auch keinen zusätzlichen CO2-Effekt, denn Einsparungen durch erneuerbare
Energien machen lediglich Zertifikate frei für andere Emittenten – etwa fossile
Kraftwerke. In einem Sektor, der bereits dem Emissionshandel mit einer festen
Emissionsobergrenze unterliegt, kann ein zusätzliches Instrument im Strom-
sektor der Förderung nicht mit Klimaschutzzielen begründet werden. Vielmehr
ist ein solches Instrument daran auszurichten, die CO2-Einsparung, die der
Emissionshandel erbringt, mit Zielen der Versorgungssicherheit zu kombinie-
ren. Es muss sichergestellt werden, dass die Maßnahmen zur CO2-Einsparung
nicht die Importabhängigkeit – z. B. durch vermehrte Nutzung von Gas – er-
höhen. Ziel bei der Förderung erneuerbarer Energien im Stromsektor ist es des-
halb vorrangig, einen bestimmten Anteil heimischer und zugleich umweltver-
träglicher Energiequellen zu sichern.

Für zukünftige Ausbaupläne sollten die Akzente bei den erneuerbaren Energien
im Stromsektor deshalb anders gesetzt werden. Der Vertrauensschutz für die
Betreiber bereits bestehender Anlagen und genehmigter Projekte ist dabei zu
wahren (siehe in diesem Sinne bereits den Antrag der Fraktion der FDP „Pers-
pektiven für eine marktwirtschaftliche Förderung erneuerbarer Energien“, Bun-
destagsdrucksache 15/1813 vom 22. Oktober 2003). Für Neuanlagen ist die
Förderung durch das EEG zu beenden, d. h. neue Anlagen sollten keine feste
Einspeisevergütung mehr erhalten, sondern in ein System der differenzierten
Mengensteuerung integriert werden (siehe dazu im Einzelnen den Antrag der
Fraktion der FDP „Marktwirtschaftliche Förderung des Einsatzes erneuerbarer
Energieträger“ [Bundestagsdrucksache 14/5328 vom 14. Februar 2001]). Dabei
ist eine Menge regenerativ zu erzeugenden Stroms in Abhängigkeit von den
Wirkungen des Emissionshandels und dem Ziel der Versorgungssicherheit
(Verminderung der Importabhängkeit aus instabilen Regionen) politisch zu
definieren. Diese Menge muss größer sein als heute und sollte sich in ihrem
Entwicklungspfad an den Zielvorgaben der Europäischen Union orientieren.
Die Umsetzung des Mengenziels erfolgt dann marktwirtschaftlich im Wettbe-
werb, so dass sich die kostengünstigsten Lösungen durchsetzen. Ein solches
Modell ist zugleich kompatibel mit der Schaffung eines freien europäischen
Markts für erneuerbare Energien.

Innovative und vielversprechende Technologien, die aufgrund ihres Entwick-
lungsstands im so geschaffenen Markt für erneuerbare Energien noch nicht
eigenständig bestehen können, sollen zusätzlich steuerfinanzierte, zeitlich be-
fristete und degressive Zuschüsse zu den Erlösen erhalten, die die Anlagen-
betreiber im System der Mengensteuerung selbst erwirtschaften. Ziel ist hierbei
Technologieförderung in der Markteinführung.

Die differenzierte Mengensteuerung muss sich dabei an den ökologischen und
ökonomischen Auswirkungen sowie an den mit ihr verbundenen Verteilungs-
effekten im Vergleich zur Preissteuerung messen lassen. Ein internationaler
Leistungswettbewerb der Instrumente unter fairen und angemessenen Ver-
gleichskriterien ist zu unterstützen. Es wird sich langfristig dasjenige Instru-
ment durchsetzen, welches im internationalen Vergleich die besten Resultate
erzielt.

Eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ist notwendig, um bei der
Stromproduktion Klima- und Versorgungssicherheitsziele zu erreichen, bevor
die erhofften wirtschaftlichen Verfahren für CO2-reduzierte Kohleverstromung
und in größerem Umfang grundlastfähige erneuerbare Energien als zusätzliche
Option zur Verfügung stehen. Der staatlich verfügte Ausstieg aus der Kernener-

gienutzung am Standort Deutschland widerspricht in diesem Sinne den energie-
politischen Zielen der Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umwelt-

Drucksache 16/2089 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

verträglichkeit. Die bestehenden Kernkraftwerke sollten so lange betrieben
werden dürfen, wie ihr Betrieb den Sicherheitskriterien entspricht und geneh-
migungsfähig ist. Die Forschung im Bereich der Kernenergie ist auch im Blick
auf den internationalen Einsatz der Technologie zur Entwicklung in sich siche-
rer Reaktorgenerationen sowie hinsichtlich der Endlagerung und Behandlung
der Abfälle (z. B. durch Transmutation) fortzuführen. Auch die kraftwerkstech-
nische Nutzung der Kernfusion muss als langfristige und von der Übergangs-
technologie Kernspaltungstechnik zu unterscheidende Option klimaneutraler
Energiegewinnung weiter erforscht werden.

Zu den Speichertechnologien für erneuerbare Energien gehört auch die Wasser-
stofftechnologie, die beispielsweise kombiniert mit der Anwendung in Brenn-
stoffzellen Potenziale für emissionsfreie Heizungen oder Fahrzeuge bietet. Ge-
rade im Verkehr ist es erforderlich, alternative Antriebe und Kraftstoffe zu
entwickeln und bei der Markteinführung zu unterstützen. Dazu gehört auch die
vorrangige Entscheidung für alternative Antriebe bei öffentlichen Beschaf-
fungsentscheidungen. Bei den kurzfristig verfügbaren Biokraftstoffen ist es
kontraproduktiv, durch eine sprunghafte Politik etwa hinsichtlich der Steuerbe-
freiung deren Markteinführung zu belasten. Der Deutsche Bundestag begrüßt
den Vorstoß der Europäischen Kommission für einen EU-Aktionsplan Bio-
masse und spricht sich dafür aus, dass 2 Prozent des EU-Agrarhaushalts den
agrarwirtschaftlich relevanten Teilen des Biomasse-Aktionsplans vorbehalten
bleiben. Welche Anwendungen und Formen der energetischen Nutzung von
Biomasse gefördert werden sollten, muss sich am Einsparpotenzial für Treib-
hausgase, an den Kosten und an der potenziellen Verfügbarkeit ausrichten. Da-
bei ist eine konsequente Gesamtenergie- und Treibhausgasbilanz („well-to-
wheels“) zugrunde zu legen. Viele Biokraftstoffe schneiden im Blick auf die
CO2-Vermeidung gegenüber dem Anbau von Biomasse für die Stromerzeugung
eher schlecht ab. Auch ist die Herstellung von Biokraftstoff sehr energieinten-
siv. Diese Bilanz ließe sich aber durch Züchtung effizienterer Energiepflanzen
– auch mit Hilfe „Grüner Gentechnik“ – möglicherweise verbessern. Nicht zu-
letzt muss auf diesem Wege der für den Anbau von Energiepflanzen erforder-
liche Pflanzenschutz- und Düngemitteleinsatz noch erheblich reduziert werden,
bevor von ökologischen Nettovorteilen gesprochen werden kann.

Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass über den Aktionsplan
Biomasse hinausgehend die Importzölle der EU auf Bioethanol schrittweise ab-
gebaut werden. Bioethanol kann in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern
aufgrund der günstigeren klimatischen Bedingungen zu sehr viel geringeren
Kosten produziert werden als in der EU. Ferner stammt Bioethanol aus nach-
haltigem Anbau, so dass sich der Flächenbedarf in Grenzen hält. Die Import-
zölle sind somit aus ökologischer und gesamtwirtschaftlicher Sicht schädlich.

Wichtig ist auch bei den alternativen Antrieben und Kraftstoffen, auf einen
breiten Energiemix zu setzen. Forschung und Entwicklung sind entsprechend
zu diversifizieren und die Technologien bei der Förderung im Markt gleich zu
behandeln. Generell ist eine einseitige Fixierung auf Biokraftstoffe zu vermei-
den. Dies würde begrenzte Anbauflächen, Nutzungskonkurrenzen mit Bio-
masse in Strom- und Wärmeproduktion sowie ökologische Probleme wie die
Gefahren von Monokulturen sowohl beim heimischen Anbau als auch bei im-
portierter Biomasse, z. B. beim Palmöl, verkennen.

2. Lebensqualität und Gesundheitsschutz

2.1 Weniger Lärm

Dauerhafter Lärm kann die Lebensqualität einschränken und die Gesundheit
gefährden. Zugleich beeinträchtigt erheblicher Lärm auch die Rechte von

Immobilieneigentümern, da Grundstückspreise für Wohneigentum bei starker

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 11 – Drucksache 16/2089

Zunahme der Lärmimmissionen sinken. Gesundheitsschutz für die Menschen
und Interessenausgleich zwischen Anwohnern und denen, die Lärm durch Ver-
kehr, Wirtschaften oder Freizeitaktivitäten verursachen, sind daher die Ziele
des Lärmschutzes. Investitionen in den Lärmschutz können auch das Gesund-
heitssystem von Folgekosten entlasten (siehe in diesem Sinne die Anträge der
Fraktion der FDP „Lärmschutz ist Gesundheitsschutz – Fluglärmgesetz endlich
modernisieren“, Bundestagsdrucksache 15/2862 vom 31. März 2004).

Mit der Umsetzung der EU-Umgebungslärmrichtlinie sind Städte und Gemein-
den verpflichtet, Lärmkarten und ggf. Aktionspläne zur Lärmminderung aufzu-
stellen. Die erstmalig quellenübergreifende Erfassung von Straßen-, Flug-,
Schienen- und Industrielärm ist eine Chance für Fortschritte beim Lärmschutz
gerade in den Ballungsräumen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass
die Kommunen auch hier am Ende der Ursachenkette stehen und sie nur lokale
Brennpunkte entschärfen können. Es besteht die Gefahr, dass sich Aktionspläne
auf Straßensperrungen und Tempolimits konzentrieren, da diese die kommuna-
len Haushalte nicht belasten.

Ziel muss es dagegen sein, Mobilität zu erhalten und zugleich die Belastungen
durch den Verkehr als Hauptlärmquelle so gering wie möglich zu halten. Das
gelingt am besten durch einen aktiven Lärmschutz an der Quelle. Dabei sind
technische Verbesserungen an den Verkehrssystemen möglichen Verkehrsbe-
schränkungen vorzuziehen. Dessen ungeachtet können in spezifischen lokalen
Belastungssituationen auch Verkehrsbeschränkungen und passiver Schallschutz
(Schallschutzwände, Schallschutzfenster etc.) geboten sein.

Konkret bedeutet aktiver Schallschutz für den Straßenverkehr, neben den
Motorengeräuschen von LKW und Bussen vor allem die Rollgeräusche zu ver-
ringern. Bei geeigneten und belasteten Strecken müssen im Straßenbau ver-
stärkt lärmarme Fahrbahndecken zum Einsatz kommen. Die Lärmnormen für
Reifen müssen europaweit stetig dem Stand der Technik angepasst werden. In
der kommunalen Verkehrsplanung ist dafür Sorge zu tragen, dass der Verkehr
fließt, damit unnötiger Lärm durch Anfahrgeräusche vermieden wird. Auch der
Bau von Ortsumgehungen bleibt eine Priorität des Lärmschutzes im Straßen-
bau.

Beim Fluglärm ist wegen der lokalen Konzentration eine Kombination von
aktiven und passiven Schallschutzmaßnahmen erforderlich. Beim Fluglärm
muss ein fairer Ausgleich zwischen den Interessen und Eigentumsrechten der
Anwohner sowie denen der Nutzer und Betreiber von Flughäfen gewährleistet
sein. Das gilt für die Erstattung von Schallschutzmaßnahmen, für die Sied-
lungssteuerung wie für Betriebsbeschränkungen. Die Gleichbehandlung der
Anwohner von zivilen und militärischen Flughäfen bei der Erstattung von
Schallschutzkosten muss gewährleistet sein. Das Bauverbot in den Schutzzo-
nen ist zu verschärfen. Die Berechnung der Schutzzonen für den Nachtbetrieb
sollte stärker an Einzelschallereignissen ausgerichtet werden (siehe in diesem
Sinne den Antrag der Fraktion der FDP „Das Fluglärmgesetz unverzüglich und
sachgerecht modernisieren“, Bundestagsdrucksache 16/263 vom 14. Dezember
2005).

Im Schienenverkehr sind marktwirtschaftliche Anreize zu schaffen, um aktiven
Schallschutz insbesondere im Bereich des Güterverkehrs voranzutreiben. Die
Netzanbieter sollen gesetzlich zur Einführung von auch nach Lärm differen-
zierten Trassenpreisen verpflichtet werden. So erhalten die Bahnunternehmen
einen Anreiz, technisch mögliche Lärmreduktionen gerade im Güterverkehr bei
ihren Investitionsentscheidungen stärker zu gewichten. Das Lärmsanierungs-
programm des Bundes ist für die technische Nachrüstung zu öffnen und durch
Umschichtung von Mitteln aus dem Umweltetat aufzustocken. Der so genannte

Schienenbonus bei der Verpflichtung zu Schallschutzmaßnahmen, wonach – an-
ders als bei Straße und Flugzeug – pauschal 5 dB(A) vom gemessenen Schall-

Drucksache 16/2089 – 12 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

pegel abgezogen werden, bedarf einer wissenschaftlichen Überprüfung (siehe
in diesem Sinne den Antrag der Fraktion der FDP „Lärmschutz im Schienen-
verkehr verbessern – Marktwirtschaftliche Anreize nutzen, Schienenbonus über-
prüfen“, Bundestagsdrucksache 16/675 vom 14. Februar 2006).

2.2 Saubere Luft

Die Luftqualität hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch strenge gesetz-
liche Vorgaben und technischen Fortschritt erheblich verbessert. Sie bleibt aber
eine Herausforderung, die vor allem durch grenzüberschreitende Maßnahmen
gelöst werden muss. Der Deutsche Bundestag begrüßt deshalb die Kompetenz
der Europäischen Union zur Rahmengesetzgebung mit dem Ziel der Luftrein-
haltung. Das Hauptziel der Politik muss die Begrenzung der Emissionen an der
Quelle sein. Ein erheblicher Teil der Luftverschmutzung wird durch den grenz-
überschreitenden Transport der Schadstoffe verursacht, die dann – mit häufig
nicht zufrieden stellenden Ergebnissen – durch lokale Maßnahmen bekämpft
werden sollen. So sind große Mengen der ostdeutschen Feinstaubbelastung auf
Industrieanlagen oder Kohleheizungen zurückzuführen, die in Polen betrieben
werden. Private Feuerungsanlagen haben an der Luftverschmutzung einen etwa
gleich großen Anteil wie der Verkehr. Ein großer Effekt für saubere Luft ist ins-
besondere dadurch erzielbar, dass die EU-Ebene sich auf Richtlinien konzen-
triert, die sich mit Emissionsbeschränkungen bei den Verursachern befassen
(z. B. NEC-Richtlinie zur Begrenzung von Schadstoffemissionen sowie die
EURO-5-Norm für Kraftfahrzeuge).

Die größte Gesundheitsgefährdung durch Feinstaub geht von feinsten Partikeln
(PM2,5) aus. Deshalb ist es sinnvoll, mit einem Monitoring dieser kleinsten
Partikel – neben dem bestehenden PM10-Standard – zu beginnen. Der Deut-
sche Bundestag spricht sich dafür aus, die kleinsten Partikel an relevanten Stel-
len zu messen, die Wirkungsforschung zu intensivieren und statt eines Grenz-
werts zunächst einen Zielwert festzulegen. Die Einführung eines Grenzwerts
sollte erst in einer zweiten Stufe erfolgen, wenn ausreichende Messerfahrungen
und eine belastbare Datenbasis vorhanden sind. Die Definition, wo und unter
welchen Voraussetzungen Messstellen aufgestellt werden, ist in der EU-Richt-
linie klarer zu fassen, damit die Ergebnisse europaweit vergleichbar sind. Glei-
ches gilt für die Verwendung einer europaweit einheitlich anzuwendenden
Messmethode.

Luftreinhaltung ist eine langfristige Aufgabe, die mit kurzfristigem Aktionis-
mus kaum gelöst werden kann. Die betroffenen Städte und Gemeinden dürfen
nicht länger allein gelassen werden. Die Feinstaubproblematik ist nur über
einen integrierten Ansatz auf allen Ebenen staatlichen Handelns in den Griff zu
bekommen. Fahrverbote für einzelne Straßen, die die Staubemissionen zwar
anders verteilen, aber in der Summe erhöhen, helfen nicht. Die kurzfristige
Häufung von Konzentrationen und die Überschreitung der Tagesgrenzwerte un-
terliegen sehr unterschiedlichen saisonalen, regionalen, meteorologischen und
geografischen Einflüssen, die Berücksichtigung finden müssen. Der Deutsche
Bundestag begrüßt daher Initiativen, die statt der Tagesgrenzwerte ambitio-
nierte Jahresgrenzwerte zur Grundlage der EU-Richtlinie zum Feinstaub machen
wollen.

2.3 Gesunde Nahrung

Die Produktion gesundheitlich unbedenklicher und qualitativ hochwertiger
Lebensmittel geht Hand in Hand mit dem Umweltschutz. Die Landwirtschaft
als Primärerzeuger benötigt sauberes Wasser, gesunde Böden und eine intakte
Umwelt, um Lebensmittel zu produzieren, die den hohen Ansprüchen der Ver-

braucher genügen. Die Landwirtschaft trägt als Nutzer der Natur und der natür-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 13 – Drucksache 16/2089

lichen Ressourcen eine hohe Verantwortung für den Umweltschutz, der sie
durch nachhaltige und umweltgerechte Nutzung gerecht werden muss. Die Her-
stellung und Verarbeitung von Lebensmitteln unter Beachtung der Hygiene-
und Sicherheitsvorschriften liegt in der Verantwortung der Produzenten.

Lebensmitteln kann man aber nicht ansehen, ob sie Pilzgifte oder Rückstände
von Pflanzenschutzmitteln enthalten oder ob sie bakteriell verunreinigt sind.
Daher ist die staatliche Lebensmittelkontrolle eine wichtige Stütze der Lebens-
mittelsicherheit. Sie muss sich darauf konzentrieren, gesundheitsgefährdende
Verunreinigungen zu ermitteln und Lebensmittel, die den Vorschriften nicht
entsprechen, aus dem Markt zu nehmen. Nur so lassen sich Fehlentwicklungen
wie z. B. der Verkauf von verdorbenem Fleisch verhindern. Damit Lebensmit-
telkontrollen Missstände, die zu Gesundheitsgefährdungen der Verbraucherin-
nen und Verbraucher führen können, zügig aufdecken und effektiv bekämpfen
sowie durch präventive Kontrollen vermeiden können, muss das Hauptaugen-
merk wieder auf der Überwachung von Sicherheit und Hygiene liegen. Die
Lebensmittelkontrollen müssen durch eine Vereinfachung und Verbesserung
des Kennzeichnungsrechts entlastet werden. Es kann im Sinne des Verbrau-
cherschutzes nicht in ständig steigendem Maße darum gehen, Kennzeichnungs-
verstöße zu ahnden, statt die Lebensmittelsicherheit zu überwachen. Das Miss-
verhältnis zeigt sich auch in den Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften.
Bußgelder für Kennzeichnungsverstöße müssen einen angemessenen Rahmen
haben, der vor allem die Verhältnismäßigkeit im Vergleich zu einer Gefährdung
von Leben und Gesundheit der Menschen wahrt.

Verbraucher sollen informiert, aber nicht bevormundet werden. Indem alle rele-
vanten Produktinformationen so dargestellt werden, dass sie auf den ersten
Blick erkennbar sind, wird aufgeklärtes Handeln ermöglicht. Das sind insbe-
sondere Informationen über den Gehalt von Stoffen, deren potenziell allergene
Wirkung bekannt ist. Viele Zeilen Kleingedrucktes informieren nicht, sondern
verwirren.

Die Produktion von Lebens- und Futtermittelzusatzstoffen wie Vitaminen,
Aminosäuren und Enzymen mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organis-
men ist inzwischen Standard. Die „Grüne Gentechnik“ beinhalte enorme Chan-
cen für den Umweltschutz, weil der Einsatz von Herbiziden und Pestiziden
erheblich reduziert werden kann. Gleichzeitig kann der Ertrag pro Fläche ge-
steigert werden. Das verbessert in den Entwicklungsländern die Ernährungs-
situation und macht in Deutschland Flächen für naturorientierte Entwicklung
frei. Die „Grüne Gentechnik“ bedarf jedoch der weiteren Erforschung, vor
allem was ihre Verträglichkeit mit dem Anbau von nicht gentechnisch ver-
ändertem Saatgut betrifft. Auch muss das Entstehen von monopolistischen
Strukturen durch die Patente auf dem internationalen Saatgutmarkt verhindert
werden.

Die Kennzeichnung von Lebensmitteln aus gentechnisch veränderten Pflanzen
ist über eine EU-Verordnung verbindlich geregelt. Die jetzigen Regelungen
sind unbefriedigend, da tierische und pflanzliche Produkte unterschiedlich ge-
kennzeichnet werden. Die Kennzeichnung sollte einheitlich sein. Endprodukte,
bei denen die gentechnische Veränderung eines Ausgangsprodukts nachweisbar
ist und der Schwellenwert der EU überschritten wird, sind zu kennzeichnen.
Nur so gibt es Transparenz und diese ist Voraussetzung für das Vertrauen der
Verbraucher.

Informationen über die Produktionsweise können über privatwirtschaftlich
organisierte Zertifikate gegeben werden („Ökosiegel“). Die regionale Vermark-
tung durch Ökobetriebe mit erweitertem Dienstleistungsangebot ist eine Berei-
cherung. Über die Förderung des aus Sicht des Deutschen Bundestages

gleichberechtigten ökologischen Landbaus und der konventionellen Produktion
entscheiden die Verbraucher im Rahmen ihrer Konsumentscheidung.

Drucksache 16/2089 – 14 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2.4 Wirksamer Strahlenschutz

Sendeanlagen des Mobilfunks sind Anlass für Proteste und Bürgerinitiativen.
Deshalb ist es wichtig, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger durch
die kommunale Verwaltung wahrgenommen und vertreten werden können. Die
derzeitige Praxis belegt, dass die freiwillige Selbstverpflichtung der Mobil-
funkbetreiber, geeignete Standorte für Mobilfunkbasisstationen gemeinsam mit
den Kommunen auszusuchen, nicht ausreichend ist. Vielmehr sollte eine ver-
bindliche Einbeziehung der Kommunen bei der Standortwahl gesetzlich ver-
pflichtend festgelegt werden. So kann ein größtmöglicher Schutz der betroffe-
nen Bürgerinnen und Bürger vor Mobilfunkimmissionen und eine akzeptable
Netzabdeckung miteinander in Einklang gebracht werden.

Die Strahlenschutzkommission hat zudem darauf hingewiesen, dass entgegen
der auf Mobilfunksendeanlagen gerichteten öffentlichen Besorgnis besonders
die Endgeräte mobiler Telekommunikation und kabelloser Heimgeräte im Auge
zu behalten sind. Das betrifft gerade die Nutzung durch Kinder und Jugend-
liche. Die Konsumenten sollten selbst entscheiden, wie wichtig ihnen ein strah-
lungsarmes Mobiltelefon ist. Dazu ist aber eine bessere Verbraucherinforma-
tion auf der Geräteverpackung erforderlich. Da der bisherige „Blaue Engel“
von den Mobilfunkherstellern abgelehnt wird, muss die Bundesregierung zeit-
nah konkrete Gespräche über eine praxistaugliche Kennzeichnung führen.
Sollte sich die Industrie dauerhaft sperren, so muss über eine obligatorische
Deklaration analog den Energiesparklassen bei Haushaltsgeräten nachgedacht
werden.

Strahlenschutz geht aber über den Mobilfunk hinaus. Die natürliche Strahlen-
belastung durch Radon ist nach dem Rauchen die zweithäufigste Ursache für
Lungenkrebs. Sie tritt vor allem in Teilen Thüringens, Sachsens und Bayerns
auf. In den betroffenen Landkreisen ist auf eine risikomindernde Bauweise von
Gebäuden und Kellern zu achten.

3. Schutz von Lebensräumen und Natur

3.1 Naturschutz in Deutschland

Deutschland ist reich an vielfältiger Landschaft – vom Hochgebirge über Moor
und Heide, Flusssystemen und Wäldern bis hin zu Küstenmeeren mit dem
einzigartigen Wattenmeer. Die Natur in Deutschland ist eine vom Menschen
mitgestaltete Natur – eine Kulturlandschaft. Mit Rücksicht auf spätere Genera-
tionen gilt es, die biologische Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten und Land-
schaftsformen zu erhalten.

Der Mensch ist Teil der Natur. Ein umfassender Schutz von Natur und Land-
schaft kann nur mit den Menschen erreicht werden. Nur Menschen, die mit der
Natur vertraut sind, haben eine positive Beziehung zur Natur – und schützen sie
besser als Verordnungen dies je könnten. Es gilt, Menschen nicht aus der Natur
auszusperren, sondern die Schönheiten und den Wert von Natur und Kultur-
landschaft für alle erlebbar zu machen. Zudem muss durch Umweltbildung
dazu beigetragen werden, dass die Menschen wieder ein besseres Verständnis
für die Zusammenhänge der Natur entwickeln. Naturnutzer – dazu gehören
neben anderen die Landwirte, Jäger, Angler, Wanderer, Segler und Sportler –
sind Partner und nicht Gegner im Naturschutz. Dieser muss viel mehr als bisher
mit den Eigentümern und Nutzern gestaltet werden, denn sie haben ein ureige-
nes Interesse an einer nachhaltigen Nutzung. Die Naturschutzpolitik muss da-
her verstärkt auf freiwillige Maßnahmen und den Vertragsnaturschutz setzen,
erst nachrangig auf den klassischen Naturschutz mit hoheitlichen Schutz-
gebietsverordnungen und Verboten. Abgestufte Schutzkategorien mit möglichst

vielen vertraglichen Vereinbarungen stellen den Schutz sicher, ohne die
Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb der Kulturlandschaft einzuschränken.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 15 – Drucksache 16/2089

Neben dem Erhalt vielfältiger Kulturlandschaften und gezielter Maßnahmen
zum Schutz seltener Arten ist zu befürworten, dass die Natur sich in geeigneten
Bereichen auch ohne menschliche Eingriffe entwickeln soll.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist der Naturschutz teilweise zu einem recht-
lichen Vehikel zur Verhinderung von Investitionen verkommen. Dies stellt die
Akzeptanz des Naturschutzes in Frage und dient der Natur nicht. Insgesamt gilt
es, das Naturschutzrecht von überflüssigen Regelungen zu befreien, ohne dass
dabei der Schutz der Natur zu kurz kommt. Dies gilt sowohl für das Bundes-
und Landesrecht als auch für die FFH- und die Vogelschutzrichtlinie der EU.
Diese Richtlinien lassen zu wenig Abwägungsspielraum zwischen den Interes-
sen des Naturschutzes und der Menschen. Dabei geht es nicht darum, den
Naturschutz zu verwässern, sondern um eine flexiblere und fallgerechtere Be-
urteilung von Projekten.

Die in Deutschland geltenden Regelungen zur Kompensation von Eingriffen in
die Natur sind reformbedürftig: Der richtige Grundgedanke, erhebliche Ein-
griffe auszugleichen, darf nicht wie bisher zu unnötiger Bürokratie, überzoge-
nen Ausgleichsforderungen und Ersatzmaßnahmen auch in Bagatellfällen füh-
ren. Dazu kann neben der verstärkten Nutzung von Ökokonten der Einsatz des
so genannten Ersatzgeldes einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei wird zum
Ausgleich eines Eingriffs zweckgebundenes Geld gezahlt, das es ermöglicht,
auf kommunaler Ebene zusätzliche Finanzmittel zielgerichtet in bedeutende
Maßnahmen des Naturschutzes zu investieren, anstatt – wie derzeit häufig prak-
tiziert – einen Flickenteppich kleiner Einzelmaßnahmen mit geringerer
Wirkung für die Natur umzusetzen. Deshalb muss das Ersatzgeld rechtlich den
anderen Instrumenten zur Kompensation gleichgestellt werden. Ferner ist eine
radikale Vereinfachung der Bewertungsverfahren zur Ermittlung des Aus-
gleichsbedarfs erforderlich.

Auch im Naturschutz ist die Wirksamkeit der Maßnahmen zu verbessern. Dazu
muss auch der stetig steigende Umfang der Umweltbeobachtung („Monito-
ring“) kritisch hinterfragt werden, damit mit den für den Naturschutz bestimm-
ten Geldern nicht nur Daten erhoben, sondern konkrete Maßnahmen für den
Natur- und Artenschutz durchgeführt werden können.

Das Ziel, die Flächeninanspruchnahme für Siedlungs- und Verkehrsflächen zu
verringern, ist stärker auf Naturschutzziele zu fokussieren. Das 30-Hektar-Re-
duktionsziel der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ist ungeeignet, da es nicht
die tatsächlich versiegelte oder genutzte Fläche als Indikator vorsieht, sondern
die beplante Fläche. So verringert selbst ein renaturiertes Industriegelände die
gemessene Flächeninanspruchnahme nicht, wenn der Bebauungsplan nicht ge-
ändert wird. Bei Zielsetzungen zur Flächeninanspruchnahme müssen vor allem
die Zerschneidung von Lebensräumen, die Versiegelung von Böden und die
regionale Verteilung der Flächeninanspruchnahme zu Grunde gelegt werden.

3.2 Gewässer- und Hochwasserschutz

Flüsse und Seen sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen. Zugleich sind sie
landschaftsprägende Verkehrsadern und attraktive Orte, an denen die Menschen
sich erholen können. In der Gewässerpolitik geht es unter anderem um die
weitere Verbesserung der biologischen und chemischen Qualität der Gewässer.
Außerdem ist die Renaturierung von Gewässern anzustreben, wo dies unter Ab-
wägung der anderen Nutzungsinteressen möglich und machbar ist. Die Durch-
gängigkeit der Flüsse für wandernde Fische muss z. B. für Lachse möglichst
wieder hergestellt werden. Dazu müssen an vielen Gewässern z. B. Fischtrep-
pen an Staustufen errichtet werden, damit Fische zum Laichen stromaufwärts
schwimmen können. Es gilt, die Nutzungsinteressen mit den Interessen des

Drucksache 16/2089 – 16 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Landschafts- und Naturschutzes in Einklang zu bringen – unter Einbeziehung
der Erfahrungen der Menschen vor Ort.

Überschwemmungen und Flutkatastrophen der vergangenen Jahre haben die
Bedeutung des Hochwasser- und Küstenschutzes unterstrichen. Ein wirksamer
und zukunftsfähiger Hochwasserschutz erfordert eine Kombination aus techni-
schem Schutz auf höchstem Stand und der Schaffung von Rückhalteräumen in
den Flusseinzugsgebieten (siehe dazu im Einzelnen den Antrag der Fraktion
der FDP „Hochwasserschutz – Solidarität erhalten, Eigenverantwortung stär-
ken“, Bundestagsdrucksache 15/1334 vom 2. Juli 2003). Notwendig sind
zudem die Renaturierung von Flüssen, eine angepasste Flächennutzung in
Überschwemmungsgebieten und individuelle Vorsorge. Neben der Schaffung
und Unterhaltung der technischen Bauwerke wie Deiche und Wehre geht es um
die Erhaltung eines naturnahen Gewässerzustands, die Entsiegelung von Flä-
chen und die Verbesserung zur Regenwasserversickerung.

Hochwassergefahren müssen den Anwohnern bewusst sein. In Kenntnis der
Gefahren ist es auch eigenverantwortliche Aufgabe der Bürger, zu handeln und
Vorsorge zu treffen. Staatliche Auflagen und Verbote sind nur in solchen Fällen
akzeptabel, in denen zusätzlich eine Gefährdung des Allgemeinwohls zu
befürchten ist, z. B. Auflagen für die Sicherung von Öltanks. Undifferenzierte
Beackerungsverbote in Überschwemmungsgebieten sind abzulehnen. Ein wir-
kungsvolles Hochwassermanagement erfordert die Festlegung situationsspezi-
fischer Maßnahmepläne und damit ein Mindestmaß an bundesweiten Regelun-
gen sowie eine enge Zusammenarbeit der beteiligten Länder bzw. bei
staatenübergreifenden Flusssystemen die Kooperation aller Anrainerstaaten. Im
Sinne des Subsidiaritätsprinzips und der Vermeidung von Bürokratie sollte sich
der Geltungsbereich der geplanten EU-Hochwasserrichtlinie auf grenzüber-
schreitende Flüsse beschränken. Generell gilt es zu vermeiden, dass die vorhan-
denen Ressourcen über Gebühr für Bestandsaufnahmen, anstatt für konkrete
Schutzmaßnahmen verwendet werden.

Bei Ausbaumaßnahmen an Flüssen ist neben der wichtigen Funktion vieler
Flüsse als Wasserstraßen mit ihrer hohen Bedeutung für energiesparenden und
umweltverträglichen Gütertransport durch die Binnenschifffahrt auch die öko-
logische Dimension eines frei fließenden Flusses als eigenständiger Wert anzu-
sehen – nicht zuletzt wegen der steigenden Nachfrage nach naturnahem Touris-
mus, z. B. an Elbe und Donau. Der Deutsche Bundestag spricht sich gegen
einen Bau von weiteren Staustufen in der Elbe und der Donau aus. Die Bundes-
regierung muss sich bei der Regierung Tschechiens dafür einsetzen, dass diese
auf den Bau von Staustufen im dortigen Teil der Elbe verzichtet. Ziel der bilate-
ralen Bestrebungen muss es sein, dass die EU, Deutschland und Tschechien ein
gemeinsames Flusskonzept erarbeiten, um die Elblandschaft in ihrer Natürlich-
keit zu bewahren.

3.3 Internationaler Naturschutz und Meeresschutz

Wie der Klimaschutz ist auch der Artenschutz eine globale Aufgabe. Der
Schutz der biologischen Vielfalt weltweit hat das Ziel, das genetische Repro-
duktionspotenzial für kommende Generationen zu erhalten. Internationale
Natur- und Artenschutzabkommen sind bedeutend für die Koordination der
Maßnahmen, Daher sind weitere Vertragsstaaten zu gewinnen. Internationale
Maßstäbe zur Bewertung der Biodiversität müssen stärker erforscht werden.
Beim Urwaldschutz ist der illegale Holzeinschlag weiterhin das größte Pro-
blem. Nur durch konsequente Armutsbekämpfung in den betroffenen Ländern
in Verbindung mit der Holzzertifizierung kann dies gelöst werden. Die Zertifi-
zierung muss die ökologischen, ökonomischen, und sozialen Bedingungen der

Holzproduktion transparent machen. Die Rechte indigener Völker in den Ent-
wicklungsländern müssen gestärkt werden, auch um den Urwaldschutz voran-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 17 – Drucksache 16/2089

zubringen. Es ist auch Aufgabe deutscher Außen- und Entwicklungspolitik
hierauf hinzuwirken.

Ein besonders sensibles Naturgebiet sind die Alpen. Ihr Schutz erfordert eine
intensive länderübergreifende Zusammenarbeit. Erforderlich ist eine naturver-
trägliche Entwicklung, die die Funktion als ökologischer Schutzraum mit der
touristischen und landwirtschaftlichen Nutzung in Einklang bringt. Skigebiete
sind eher qualitativ als quantitativ zu entwickeln. Unverträgliche Anlagen sol-
len zurückgebaut, Umweltschäden saniert und Konzepte zur Verkehrsberuhi-
gung umgesetzt werden.

Die Nord- und Ostsee mit ihrer überragenden Bedeutung als Rast- und Lebens-
raum für eine Vielzahl von heimischen und wandernden Vögeln, Säugetieren
(wie Schweinswal, Kegelrobbe und Seehund), Fisch- und Pflanzenarten sowie
sonstige Meerestiere bedürfen des besonderen Schutzes. Das weltweit einzig-
artige, als Nationalpark geschützte Wattenmeer ist Lebensraum für viele dieser
zum Teil vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten. Gerade der Meeres-
schutz ist auf enge, effektive und zielgerichtete internationale Zusammenarbeit
angewiesen, z. B. für die Ostsee im Rahmen der Helsinki-Konvention. Der Deut-
sche Bundestag spricht sich dafür aus, das Wattenmeer als Weltnaturerbe der
UNESCO anzumelden, und begrüßt die Initiative, die Zusammenarbeit zwischen
den Nationalparken im Wattenmeer zu intensivieren.

Eine nachhaltige Fischerei, die die Bestände erhält, und der art- und tierschutz-
gerechte Fischfang sind zentrale Ziele einer verantwortlichen Umwelt- und
Naturschutzpolitik. Insbesondere die so genannte industrielle Fischerei, die auf
die Gewinnung von Fischmehl zur Verfütterung ausgerichtet ist, sollte unter-
sagt werden.

Die Verringerung der Überdüngung, insbesondere die Phosphorbelastung der
Ostsee zeigt exemplarisch eine weitere Aufgabe, der sich der Meeresschutz
stellen muss. Der zunehmende Schiffsverkehr mit immer größeren Schiffen
stellt den Meeres- und Küstenschutz vor neue Herausforderungen. Die Einrich-
tung des von Bund und den Ländern getragenen Havariekommandos kann nur
ein erster Schritt sein zur verbesserten Vorbeugung und Bekämpfung von
Schiffsunfällen. Der Deutsche Bundestag spricht sich deshalb für die Einrich-
tung einer nationalen Küstenwache als neue oberste Bundesbehörde aus, in der
alle maritimen Kompetenzen gebündelt werden.

3.4 Tierschutz

Tierschutz ist Ausdruck des Respekts vor anderen Lebewesen und ist deshalb
essenzieller Bestandteil eines verantwortlichen und ganzheitlichen Umweltver-
ständnisses. Der Deutsche Bundestag spricht sich deshalb gegen überflüssige
Tiertransporte und nicht artgerechte Tierhaltung aus. Gerade auf diesem Sektor
sind einheitliche europäische Richtlinien für einen respektvollen Umgang mit
Tieren erforderlich. Jegliche Form von Tierquälerei muss rechtlich und gesell-
schaftlich verfolgt und geächtet werden.

Der Deutsche Bundestag erkennt jedoch an, dass Tierversuche für den medizi-
nischen Fortschritt unvermeidlich sind. Ein generelles Verbot von Tierversu-
chen ist deshalb abzulehnen. Vielmehr sollen sich diese Versuche auf das medi-
zinisch Notwendige beschränken. Falls es eine Alternative zum Tierversuch
gibt, muss diese gewählt werden, auch wenn sie im Einzelfall teurer sein sollte.
Dies gilt nicht nur für die anwendungsbezogene Forschung. Auch in der Grund-
lagenforschung müssen einzelne Versuche auf ihre ethische Vertretbarkeit hin
untersucht werden. Generell verboten werden sollen Tierversuche zu rein kos-
metischen Zwecken. Globaler Artenschutz ist zu unterstützen, da auch die Viel-

falt an Lebewesen über die Vielfalt menschlichen Lebens mitbestimmt.

Drucksache 16/2089 – 18 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Versorgung und Entsorgung

4.1 Wasser- und Abwasserwirtschaft

Wasser ist ein lebensnotwendiges Gut. Die Versorgung mit sauberem Trinkwas-
ser erfordert deshalb besondere Sorgfalt und strenge Kontrolle. Während die
Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte und eines fairen Wettbewerbsrahmens
durch den Staat sicherzustellen ist, gibt es keinen Grund, die Trinkwasserver-
sorgung und Abwasserentsorgung durch öffentliche Monopole wahrzunehmen.
Unbeschadet der Entscheidungskompetenz der Kommunen sind privatwirt-
schaftliche Lösungen grundsätzlich einer wirtschaftlichen Tätigkeit der öffent-
lichen Hand vorzuziehen. Öffentliche und private Anbieter der Abwasserbesei-
tigung müssen zur Herstellung von Wettbewerbsgleichheit bei der Besteuerung,
insbesondere hinsichtlich Umsatzsteuer, gleichgestellt werden. Dank vieler In-
vestitionen in Klärwerks- und Abwassertechnik und höherer Sorgfalt im Um-
gang mit Gewässer belastenden Stoffen hat sich die Gewässerqualität in den
vergangenen Jahrzehnten erheblich verbessert. Trotz verbleibender Aufgaben
wie der Ausschleusung von Schadstoffen, die das Hormonsystem von Men-
schen, Tieren und Pflanzen beeinträchtigen können, ist die Lenkungswirkung
der Abwasserabgabe weitgehend erfüllt. Daher ist sie abzuschaffen.

In ihrem eigenen außenpolitischen Interesse sollten die Industrieländer einen
Beitrag leisten, um eine Wasserkrise in weiten Teilen der Welt abzuwenden. Es
geht darum, entwickelte Technologien der Wassergewinnung und Wasserver-
sorgung sowie der Abwasserbehandlung im Rahmen der Entwicklungszusam-
menarbeit zur Verfügung zu stellen. Wenn in den Entwicklungsländern die
Wasserversorgung endlich den Bedürfnissen angepasst werden soll, gibt es
zudem aus finanziellen Gründen keine Alternative zur Mobilisierung privaten
Kapitals. Zugleich sind Rahmenbedingungen in den Märkten so zu gestalten,
dass trotz der verbreiteten Armut alle Menschen Zugang zur lebenswichtigen
Ressource Wasser haben.

4.2 Abfallwirtschaft

Abfall ist gebrauchter Rohstoff, der sinnvoll stofflich oder energetisch zu nut-
zen ist. Auch in der Abfallwirtschaft muss die ökologische Effizienz verbessert
werden, um Schadstoffe aus dem Wirtschaftskreislauf herauszunehmen und
Böden und Grundwasser wirksam zu schützen. Eine nachhaltige Abfallwirt-
schaft vermeidet Altlasten für kommende Generationen und schafft Entsor-
gungssicherheit durch kostengünstige Lösungen für Privathaushalte und Unter-
nehmen.

Um diese Ziele zu erreichen gilt es, die marktwirtschaftlichen und wettbewerb-
lichen Strukturen in der Abfallwirtschaft zu stärken und Freiräume durch weni-
ger Regelungen zu schaffen (siehe dazu im Einzelnen bereits den Antrag der
Fraktion der FDP „Marktwirtschaftliche Reorganisation der deutschen Abfall-
wirtschaft“, Bundestagsdrucksache 14/5676 vom 28. März 2001). Es ist dem
Umstand Rechnung zu tragen, dass aus dem „Kampf gegen den Müll“ ein
„Kampf um den Müll“ geworden ist – und in der Konsequenz die Abfallwirt-
schaft stärker unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten zu betrachten ist.

Die Daseinsvorsorge ist kein tragfähiges Argument dafür, Abfälle den öffent-
lich-rechtlichen Entsorgungsträgern zuzuweisen. Die Länder und Kommunen
müssen sich aus dem operativen Abfallgeschäft zurückziehen und sich auf die
reine Überwachung beschränken. Wirtschaftliche Betätigung und hoheitliches
Wirken müssen strikt getrennt werden. Durch konsequentere kartellrechtliche
Aufsicht muss dem Missbrauch von Marktmacht entgegengewirkt werden.

Die Überarbeitung der EU-Strategie zur Abfallwirtschaft sollte eine Abkehr

von stoffstromorientierten Regelungen für einzelne Produktgruppen beinhalten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 19 – Drucksache 16/2089

Stattdessen sollten EU-rechtliche Regelungen nur noch zwischen Abfall zur
Beseitigung und Abfall zur Verwertung unterscheiden. Ob Abfall stofflich oder
energetisch verwertet wird, muss nicht gesetzlich geregelt werden. Beide Ver-
wertungswege sind grundsätzlich ökologisch gleichwertig.

In diesem Zusammenhang muss auch das Abfallrecht in Deutschland neu ge-
ordnet werden. Das Privileg der Kommunen zur Entsorgung von Abfällen aus
Privathaushalten ist abzuschaffen. Durch klar definierte Qualitätskriterien sol-
len Recyclingprodukte (wie z. B. Recyclingbaustoffe, Altpapier, Altmetalle)
frühzeitig aus dem abfallrechtlichen Regelungsgeflecht entlassen werden, um
ihnen so bessere Marktchancen zu geben. Der Energiegehalt der Abfälle sollte
sinnvoll genutzt werden. Hochwertige Müllheizkraftwerke oder Biogasanlagen
sind daher genauso wie Zementfabriken oder Kraftwerke, die mit Abfall andere
fossile Brennstoffe ersetzen, als Verwertungsanlagen anzuerkennen. Beim Um-
gang mit Klärschlamm stellen für schadstoffarme Qualitäten die landwirt-
schaftliche und energetische Verwertung gleichwertige Alternativen dar.

Es gilt, auch in der Abfallwirtschaft die Weichen für mehr Wettbewerb, Frei-
räume und Innovation zu stellen. Der Deutsche Bundestag appelliert an die
Kommunen, in stärkerem Maße von der gesetzlichen Möglichkeit der Über-
tragung ihrer Entsorgungspflichten auf die private Entsorgungswirtschaft Ge-
brauch zu machen. Auf dem Weg zur Liberalisierung der Abfallwirtschaft sol-
len durch offene gebietsweise Ausschreibung und befristete Verträge die Kräfte
des Wettbewerbs für innovative und kostengünstige Entsorgungsangebote ge-
nutzt werden. Die steuerliche Bevorzugung der öffentlich-rechtlich organisier-
ten Entsorgungswirtschaft durch die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht
muss beendet werden. Im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz sind die
Gewerbeabfälle von der kommunalen Andienungspflicht auszunehmen. Die
Gewerbeabfallverordnung mit ihren Getrennthaltungspflichten, Sortier- und
Verwertungsquoten und mit der Pflichttonne für Restmüll muss aufgehoben
werden. Das zersplitterte, inzwischen auf sechs Regelungen verteilte Depo-
nierecht bedarf dringend einer Rechtsbereinigung.

Bei der in Deutschland derzeit praktizierten Form der Mülltrennung durch die
Verbraucher werden weniger Wertstoffe genutzt, als möglich und sinnvoll
wäre. Eine gemeinsame Sammlung von Abfällen („graue“ in „gelber Tonne“)
und eine maschinelle Trennung von Gemischen aus Verpackungs- und Rest-
müll durch automatisierte Anlagen können zumindest in Ballungsräumen mehr
Wertstoffe verwerten. Die Rahmenbedingungen für eine solche automatisierte
Mülltrennung in geeigneten Regionen sind zu verbessern. Die Getrenntsamm-
lung von Bioabfällen, Papier, Pappe, Karton und Glas sowie besonders proble-
matischer Abfälle ist aber weiter nötig (siehe dazu im Einzelnen den Antrag der
Fraktion der FDP „Mülltrennung vereinfachen – Haushalte entlasten“, Bundes-
tagsdrucksache 15/2193 vom 10. Dezember 2003).

Die Verpackungsverordnung muss komplett überarbeitet werden. Insbesondere
das Zwangspfand ist abzulehnen. Das Ziel, ökologisch vorteilhafte Getränke-
verpackungen im Markt zu stärken, kann kostengünstiger und verbraucher-
freundlicher durch ein Modell handelbarer Abfülllizenzen für ökologisch nicht
vorteilhafte Verpackungen erreicht werden (siehe dazu im Einzelnen den An-
trag der Fraktion der FDP „Ökologisch sinnvolle und effiziente Alternativen
zum Zwangspfand auf Getränkeverpackungen“, Bundestagsdrucksache 15/315
vom 15. Januar 2003).

4.3 Nukleare Abfälle

Die Verpflichtung, Lösungen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle zu finden,
fällt in die Verantwortung der Generation, die die Vorzüge der Kernenergie

nutzt. Dies entspricht den Grundsätzen der Generationengerechtigkeit. Dieser

Drucksache 16/2089 – 20 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
gesamtstaatlichen Aufgabe darf sich verantwortungsvolle Politik nicht ent-
ziehen – dies gilt angesichts der bereits vorhandenen Abfälle aus Medizin,
Kernkraftwerken und Forschung, unabhängig von der Frage der zukünftigen
Nutzung der Kernenergie.

Der Deutsche Bundestag bekennt sich in Übereinstimmung mit der Vorgehens-
weise anderer europäischer Staaten nach wie vor zu einer Zwei-Endlager-
Strategie. Die sicherheitstechnischen Anforderungen an die Endlagerung von
hochradioaktiven, Wärme entwickelnden Abfällen sowie schwach- und mittel-
radioaktiven Abfällen sind sehr unterschiedlich, so dass ein einziges Endlager
diese Anforderungen nicht erfüllen kann. Zur gesicherten Entsorgung ist es
dringend geboten, die Forschungsarbeiten insbesondere in den Bereichen End-
lagerung und Transmutation konsequent fortzuführen.

Das Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle („Schacht Konrad“),
für welches die Planfeststellung bereits abgeschlossen ist, muss nach der nun
vorliegenden positiven Gerichtsentscheidung zügig in Betrieb genommen wer-
den. Die längerfristige oberirdische Zwischenlagerung großer Abfallmengen
wäre aus Gründen der Sicherheit und des Strahlenschutzes unverantwortlich
(siehe dazu im Einzelnen den Antrag der Fraktion der FDP „Offene Fragen
zur Entsorgung radioaktiver Abfälle endlich klären – Verantwortung für
nachfolgende Generationen übernehmen“, Bundestagsdrucksache 16/267 vom
14. Dezember 2005).

Aus Verantwortung gegenüber den Bürgern müssen zügig die Voraussetzungen
für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle geschaffen werden. Das im Jahr
2000 verhängte Moratorium zur Erforschung der Tauglichkeit und Langzeit-
sicherheit von Salzstöcken im Forschungsbergwerk Gorleben ist aufzuheben
und die Erkundung zügig ergebnisoffen fortzusetzen. Alle für die sichere End-
lagerung entscheidenden Fragen zum Standort Gorleben werden in dem gesetz-
lich vorgeschriebenen atomrechtlichen Planfeststellungsverfahren unter Betei-
ligung der Öffentlichkeit und nach dem aktuellen Stand von Wissenschaft und
Technik zu klären sein. Erst wenn sich der Standort Gorleben entgegen allen
bisherigen Untersuchungsergebnissen als ungeeignet erweisen sollte, wäre ein
neues bundesweites Standortauswahlverfahren durchzuführen. Ein neues bun-
desweites Standortauswahlverfahren würde das ursprüngliche Ziel, im Jahr
2030 ein Endlager für hochradioaktive Abfälle bereitzustellen, in noch weitere
Ferne rücken.

Für die Finanzierung der Stilllegung und Entsorgung haben die Verursacher
nuklearer Abfälle Sorge zu tragen. Die hierfür gebildeten finanziellen Rückstel-
lungen müssen unbedingt zweckgebunden sein. Die Regionen, in denen End-
lager geplant sind, sollten einen gerechten Ausgleich für die in nationaler Ver-
antwortung übernommenen besonderen Lasten erhalten. Dazu bedarf es einer
verbindlichen Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und den Kernkraftwerks-
betreibern. In jedem Fall müssen die Standortregionen, in denen nationale nuk-
leare Endlager eingerichtet sind, unter strukturpolitischen Gesichtspunkten
Ausgleichsleistungen erhalten.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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