BT-Drucksache 16/1877

Elterngeld sozial gestalten

Vom 20. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1877
16. Wahlperiode 20. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, Diana Golze,
Elke Reinke und der Fraktion DIE LINKE.

Elterngeld sozial gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die von der Bundesregierung geplante Einführung einer Lohnersatzleistung
als Elterngeld ist als neuer Baustein der familienpolitischen Leistungen in
Deutschland grundsätzlich zu begrüßen. Das bisherige Erziehungsgeld ist in
vielfacher Hinsicht unzureichend, es verfestigt das traditionelle Familien-
ernährermodell, stellt für Väter eine Hürde dar, Erziehungsverantwortung tat-
sächlich wahrzunehmen und ist gerade für Mütter ein Einstieg in Abhängig-
keit und spätere Einkommensarmut. Die Ausgestaltung des Elterngeldes als
Lohnersatzleistung wird daher grundsätzlich unterstützt.

2. Die Neuorientierung der Familienpolitik darf aber nicht aus einer Umvertei-
lung von Arm nach Reich bestehen. Die Finanzierung der Lohnersatzleistung
Elterngeld (von der hauptsächlich Besserverdienende profitieren werden) zu
Lasten einkommensschwacher Familien und Alleinerziehender wird deshalb
abgelehnt. Gerade Armut und Abhängigkeit muss in der ersten Zeit der Fami-
lienphase vermieden werden – dies sicherzustellen ist Teil öffentlicher Ver-
antwortung für Familien.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, noch vor In-
Kraft-Treten des Gesetzes am 1. Januar 2007 die Konzeption des Elterngeldes
um folgende Punkte zu ergänzen:

1. Die Schlechterstellung früherer Bezieherinnen und Bezieher von Erziehungs-
geld gegenüber dem geplanten Mindestelterngeld wird, solange es kein ar-
mutsfestes Mindestelterngeld oberhalb der Pfändungsgrenzen der Zivilpro-
zessordnung gibt, durch folgende Maßnahmen aufgehoben: Der Bezug des
Sockelbetrages von 300 Euro wird für 24 Monate ermöglicht. Der Bezug von
Arbeitslosengeld II und der Kinderzuschlag bleibt vom Elterngeldbezug un-
berührt.

2. a) Im Gesetz zu regeln, dass im Regelfall von einer hälftigen Aufteilung des
14- bzw. 24-monatigen (Sockelbetrag) Elterngeldanspruchs auf beide sorge-

berechtigten Elternteile ausgegangen wird. Die Übertragung des eigenen
Anspruchs auf das andere Elternteil ist für fünf Monate des eigenen Leis-
tungsanspruchs möglich. Alleinerziehende erhalten den vollen Elterngeld-
anspruch beider Elternteile.

b) Gleichzeitig wird für Väter ein Anspruch auf 10 Arbeitstage Sonderurlaub
bei voller Lohnfortzahlung aus Anlass der Geburt eines Kindes im Mut-

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terschutzgesetz verankert. Dieser kann im Zeitraum von 4 Wochen vor bis
8 Wochen nach dem voraussichtlichen Entbindungstermin in Anspruch
genommen werden.

c) Die Höchstfrist, in der der Kündigungsschutz für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, die Elternzeit beantragen, greift, ist auf 12 Wochen zu er-
höhen (§ 18 Abs. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes – BErzGG).

Berlin, den 19. Juni 2006

Jörn Wunderlich
Karin Binder
Klaus Ernst
Diana Golze
Elke Reinke
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

I. Das bisherige Erziehungsgeld sollte nach den ursprünglichen Vorstellungen
des Gesetzgebers einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase
eines Kindes diesem zu widmen. Gleichzeitig wurde so aber das sozialpoliti-
sche Modell der traditionellen Ernährerehe gefördert: „Dadurch kann die
Mutter weiterhin vorrangig zu Hause bleiben, um sich neben der Betreuung
des Kindes gesundheitlich zu regenerieren.“ (Bundesratsdrucksache 350/85,
S. 13). In der sozialen Realität hat die Ausgestaltung des jetzigen Erziehungs-
geldes und der Elternzeit auch zu einer Verfestigung der traditionellen Rol-
lenverteilung geführt. Die Entscheidung für ein Kind ist in Deutschland heute
immer auch eine Entscheidung über die Erwerbstätigkeit der Frau (Kühn/
Palme, Elterngeld und Elternzeit. Ein Erfahrungsbericht aus Schweden, 2005,
S. 4). Die Elternzeit wurde nach einer Studie im Auftrag des Bundesministe-
riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nur von 4,9 Prozent der Väter
(4,7 Prozent davon in Teilzeitarbeit gleichzeitig mit der Mutter), aber 99,8 Pro-
zent der elternzeitberechtigten Mütter in Anspruch genommen (Bericht über
die Auswirkungen der §§ 15 und 16 Bundeserziehungsgeldgesetz, 2004, Bun-
destagsdrucksache 15/3400, S. 19, 15). Junge Männer sehen vor allem finan-
zielle Erwägungen und Angst vor beruflichen Nachteilen als Hindernisse für
die Inanspruchnahme von Elternzeit und Erziehungsgeld (Allensbach, Ein-
stellungen junger Männer zu Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlich-
keit im Betrieb, 2005, S. 6). Auch andere Studien belegen, dass finanzielle
Zwänge nach der Geburt eines Kindes eine partnerschaftliche Aufteilung der
Familienarbeit erschweren. Dieses Familienmodell lässt jungen Paaren kaum
Raum für eine gleichberechtigte Aufteilung von Erwerbs- und Familienpflich-
ten. Wenn ein Elternteil die Berufstätigkeit zumindest teilweise unterbrechen
muss, ist es in der Regel nicht der Mann, dessen Einkommen weniger ver-
zichtbar ist. Die Familiengründung geht daher mit einer langjährigen Unter-
brechung oder Reduzierung der Erwerbstätigkeit der Mutter einher, ihre Ein-
kommenseinbußen werden durch das Erziehungsgeld aber in der Regel nicht
aufgefangen. Vor diesem Hintergrund und der aktuellen Arbeitsmarktsituation
verwundert es nicht, dass immer mehr junge Menschen keine Kinder bekom-
men. Denn die finanzielle Absicherung nach der Geburt eines Kindes, vor al-
lem von berufstätigen Frauen und von Alleinerziehenden, ist unzureichend.

Das Elterngeld ist daher als gleichstellungspolitische Maßnahme zu begrüßen,
durch die Ausgestaltung als Lohnersatzleistung verhindert es die Abhängig-

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keit vorher berufstätiger Frauen vom Partner und ermöglicht Vätern,
Elternverantwortung wahrzunehmen anstatt aus ökonomischer Notwen-
digkeit und der sozialen Rollenzuweisung heraus die Ernährerrolle ein-
nehmen zu müssen. Bereits im Jahr 2000 hat die damalige Bundestags-
fraktion der PDS ein entsprechendes Konzept einer Lohnersatzleistung
vorgelegt (Bundestagsdrucksache 14/2759). Obwohl es 6 Jahre gedauert
hat, ist zu begrüßen, dass die damals und heute gültigen familien- und
gleichstellungspolitischen Überlegungen nun auch parteiübergreifend
mehrheitsfähig geworden sind. Die Verbesserung der Situation berufstäti-
ger Paare und die Gleichstellungsorientierung der neuen Leistung darf
nach unserer Überzeugung aber nicht durch Kürzungen und Einsparun-
gen bei Erwerbslosen und Geringverdienenden finanziert werden.

II. 1. Das Erziehungsgeld wird bisher in zwei Festbeträgen von 300 Euro (bei
zwei Jahren Bezugsdauer) bzw. 450 Euro (bei einem Jahr Bezugsdauer)
monatlich für jedes Kind gewährt. Durch die im Laufe der Jahre ver-
schärfte Einkommensanrechnung und die fehlende Erhöhung der Leis-
tung seit 20 Jahren erhalten hauptsächlich Familien mit niedrigem oder
durchschnittlichem Haushaltseinkommen Erziehungsgeld. Die derzeitige
Elterngeldkonzeption der Bundesregierung bedeutet eine Verschlechte-
rung gegenüber diesem Status Quo für Arbeitslose oder Menschen mit
geringem Erwerbseinkommen. Durch die Begrenzung des Leistungsbe-
zugs auf maximal 14 Monate Bezugsdauer wird für einkommensschwache
Familien eine finanzielle Einbuße von maximal 3 000 Euro (bzw. 10 Mo-
naten Leistungsbezug) bewirkt. Um dies zu vermeiden, ist nicht lediglich
die Möglichkeit der längeren Auszahlung einer gekürzten Summe, son-
dern die Ausweitung der Bezugsdauer des Sockelbetrages in Höhe von
300 Euro auf 24 Monate erforderlich.

2. a) Die Ansprüche gelten grundsätzlich individuell für die Berechtigten.
Damit soll erreicht werden, dass Kinderbetreuung nicht nur Frauen,
sondern auch Männern zugeordnet wird. Die Debatte um die „Väter-
monate“ hat gezeigt, wie stark die Vorstellung, Kindererziehung sei
Müttersache, noch in den Köpfen verankert ist. Ein Gesetz, welches
tatsächlich Anreiz und Möglichkeit für partnerschaftlich-egalitäre
Lebensentwürfe bieten soll, kann nicht nur theoretischen Rollentausch
der Geschlechter ermöglichen, sondern muss die partnerschaftliche
Aufteilung der Familienarbeit zum Regelfall erklären. Von einem
Gesetz, das Männern einen individuellen Anspruch gewährt, ist zu
erwarten, dass es für Väter Argumente für eine partnerschaftliche
Beteiligung an der Kinderbetreuung liefert und damit das „Arbeits-
marktrisiko Kind“ etwas gerechter zwischen den Geschlechtern ver-
teilt. Um Ausnahmefällen gerecht zu werden, ist eine Übertragbarkeit
von fünf Monaten des eigenen Anspruchs zunächst möglich, Alleiner-
ziehende erhalten grundsätzlich den vollen Elterngeldanspruch.

b) Die Stärkung der Erziehungsbeteiligung von Vätern wird auch durch
einen im Mutterschutzgesetz verankerten „Väterschutz“ befördert.

c) Die vorgeschlagene Fristverlängerung im Bundeserziehungsgeldge-
setz korrigiert einen auch von der Bundesregierung als korrektur-
bedürftig angesehenen Zustand (Bundestagsdrucksache 16/1010), in
dem insbesondere Vätern aufgrund der Fristgleichheit exakt ein Tag,
genau 8 Wochen vor Antritt, bleibt, um durch Kündigungsschutz
abgesichert Elternzeit zu beantragen. Die Fristverlängerung für die
Gewährung des Kündigungsschutzes ist geeignet, die Erziehungs-
beteiligung von Vätern zu erhöhen.

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