BT-Drucksache 16/2088

Biologische Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz nutzen

Vom 30. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2088
16. Wahlperiode 30. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan, Michael Kauch, Angelika
Brunkhorst, Horst Meierhofer, Birgit Homburger, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Biologische Kohlenstoffsenken für den Klimaschutz nutzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Kyoto-Protokoll ist nach der Ratifizierung durch Russland im Februar
2005 in Kraft getreten. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Kyoto-Proto-
koll bereits 2002 ratifiziert. Ziel des Kyoto-Protokolls ist es, durch die Reduk-
tion von Treibhausgasemissionen den Klimaschutz zu verbessern. Dies kann
auf zwei Wegen erfolgen: Die Abgabe von Treibhausgasen wie beispielsweise
Kohlendioxid (CO2) in die Luft wird vermindert oder emittiertes CO2 wird ge-
bunden, so dass es nicht in die Atmosphäre gelangt.

In diesem Sinne sieht das Kyoto-Protokoll neben den so genannten flexiblen
Instrumenten (Emissionshandel, Joint Implementation (gemeinsam durchge-
führte Projekte zwischen Industrieländern) und Clean Development Mechanism
(Projekte zur Emissionsreduktion in Entwicklungsländern)) die Möglichkeit vor,
die Kohlenstoffaufnahme von Ökosystemen als Klimaschutzmaßnahme
anrechnen zu können. Es geht dabei um die Kohlenstoffeinbindung in so ge-
nannten Senken (z. B. in Wäldern) und die Möglichkeit, diese bis zu gewissen
Grenzen auf die jeweils nationalen Emissionsreduktionsverpflichtungen anzu-
rechnen.

Die große Bedeutung der Kohlenstoffsenken für den Treibhausgashaushalt der

Erde ist wissenschaftlich unbestritten. Diese haben den globalen Anstieg der
CO2-Konzentration in der Atmosphäre zweifellos verlangsamt. Daher ist es
sinnvoll, die Möglichkeiten der Bindung von CO2 in Kohlenstoffsenken für den
Klimaschutz zu nutzen. Zahlreiche technische Fragen wie die Definitionen,
Einzelheiten des Anrechnungsverfahrens sowie die Anforderungen an eine
Überwachung und Kontrolle (Monitoring) sind weitgehend geklärt; Probleme
bestehen noch u. a. bei der Quantifizierung. Ferner steht die Ausarbeitung be-

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stimmter Verfahrensfragen für Senkenprojekte in Entwicklungsländern aus.
Dessen ungeachtet haben sich die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls auf der
6. Vertragsstaatenkonferenz im Juli 2001 in Bonn im so genannten Bonner
Beschluss (Bonn Agreement) prinzipiell darauf geeinigt, Senkenprojekte als In-
strumente des internationalen Klimaschutzes zu akzeptieren. Unter anderem
wurde im Bonner Beschluss vereinbart, dass Steigerungen der in Wäldern
gebundenen Kohlenstoffmengen bis zu einer länderspezifischen Höchstmenge
angerechnet werden können. Außerdem können Maßnahmen im Bereich der
Acker- und Grünlandbewirtschaftung sowie der Ödlandbegrünung als Klima-
schutzmaßnahmen angerechnet werden. Hieraus ergeben sich für einige Länder
zum Teil erhebliche Möglichkeiten, ihre Emissionsreduktionsziele über Sen-
kenaktivitäten zu erreichen.

Grundsätzlich gilt es, Klimaschutz und Emissionshandel auf größtmögliche
Wirkung und Kostenminimierung durch die Verknüpfung und integrale An-
wendung aller Instrumente des Kyoto-Protokolls einschließlich der Kohlen-
stoffsenken zu verpflichten. Damit werden die Vorteile der Kyoto-Instrumente
nicht zuletzt auch der deutschen Land- und Forstwirtschaft zugänglich.

Neben nationalen Anstrengungen zur Verminderung der CO2-Emissionen ist es
unerlässlich, alle flexiblen Mechanismen zur Erreichung des Klimaschutzziels
zu nutzen. Dazu zählt auch die Möglichkeit der CO2-Bindung in Kohlenstoff-
senken.

Für die verstärkte Bindung von CO2 sind gerade auch biologische Methoden
geeignet. Wälder binden Kohlenstoff. Der Aufbau stabiler Wälder ist somit
geeignet, den anthropogen beeinflussten Klimawandel zu verlangsamen. Dabei
werden zusätzlich die Biodiversität gestärkt, die Böden geschützt und die
Trinkwasserversorgung verbessert. Das Instrument der Kohlenstoffsenke ist
kostengünstig und effizient. Es leistet wichtige Beiträge für die Energie- und
Rohstoffversorgung, für die Technologieentwicklung und sorgt für Beschäfti-
gung in strukturschwachen ländlichen Regionen – im Inland wie im Ausland.

In Mitteleuropa, wo die potentielle natürliche Vegetation Wälder hervorbringt,
haben diese bei der Bekämpfung des Klimawandels eine Schlüsselrolle inne.
Das Holz der Waldbäume und die humusreichen Waldböden speichern Kohlen-
stoff. Wird der Speicher Wald zerstört, werden die im Holz und den Böden
gespeicherten Treibhausgase in die Atmosphäre abgegeben. Laut IPCC (Inter-
governmental Panel on Climate Change) stammen bis zu 30 Prozent der zusätz-
lichen Belastung der Atmosphäre mit CO2 in den letzten 100 Jahren aus
der Zerstörung von Wäldern z. B. durch illegalen Holzeinschlag sowie durch
Brandrodung. Durch Urwaldschutz, Aufforstung und nachhaltige Bewirtschaf-
tung von bestehenden Wäldern kann umgekehrt der Atmosphäre CO2 wieder
entzogen und langfristig gebunden werden. Somit bietet der Wald eine kosten-
günstige Möglichkeit, den Klimawandel zu verlangsamen und Ökosystemen
mehr Zeit für eine Anpassung an das sich ändernde Klima zu geben.

Klimaschutz durch Waldbewirtschaftung muss sich an den regionalen Rahmen-
bedingungen orientieren. So ist es unbestritten notwendig, die riesigen Treib-
hausgasspeicher der verbliebenen Urwälder zu schützen. Für Wirtschaftswälder
wie den deutschen Wald ist jedoch eine nachhaltige Nutzung die effektivere
Variante: Die Ergebnisse der Bundeswaldinventur zeigen, dass im deutschen
Wald trotz der verheerenden Orkane Vivian/Wiebke (1990) und Lothar (1999)
mehr Holz zugewachsen ist als genutzt wurde, und somit der Wald eine Netto-
senke für CO2 darstellt. Insbesondere in den Privatwäldern wurde pro Jahr
deutlich weniger Holz eingeschlagen als nachgewachsen ist.

Wird Holz nach seiner Ernte als Produkt rohstofflich und nicht sofort energe-
tisch genutzt, verlängert sich seine Speicherfunktion und substituiert zusätzlich

energieaufwändig zu produzierende Materialien wie Stahl, Beton oder Kunst-

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stoffe. Internationale Vergleiche zeigen, dass in Deutschland beim Bau von
Einfamilienhäusern Holz nur in geringem Umfang eingesetzt wird (15 Pro-
zent), während im Nachbarland Österreich der Einsatz von Holz deutlich höher
ist (35 Prozent), in Finnland sogar 50 Prozent und in den USA 95 Prozent be-
trägt. Am Ende des Produktlebenszyklus von Holz können durch die energeti-
sche Verwendung fossile Energieträger ersetzt werden. Dabei entweicht nur so-
viel CO2, wie zuvor der Atmosphäre entzogen wurde.

Das Kyoto-Protokoll hat Möglichkeiten geschaffen, die Instrumente Auffors-
tung, Wiederaufforstung und Forstwirtschaft zur Bekämpfung des Klimawan-
dels zu nutzen. So können durch Projekte in Industriestaaten und Entwick-
lungsländern Zertifikate erzeugt werden, die im Rahmen des internationalen
Handels mit Emissionsrechten gehandelt oder zur Erfüllung der nationalen Ver-
pflichtungen verwendet werden können. Voraussetzung dafür ist ein Entschluss
des jeweiligen Kyoto-Vertragsstaates, den Artikel 3.4 des Kyoto-Protokolls an-
zuwenden. Die Bundesregierung zieht diese Möglichkeiten heute erstmals in
Erwägung, hat sie jedoch bisher nicht genutzt. Es wurden trotz der internationa-
len Vereinbarungen Senkenprojekte abgelehnt. Die Bundesregierung hat auch
verhindert, dass Unternehmen im Rahmen des europäischen Handels mit Emis-
sionsrechten ihre Emissionsreduktionsverpflichtungen durch Senkenprojekte
erfüllen können. Es besteht die Gefahr, dass ein kostengünstiges Instrument
zum Klimaschutz nicht in die nationale Klimaschutzstrategie integriert wird.

Über die klimaverbessernde Wirkung hinaus bieten Senkenprojekte zahlreiche
weitere Vorteile. So ist zum Beispiel die Produktion von Biomasse in Agro-
forstsystemen, in denen die niederwaldartige Bewirtschaftung von Energie-
hölzern mit der Wertholzproduktion kombiniert wird, eine Möglichkeit, die
Biodiversität zu erhöhen. Die Entwicklung dieser Anbausysteme schafft Be-
schäftigung im ländlichen Raum und stellt eine ökologisch wertvolle Nutzung
von landwirtschaftlichen Flächen dar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– im Rahmen des internationalen Handels mit Treibhausgaszertifikaten auch
die Option des Artikels 3.4 des Kyoto-Protokolls für Wälder in Deutschland
wahrzunehmen und sich die Nettosenke im erlaubten Rahmen anrechnen zu
lassen,

– darauf hinzuarbeiten, dass innerhalb des europäischen Handels mit Zertifi-
katen, analog zum internationalen Handel, die Nutzung von Waldsenkenpro-
jekten auch für die betroffenen Unternehmen möglich ist, damit diese so
kostengünstig wie möglich ihre Emissionen kompensieren können,

– im Rahmen der internationalen Verhandlungen darauf hinzuwirken, dass
auch die Kohlenstoffspeicherung im Holz aus nachhaltig genutzten Wäldern
bei der Erfassung der Bestandsdaten berücksichtigt wird, um die tatsäch-
liche Leistung von nachhaltig genutzten Wirtschaftswäldern in Wert zu set-
zen,

– in Pilotregionen in Zusammenarbeit mit den Bundesländern Monitoring-
systeme für Kohlenstoffsenkenprojekte zu entwickeln und zu realisieren und

– die Technologieentwicklung zur energetischen Nutzung von Biomasse aus
Wäldern zu fördern.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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