BT-Drucksache 16/2082

Kein Weißbuch ohne vorherige Parlamentsdebatte

Vom 29. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2082
16. Wahlperiode 29. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Birgit Homburger, Elke Hoff, Dr. Rainer Stinner, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam
Gruß, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Dr. Werner Hoyer, Michael
Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Kein Weißbuch ohne vorherige Parlamentsdebatte

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das derzeit gültige Weißbuch „Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch-
land“ wurde 1994 im Auftrag der Bundesregierung vom damaligen Bundesmi-
nister der Verteidigung Volker Rühe herausgegeben. In den darauf folgenden
zwölf Jahren hat sich die sicherheitspolitische Lage grundlegend verändert und
das Einsatzspektrum der deutschen Streitkräfte deutlich erweitert. Die Struktur
der Bundeswehr wurde deshalb wiederholt Veränderungen unterzogen, um die
Fähigkeitsanforderungen erfüllen zu können, die sich aus dem erweiterten Auf-
gabenfeld ergeben.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 wurde ein-
deutig klargestellt, dass das Grundgesetz die Bundesregierung verpflichtet, für
den Einsatz bewaffneter Streitkräfte die – grundsätzlich vorherige – konstitu-
tive Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen. Das Parlamentsbetei-
ligungsgesetz vom 18. März 2005 regelt die Verfahrenseinzelheiten hierzu. Die
Bundeswehr ist somit ohne Zweifel eine Armee des Parlaments und nicht nur
ein beliebig einsetzbares Organ der Bundesregierung.

Seit 1998 haben die früheren Bundesminister der Verteidigung Rudolf Schar-

ping und Dr. Peter Struck wiederholt die Herausgabe eines neuen Weißbuches
angekündigt, jedoch fanden sie keine Mehrheit für ihre Entwürfe in den jeweili-
gen Bundesregierungen.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom 11. November 2005
sieht vor, bis Ende 2006 ein neues Weißbuch herauszugeben. Anfang Mai 2006
wurde ein Entwurf, erarbeitet im Bundesministerium der Verteidigung, den
mitberatenden Ressorts und den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zugeleitet.

Drucksache 16/2082 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Da das Bundesministerium der Verteidigung die Fraktionen FDP, DIE LINKE. und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Öffentlichkeit aus dem Informationsprozess
ausschloss, blieb es der Presse vorbehalten, diese von der Existenz des Weißbuch-
entwurfs sowie über dessen Inhalte in Kenntnis zu setzen.

Nach dem Willen des Bundesministers der Verteidigung soll das Bundeskabinett
am 12. Juli 2006 das Weißbuch verabschieden, ohne vorherige Debatte im Deut-
schen Bundestag. Zwar wurden alle bisherigen Weißbücher nach diesem Verfahren
in Kraft gesetzt, jedoch handelte es sich dabei mehr oder weniger um Fortschrei-
bungen. Das neue Weißbuch hingegen muss, von der Basis einer grundlegend ver-
änderten sicherheitspolitischen Lage ausgehend, komplexe und weit über den bis-
her üblichen Rahmen hinausgehende Antworten auf die neuen Herausforderungen
geben.

Darüber hinaus widerspricht dieses Verfahren dem Grundsatz der Parlamentsarmee
und verzichtet ohne ersichtlichen Grund auf eine breite Akzeptanz der Öffentlich-
keit für die Grundlagen zukünftiger deutscher Sicherheitspolitik.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. allen Fraktion des Deutschen Bundestages und der Öffentlichkeit den Entwurf
des Weißbuches unverzüglich zur Kenntnis zu geben,

2. die für den 12. Juli 2006 geplante Verabschiedung des Weißbuches durch das
Bundeskabinett zu verschieben,

3. dem Anspruch einer Parlamentsarmee Rechnung zu tragen und eine intensive
parlamentarische Debatte über die gegenwärtige und zukünftige Sicherheits-
politik der Bundesrepublik Deutschland nicht weiter zu verweigern und diese
bewusst und mit Nachdruck in die Öffentlichkeit hineinzutragen,

4. die Basis aller strategischen Überlegungen, also die gesamtpolitische internatio-
nale Zielsetzung der Bundesregierung, in den Mittelpunkt des Weißbuches zu
stellen, um daraus folgernd eine glaubwürdige, in sich schlüssige, umfassende
und gesellschaftlich tragfähige Sicherheitsarchitektur abzuleiten,

5. das Weißbuch nicht nur auf militärische Handlungsoptionen zu verengen, son-
dern als Antwort auf die in der Analyse durchaus richtig aufgezeigten Risiken
vor allem auch diplomatische, wirtschaftliche, ökologische, soziale und ent-
wicklungspolitische Ansätze zu beachten,

6. die beabsichtigte massive Ausweitung der Definition des Verteidigungsfalles
zu unterlassen,

7. für das neue Weißbuch nationale Interessen zu definieren und sie mit einer
Gewichtung aufzunehmen sowie Kriterien zu nennen, die Grundlage für die
Prüfung einer Teilnahme der Bundeswehr an zukünftigen Einsätzen im Aus-
land sein sollten,

8. im Weißbuch äußere und innere Sicherheit klar zu definieren, Schnittstellen
aufzuzeigen und Verantwortlichkeiten an diesen Schnittstellen klar zu regeln,

9. das Weißbuch erst nach erfolgter Parlamentsdebatte und öffentlicher Diskus-
sion durch das Kabinett zu verabschieden,

10. aufgrund der Komplexität des Sicherheitsbegriffes das Weißbuch unverändert
unter Federführung des Bundesministers der Verteidigung zu erarbeiten, jedoch
entgegen bisheriger Praxis von der Bundeskanzlerin herausgeben zu lassen.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.