BT-Drucksache 16/1890

Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik

Vom 20. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1890
16. Wahlperiode 20. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Peter Götz, Dirk Fischer (Hamburg), Dr. Klaus W. Lippold,
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof), Georg Brunnhuber, Renate Blank, Wolfgang
Börnsen (Bönstrup), Hubert Deittert, Enak Ferlemann, Ralf Göbel, Bernd
Heynemann, Ernst Hinsken, Klaus Hofbauer, Norbert Königshofen, Hartmut
Koschyk, Henry Nitzsche, Dr. Joachim Pfeiffer, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Andreas
Scheuer, Ingo Schmitt (Berlin), Wilhelm Josef Sebastian, Gero Storjohann,
Volkmar Uwe Vogel, Gerhard Wächter, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Petra Weis, Sören Bartol, Uwe Beckmeyer, Christian
Carstensen, Annette Faße, Rainer Fornahl, Hans-Joachim Hacker, Stephan
Hilsberg, Ernst Kranz, Lothar Mark, Heinz Paula, Bernd Scheelen, Olaf Scholz,
Rita Schwarzelühr-Sutter, Jörg Vogelsänger, Dr. Margrit Wetzel, Heidi Wright,
Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Stadtentwicklung ist moderne Struktur- und Wirtschaftspolitik

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Städte sind die maßgeblichen Zentren der wirtschaftlichen, wissenschaft-
lichen und technologischen Entwicklung in Deutschland. In ihnen vollziehen
sich in besonderem Maße Innovation, Wachstum und Beschäftigung. Sie sind
zugleich wichtige Ankerpunkte der regionalen Entwicklung und strahlen mit
ihrer Wirtschaftskraft auf den sie umgebenden ländlichen Raum aus.

Um diese für die Standortqualität und Wettbewerbsposition Deutschlands wich-
tige Funktion der Städte in ihrer Region zu stärken, hat sich das Leitbild einer
nachhaltigen Stadtentwicklung durchgesetzt. Es verfolgt das Ziel, innovative,
flexible und ausgewogene Lösungen für die wirtschaftlichen, sozialen und um-
weltbezogenen Herausforderungen zu schaffen. Mit diesem Ansatz übernimmt
die deutsche Stadtentwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag für die Lissabon-
Strategie, die darauf abzielt, Europa und seine Regionen für Investoren und Ar-
beitskräfte attraktiv zu machen.

Der wirtschaftliche und demographische Wandel wirkt sich in besonderer Weise

auf die Städte aus. Hier konzentrieren sich immer mehr die Probleme der moder-
nen Gesellschaft. Wohnungsleerstand, Industriebrachen, wirtschaftliche und so-
ziale Ausgrenzung, ausbleibende Integration von Ausländern, Umweltver-
schmutzung und Kriminalität sind äußere Erscheinungsformen dafür.

Um in den vom Strukturwandel und demografischen Wandel betroffenen Gebie-
ten eine hoch qualifizierte und auf Dauer bezahlbare Infrastruktur vorhalten zu
können, bedarf die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung dieser Städte einer

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besonderen Förderung und Unterstützung. Dazu gehört vor allem, dass die
Attraktivität und Funktionsfähigkeit von Wohnquartieren in den Städten für
Familien mit Kindern und für ältere Menschen erhöht werden und den von ihnen
gewünschten Wohnformen mehr Raum gegeben wird. Dabei ist auch darauf zu
achten, dass entsprechende Räume für Sport und Bewegung vorgesehen sind.
Für die Ansiedlung neuer Unternehmen im innerstädtischen Bereich sind die
Nutzung von Brachflächen und die Schließung von Baulücken als Beitrag zur
Reduzierung der Flächeninanspruchnahme im Sinne einer nachhaltigen Stadt-
entwicklung gezielt zu forcieren.

Demografischer Wandel und Strukturwandel stellen somit auch die Stadt-
entwicklungspolitik vor neue Herausforderungen. Es gilt einerseits, die Folgen
zu beherrschen, und andererseits, Perspektiven für neue wirtschaftliche und
innovative Aktivitäten auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen in den
Städten zu entwickeln. Dabei sind die kommunalen Amts- und Mandatsträger,
die bürgerschaftlichen Initiativen sowie die regionalen Unternehmen die wich-
tigsten Akteure.

Auf Grundlage des Subsidiaritätsprinzips fördern Bund, Länder und Gemeinden
wichtige Stadtentwicklungsprojekte. Die Bund-Länder-Programme zur Städte-
bauförderung helfen den Kommunen zurzeit in über 1 700 Stadtquartieren, drin-
gende Investitionen in die Infrastruktur und die Modernisierung der Gebäude
auch dort in Gang zu bringen, wo sie ohne den Anstoß des Bundes unterbleiben
würden. Für die Bewohner dieser Quartiere und Städte sind sie sichtbares Zei-
chen des aktivierenden Staats. Die Städtebauförderung stabilisiert und aktiviert
vor allem die Städte, die in besonderem Maße von wirtschaftlichem Struktur-
wandel, von Arbeitslosigkeit, Wohnungsleerstand und Zuwanderung betroffen
sind. Mit den im Rahmen des Koalitionsvertrags zur Städtebauförderung ge-
machten Aussagen ist eine klare Zukunftsperspektive verbunden. Die im Ent-
wurf zum Haushaltsgesetz 2006 und in der mittelfristigen Finanzplanung der
Bundesregierung enthaltene finanzielle Stärkung der Städtebauförderung unter-
stützt dies.

Auch die Europäische Union tritt für eine Entwicklung integrierter Konzepte der
nachhaltigen Stadtentwicklung ein, damit die Städte ihren Beitrag zu Wachstum
und Beschäftigung leisten können. Hauptfinanzierungsinstrumente der EU im
stadtentwicklungspolitischen Zusammenhang sind die Strukturfonds. Am
14. Juli 2004 hatte die Europäische Kommission ihre Vorschläge zur Ausgestal-
tung und Umsetzung der EU-Strukturpolitik vorgelegt. In den strategischen
Leitlinien der Kohäsionspolitik für 2007 bis 2013 betont die EU-Kommission
die Absicht, die städtische Dimension zu stärken. In dem Arbeitsdokument der
Kommissionsdienststellen vom 23. November 2005 „Die Kohäsionspolitik und
die Städte: Der Beitrag der Städte zu Wachstum und Beschäftigung in den
Regionen“ hat die Kommission ihre Vorstellungen weiter konkretisiert. Anfang
2007 soll mit dem Start der neuen Förderperiode 2007 bis 2013 mit der Umset-
zung begonnen werden.

Hinsichtlich der Städteförderung nach 2006 durch die EU-Strukturfonds schlägt
die Europäische Kommission eine Reihe von Handlungsfeldern vor, die in
einem integrierten und partnerschaftlichen Prozess die Verbesserung der Attrak-
tivität der Städte, die Unterstützung für Innovation, unternehmerische Initiative
und wissensgestützte Wirtschaft sowie die Schaffung von mehr und besseren
Arbeitsplätzen zum Ziel haben. Die vorgeschlagenen Maßnahmen können von
den Ländern für die Erarbeitung ihrer operationellen Programme im Zusammen-
hang mit der Entwicklung von Förderstrategien in den Städten genutzt werden.
Der Beachtung des Subsidiaritätsprinzips ist auch dabei besonders Rechnung zu
tragen.
Die soziale Integration stellt eine der wichtigsten Säulen der nachhaltigen Stadt-
entwicklung dar, insbesondere dann, wenn sich soziale Problemlagen in einzel-

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nen Stadtquartieren durch einen hohen Migrantenanteil oder einen hohen Anteil
an Langzeit- und Jugendarbeitslosen konzentrieren. Die Förderung von spezi-
fischen Maßnahmen zur Verbesserung der sozialen Eingliederung von Migran-
ten und die Erhöhung ihrer Erwerbsbeteiligung, u. a. durch Beratung und
Sprachschulung, bilden wichtige Instrumente der Integrationspolitik. Zudem
muss die soziale Eingliederung von benachteiligten Personen sowie von Schul-
abbrechern durch gezielte Maßnahmen gefördert werden, um deren Chancen auf
Beschäftigung zu erhöhen.

Hierbei hat sich insbesondere das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds
(ESF) finanzierte Programm „Lokales Kapital für Soziale Zwecke – (LOS)“ be-
währt, das in ausgewählten Fördergebieten die Beschäftigungsfähigkeit von be-
sonders benachteiligten Menschen fördert und den sozialen Zusammenhalt
stärkt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft 2007 unter Einbeziehung der
Habitat-Agenda die in Deutschland entwickelten Lösungen für eine nachhal-
tige, integrative Stadtentwicklung als Beitrag für die Lissabon-Agenda ein-
zubringen;

● die Funktion einer nachhaltigen Stadtentwicklung im Sinne der Lissabon-
Strategie in dem deutschen Nationalen Strategischen Rahmenplan als Quer-
schnittsaufgabe zu berücksichtigen;

● die Länder einzuladen, dass entsprechend den stadtentwicklungspolitischen
Herausforderungen die im Artikel 8 der Verordnung des Europäischen Parla-
ments und des Rates über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung
vorgesehenen Fördermöglichkeiten in den neuen und alten Ländern in die
operationellen Programme Eingang finden und in breitem Umfange genutzt
werden;

● im Rahmen von ESF-Bundesprogrammen den Erfordernissen einer nachhal-
tigen europäischen Stadtentwicklung durch eine eigene Handlungspriorität
Rechnung zu tragen;

● die Innenentwicklung der Städte und Gemeinden dadurch zu erleichtern, dass
das Bau- und Planungsrecht vereinfacht und beschleunigt wird. Durch die ge-
zielte Stärkung der Innenentwicklung der Städte sollen die Flächenpotentiale
durch Wiedernutzung, Nachverdichtung und andere Maßnahmen besser aus-
geschöpft werden;

● innovative Modellvorhaben für den familien- und altengerechten Umbau von
Stadtquartieren und städtischer Infrastruktur zu entwickeln und zu kommuni-
zieren;

● mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden gemeinsam zu klären,
inwieweit integrierte, bereichsübergreifende Konzepte zur Stadtentwicklung
verstärkt angewandt und gefördert werden können;

● darauf hinzuwirken, dass andere Fördermöglichkeiten mit stadträumlichem
Bezug besser mit den Programmen der Städtebauförderung gebündelt werden;

● Modelle zu erproben, wie arbeitsmarktpolitische Leistungen in Entwick-
lungsstrategien für Stadtquartiere integriert werden können, um so Beschäf-
tigungswirkungen zu erzielen;

● zusammen mit den Ländern eine gemeinsame Position zu neuen Formen der
Selbstorganisation für BID’s (Business Improvement Districts) und ISG’s
(Immobilien- und Standortgemeinschaften) zu entwickeln;

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● die zentralen Versorgungsbereiche der Städte und Gemeinden im Interesse
einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung zu stärken;

● darauf hinzuwirken, die Träger der technischen und sozialen Infrastruktur
besser in den Stadtumbauprozess einzubinden. Das gilt insbesondere bei Er-
stellung und Fortschreibung der städtebaulichen Entwicklungskonzepte;

● neue Konzepte zur stadtverträglichen Mobilität – vor dem Hintergrund des
demographischen Strukturwandels, notwendiger Ressourceneffizienz und
verstärkter Anforderungen an Umwelt- und Gesundheitsschutz – zu ent-
wickeln und voranzutreiben.

Berlin, den 20. Juni 2006

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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