BT-Drucksache 16/1962

Agrarbeihilfeempfänger offen legen

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1962
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Diether Dehm,
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert,
Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln), Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Agrarbeihilfeempfänger offen legen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat sich den UN-Millenniumszielen verpflichtet, in denen
unter anderem die Halbierung der Zahl der Hungernden bis zum Jahr 2015 vor-
gesehen ist. Zentral für die erfolgreiche Umsetzung dieses Zieles ist die Wieder-
herstellung der Ernährungssouveränität, die in vielen armen Ländern durch eine
entwicklungsfeindliche Welthandelspolitik untergraben wurde. Verschiedene
Studien nichtstaatlicher Organisationen haben dabei den schädlichen Einfluss
der EU-Exportsubventionen auf die landwirtschaftliche Entwicklung in den
Ländern des Südens, insbesondere in verschiedenen Staaten Afrikas und Latein-
amerikas nachgewiesen.

Misereor veröffentlichte 2005 eine Studie über die Wirkung von Milchimpor-
ten aus der EU und anderen entwickelten Staaten auf die Wirtschaft in Burkina
Faso. Das mit EU-Geldern subventionierte Trockenmilchpulver wird dort zu
Dumpingpreisen angeboten, mit denen die einheimische Landwirtschaft nicht
konkurrieren kann. Obwohl es derzeit rund eine Million Milchviehhirten in
Burkina Faso gibt, was einem Zehntel der Gesamtbevölkerung entspricht, kon-
sumieren die Einwohnerinnen und Einwohner in Ouagadougou und den an-
deren Städten des Landes fast ausschließlich die aus importiertem Trocken-
pulver gewonnene Milch. Entsprechende Auswirkungen von Exportsubven-
tionen hat auch eine 2004 von German Watch veröffentlichte Studie ergeben.
Von den 150 Millionen Litern Milch, die auf Jamaika jährlich verbraucht wer-
den, stammen nicht mehr als 12 Prozent aus einheimischer Produktion. Wäh-
rend die europäischen Milchpulverexporte nach Jamaika zu subventionierten
Dumpingpreisen in den 90er Jahren von 1 200 auf 6 300 Tonnen anstiegen,
sank die Milchproduktion jamaikanischer Kleinbauern im gleichen Zeitraum
von 2,5 Millionen auf 300 000 Liter.

Agrarexportsubventionen haben auf diese Weise in den vergangenen beiden

Jahrzehnten die Existenzgrundlage einiger hundert Millionen Bauern in den ar-
men Staaten der Welt untergraben. Diese Entwicklung erklärt, warum die Mehr-
heit der weltweit 850 Millionen chronisch unterernährten Menschen auf dem
Lande lebt. Gleichzeitig profitieren davon in Europa lediglich die großen, ex-
portorientierten Betriebe. Empfänger sind nicht nur landwirtschaftliche Unter-
nehmen im engen Sinne, sondern auch Exporteure anderer Branchen, insbeson-
dere die verarbeitende Lebensmittelindustrie. Das auf der WTO-Ministerkonfe-

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renz in Hongkong im vergangenen Dezember beschlossene Auslaufen aller Ex-
portsubventionen im Agrarbereich bis zum Jahr 2013 entsprach daher den
Forderungen vieler Entwicklungsländer, ohne die Interessen der kleinen und
mittleren Bauern in Europa zu beschädigen.

Für die Produktionssubventionen steht ein entsprechender Beschluss indes noch
aus. Viele kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe in Europa, die nicht
für die Ruinierung bäuerlicher Strukturen in den Entwicklungsländern verant-
wortlich sind, hängen von diesen Subventionen ab. Mit diesem Argument haben
sich die Bundesregierungen in der Vergangenheit der Offenlegung der Agrarbei-
hilfeempfänger widersetzt. Aber auch bei den Produktionssubventionen profi-
tieren vor allen Dingen jene, die schon viel haben. Das zeigen die Berichte jener
europäischen Länder, die im Unterschied zu Deutschland die ausgezahlten
Agrarbeihilfen mit konkreten Angaben zu Ausgabenzweck, Empfängerbetrie-
ben und Zahlungshöhe veröffentlicht haben. Als erstes Land hat Dänemark im
Frühjahr 2004 entsprechende Statistiken offen gelegt; es folgten Schweden,
Großbritannien, einige Regionalregierungen Spaniens, die Niederlande und
Frankreich.

Oxfam veröffentlichte im November 2005 ihre Auswertung der Subventionsbe-
richte dieser Länder und kam zu dem Ergebnis, dass

– in Großbritannien die königliche Familie ein großer Empfänger von Agrar-
subventionen ist, ebenso wie der Zuckerkonzern Tate & Lyle;

– in Dänemark im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik insgesamt eine sie-
benstellige Summe an vier Minister der Regierung, mehrere Parlamentsabge-
ordnete und die dänische EU-Kommissarin ausgezahlt wird;

– in den Niederlanden das Unternehmen des Landwirtschaftsministers Cees
Verman 150 000 Euro an Agrarsubventionen erhielt; aus einem im Septem-
ber 2005 publizierten Katalog der Evert Vermeer Stichting ging hervor, dass
die fünf meistbegünstigten Firmen, darunter Nestlé Nederland und das
Industrieunternehmen Verwerkings Industrie Vreeland, in den Jahren 1999
bis 2003 zusammen 2,39 Mrd. Euro an Agrarsubventionen erhielten. Unter
den vierzig meistbegünstigten Unternehmen befanden sich der Bierbrauer
Heineken und der Zigarettenhersteller Philip Morris.

In Deutschland haben sich 21 anerkannte Nichtregierungsorganisationen, darun-
ter Greenpeace, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und Brot für
die Welt unter dem Motto „Wer profitiert?“ zusammengeschlossen und fordern
von der Bundesregierung die Offenlegung der Agrarbeihilfeempfänger. Sie be-
tonen, dass das derzeitige Vergabesystem auch innerhalb der EU eine Dumping-
wirkung erzeugt. Ein flächenstarker, durchrationalisierter Betrieb kann umge-
rechnet auf eine betriebliche Arbeitskraft jährlich bis zu 120 000 Euro vom Staat
erhalten. Der Durchschnitt aller Betriebe erhält mit rund 8 500 Euro weniger als
ein Zehntel davon. Arbeitsintensive und an ökologisch nachhaltiger Bewirt-
schaftung orientierte Landwirtschaftsbetriebe werden klar benachteiligt. Die
bisherige Intransparenz bei der Vergabe der Agrarbeihilfen verdeckt, dass sie in
der derzeitigen Form strukturell die Arbeitslosigkeit auf dem Lande fördern.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– in Anlehnung an die Informationspraxis in anderen EU-Mitgliedstaaten wie
Dänemark, Frankreich und den Niederlanden konkrete Angaben zu Direkt-
zahlungen und Agrarsubventionen zu veröffentlichen;

– eine Übersicht zu erstellen und zu veröffentlichen, aus der die Verteilung der
Direktzahlungen nach Höhe und nach begünstigten Unternehmen in aggre-

gierter Form hervorgeht;

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– eine Übersicht zu erstellen und zu veröffentlichen, aus der die Direktzahlun-
gen an die 100 Unternehmen hervorgehen, die die höchsten Agrarbeihilfen in
Deutschland erhalten;

– eine Übersicht zu erstellen und zu veröffentlichen, aus der die durchschnitt-
liche Höhe der ausgezahlten Agrarsubventionen pro Arbeitskraft und Hektar
sowie differenziert nach Lage in begünstigten bzw. benachteiligten Gebieten
hervorgeht.

Berlin, den 28. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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