BT-Drucksache 16/1884

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/750, 16/1324, 16/1325, 16/1326, 16/1348 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006 (Haushaltsgesetz 2006)

Vom 20. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1884
16. Wahlperiode 20. 06. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Anja Hajduk, Alexander Bonde, Anna Lührmann, Irmingard
Schewe-Gerigk, Josef Philip Winkler, Margareta Wolf (Frankfurt) und der Fraktion
BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/750, 16/1324, 16/1325, 16/1326, 16/1348 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2006
(Haushaltsgesetz 2006)

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Falsche Weichenstellung im Bundeshaushalt 2006

1. Der Beschluss des Haushaltsausschusses zum Bundeshaushalt 2006 weist
eine Nettokreditaufnahme von 38,2 Mrd. Euro aus (+7 Mrd. Euro gegenüber
dem Ist-Ergebnis von 2005), Ausgabensteigerungen gegenüber dem Vorjahr
von 1,8 Mrd. Euro und eine Absenkung der Investitionsquote auf 8,9 Prozent
(–0,2 Prozentpunkte gegenüber 2005). Die Große Koalition hat die Beratun-
gen zum Bundeshaushalt 2006 nicht genutzt, um die positive wirtschaftliche
Entwicklung mit steigenden Steuereinnahmen (+3,7 Mrd. Euro gegenüber
den Planungen 2005) für eine haushaltspolitische Konsolidierungspolitik zu
nutzen. Deshalb engt der vorliegende Beschluss zum Haushalt 2006 den Ge-
staltungsspielraum zukünftiger Generationen erheblich ein.

2. Die Koalition der Fraktionen der CDU/CSU und SPD hat die haushalts-
politischen Risiken in diesem Bundeshaushalt nicht entschärft, sondern in die
Zukunft verlagert. Die drei Prozentpunkte Erhöhung des allgemeinen
Umsatzsteuersatzes und des Regelsatzes der Versicherungssteuer im kom-
menden Haushaltsjahr fließen komplett in die Haushaltslöcher, da die
Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung durch beschlossene
Beitragssatzsteigerungen und erhebliche Beitragssatzrisiken in der gesetz-
lichen Kranken- und Rentenversicherung aufgezehrt wird. Anstatt eines auf-
wendigen Nullsummenspiels bei den Lohnnebenkosten ist im Gegenteil ge-
rade ein eindeutiges Signal für eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen
Sicherungssysteme – insbesondere der versicherungsfremden Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung – geboten. So können Lohnnebenkos-
ten real gesenkt werden und somit Impulse für mehr Arbeitsplätze entstehen.
Die fehlende Konsolidierung im Haushalt 2006, die massive Ausweitung der

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Nettokreditaufnahme, die Mehrwertsteuererhöhung im kommenden Jahr und
das zu erwartende Nullsummenspiel bei den Sozialversicherungsbeiträgen
bremsen die wirtschaftliche Belebung in Deutschland.

3. Die regierungstragenden Fraktionen haben am Regierungsentwurf ideen-
und kraftlos lediglich marginale Veränderungen vorgenommen. Einzig nen-
nenswert und dann auch noch politisch falsch ist die zweifelhafte Transaktion
bei den Arbeitsmarktausgaben. Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld II aus
dem Eingliederungsetat für Langzeitarbeitslose zu finanzieren, behindert das
„Fördern“ und weist arbeitsmarktpolitisch und damit auch haushaltspolitisch
genau in die falsche Richtung.

Durch gezielte Anstrengungen, konkrete Konsolidierung und Haushaltsdisziplin
lassen sich durch verschiedene Maßnahmen in jedem Ministerium in der Summe
große Etatverbesserungen realisieren. Kurzfristig umsetzbar im laufenden Haus-
haltjahr sind Ausgabenkürzungen in einer Höhe von rund 2,3 Mrd. Euro. Durch
den Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen ist darüber hinaus
eine kurzfristige Verbesserung des Haushalts 2006 um weitere 2 Mrd. Euro
möglich, aufwachsend auf rund 4,5 Mrd. Euro in kommenden Haushaltsjahren.
Durch Einsatz der Steuermehreinnahmen nach der Mai-Steuerschätzung in
Höhe von 1,5 Mrd. Euro ist es möglich, die Nettokreditaufnahme auf 33 Mrd.
Euro zu begrenzen. Damit ist es machbar, einen Haushalt zu beschließen, der die
Vorgaben des Maastricht-Vertrags erfüllt.

Ausgaben senken

1. Das Bundesministerium der Verteidigung wird aufgefordert, die Bundeswehr
konsequent an den realen Einsatzszenarien auszurichten. Dazu gehört eine
Überarbeitung der Beschaffungsvorhaben mit dem Ziel, industriepolitisch
motivierte Luxus-Beschaffungsprojekte zu beenden. Rüstungsprojekte wie
Pars 3 und die IRIS-T-Integration für Meads sind gänzlich verzichtbar. Bei
den Großprojekten Eurofighter, NH 90, Tiger und A 400M sind die Stückzah-
len zu reduzieren.

Die teure und sicherheitspolitisch unsinnige Wehrpflicht muss langfristig
ausgesetzt werden und ist schrittweise zu reduzieren. Die vom neuen Vertei-
digungsminister geplante Abkehr von der in der Bundeswehrreform festge-
legten Einberufungspraxis ist zu verwerfen.

2. Die Pläne für den Umzug des Bundesnachrichtendienstes (BND) von Pullach
nach Berlin sind einer grundlegenden Neubewertung zu unterziehen. Dabei
hat die Funktionalität des BND auf der einen Seite und ein vertretbares
Kosten-Nutzen-Verhältnis auf der anderen Seite im Mittelpunkt zu stehen.
Von den derzeitigen Plänen – ein fauler und teurer Kompromiss – welche den
Steuerzahler einen mindestens dreistelligen Millionenbetrag zusätzlich
kosten, wird Abstand genommen.

3. Der organisatorische Umbau verschiedener Ministerien durch die neue
Regierung sowie die Neubeschäftigung ganzer Stäbe neuer Mitarbeiter bis
hin zu einer ganzen Reihe neuer Staatssekretäre verursachen deutlich spür-
bare Personalkosten. Unter ausdrücklicher Einbeziehung dieses Zuwachses
ist die Maßgabe der Stelleneinsparung im vorliegenden Haushaltsgesetz in
vollem Umfang einzulösen.

Konsequenter Subventionsabbau

Sowohl Ausgabenkürzung als auch Einnahmeverbesserungen sind notwendig,
um das strukturelle Defizit im Bundeshaushalt abzubauen.

1. Zur Verbesserung der Einnahmenseite können kurzfristig durch Subventions-
abbau Mehreinnahmen von rund 1,2 Mrd. Euro realisiert werden. Dazu zäh-

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len unter anderem die Reduzierung der Pendlerpauschale auf 15 Cent (Mehr-
einnahmen von circa 450 Mio. Euro in 2006), die Abschaffung der Steuer-
befreiung für Kerosin (200 Mio. Euro im Jahr 2006) und das Abschmelzen
der Steuervergünstigungen für das Produzierende Gewerbe bei der Ökosteuer
(400 Mio. Euro im Jahr 2006). Mittelfristig sind hier Mehreinnahmen von
circa 4,5 Mrd. Euro zu erzielen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, zur
weiteren Umsetzung die notwendigen Gesetzesänderungen einzubringen.

2. Der Bund zahlt zuviel bei der Förderung heimischer Kohle. Nicht tragbar ist,
dass seit Jahren der Weltmarktpreis für Kohle steigt, gleichzeitig die Absatz-
beihilfen des Staates jedoch in gleicher Höhe aufrechterhalten bleiben. Des-
halb wird ein neuer Einnahmetitel für die Rückzahlung von Absatzbeihilfen
geschaffen. Auf diesen Titel muss die RAG AG die zuviel erhaltenen Sub-
ventionen in Höhe von 822,04 Mio. Euro an den Bund zurückzahlen.

Zukunftsinvestitionen stärken

Der Deutsche Bundestag spricht sich gegen eindimensionale Sparpolitik aus, die
keine positiven Impulse zur Lösung zukünftiger Herausforderungen setzt. Mit
Blick auf die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte ist zwar eine Konso-
lidierung auf der Ausgaben- und eine Verbesserung auf der Einnahmenseite ge-
boten, gleichzeitig müssen jedoch auch zukunftsweisende Prioritäten gesetzt
werden. Daher sind die nachstehenden Projekte insgesamt gegenfinanziert. Fol-
gende Prioritäten müssen gesetzt und die gesetzlichen Grundlagen für deren
Umsetzung geschaffen werden:

1. Kinder- und Familienpolitik: Vorfahrt für den Infrastrukturausbau

Mit der Umwandlung des Privilegs des Ehegattensplittings in eine Indi-
vidualbesteuerung mit einem übertragbaren Höchstbetrag in Höhe von
10 000 Euro für Unterhaltspflichten unter Ehe- und Lebenspartnern können
Bund, Länder und Kommunen 5 Mrd. Euro Mehreinnahmen generieren. Die-
ses Geld muss in den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für unter Dreijäh-
rige investiert werden.

2. Entwicklungszusammenarbeit: 0,7-Prozent-Ziel einhalten

Deutschland hat sich verpflichtet, ab dem Jahr 2015 jährlich mindestens
0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungszusammenarbeit
und humanitäre Hilfe bereitzustellen. Die Bundesregierung wird aufgefor-
dert, dieses Ziel ressortübergreifend einzuhalten und auch der Krisenpräven-
tion und der Förderung interkultureller Beziehung einen hohen Stellenwert
einzuräumen.

3. Ökologische Modernisierung: Zug um Zug weg vom Öl

a) Mit Hilfe der Regionalisierungsmittel unterstützt der Bund die Länder bei
der Bereitstellung eines attraktiven Nahverkehrsangebots. So konnte seit
der Bahnreform der Nahverkehr um 20 Prozent bei Verkehrsleistung und
um 30 Prozent bei der Anzahl der Fahrgäste wachsen. Diese Entwicklung
soll fortgesetzt werden. Der weitere Ausbau des umwelt- und klima-
freundlichen öffentlichen Verkehrsträgers und die Steigerung der Markt-
anteile des Schienenpersonennahverkehrs dürfen nicht wie geplant abge-
baut, sondern müssen gestärkt werden.

b) Wer Effizienztechnologie und erneuerbare Energien heute entwickelt, hält
den Schlüssel für die Lösung der Energiefrage von morgen in der Hand.
Dies ist Kern der Strategie „Weg vom Öl“. Im Bildungs- und Forschungs-
bereich werden deshalb die Grundlagenforschung für erneuerbare Ener-
gien und Energiespeicherung sowie die Erforschung von Energie lei-
tenden und umformenden Materialien mit jeweils 25 Mio. Euro
vorangetrieben.

Drucksache 16/1884 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
c) In der ländlichen Entwicklung ist eine Förderpolitik erforderlich, die
nachhaltige Lebensmittelproduktion, nachwachsende Rohstoffe, erneuer-
bare Energien, Tourismus, modernes Handwerk und Dienstleistungen statt
agroindustrieller Großproduktion stärkt. In diese Richtung müssen die
Agrarhaushalte sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene umgeschichtet
werden. Die Kürzungen im Bundeshaushalt in Höhe von 50 Mio. Euro bei
der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) gehen
in die falsche Richtung. Diese deutliche Schwächung der nachhaltigen
Entwicklung des ländlichen Raums ist deshalb zurückzunehmen.

4. Integrationspolitik: Gesellschaftliches Zusammenleben stärken

Verbesserungen in der Qualität und der Anzahl der Integrationskurse sowie
die dringend erforderliche Ausweitung des Teilnehmerkreises sind zentrale
Aufgabe zur Förderung und Stärkung der Integration. Die Mittel für die
Sprach- und Integrationskurse verbleiben deshalb auf dem Stand des letzten
Jahres. Die von der Bundesregierung geplante Kürzung bei den Integrations-
mitteln um 32 Prozent wird zurückgenommen.

Berlin, den 20. Juni 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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