BT-Drucksache 16/1681

Elterngeld sozial gestalten

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1681
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jörn Wunderlich, Karin Binder, Klaus Ernst, Diana Golze,
Elke Reinke und der Fraktion DIE LINKE.

Elterngeld sozial gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die von der Bundesregierung geplante Einführung einer Lohnersatzleistung
als Elterngeld ist als neuer Baustein der familienpolitischen Leistungen in
Deutschland grundsätzlich zu begrüßen. Das bisherige Erziehungsgeld ist in
vielfacher Hinsicht unzureichend, es verfestigt das traditionelle Familien-
ernährermodell, stellt für Väter eine Hürde dar, Erziehungsverantwortung
tatsächlich wahrzunehmen und ist gerade für Mütter ein Einstieg in Abhängig-
keit und spätere Einkommensarmut. Die Ausgestaltung des Elterngeldes als
Lohnersatzleistung wird daher grundsätzlich unterstützt.

2. Die „Neuorientierung der Familienpolitik“ darf aber nicht aus einer Umver-
teilung von Arm nach Reich bestehen. Die Finanzierung der Lohnersatzleis-
tung Elterngeld (von der hauptsächlich Besserverdienende profitieren wer-
den) zu Lasten einkommensschwacher Familien und Alleinerziehender wird
deshalb abgelehnt. Gerade Schutz vor Armut und Abhängigkeit muss in der
ersten Zeit der Familienphase vermieden werden – dies sicherzustellen ist
Teil öffentlicher Verantwortung für Familien.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

noch vor Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Januar 2007 die Konzeption des
Elterngeldes um folgende Punkte zu ergänzen:

1. Die Schlechterstellung früherer Bezieher/Bezieherinnen von Erziehungsgeld
gegenüber dem geplanten Mindestelterngeld wird, solange es kein armuts-
festes Mindestelterngeld oberhalb der Pfändungsgrenzen der ZPO gibt,
durch folgende Maßnahmen aufgehoben: Der Bezug des Sockelbetrags von
300 Euro wird für 24 Monate ermöglicht. Der Bezug von ALG II und der
Kinderzuschlag bleibt vom Elterngeldbezug unberührt.

2. a) Im Gesetz zu regeln, dass im Regelfall von einer hälftigen Aufteilung des
vierzehn- bzw. vierundzwanzigmonatigen (Sockelbetrag) Elterngeldan-
spruchs auf beide sorgeberechtigten Elternteile ausgegangen wird. Die
Übertragung des eigenen Anspruchs auf das andere Elternteil ist für fünf
Monate des eigenen Leistungsanspruchs möglich. Alleinerziehende er-
halten den vollen Elterngeldanspruch beider Elternteile.

b) Gleichzeitig wird für Väter ein Anspruch auf zehn Arbeitstage Sonderur-
laub bei voller Lohnfortzahlung aus Anlass der Geburt eines Kindes im
Mutterschutzgesetz verankert. Dieser kann im Zeitraum von vier Wochen

Drucksache 16/1681 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

vor bis acht Wochen nach dem voraussichtlichen Entbindungstermin in
Anspruch genommen werden.

c) Die Höchstfrist, in der der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer/Arbeit-
nehmerinnen, die Elternzeit beantragen, greift, ist auf zwölf Wochen zu
erhöhen (§ 18 Abs. 1 des Bundeserziehungsgeldgesetzes – BErzGG).

Berlin, den 30. Mai 2006

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

I.

Das bisherige Erziehungsgeld sollte nach den ursprünglichen Vorstellungen des
Gesetzgebers einem Elternteil ermöglichen, sich in der ersten Lebensphase ei-
nes Kindes diesem zu widmen. Gleichzeitig wurde so aber das sozialpolitische
Modell der traditionellen „Ernährerehe“ gefördert: „Dadurch kann die Mutter
weiterhin vorrangig zu Hause bleiben, um sich neben der Betreuung des Kindes
gesundheitlich zu regenerieren.“ (Bundesratsdrucksache 350/85, S. 13). In der
sozialen Realität hat die Ausgestaltung des jetzigen Erziehungsgeldes und der
Elternzeit auch zu einer Verfestigung der traditionellen Rollenverteilung ge-
führt. Die Entscheidung für ein Kind ist in Deutschland heute immer auch eine
Entscheidung über die Erwerbstätigkeit der Frau (Kühn/Palme, Elterngeld und
Elternzeit. Ein Erfahrungsbericht aus Schweden, 2005, S. 4.). Die Elternzeit
wurde nach einer Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend nur zu 4,9 Prozent der Väter (4,7 Prozent davon als
Teilzeitarbeit gleichzeitig mit der Mutter), aber 99,8 Prozent der elternzeitbe-
rechtigten Mütter in Anspruch genommen (Bericht über die Auswirkungen der
§§ 15 und 16 des Bundeserziehungsgeldgesetzes, 2004, Bundestagsdrucksache
15/3400, S. 19, 15). Junge Männer sehen vor allem finanzielle Erwägungen und
Angst vor beruflichen Nachteilen als Hindernisse für die Inanspruchnahme von
Elternzeit und Erziehungsgeld (Allensbach, Einstellungen junger Männer zu
Elternzeit, Elterngeld und Familienfreundlichkeit im Betrieb, 2005, S. 6). Auch
andere Studien belegen, dass finanzielle Zwänge nach der Geburt eines Kindes
eine partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit erschweren. Dieses Fami-
lienmodell lässt jungen Paaren kaum Raum für eine gleichberechtigte Auftei-
lung von Erwerbs- und Familienpflichten. Wenn ein Elternteil die Berufstätig-
keit zumindest teilweise unterbrechen muss, ist es in der Regel nicht der Mann,
dessen Einkommen weniger verzichtbar ist. Die Familiengründung geht daher
mit einer langjährigen Unterbrechung oder Reduzierung der Erwerbstätigkeit
der Mutter einher, ihre Einkommenseinbußen werden durch das Erziehungs-
geld aber in der Regel nicht aufgefangen. Vor diesem Hintergrund und der aktu-
ellen Arbeitsmarktsituation verwundert es nicht, dass immer mehr junge Men-
schen keine Kinder bekommen. Denn die finanzielle Absicherung nach der
Geburt eines Kindes, vor allem von berufstätigen Frauen und von allein Erzie-
henden ist unzureichend. Das Elterngeld ist daher als gleichstellungspolitische
Maßnahme zu begrüßen, durch die Ausgestaltung als Lohnersatzleistung ver-
hindert es die Abhängigkeit vorher berufstätiger Frauen vom Partner und er-
möglicht Vätern, Elternverantwortung wahrzunehmen anstatt aus ökonomischer
Notwendigkeit und der sozialen Rollenzuweisung heraus die Ernährerrolle ein-
nehmen zu müssen. Bereits im Jahr 2000 hat die damalige Bundestagsfraktion
der PDS ein entsprechendes Konzept einer Lohnersatzleistung vorgelegt (Bun-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1681

destagsdrucksache 14/2759). Obwohl es sechs Jahre gedauert hat, ist zu begrü-
ßen, dass die damals und heute gültigen familien- und gleichstellungspoliti-
schen Überlegungen nun auch parteiübergreifend mehrheitsfähig geworden
sind. Die Verbesserung der Situation berufstätiger Paare und die Gleichstel-
lungsorientierung der neuen Leistung darf nach unserer Überzeugung aber
nicht durch Kürzungen und Einsparungen bei Erwerbslosen und Geringverdie-
nenden finanziert werden.

II.

1. Das Erziehungsgeld wird bisher in zwei Festbeträgen von 300 Euro (bei
zwei Jahren Bezugsdauer) bzw. 450 Euro (bei einem Jahr Bezugsdauer) mo-
natlich für jedes Kind gewährt. Durch die im Laufe der Jahre verschärfte
Einkommensanrechnung und die fehlende Erhöhung der Leistung seit 20
Jahren erhalten hauptsächlich Familien mit niedrigem oder durchschnitt-
lichem Haushaltseinkommen Erziehungsgeld. Die derzeitige Elterngeld-
konzeption der Bundesregierung bedeutet eine Verschlechterung gegenüber
diesem Status quo für Arbeitslose oder Menschen mit geringem Erwerbs-
einkommen. Durch die Begrenzung des Leistungsbezugs auf maximal
14 Monate Bezugsdauer wird für einkommensschwache Familien eine
finanzielle Einbuße von maximal 3 000 Euro (bzw. zehn Monaten Leistungs-
bezug) bewirkt. Um dies zu vermeiden, ist nicht lediglich die Möglichkeit der
längeren Auszahlung einer gekürzten Summe, sondern die Ausweitung der
Bezugsdauer des Sockelbetrags in Höhe von 300 Euro auf 24 Monate erfor-
derlich.

2. a) Die Ansprüche gelten grundsätzlich individuell für die Berechtigten. Da-
mit soll erreicht werden, dass Kinderbetreuung nicht nur Frauen, sondern
auch Männern zugeordnet wird. Die Debatte um die „Vätermonate“ hat
gezeigt, wie stark die Vorstellung, Kindererziehung sei „Müttersache“,
noch in den Köpfen verankert ist. Ein Gesetz, welches tatsächlich Anreiz
und Möglichkeit für partnerschaftlich-egalitäre Lebensentwürfe bieten
soll, kann nicht nur theoretischen Rollentausch der Geschlechter ermög-
lichen, sondern muss die partnerschaftliche Aufteilung der Familienarbeit
zum Regelfall erklären. Von einem Gesetz, das Männern einen individu-
ellen Anspruch gewährt, ist zu erwarten, dass es für Väter Argumente für
eine partnerschaftliche Beteiligung an der Kinderbetreuung liefert und
damit das „Arbeitsmarktrisiko Kind“ etwas gerechter zwischen den Ge-
schlechtern verteilt. Um Ausnahmefällen gerecht zu werden, ist eine
Übertragbarkeit von fünf Monaten des eigenen Anspruchs zunächst mög-
lich; Alleinerziehende erhalten grundsätzlich den vollen Elterngeldan-
spruch.

b) Die Stärkung der Erziehungsbeteiligung von Vätern wird auch durch
einen im Mutterschutzgesetz verankerten „Väterschutz“ befördert.

c) Die vorgeschlagene Fristverlängerung im BErzGG korrigiert einen auch
von der Bundesregierung als korrekturbedürftig angesehenen Zustand
(Bundestagsdrucksache 16/1010), in dem insbesondere Vätern aufgrund
der Fristgleichheit exakt ein Tag, genau acht Wochen vor Antritt, bleibt,
um durch Kündigungsschutz abgesichert Elternzeit zu beantragen. Die
Fristverlängerung für die Gewährung des Kündigungsschutzes ist ge-
eignet, die Erziehungsbeteiligung von Vätern zu erhöhen.

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