BT-Drucksache 16/1947

GATS-Verhandlungen über Ausnahmeklauseln

Vom 23. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1947
16. Wahlperiode 23. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Hüseyin-Kenan Aydin,
Heike Hänsel und der Fraktion DIE LINKE.

GATS-Verhandlungen über Ausnahmeklauseln

Die laufenden Verhandlungen im Rahmen des Allgemeinen Abkommens über
den Handel mit Dienstleistungen (GATS) mit dem Ziel weiterer Liberalisierun-
gen und Privatisierungen im Bereich der Dienstleistungen sind einer der
Schwerpunkte der EU und der Bundesregierung in der laufenden Welthandels-
runde (WTO).

Auf der 6.WTO-Ministerkonferenz in Hongkong wurde u. a. vereinbart, dass bis
zum 31. Juli 2006 Angebote von Mitgliedstaaten für eine weitere Liberalisie-
rung im Dienstleistungssektor unterbreitet werden sollen. Bis zum 31. Oktober
2006 sollen die endgültigen Verpflichtungslisten der Staaten für ihre Liberalisie-
rungen abgegeben werden.

Das GATS unterscheidet zwischen allgemeinen Verpflichtungen, die für alle
Dienstleistungssektoren gleichermaßen gelten sollen und den spezifischen Ver-
pflichtungen, die nur für Sektoren relevant sind, in denen die WTO-Mitglieder
konkrete Liberalisierungen vorgenommen haben. Die Europäische Union hat für
sich im GATS festschreiben lassen, dass öffentliche Dienstleistungen (Public
Utilities) von Liberalisierungsverpflichtungen ausgenommen und Ansprüche
auf Subventionen auf niedergelassene Dienstleister beschränkt werden können
(horizontale Ausnahmeklauseln). Seit dem Beginn der offiziellen Verhandlun-
gen zum GATS fordern andere Vertragsstaaten immer wieder genauere Aus-
legungen dieser Ausnahmeklauseln bis hin zur Forderung nach Öffnung ganzer
Sektoren. Eine solche Liberalisierung würde jedoch im Kern eine Einschrän-
kung europäischer Sozialstaatlichkeit infolge begrenzter Souveränität bei der
Ausgestaltung öffentlicher Aufgaben in den Mitgliedstaaten bedeuten.

Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) hat nun in einem Brief ihres
Vorsitzenden Frank Bsirske an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
darauf aufmerksam gemacht, dass nach ihren Informationen derzeit „hinter ver-
schlossenen Türen … Vorbereitungen und Diskussionen zwischen den europäi-
schen Regierungen und der Europäischen Kommission im Rahmen der GATS-
Verhandlungen Kap XXI der Welthandelsorganisation (WTO) hinsichtlich der
Definition, des Ausmaßes und der öffentlichen Dienstleistungen (Public Utili-
ties)“ stattfinden.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wann haben Gespräche der Europäischen Kommission mit den Regierungen
der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung der GATS-Verhandlungen im Verlauf
der letzten Monate d. J. stattgefunden, und welches waren die konkreten The-
men und Ergebnisse dieser Gespräche?

Drucksache 16/1947 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Welche neuen Anforderungen gibt es an die Europäische Union und von
wem?

3. Sind von diesen Anforderungen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge
betroffen, wenn ja, welche und wie ist jeweils die Haltung der Bundesregie-
rung zu diesen Anforderungen?

4. Welche Anforderungen hat die EU alleine oder gemeinsam mit anderen an
Dritte gerichtet und an wen, und welche Erwartungen verbindet die EU mit
diesen Anforderungen?

5. Welche Anforderungen der EU betreffen Bereiche der öffentlichen Daseins-
vorsorge, und wie begründet die EU diese Anforderungen?

6. Gibt es bereits Angebote die den in Frage 5 angesprochenen Bereich berüh-
ren?

Wenn ja, welche und wie ist der Angebots- bzw. Verhandlungsstand dazu?

7. Welche Schwerpunkte setzen sich EU und Bundesregierung hinsichtlich
ihrer Anforderungen, wie sieht der Verhandlungsstand dazu aus, und welche
Schritte wird die Bundesregierung bzw. EU unternehmen, um ihre Schwer-
punktanforderungen zu erreichen?

8. Triff es zu, dass die EU-Kommission beabsichtigt, den WTO-Mitglied-
staaten Angebote oder Angebotsentwürfe im Hinblick auf geforderte Rück-
nahmen horizontaler Ausnahmeklauseln für öffentliche Dienstleistungen
vorzulegen, die in die laufende Verhandlungsrunde eingebracht werden sol-
len, und wie lauten ggf. die Begründungen für diese Angebote?

9. Welche Position(en) hat die Bundesregierung zu den Forderungen an die EU
bezüglich der Rücknahme der Ausnahmeklauseln für öffentliche Dienstleis-
tungen bzw. deren Einschränkung etwa nach sektoralen Aspekten?

10. Gibt es Sektoren, die bisher von der Ausnahmereglung für öffentliche
Dienstleistungen erfasst sind, die nach Meinung der Bundesregierung für
weitere Liberalisierungen im Rahmen von GATS angeboten werden sollen,
und falls ja, welche?

11. Ist es aus Sicht der Bundesregierung akzeptabel, wenn die EU-Kommission
sich in den laufenden Verhandlungen zum GATS darauf einlässt, Ausnah-
meklauseln für öffentliche Dienstleistungen einzuschränken und damit den
stattfindenden Diskussionsprozess zur Rolle und Bedeutung öffentlicher
Dienstleistungen in Europa präjudizieren würde?

12. Gibt es Sektoren, die nach dem gegenwärtigen Stand aus dem Geltungsbe-
reich der EU-Dienstleistungsrichtlinie ausgenommen sind, die im Rahmen
der GATS-Verhandlungen von der EU für die Liberalisierung angeboten
werden oder angeboten werden sollen bzw. für die es Anforderungen ande-
rer Staaten an die EU gibt, und wenn ja, welche?

13. Welche Dienstleistungen aus dem Umweltbereich sind nach dem gegen-
wärtigen Stand von der EU für die Liberalisierung im Rahmen von GATS
angeboten worden bzw. für welche gibt es Anforderungen anderer Staaten
an die EU?

14. Wie ist der Verhandlungsstand bezüglich der Erbringung von Dienstleistun-
gen durch zeitweise Arbeitsmigration (mode-4), und wie bewertet die Bun-
desregierung diesen?

Welche Anforderungen gibt es, und welche Angebote wird die EU dazu
machen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1947

15. Wie ist der Verhandlungsstand in der „Arbeitsgruppe zu innerstaatlicher
Regulierung“ vor allem zu den Bereichen

– Transparenz hinsichtlich staatlicher Regulierung schon im Vorfeld natio-
naler Gesetzgebungsvorhaben,

– Erarbeitung von Kriterien bezüglich der „Notwendigkeit“ staatlicher
Maßnahmen und

– gegenseitige Anerkennung von Qualifikation- und Zulassungserforder-
nissen?

16. Wie will die Bundesregierung vor dem Hintergrund der unter anderem im
Zusammenhang mit der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der politischen
Öffentlichkeit virulenten Diskussion über öffentliche Daseinsvorsorge
sicherstellen, dass über weitere Liberalisierungsverpflichtungen im Rah-
men von GATS öffentlich und im Parlament diskutiert werden kann, bevor
derartige Verpflichtungen eingegangen worden sind?

Berlin, den 22. Juni 2006

Ulla Lötzer
Dr. Barbara Höll
Hüseyin-Kenan Aydin
Heike Hänsel
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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