BT-Drucksache 16/1679

Europäische Bodenschutzstrategie durch eine sachgerechte Klärschlammverwertung unterstützen

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1679
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Angelika Brunkhorst, Michael Kauch, Horst Meierhofer,
Birgit Homburger, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Heinrich L. Kolb, Harald Leibrecht,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Europäische Bodenschutzstrategie durch eine sachgerechte Klärschlamm-
verwertung unterstützen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union arbeitet intensiv an der Erstellung einer umfassenden
Bodenschutzstrategie für Europa und hat mit der Mitteilung der Kommission
„Hin zu einer spezifischen Bodenschutzstrategie“ im Jahr 2002 erstmals ein
Dokument ausschließlich dem Bodenschutz gewidmet. Explizit findet in dieser
Diskussion auch die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm Berück-
sichtigung. Die Europäische Kommission hat die öffentlichen Konsultationen
zur thematischen Strategie für Bodenschutz abgeschlossen und angekündigt,
den Entwurf einer Bodenschutzrahmenrichtlinie in Kürze vorzulegen. Nachfol-
gend zu diesen Initiativen zum Bodenschutz bereitet die Kommission auch eine
Novellierung der EU-Klärschlammrichtlinie (86/278/EWG) für das Jahr 2007
vor. Dies verdeutlicht die Relevanz des Klärschlamms in Bezug auf den Boden-
schutz und die Notwendigkeit einer möglichst europaweit abgestimmten Rege-
lung, wobei nationale Besonderheiten im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes
angemessen zu berücksichtigen sind.

Es ist aus nationaler Sicht dringend geboten, aktiv an dieser Richtlinienent-
wicklung auf europäischer Ebene teilzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass beim Umgang mit Klärschlamm für schadstoffarme Qualitäten die land-
wirtschaftliche und energetische Verwertung gleichwertige Alternativen darstel-
len. Demgegenüber bereitet die Bundesregierung ein eigenständiges Entsor-
gungskonzept für Klärschlamm in Deutschland vor, welches dazu führen kann,
dass Deutschland die Vorgaben der europäischen Richtlinie verfehlt oder ohne

rechtlichen oder ökologischen Grund übererfüllt.

Die EU favorisiert grundsätzlich die landwirtschaftliche Verwertung von Klär-
schlamm. So sind neben Phosphor die Hauptnährstoffe Stickstoff, Calcium,
Schwefel und gegebenenfalls Magnesium im Klärschlamm enthalten. Die stoff-
liche Zusammensetzung des Klärschlamms, besonders die organische Subs-
tanz, kann zu einer Verbesserung der Bodenstruktur führen. Somit unterstützt
der Klärschlamm etwa die natürlichen Bodenfunktionen, schützt vor Erosion

Drucksache 16/1679 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

und gibt die gespeicherten Nährstoffe erst sukzessive frei. Auch verringert die
Nutzung des im Klärschlamm gebundenen Phosphats den Abbau der begrenzt
vorkommenden natürlichen Phosphatlagerstätten.

Die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlammen muss zudem unter Be-
rücksichtigung eines europaweiten Agrarhandels gesehen werden. Ein Verbot
der landwirtschaftlichen Klärschlammverwertung in Deutschland bei zugleich
erfolgender Einfuhr von Agrarprodukten aus den europäischen Nachbarstaaten,
die auf mit Klärschlamm beaufschlagten Flächen angebaut werden, erscheint
wenig plausibel. Eine weitere Wettbewerbsverzerrung im europäischen Agrar-
sektor ist aus Sicht der Verbraucher wie auch der Landwirte nicht wünschens-
wert. Sofern auf einheitliche Regelungen verzichtet wird und in den einzelnen
EU-Mitgliedstaaten unterschiedlich restriktive Vorschriften zur Klärschlamm-
verwertung gelten, steht zu befürchten, dass Verschiebungen von Klärschlamm
innerhalb der EU stattfinden, die aus ökologischen oder aus gesundheits- und
verbraucherpolitischen Gründen unerwünscht sind.

Die praktische Handhabung des Klärschlamms orientiert sich am Konzept des
Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes (KrW-/AbfG). Zu dessen Zielsetzun-
gen gehören die Förderung der Kreislaufwirtschaft zur Schonung der natür-
lichen Ressourcen und die Sicherung der umweltverträglichen Beseitigung von
Abfällen. Demnach sind Abfälle entweder einer stofflichen Verwertung zuzu-
leiten, zur Gewinnung von Energie zu nutzen oder sachgerecht zu beseitigen.
Ziel sollte die Verwertung des Klärschlamms im Sinne eines geschlossenen
Stoffkreislaufs sein. Die Nährstoffe müssen dem Boden zurückgegeben wer-
den, um eine nachhaltige Bewirtschaftung zu ermöglichen. Die Kernfrage der
Klärschlammdiskussion ist nicht die Entscheidung zwischen Verwertung oder
Entsorgung, sondern die Reduktion von Schadstoffen in unserer Umwelt. Die
Qualität der Schlämme soll in diesem Sinne verbessert werden.

Die rechtliche Definition der Klärschlammverwertung bzw. Entsorgung hat
gleichermaßen Auswirkungen auf die Verwertung von Kompost, weiterer
biologischer Abfallprodukte (auch aus Biomasse- und Biogasanlagen), Wirt-
schaftsdünger (Gülle, Jauche und Stallmist) sowie auf die sachgerechte Ver-
wendung von Mineraldünger in Deutschland. Zur Bestimmung von Nährstoff-/
Schadstoffverhältnissen verschiedener Düngemittel erscheint deshalb ein kon-
solidiertes Vergleichssystem sinnvoll, nach dem die Düngemittel anhand ein-
heitlicher Kriterien bewertet werden können. Zur Festlegung von jährlichen
Mengenobergrenzen für Schadstoffe können die in der Bundesbodenschutz-
und Altlastenverordnung genannten zulässigen Zusatzbelastungen zur Orientie-
rung herangezogen werden.

Die landwirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm hat in der Vergangenheit
verschiedentlich zu Irritation auf Seiten der Landwirte und der Nahrungsmittel-
industrie geführt. So war zeitweise die Abnahme landwirtschaftlicher Produkte
durch die Nahrungs- und Futtermittelindustrie verweigert worden, weil diese
auf mit Klärschlamm beaufschlagten Flächen angebaut worden waren. Dessen
ungeachtet waren viele landwirtschaftliche Betriebe immer bereit, Klär-
schlamm als kostenlosen Dünger auf ihre Felder aufzubringen. Der Düngewert
des Klärschlamms findet insoweit Anerkennung.

Darüber hinaus gilt mit Inkrafttreten der Abfallablagerungsverordnung seit
dem 1. Juni 2005 ein impliziertes Verbot für die Deponierung von Klär-
schlamm. Neben einer eingeschränkten Verwendung des Klärschlamms im
Landschaftsbau bleibt somit im Wesentlichen allein die thermische oder land-
wirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1679

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das gegenwärtig praktizierte Verfahren der landwirtschaftlichen Verwertung
von Klärschlamm als grundsätzlich nachhaltige Option der Verwertung bei-
zubehalten und dies als Basis der Novellierung der Klärschlammverordnung
in Deutschland zu berücksichtigen,

2. für qualitäts- und gütegesicherte Klärschlämme bei einer Novellierung der
Klärschlammverordnung deregulierende Maßnahmen im Vollzug zu definie-
ren,

3. darauf hinzuwirken, dass der für eine landwirtschaftliche Verwertung vorge-
sehene Klärschlamm so wenige Schadstoffe wie möglich enthält und seine
Verwertung umweltverträglich erfolgen kann, damit Klärschlamm sich weiter-
hin als Dünger mit Qualitätsstandard bewährt. Dazu sind die Klärschlamm-
verordnung (AbfKlärV) und das Düngemittelrecht gegebenenfalls anzupassen
und Initiativen wie die „Qualitätssicherung landbauliche Abfallverwertung,
QLA“ vom Verband Deutscher Landwirtschaftlicher Untersuchungs- und
Forschungsanstalten VDLUFA und DWA einzubeziehen,

4. die gewünschten Qualitätsstandards durch entsprechende Behandlungs- und
Untersuchungsmethoden abzusichern. Ebenso ist die Entwicklung neuer
stoffbezogener Reinigungsverfahren zu unterstützen.

5. sich in Koordination mit den Nachbarstaaten in der Europäischen Union um
eine abgestimmte Position bei der Verwertung von Klärschlamm zu bemü-
hen, damit keine Standortnachteile für die Landwirtschaft in Deutschland
entstehen. Die unterschiedlichen Behandlungs- und Verwertungskapazitäten
in den Mitgliedstaaten sind dabei zu berücksichtigen. Dazu gehört auch die
Begleitung der Diskussion auf Ebene des europäischen Lebensmittelhan-
dels, um mit Blick auf nachgeschaltete Marktteilnehmer eine abgestimmte
und verlässliche Position zur landwirtschaftlichen Verwertung von Klär-
schlamm zu erarbeiten.

6. bei weiterführenden Regelungen, z. B. Qualitätsstandards zur Verwertung
von Klärschlamm, dessen Potential zur Verbesserung der Bodenstruktur, zur
Schonung der natürlichen Rohphosphatvorkommen und zur Kosten- und
Energieeinsparung durch Substitution von Mineraldünger angemessen zu
berücksichtigen,

7. bei der Festlegung zulässiger Verwertungswege für den Klärschlamm in ei-
ner Stoffbilanz das „Wirksystem Landwirtschaft“ (Klima, Boden, Frucht-
folge und Düngung) zu berücksichtigen und auch den Nähr- und Schadstoff-
entzug durch die angebauten Pflanzen und den somit langfristig im Boden
verbleibenden Schadstoffanteil zu beachten,

8. darauf hinzuwirken, dass Klärschlamm nicht nur anhand von Schadstoffkon-
zentrationen, sondern unter Berücksichtung der Düngewirkung (Nährstoff-/
Schadstoffverhältnis) und des vorgenannten „Wirksystems Landwirtschaft“
(Klima, Boden, Fruchtfolge und Düngung) beurteilt wird und dass bei der
Bewertung der Schwermetallfrachten zwischen essentiellen Nährstoffen und
offensichtlichen Schadstoffen unterschieden wird,

9. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm die
Option, Klärschlämme in Biogasanlagen und Faultürmen zur Energiegewin-
nung zu nutzen, eingehender zu untersuchen. Dazu gehören auch Projekte
mit flüssigen und festen Co-Substraten und die Produktion von Wasserstoff
aus Biomasse.

Drucksache 16/1679 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm ange-
messene Maßnahmen zu ergreifen, die den Eintrag von Schadstoffen in
den Nährstoffkreislauf und damit in das Abwassersystem vermindern.
Dazu gehören neben den bekannten Schwermetallen weitere Substanzen
wie Arzneimittelrückstände oder langlebige organische Schadstoffe,

11. in Anbetracht der sorgfältigen Schadstoffkontrollen in Deutschland die Er-
gebnisse der Klärschlammuntersuchungen als Rückschluss für die Erken-
nung von Belastungsquellen zu nutzen, anstatt den Klärschlamm als nicht
zu vermeidendes Abfallprodukt grundsätzlich zu beseitigen. Vielmehr gilt
es, die Schadstoffe an der Quelle zu eliminieren und den Klärschlamm als
wertvolle Nährstoffquelle in einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft zu
verstehen,

12. bei weiterführenden Regelungen zur Verwertung von Klärschlamm sicher-
zustellen, dass bei einer Verschärfung von Schadstoffgrenzwerten und der
Aufnahme neuer Schadstoffe in den bestehenden Grenzwertekatalog dies
ggf. dem aktuellen Erkenntnisstand entsprechend geschieht, wobei beson-
ders organische Schadstoffe und Pharmaka zunehmend in den Blickpunkt
rücken, und

13. die hier genannten Forderungen auch gegenüber der Europäischen Kom-
mission zu vertreten und auf den europäischen Gesetzgebungsprozess in
diesem Sinne gestaltend Einfluss zu nehmen.

Berlin, den 30. Mai 2006

Angelika Brunkhorst
Michael Kauch
Horst Meierhofer
Birgit Homburger
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Heinz-Peter Haustein

Elke Hoff
Dr. Heinrich L. Kolb
Harald Leibrecht
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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