BT-Drucksache 16/1961

Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie

Vom 28. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1961
16. Wahlperiode 28. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Ulla Lötzer, Hans-Kurt Hill, Monika Knoche,
Hüseyin-Kenan Aydin, Eva Bulling-Schröter, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke,
Lutz Heilmann, Dr. Hakki Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Norman Paech,
Paul Schäfer (Köln), Dr. Kirsten Tackmann, Alexander Ulrich, Dr. Gregor Gysi,
Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Weltbankkredite für Atomtechnologie

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Dem 37. Treffen des Development Committee auf der Frühjahrstagung von
Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) am 23. April 2006 in
Washington lag ein Papier der Weltbank mit dem Titel „Clean Energy and
Development“ vor. Darin stellt die Weltbankadministration ihre Sicht auf die
Herausforderung dar, den Energiebedarf in den Entwicklungs- und Transfor-
mationsländern abzudecken und dabei zugleich den Einsatz von Kohle zu re-
duzieren bzw. dem Klimawandel entgegenzuwirken.

Unter Berufung auf die International Energy Agency wird ein Investitionsbe-
darf von 300 Mrd. US-Dollar jährlich konstatiert, um die Deckung des Ener-
giebedarfs in den Entwicklungs- und Transformationsländern zu sichern. Ein
Technologietransfer im Bereich „saubere Energien“ von den Ländern des
Nordens in die Länder des Südens wird als Ziel beschrieben. In diesem Zu-
sammenhang werden verschiedene Finanzierungsinstrumente der Weltbank
benannt. Es wird die Forderung aufgestellt, bis zur Jahrestagung von IWF
und Weltbank im September 2006 in Singapur diese bestehenden Finanzie-
rungsinstrumente in ihrer Tauglichkeit zur Förderung „sauberer Energien“ zu
überprüfen und neue „innovative“ Finanzierungsinstrumente zu entwickeln.

2. In dem Papier wird ausdrücklich auch die Kernspaltung als eine der Techno-
logien benannt, die den Zugang zu sauberer und effizienter Energie verbes-
sern, auf lokaler, regionaler und globaler Ebene den Umweltschutz befördern
und insbesondere die Treibhausemissionen verringern sollen. Auch auf dem
Treffen der G8 am 15. bis 18. Juli 2006 in St. Petersburg wird eine Debatte
über die Förderung von „sauberer Energie“ und der Rolle der Atomtechnolo-
gie geführt werden. Im Vorfeld hatte der russische Präsident vorschlagen, in-
ternationale Brennstoffzentren unter Aufsicht der Internationalen Atombe-

hörde einzurichten und den Verkauf von Atomkraftwerken inklusive der fer-
tigen Brennstoffe über regionale Entwicklungsbanken unter Ägide der Welt-
bank zu finanzieren. Die Debatten in der Weltbank und im Vorfeld des G8-
Gipfels lassen befürchten, dass künftig die Förderung dieser Technologie in
Entwicklungs- und Transformationsländern durch Kredite der Weltbank er-
folgen könnte.

Drucksache 16/1961 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
erklärte anlässlich des 37. Treffens des Development Committee auf der
Frühjahrstagung von Weltbank und IWF und unter Bezugnahme auf das Pa-
pier der Weltbank „Clean Energy and Development“, Atomenergie sei keine
„saubere Energie“ und die damit verbundenen Risiken seien insbesondere in
Entwicklungsgesellschaften kaum zu kontrollieren. Sie schließt daraus: “Due
to these severe risks involved, the German government does not see any role
for the Bank in the nuclear energy sector.” [Aufgrund der schwerwiegenden
Risiken, die mit Atomenergie verbunden sind, sehen wir absolut keine Rolle
für die Bank im Atom-Sektor.] Im 20. Jahr nach der Atomkatastrophe von
Tschernobyl ist dies eine politische Schlussfolgerung, die die volle Unterstüt-
zung des Deutschen Bundestages genießt.

4. Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, die eigene
Exekutivdirektoren bzw. -direktorinnen ins Exekutivdirektorium der Welt-
bank entsenden. Die anderen Staaten, auf die dies zutrifft, sind China, Frank-
reich, Großbritannien, Japan, Russland, Saudi-Arabien und die USA. Diese
acht von insgesamt 24 Exekutivdirektoren bzw. -direktorinnen sprechen dort
ausschließlich im Namen ihrer Länder. Das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist gegenüber dem deutschen
Exekutivdirektor weisungsbefugt und kann so direkt Einfluss auf die
Geschäftspolitik der Weltbank nehmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den deutschen Exekutivdirektor der Weltbank anzuweisen,

– der Vergabe von Weltbankkrediten zur Förderung der Atomtechnologie und
ihrer Nutzung in Entwicklungs- und Transformationsländern grundsätzlich
nicht zuzustimmen

– und sich darüber hinaus in der Exekutivdirektion aktiv um Mehrheiten zu be-
mühen, um auszuschließen, dass auf der Herbsttagung von IWF und Welt-
bank im September 2006 ein Vorschlag vorliegt, der diese Möglichkeiten der
Finanzierung von Atomenergie über öffentliche Entwicklungsgelder vor-
sieht.

Berlin, den 27. Juni 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1961

Begründung

Eine Strategie, die auf einen durch die Weltbank finanzierten Bau von Atom-
kraftwerken in Entwicklungsländern setzt, führt zu ausschließlich negativen
Effekten.

Die Atomtechnologie ist eine nicht beherrschbare Risikotechnologie. Ein Ein-
stieg in die Atomenergienutzung mit Hilfe der Weltbank würde die finanziellen
Abhängigkeiten der Entwicklungsländer weiter verstärken. Ganz abgesehen da-
von, dass in der Vergangenheit der Bau von Atomkraftwerken aufgrund ver-
schiedener Ursachen oft zu Investitionsruinen statt zu einer Energieversorgung
führte. So etwa der Kredit über 2 Mrd. US-Dollar, mit dem in den Philippinen
ein Atomkraftwerk auf einer Erdbebenspalte errichtet wurde. Das Kraftwerk
ging zum Glück nie in Betrieb. Die Philippinen zahlen dennoch Jahr für Jahr
100 Mio. US-Dollar Zinsen für diese Entwicklungsruine. An dem Atomkraft-
werk (AKW) Atucha 2 in Argentinien wird seit 1981 gebaut. Zur Verschuldung
des Landes hat das AKW bereits enorm beigetragen, zur Stromversorgung aller-
dings noch nichts. Die einzigen Nutznießer eines Ausbaus der Atomenergie
wäre die Reaktorbauindustrie in den Industrieländern.

Völlig verfehlt ist eine Strategie, die auf Ausbau der Atomkraft zum Schutz des
Klimas setzt. Damit würde ein Risiko durch eine ganze Palette inakzeptabler
Risiken ersetzt: Niedrigstrahlung, Unfallgefahr, ungelöste Entsorgung radio-
aktiver Abfälle und das Problem der militärischen Nutzung.

Der Ausbau der Atomenergie würde zu einer Forcierung des Abbaus von Uran
führen. Schon heute leiden und sterben in den Uranabbaugebieten z. B. in Afrika
viele Menschen an den Folgen des Uranabbaus. Auch Uran ist eine endliche
Ressource. Beim gegenwärtig weltweiten Jahresverbrauch reichen die gesicher-
ten Uranreserven lediglich 67 Jahre. Bei einem Ausbau der Nukleartechnik gin-
gen die unter wirtschaftlichen Bedingungen abbaubaren Vorkommen noch vor
der veranschlagten Betriebsdauer neuer Anlagen zu Ende. Wie bei den fossilen
Brennstoffen bleiben die meisten Entwicklungsländer also auch beim Uran von
knappen und teuren Importen abhängig.

Die Zukunft der Energieversorgung in den Entwicklungsländern liegt nicht im
Ausbau der Atomenergie, sondern in der Nutzung erneuerbarer Energien und
dezentraler Energieversorgung. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Ent-
wicklung des ländlichen Raums leisten.

Spätestens die Katastrophe von Tschernobyl hat gezeigt, dass Atomenergie nicht
auf Dauer beherrschbar ist und die Verstrahlung vor Ländergrenzen nicht halt
macht. In Deutschland wurden Konsequenzen aus dem Risiko Atomenergie ge-
zogen und zumindest ein Auslaufen der Atomkraft gesetzlich verankert. Gerade
die Bundesregierung hat deshalb eine Verpflichtung, dort wo sie Einfluss hat,
den Ausbau der Atomenergienutzung bzw. einen Neueinstieg mit all seinen
negativen Konsequenzen zu verhindern.

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