BT-Drucksache 16/2044

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/1024, 16/2015 - Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz - EuHbG)

Vom 28. August 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/2044
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Jörg van Essen,
Mechthild Dyckmans, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut Königshaus,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Michael Link (Heilbronn),
Patrick Meinhardt, Burkhard Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad
Schily, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksache 16/1024, 16/2015 –

Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den
Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union (Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag hat am 11. März 2004 dem Entwurf der Bundes-
regierung für ein Europäisches Haftbefehlsgesetz zugestimmt. Mit dem Ge-
setzentwurf sollte der Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union
über den Europäischen Haftbefehl in nationales Recht umgesetzt worden.
Das Europäische Haftbefehlsgesetz trat am 23. August 2004 in Kraft.

Das Gesetzgebungsverfahren war begleitet von Kritik gegen den Rahmenbe-

schluss und das Umsetzungsgesetz wegen grundsätzlicher rechtsstaatlicher
Bedenken.

Dem EU-Rahmenbeschluss liegt das Prinzip der gegenseitigen Anerken-
nung justizieller Entscheidungen zugrunde, das zwingend die Anerkennung
der generellen Regeln beinhaltet, auf denen diese Entscheidungen beruhen.
Dies gilt auch und gerade für die Wertungen des materiellen Strafrechts.

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Damit zementiert das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung justizieller
Entscheidungen nationale Unterschiede, obwohl Rahmenbeschlüsse gerade
zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaa-
ten vorgesehen sind. Für die dritte Säule der Europäischen Union bedeutet
dies, dass die Mitgliedstaaten nicht die Freiheiten, sondern die Verbote ande-
rer Länder respektieren. Der Rahmenbeschluss ordnet die Verkehrsfähigkeit
und die Durchsetzung von Unfreiheiten an. Mit dem Prinzip der gegenseiti-
gen Anerkennung, das dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, werden
die sehr unterschiedlichen Rechtsstandards und Rechtsgrundsätze in Straf-
verfahren in den europäischen Mitgliedstaaten als gleichwertig behandelt,
obwohl die Anforderungen z. B. an Beweisverfahren, Beweiserhebungen,
Beweisverwertungen sehr unterschiedlich sind. In 32 unbestimmt formulier-
ten Deliktsgruppen wird zur Auslieferung auf das Prinzip der beiderseitigen
Strafbarkeit verzichtet mit der Folge, dass aufgrund eines formulierten Aus-
lieferungsersuchens ein Bürger überstellt wird, auch wenn sein Verhalten in
Deutschland nicht strafbar oder die Höhe angedrohter Strafen sehr unter-
schiedlich ist.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 18. Juli 2005 das Europäi-
sche Haftbefehlsgesetz für nichtig erklärt (2 BvR 2236/04). Die Nichtig-
keitserklärung bezieht sich auf das gesamte Gesetz und nicht nur auf ein-
zelne Vorschriften. Damit hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetz-
geber die Neugestaltung in „normativer Freiheit“ aufgetragen. Zu Recht darf
daraus die rechtspolitische Erwartung einer Gesamtreform abgeleitet werden
und nicht nur die Beschränkung auf Änderungen der nichtigen Regelungen.
Der tragende Leitgedanke einer Neuregelung muss die Vorhersehbarkeit
staatlichen Strafens sein. Die Bürger sollen „nicht gegen ihren Willen aus
der ihnen vertrauten Rechtsordnung entfernt werden. Jeder Staatsbürger
sollte – soweit er sich im Staatsgebiet aufhält – vor den Unsicherheiten einer
Aburteilung unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer
durchschaubaren Verhältnissen bewahrt werden“, so das Bundesverfas-
sungsgericht in seiner Entscheidung. Nach Auffassung des Gerichts greift
das Gesetz unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit (Artikel 16 Abs. 2
des Grundgesetzes – GG) ein, da der Gesetzgeber die ihm durch den
Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl eröffneten Spielräume
nicht für eine möglichst grundrechtsschonende Umsetzung des Rahmen-
beschusses in nationales Recht ausgeschöpft hat. Das Gericht bemängelt,
dass der Gesetzgeber keine Möglichkeit geschaffen habe, für Taten mit maß-
geblichem Inlandsbezug die Auslieferung Deutscher zu verweigern. Zudem
verstößt das Europäische Haftbefehlsgesetz aufgrund der fehlenden
Anfechtbarkeit der (Auslieferungs-) Bewilligungsentscheidung gegen die
Rechtswegegarantie (Artikel 19 Abs. 4 GG).

3. Der Anfang 2006 von der Bundesregierung neu eingebrachte Entwurf für
ein Europäisches Haftbefehlsgesetz, wird diesen Anforderungen des Urteils
des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht. Die Vorgaben des Bundesver-
fassungsgerichts werden unzureichend und rechtsstaatlich unbefriedigend
berücksichtigt.

– Deutsche Staatsangehörige dürfen nach Ansicht des Bundesverfassungs-
gerichts nicht ausgeliefert werden, wenn die Tat einen „maßgeblichen
Inlandsbezug“ hat. Anders sei das, wenn die Tat einen „maßgeblichen
Auslandsbezug“ aufweise. Der Gesetzentwurf verzichtet hier auf klare
Definitionen und Abgrenzungen. Er übernimmt vielmehr die Formulie-
rungen des Bundesverfassungsgerichts und verzichtet auf notwendige tat-
bestandliche Konkretisierungen. Insbesondere für sog. Mischfälle wer-
den die vorgeschlagenen Regelungen eher zu Rechtsunsicherheit führen.

Es ist zu erwarten, dass die Gerichte bei der Anwendung des Gesetzes in
der Praxis vor große Schwierigkeiten gestellt werden, insbesondere durch

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/2044

das Feststellen der „Maßgeblichkeit“. Die in dem Gesetzentwurf ge-
brauchten Begriffe schließen zudem Wertungswidersprüche nicht aus. Es
wäre ratsam gewesen, wenn der Gesetzentwurf die vom Bundesverfas-
sungsgericht genannten Regelbeispiele für typisch grenzüberschreitende
Straftaten übernommen hätte.

– Der Gesetzentwurf nimmt nach wie vor keine Präzisierung der Delikts-
gruppen vor. Der Gesetzentwurf verzichtet sogar darauf, die Deliktsgrup-
pen ausdrücklich zu nennen. Vielmehr verweist er nur auf den Rahmen-
beschluss. Die Grundsätze der Bestimmbarkeit und Normenklarheit sind
daher nicht gewahrt.

– Der Gesetzentwurf wird den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts
zum Rechtsschutz gegen Bewilligungsentscheidungen für die Ausliefe-
rung nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass
die fehlende Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung in einem Ver-
fahren betreffend die Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäi-
schen Union gegen Artikel 19 Abs. 4 GG verstoße. Das Gericht hat daher
eine nachträgliche gerichtliche Anfechtbarkeit einer Bewilligungsent-
scheidung vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf sieht demgegenüber eine
der Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts vorgelagerte Be-
willigungsentscheidung der Behörde mit der Möglichkeit einer gerichtli-
chen Überprüfung von Ermessensfehlern vor. Aufgrund des weiten Er-
messens der Bewilligungsbehörde steht dem Gericht keine eigene
Sachentscheidungskompetenz zu. Die Bewilligungsentscheidung bleibt
nach Auffassung der Bundesregierung eine außenpolitische Entschei-
dung, die nicht umfänglich justiziabel ist. In der Gesetzesbegründung
heißt es daher zu § 79: „In der Praxis wird man nur sehr selten eine Ver-
letzung subjektiver Rechte des Verfolgten durch eine ermessensfehler-
hafte Entscheidung feststellen können“. Effektiver Rechtsschutz im
Sinne des Artikels 19 Abs. 4 GG wird damit nicht gewährt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Gesetzentwurf zurückzuziehen und einen neuen Entwurf vorzulegen,
der eine Gesamtreform des vom Bundesverfassungsgericht für nichtig er-
klärten Europäischen Haftbefehlsgesetz vornimmt und der insbesondere

a) bestimmbare Regelungen zur Auslieferung Deutscher Staatsangehöriger
und insbesondere zu den sog. Mischfällen enthält,

b) die Delikte, bei denen die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit entfal-
len soll, klar benennt,

c) eine nachträgliche Anfechtungsmöglichkeit einer Bewilligungsentschei-
dung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4
GG vorsieht und

2. sich auf europäischer Ebene dafür einzusetzen, die Harmonisierung der
Strafverfahrensrechte und der Beschuldigtenrechte voranzutreiben und dies
zu einem Schwerpunkt der deutschen Ratspräsidentschaft für 2007 zu
machen.

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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