BT-Drucksache 16/1734

Leitfaden der Bundeswehr zum Umgang mit Gewissensentscheidungen

Vom 1. Juni 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1734
16. Wahlperiode 01. 06. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Paul Schäfer (Köln), Dr. Norman Paech,
Hüseyin-Kenan Aydin, Katrin Kunert, Dr. Kirsten Tackmann und der
Fraktion DIE LINKE.

Leitfaden der Bundeswehr zum Umgang mit Gewissensentscheidungen

Im April 2003 verweigerte ein Berufssoldat unter Verweis auf den damals so-
eben begonnenen Irak-Krieg aus Gewissensgründen die weitere Mitarbeit an
einem IT-Projekt der Bundeswehr. Er konnte nicht ausschließen, dass dieses
Vorhaben die Unterstützungsleistungen Deutschlands für den von den USA und
ihren Verbündeten geführten Irak-Krieg gefördert oder zumindest einen rele-
vanten Beitrag dazu geleistet hätte.

Am 21. Juni 2005 sprach das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) den Berufs-
soldaten vom Vorwurf des Ungehorsams frei. Das Gericht stellte fest: „Gegen
den am 20. März 2003 von den USA und vom Vereinigten Königreich (UK) be-
gonnenen Krieg gegen den Irak bestanden und bestehen gravierende rechtliche
Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige
geltende Völkerrecht. Für den Krieg konnten sich die Regierungen der USA
und des UK weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates
noch auf das in Artikel 51 UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht
stützen“ (zit. Leitsatz 6 des Urteils). Ferner stellte das Gericht fest, dass auch
gegen die Unterstützungsleistungen Deutschlands (Gewährung von Überflug-
rechten, Nutzung von in Deutschland gelegenen Einrichtungen, Schutz dieser
Einrichtungen, Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen zur „Über-
wachung des türkischen Luftraums“) gravierende völkerrechtliche Bedenken
bestanden und bestehen (vgl. Zusammenfassung, 5b. und 5c.).

Die Bundeswehr interpretierte ihrerseits dieses Urteil in ihrem internen Leit-
faden „Hinweise für Rechtsberater und Rechtslehrer – Umgang mit Soldaten
und Soldatinnen, die aus Gewissensgründen Befehle nicht befolgen wollen“ in
einer Weise, die weithin auf Kritik stieß. Ein zentrales Argument, mit dem die
Bundeswehr das Urteil des BVerwG geradezu auf den Kopf stellt, wird dort auf
Seite 9 angeführt: „Selbst wenn der Krieg im Irak, wie behauptet wird, als An-
griffskrieg zu werten wäre, hätten sich einzelne Soldaten oder Soldatinnen auf
das strafrechtlich verankerte Verbot der Vorbereitung eines Angriffskriegs
(§ 80 StGB) als Unverbindlichkeitsgrund weder berufen dürfen noch gar be-
rufen müssen. Diesem Verbot unterfallen nur Soldaten oder Soldatinnen, die als

sicherheits- und militärpolitische Berater/Beraterinnen eine herausgehobene
Funktion im Regierungsapparat ausüben. Nur sie können auf die politische
Willensbildung bei der Entfesselung oder Förderung eines Angriffskriegs über-
haupt entsprechenden Einfluss nehmen.“ Im Leitfaden wird außerdem argu-
mentiert, dass für Soldatinnen und Soldaten im Falle eines rechtswidrigen Be-
fehls im Zusammenhang mit einer Straftat oder einem Verstoß gegen Men-
schen- und Völkerrecht vorrangig kein Gewissens-, sondern nur ein Rechts-

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konflikt besteht. Das Bundesverwaltungsgericht räumt demgegenüber dem
Gewissen den Vorrang ein.

Im Leitfaden wird auf Seite 10 ausgeführt, dass Soldaten der Bundeswehr
selbst im Fall völkerrechtlich verbotener und unter Strafe stehender Angriffs-
kriege entgegen dem Gewaltverbot des Grundgesetzes handeln und das gel-
tende Strafgesetzbuch ignorieren sollten, weil dies für sie nicht gelte: „Zwar ge-
hört das allgemeine Gewaltverbot als unabdingbare zwingende Völkerrechts-
norm zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Es ist aber für die rechtliche
Bewertung des Verhaltens einzelner an einem Einsatz beteiligter Soldaten und
Soldatinnen ebenso wenig von Bedeutung wie die zu seiner Durchsetzung be-
stimmten innerstaatlichen Normen (Artikel 26 GG und § 80 StGB). Nur wer
Einfluss auf die politische Willensbildung hat, kann gegen das allgemeine Ge-
waltverbot verstoßen.“

Der oben genannte Leitfaden der Bundeswehr stellt also an mehreren Stellen
das Urteil des BVerwG, aber auch generell die gesetzliche Garantie der Gewis-
sensfreiheit offen in Frage bzw. verkehrt das Urteil in sein Gegenteil. Es besteht
Klärungsbedarf darüber, inwiefern der Leitfaden für Rechtsberater tatsächlich
im Einklang mit den gültigen Gesetzen steht und die Soldaten zum rechtmäßi-
gem Handeln im Sinne der Achtung der Bestimmungen zur Verhinderung von
Angriffskriegen im Einklang mit ihrem Gewissen ermutigt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist der Bundesregierung der Leitfaden „Hinweise für Rechtsberater und
Rechtslehrer – Umgang mit Soldaten und Soldatinnen, die aus Gewissens-
gründen Befehle nicht befolgen wollen“ bekannt?

War die Bundesregierung in irgendeiner Weise an der Erarbeitung des Leit-
fadens beteiligt?

2. In wie vielen Dienststellen der Bundeswehr wird nach Kenntnis der Bundes-
regierung der oben genannte Leitfaden von den Rechtsberatern und Rechts-
lehrern herangezogen?

3. Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass ausschließlich die geltende
Rechtslage Grundlage für den „Umgang mit Gewissensentscheidungen“
durch die Rechtsberater ist, insbesondere im Fall völkerrechtswidriger An-
griffskriege?

4. Teilt die Bundesregierung die im genannten Leitfaden der Bundeswehr for-
mulierte Rechtsauslegung, „das allgemeine Gewaltverbot als unabdingbare
zwingende Völkerrechtsnorm“ sei „für die rechtliche Bewertung des Ver-
haltens einzelner an einem Einsatz beteiligter Soldaten und Soldatinnen
ebenso wenig von Bedeutung wie die zu seiner Durchsetzung bestimmten
innerstaatlichen Normen,“ (S. 10) und wie begründet sie ihre Haltung?

5. Teilt die Bundesregierung folgende im genannten Leitfaden der Bundeswehr
formulierte Rechtsauslegung: „Haben [Soldaten und Soldatinnen] rechtliche
Bedenken gegen eine sicherheits- oder militärpolitische Entscheidung, ent-
bindet sie dies weder von ihrer Pflicht zur Loyalität gegenüber dem Dienst-
herrn noch von der Gehorsamspflicht. Im Rahmen ihres Dienstverhältnisses
müssen sie sich an der Rechtsauffassung des Dienstherrn orientieren.“
(S. 10)?

Wie begründet die Bundesregierung ihre diesbezügliche Haltung?

6. Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des BVerwG, „gegen den am
20. März 2003 von den USA und vom Vereinigten Königreich (UK) begon-

nenen Krieg gegen den Irak“ bestünden „gravierende rechtliche Bedenken

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1734

im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende
Völkerrecht“ (zit. Leitsatz 6 des Urteils)?

Welche Konsequenzen für die Bewertung des Irak-Kriegs seitens der Bun-
desregierung ergeben sich daraus?

7. Schließt sich die Bundesregierung der Feststellung des BVerwG an, dass
auch die nicht aktive Unterstützung von Kriegshandlungen der USA (Unter-
lassung der Maßnahmen zur Wahrung der Neutralität) eine unzulässige Be-
teiligung an diesem Krieg darstellte, und wie begründet sie ihre Haltung?

Berlin, den 30. Mai 2006

Heike Hänsel
Paul Schäfer (Köln)
Dr. Norman Paech
Hüseyin-Kenan Aydin
Katrin Kunert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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