BT-Drucksache 16/1861

Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz ist der falsche Weg

Vom 20. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1861
16. Wahlperiode 20. 06. 2006

Antrag
der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Birgit Homburger, Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Sibylle Laurischk, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Michael Link
(Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Bürokratie schützt nicht vor Diskriminierung – Allgemeines Gleichbehandlungs-
gesetz ist der falsche Weg

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag tritt mit aller Entschiedenheit für den Abbau von Dis-
kriminierung und Intoleranz ein. Benachteiligungen müssen beseitigt und die
Rechte von Minderheiten gestärkt und geschützt werden. Gleiche Rechte und
gleiche Chancen für alle Bürger, und das unabhängig von ihrer ethnischen Her-
kunft, ihrem Geschlecht, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinde-
rung, ihres Alters oder ihrer sexuellen Identität müssen garantiert werden. Jeder
muss seine individuelle Lebensform frei von gesellschaftlichen und staatlichen
Zwängen leben können. Diesem Ziel fühlt sich der Deutsche Bundestag seit
jeher in besonderer Weise verpflichtet.

Der Abbau von Diskriminierungen lässt sich aber nicht nur per Gesetz ver-
ordnen. Er ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Was wir brauchen ist eine
Veränderung des Bewusstseins. Wir müssen eine Kultur des Miteinanders ent-
wickeln, in der Diskriminierung und Vorurteile geächtet und Vielfalt und Un-
terschiedlichkeit nicht nur akzeptiert und toleriert, sondern als Bereicherung
empfunden werden.
Der Deutsche Bundestag steht für EU-Vertragstreue. Daraus folgt, dass die EU-
Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht umzusetzen sind. Dabei
muss sichergestellt werden, dass die mit den Richtlinien verbundenen Zielset-
zungen auch tatsächlich erreicht werden.

Der Deutsche Bundestag fordert eine 1:1-Umsetzung der EU-Antidiskrimi-
nierungsrichtlinien in deutsches Recht, d. h., das Gesetz soll sich eng an dem
Regelungsgehalt der Richtlinien orientieren. Das von der Bundesregierung vor-

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gelegte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geht über den Regelungsgehalt
der EU-Richtlinien hinaus. Die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat in ihrer
Regierungserklärung vom 30. November 2005 erklärt: „Wir haben uns vorge-
nommen, die EU-Richtlinien im Grundsatz nur noch 1:1 umzusetzen. Wenn wir
uns zusätzlich zu dem, was wir in Europa vereinbaren – das ist oft schon büro-
kratisch genug; das muss ich leider sagen –, Lasten aufbürden, dann haben wir
gegenüber unseren europäischen Mitbewerbern keine fairen Chancen.“ Es ist
bedauerlich, wie schnell die Bundesregierung ihre eigenen Versprechen gebro-
chen hat. Die Bundesregierung will an der Überregulierung in vielen Bereichen
des Lebens festhalten. Das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz belastet insbe-
sondere die Wirtschaft mit zusätzlicher Bürokratie, gefährdet Arbeitsplätze und
bringt für die Bürgerinnen und Bürger große Rechtsunsicherheit.

– Der Gesetzentwurf fordert von den Arbeitgebern neben Maßnahmen im Rah-
men der beruflichen Aus- und Fortbildung auch ausdrücklich vorbeugende
Maßnahmen. Dies bedeutet für Arbeitgeber zusätzliche Kosten und weitere
Bürokratie. Die Aufforderung an den Arbeitgeber, Aus- und Fortbildungs-
veranstaltungen zum Thema Antidiskriminierung durchzuführen steht im
eklatanten Widerspruch zu den in der Einleitung des Gesetzentwurfs be-
schriebenen Folgekosten des Gesetzes für Unternehmen. Dort heißt es, dass
Unternehmen aus der Anwendung des Gesetzes zusätzliche Kosten nur dann
entstehen, wenn sie im Geschäftsverkehr unzulässige Unterscheidungen we-
gen der vom Gesetz genannten Merkmale vornehmen. Kosten entstehen den
Unternehmen aber auch ohne Verstoß gegen das Gesetz.

– Arbeitgeber werden künftig jeden einzelnen Vorgang sorgfältig dokumentie-
ren müssen im Hinblick auf mögliche juristische Auseinandersetzungen. Nur
so können sie später belegen, dass sie die vom Gesetz als Pflichtverletzung
begriffene Benachteiligung nicht zu vertreten haben. Dies gilt von der ersten
Stellenausschreibung über die Ablehnung einer Bewerbung bis hin zur Be-
endigung des Arbeitsverhältnisses und darüber hinaus. Der hierdurch entste-
hende bürokratische Aufwand ist für die Arbeitgeber groß, da sich die durch
den präventiven Schutz ergebenden Dokumentationsobliegenheiten durch
das gesamte Arbeitsleben ziehen. Einem vertrauensvollen Miteinander von
Arbeitnehmern und Arbeitgebern dienen solche Maßnahmen nicht.

– Künftig soll bei fehlendem Betriebsrat einer im Betrieb vertretenen Gewerk-
schaft erlaubt sein, gegen den Arbeitgeber gerichtlich vorgehen zu können
und das sogar gegen den Willen des Betroffenen. Diese falsch verstandene
Fürsorgepflicht ist in Wirklichkeit eine Bevormundung der Interessen des Ar-
beitnehmers. Es bedeutet für Arbeitgeber ein unkalkulierbares Prozessrisiko.
Schon heute kann der Betriebsrat gegen den Arbeitgeber bei groben Verstö-
ßen gegen die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten vorgehen.

– Das ohnehin überregulierte Kündigungsschutzrecht wird durch das Allge-
meine Gleichbehandlungsgesetz weiter verkompliziert. Künftig soll neben
den allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz auch
noch der spezielle Kündigungsschutz des Allgemeinen Gleichbehandlungs-
gesetzes treten. Die wechselseitige Überlagerung der beiden Regelungsberei-
che wird schwerwiegende Abgrenzungs- und Überschneidungsprobleme zur
Folge haben. Es besteht daher die Gefahr, dass Arbeitnehmer bei einer
Kündigung neben der Kündigungsschutzklage nach dem Kündigungsschutz-
gesetz auch noch eine vermeintliche Diskriminierung geltend machen. Es
wird daher jede Kündigung zusätzlich auf Diskriminierungsfreiheit zu prüfen
sein. Dieser besondere Kündigungsschutz gilt dann auch für kleinere Unter-
nehmen, die der Gesetzgeber extra vom Anwendungsbereich des Kündi-
gungsschutzgesetzes ausgenommen hat.
– Die Regelungen über die Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände
gehen zu weit. Die Richtlinien verlangen nur, dass sich die Verbände an der

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Durchsetzung von Ansprüchen beteiligen können. Der Gesetzentwurf räumt
den Verbänden darüber hinaus die Möglichkeit ein, in gerichtlichen Verfah-
ren als Bevollmächtigte aufzutreten. Antidiskriminierungsverbände werden
von dem Verbot der außergerichtlichen und gerichtlichen Rechtsberatung
freigestellt. Hier ergeben sich große Probleme hinsichtlich der fachlichen und
persönlichen Qualifikation solcher Verbände. Zudem ist die Missbrauchs-
gefahr durch diese Regelung sehr hoch. Die Verbände werden ein Eigeninte-
resse daran haben, möglichst viele Diskriminierungsprozesse zu führen, um
Einnahmen zu erwirtschaften und damit ihre Existenz zu sichern.

– Große Rechtsunsicherheit bringt der Gesetzentwurf im Zivilrecht. Der Ge-
setzentwurf beschränkt sich im Zivilrecht zwar weitgehend auf sog. Massen-
geschäfte. Er definiert jedoch nicht, was darunter konkret zu verstehen ist.
Insbesondere für Vermieter, die mehrere Wohnungen anbieten, ist derzeit
nicht absehbar, ob das Gesetz für sie anwendbar ist oder nicht. Ausgehend
von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs könnte es sich bereits bei der
Vermietung von drei Wohnungen um ein Massengeschäft handeln. Hier wird
den Gerichten die Aufgabe zukommen, klare Kriterien zu benennen und die
Gesetzeslücken auszufüllen. Der Gesetzgeber gibt damit seine ureigenste
Aufgabe aus der Hand, klare und bestimmbare Gesetze zu schaffen.

– Die geplante Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird weitaus größer als
die Richtlinien dies vorsehen. Insgesamt wird der Aufwand für Berichte,
Fortbildungen u. Ä. mindestens doppelt so hoch, wie von den Richtlinien ge-
fordert. Die Bundesbehörden sind künftig verpflichtet, die Antidiskriminie-
rungsstelle des Bundes zu unterstützen und ihr die erforderlichen Auskünfte
zu erteilen. Dadurch wird neue Bürokratie geschaffen. Für die neue Behörde
schätzt der Gesetzentwurf die jährlichen Kosten auf ca. 5,6 Mio. Euro. Statt
eine neue Behörde zu schaffen, wäre die inhaltliche Stärkung der bisher
schon vorhandenen Beauftragten der Bundesregierung ausreichend gewesen.

– Zusätzlich zur Errichtung einer Antidiskriminierungsstelle sieht der Gesetz-
entwurf die Berufung eines Beirats vor. Dem Beirat sollen 16 Mitglieder und
16 stellvertretende Mitglieder angehören. Die Mitglieder des Beirats sollen
Anspruch auf Aufwandsentschädigung sowie Reisekostenvergütung, Tage-
gelder und Übernachtungsgelder haben. Hierdurch kommen auf den Bund
beträchtliche Kosten zu.

All diese Maßnahmen bilden eine zusätzliche bürokratische und unproduktive
Belastung. In der jetzigen wirtschaftlich schwierigen Lage entsteht für die Un-
ternehmen, und gerade für kleinere und mittlere Unternehmen, eine Bürokratie-
last, die sie Zeit, Geld und Arbeitskraft kosten wird. Bundespräsident Horst
Köhler hat dazu am 7. Juni 2006 ausgeführt: „Jetzt kann sich die Republik nicht
erlauben, neue bürokratische Hemmnisse aufzubauen.“ Sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitsplätze werden dadurch weiter abgebaut und Neueinstellungen
verhindert und das Betriebsklima eines jeden Betriebes unnötig belastet. Sehr
problematisch ist der Schutz vor Altersdiskriminierung im Arbeitsrecht. Das
Arbeitsrecht sichert bereits heute den Schutz älterer Mitarbeiter durch lange
Kündigungsfristen, tarifliche Unkündbarkeit und besondere Gewichtung des
Lebensalters beim Kündigungsschutz. Diese rechtliche Privilegierung von
Älteren schlägt in faktische Diskriminierung um, wenn Arbeitgeber ältere
Arbeitslose nicht mehr zum Vorstellungsgespräch einladen, um die Gefahr
eines Diskriminierungsvorwurfs von vornherein auszuschließen.

Der Gesetzentwurf greift schwerwiegend in die Abschluss- und Gestaltungs-
aspekte der Vertragsfreiheit ein. Im Zivilrecht gilt grundsätzlich Vertrags-
freiheit und damit das Recht, keine Gründe dafür benennen zu müssen, einen
Vertrag abzuschließen oder zu verweigern. Es ist der Vertragsfreiheit fremd,

dem Einzelnen vorzuschreiben, welche Gesichtspunkte für den Abschluss oder
die Gestaltung eines Vertrages maßgeblich sein dürfen. Die Bundesministerin

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der Justiz, Brigitte Zypries, erklärte in einer Rede am 24. Juni 2004: „Im Privat-
recht aber können wir gerade nicht davon ausgehen, dass bereits die Unter-
scheidung als solche auf einen Missbrauch hinweist. Die Freiheit der Bürgerin-
nen und Bürger in einem liberalen Staat besteht auch und gerade darin,
Unterschiede zu machen und ungleich behandeln zu dürfen. (…) Gelegentlich
sollten wir uns an den Satz von Montesquieu erinnern, der gesagt hat: ,Wenn es
nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, ist es notwendig, kein Gesetz zu
machen.‘ Und das hat im Privatrecht besondere Geltung, denn hier entfaltet
sich bürgerliche Freiheit unmittelbar. Ganz abgesehen davon, dass wir auf diese
Weise auch einen Beitrag dazu leisten können, die Bürokratie in Grenzen zu
halten. (…) Ließe sich ein umfassendes zivilrechtliches Antidiskriminierungs-
gesetz überhaupt vernünftig regeln – jedenfalls so, dass es rechtlich einen fass-
baren Mehrwert bringt: ich meine, nein“.

Der Gesetzentwurf ist insgesamt nicht geeignet, die Freiheit des Einzelnen mit
berechtigten Anliegen von Wirtschaft und Gesellschaft zu einem vernünftigen
Ausgleich zu bringen. Es wäre bedauerlich, wenn das Ziel Gerechtigkeit durch
Gleichbehandlung zu schaffen und Diskriminierung auch im Privatrecht zu ver-
meiden, wegen mangelnder Akzeptanz eines ausufernden Gesetzes verfehlt
würde.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. bei der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in deutsches
Recht über deren Regelungsgehalt nicht hinauszugehen;

2. bei der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien jede zusätzliche
Belastung, die sich wettbewerbsschädigend auf die deutsche Wirtschaft aus-
wirkt, insbesondere in Bezug auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen, zu unter-
lassen.

Berlin, den 19. Juni 2006

Mechthild Dyckmans
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Birgit Homburger
Jörg van Essen
Dr. Max Stadler
Sibylle Laurischk
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr (Münster)
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff
Hellmut Königshaus
Dr. Heinrich L. Kolb

Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Michael Link (Heilbronn)
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Martin Zeil
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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