BT-Drucksache 16/1673

Kinder fördern und Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken - Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung ausweiten

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1673
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Krista Sager, Kai Boris Gehring, Priska Hinz
(Herborn), Grietje Bettin, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Irmingard
Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinder fördern und Vereinbarkeit von Beruf und Familie stärken –
Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung ausweiten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die bestmögliche Förderung von Kindern sowie die Stärkung von Familien ist
eine zentrale gesellschaftliche und politische Zukunftsaufgabe. Im Sinne einer
nachhaltigen Familienpolitik kommt dabei der Bereitstellung einer hochwer-
tigen und bedarfsgerechten Infrastruktur eine entscheidende Rolle zu. Die
Realität in Deutschland sieht jedoch nach wie vor anders aus. Das System von
Bildung, Betreuung und Erziehung in Deutschland ist noch unzureichend aus-
gestaltet. Das Angebot deckt auch heute vielerorts längst nicht den vorhande-
nen Bedarf. Dies gilt in besonderem Maße für Kinder unter drei Jahren und für
Schulkinder, aber auch mangelt es in vielen Gegenden an ganztägigen Kinder-
gartenplätzen. In vielen Kommunen stellen zudem die Elterngebühren eine
erhebliche Belastung für Familien dar.

In den westlichen Bundesländern liegt die Versorgungsquote öffentlich finan-
zierter Kindertagesbetreuung im unteren einstelligen Bereich. Im Kindergarten
existiert, resultierend aus dem in den 90er Jahren verankerten Rechtsanspruch
für Kinder zwischen drei und sechs Jahren, faktisch überall ein vollständiges
Angebot. Es wird jedoch nur halbtags garantiert mit der Folge, dass beispiels-
weise in den westlichen Flächenländern nur etwa jeder vierte Platz eine ganz-
tägige Betreuung umfasst. Im Bereich der ganztägigen Betreuung von Schul-
kindern steuert die Jugendhilfe eine Betreuungsversorgung von etwa 10 Prozent
bei. Trotz des mit Hilfe von Bundesmitteln angestoßenen Ausbaus von Ganz-
tagsschulen gibt es weiterhin einen erheblichen Nachholbedarf in diesem
Bereich.

Auch hinsichtlich der pädagogischen Qualität und der Bildungsleistung gibt es
noch vielfältigen Handlungsbedarf. Die strukturellen Rahmen- und Arbeits-
bedingungen dürfen als durchaus problematisch und verbesserungswürdig ein-
gestuft werden. Kritisch zu sehen sind die oftmals unvorteilhaften Gruppen-
größen und Personalschlüssel, äußerst knapp bemessene Arbeitszeitbudgets des
Personals oder auch die vielerorts beschränkten Räumlichkeiten und Sachaus-
stattungen. Zwar sind in allen Ländern Bildungs- und Erziehungsprogramme
realisiert oder auf den Weg gebracht worden, dennoch wird sich deren erfolg-
reiche praktische Umsetzung aufgrund diverser struktureller Defizite als äußert
schwierig erweisen. Betreuungsangebote im Elementarbereich werden noch zu

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wenig als Teil des Bildungsangebots und der frühkindlichen Förderung gese-
hen.

Deutschland als rohstoffarmes Land muss in besonderer Weise in die Bildung
junger Menschen investieren. Denn Bildung ist die Ressource des 21. Jahrhun-
derts. Bildungsprozesse beginnen aber längst nicht erst im Schulalter. Insbeson-
dere der Förderung in den ersten Lebensjahren kommt ein besonderes Gewicht
zu. Gerade in den ersten Lebensjahren verfügen Kinder über ein großes Lern-
potential, das für ihre emotionale, soziale und kognitive Entwicklung stärker
unterstützt werden muss. In Deutschland wurde die frühkindliche Förderung
allerdings lange unterschätzt. Inzwischen hat sich gezeigt, dass Kinder, die in
einem für sie günstigen Umfeld aufwachsen, von einer qualitativen Betreuung
und frühen Förderung in Kindertageseinrichtungen zusätzlich profitieren. Bei
Kindern, die in einem weniger günstigen Umfeld aufwachsen, können eine gute
Betreuung und Förderung helfen, Defizite rechtzeitig zu kompensieren.

Vereinbarkeit von Beruf und Familie

Es ist offenkundig, dass der gegenwärtige Umfang der bereitgestellten Angebote
für viele Eltern keine Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglicht. Gerade
in den ersten Jahren nach der Geburt zwingt das mangelnde Angebot dazu, dass
ein Elternteil oder Alleinerziehende mehrere Jahre erwerbslos bleiben oder ge-
gen ihren Wunsch nur reduziert erwerbstätig sein können, schon alleine weil
keine oder keine ausreichende Kinderbetreuungsmöglichkeit besteht. Alterna-
tiv bleibt lediglich der Versuch, auf private Betreuungsarrangements oder rein
privat finanzierte Angebote zurückzugreifen. Das ist nicht akzeptabel. Es ist
hingegen die Aufgabe von Staat und Politik, Kindern und Familien vernünftige
Rahmenbedingungen zu schaffen, also auch ein bedarfsorientiertes Angebot an
Kinderbetreuung.

Es kommt daher nicht von ungefähr, dass die Frauenerwerbsquote – besonders
unter Berücksichtigung von Teilzeitarbeitsverhältnissen und Arbeitsvolumina –
im internationalen Vergleich eher niedrig ist. Dabei wünschen sich laut zahlrei-
chen Umfragen die meisten jungen Menschen beides, nämlich die Gründung
von Familie ebenso wie berufliche Tätigkeit. Und auch junge Mütter wünschen
sich eine frühere beziehungsweise stärkere Erwerbstätigkeit, wie Studien zeigen.

Die Betreuungsinfrastruktur muss so ausgebaut werden, dass Eltern sich frei
entscheiden können, wie sie ihr Kind betreuen lassen wollen. Bislang ist aller-
dings die Infrastruktur in vielen Regionen Deutschlands quantitativ und teil-
weise auch qualitativ so unterentwickelt, dass diese Wahlfreiheit deutlich
beschränkt wird. Familienförderung in Deutschland hat über Jahrzehnte zu
einer Transferlastigkeit und gleichzeitiger Infrastrukturschwäche geführt. Vor
allem in den westdeutschen Bundesländern zeigt sich dies in einer gravierenden
Schwäche bei den Betreuungsangeboten für die unter Dreijährigen.

Wege zu einer umfassenden Infrastruktur

Mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) ist in 2004 ein wichtiger Schritt
gemacht worden, den Ausbau zumindest für die Altersgruppe mit dem gerings-
ten Betreuungsangebot, den unter Dreijährigen, anzustoßen. Ob das mit dem
Gesetz beabsichtigte Ziel erreicht werden wird, kann derzeit noch nicht abge-
schätzt werden. Jedoch gibt es Anlass zur Skepsis, ob tatsächlich bis 2010 die
erforderlichen zusätzlichen Betreuungsplätze aufgebaut sein werden.

Diese ungewisse Perspektive entspringt unter anderem der Tatsache, dass das
Gesetz nicht mit einem Rechtsanspruch versehen ist. Dennoch ist der mit dem
TAG eingeschlagene Weg richtig. Er muss nun fortgesetzt und vor allem forciert
werden. Der Zwölfte Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung dokumen-
tiert eindringlich den Handlungsbedarf. Die Dynamik des breiten Erkenntnis-
prozesses gilt es für eine engagierte, gemeinschaftliche Umsetzung zu nutzen.

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Da die zahlreichen positiven Effekte, die aus einem mengenmäßigen und quali-
tativen Ausbau resultieren, sich teilweise erst mit zeitlicher Verzögerung ein-
stellen, sind zeitnahe und verbindliche Regelungen umso dringlicher.

Rechtsanspruch ausweiten

Wir halten es für dringend angezeigt, den Rechtsanspruch auf Kindertages-
betreuung auf Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahrs auszuweiten. Die
bisherigen gesetzlichen Regelungen, aber auch verschiedenste Bekundungen
verantwortlicher Stellen, haben augenscheinlich nicht zur Etablierung eines
ausreichenden Angebots beigetragen. Das steht in einem eklatanten Wider-
spruch zum Bedarf an familienergänzender Betreuung sowie an Frühförderung,
der nicht erst mit dem dritten Geburtstag eines Kindes beginnt. In vielen Staaten
Europas ist ein breites Angebot für Unter-Dreijährige längst eine Selbstver-
ständlichkeit. Diese zeichnen sich zudem aus durch gute Zugänge zu Bildung,
unabhängig von der Herkunft, durch eher niedrige Armutsquoten bei Familien,
durch vergleichsweise hohe Geburtenquoten sowie starke Frauenerwerbstätig-
keit. Der Förderauftrag des Kinder- und Jugendhilfegesetzes richtet sich an alle
Kinder, unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern, und verlangt grundsätzlich
die Bereitstellung eines bedarfsgerechten Angebotes. Insofern ist eine über das
TAG hinausgehende Regelung sinnvoll. Eine nachhaltige Familienpolitik, so
wie sie etwa im Siebter Familienbericht der Bundesregierung beschrieben wird,
kommt nicht umhin, Angebote für alle Kinder, deren Eltern das wünschen,
bereitzuhalten. Gerade Kinder aus sozial schwachen Familien oder mit Migra-
tionshintergrund können von der kompensatorischen Wirkung einer frühen För-
derung besonders profitieren und Defizite und Lücken in der familiären
Unterstützung können so schon vor Schulbeginn ausgeglichen werden.

Elterngeld und Betreuungsangebot

Die bevorstehende Einführung des Elterngelds wird mittel- bis langfristig mög-
licherweise zu einer Verschiebung der familienpolitischen Koordinaten führen.
Ungleich stärker als das Erziehungsgeld zielt es auf eine Unterstützung der Er-
werbstätigkeit junger Mütter und gleichzeitig auf eine ungleich höhere Beteili-
gung der Väter an der Familienarbeit. Es betont die Bedeutung von Erwerbsein-
kommen zur eigenständigen Existenzsicherung von Frauen sowie zur
Vermeidung von Familienarmut.

Damit diese Ziele auch erreicht werden, sind verschiedene Voraussetzungen
notwendig. Absolut unabdingbar ist die Gewährleistung einer so genannten An-
schlussbetreuung, das heißt, die Sicherstellung eines ausreichenden Betreuungs-
angebots, so dass Eltern nach Ablauf der Förderdauer auch tatsächlich erwerbs-
tätig werden können. Das Elterngeld soll zum 1. Januar 2007 in Kraft treten.
Die Bundesregierung hat bislang allerdings keine erkennbaren Initiativen ange-
kündigt oder ergriffen, das Betreuungsangebot für Unter-Dreijährige in dieser
Legislaturperiode substantiell voranzutreiben. Im Koalitionsvertrag der Regie-
rungsparteien findet sich lediglich der Hinweis darauf, dass im Jahre 2010,
basierend auf den Ausbaudaten von 2008, die Einführung eines Rechtsanspruchs
erwogen wird. Da eine solche Maßnahme nicht ad hoc umgesetzt werden kann,
wäre demzufolge frühestens im Jahr 2011 mit einem in der Menge ausreichen-
den Angebot zu rechnen. Eine solche Politik der ruhigen Hand wird sicher nicht
dazu beitragen, die Zuversicht junger Menschen mit Kinderwunsch auf ein ver-
lässliches Kinderbetreuungsangebot zu stärken.

Zukunftsinvestitionen

Das Engagement für die Förderinfrastruktur für Kinder und Familien ist eine
Zukunftsinvestition. Es ist ein wesentlicher Beitrag, das Aufwachsen von
Kindern chancengerecht und perspektivreich zu gestalten. Jedes Kind soll best-
möglich und individuell gefördert werden. Kindertagesbetreuung von guter
Qualität kann hier in Ergänzung zur Familie einen wertvollen, nicht selten den

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entscheidenden Förderbeitrag liefern. Ein Infrastrukturkonzept, welches durch
Eltern-Kind-Zentren mit Elternberatung u. ä. Unterstützungs- und Hilfsange-
bote für Eltern beinhaltet, wird weitere wertvolle Beiträge leisten für eine
gelungene Erziehung und Bildung von Kindern. Kinderbetreuungseinrichtungen
müssen als Bildungsorte verstanden werden und ihre Arbeit noch stärker mit
den Aktivitäten in den Schulen verknüpft werden.

Zur Erfüllung dieser Aufgaben müssen in entsprechendem Umfang finanzielle
Mittel bereitgestellt werden. In Deutschland geschieht dies nicht im notwendi-
gen Umfang. Staaten wie Schweden oder Frankreich investieren einen ungleich
höheren Anteil ihres Bruttoinlandproduktes in diesen Bereich. In Deutschland
wird auch weiterhin im Verhältnis zu geleisteten Finanztransfers an Familien
die Finanzierung der Betreuungsinfrastruktur vernachlässigt.

Angesichts knapper öffentlicher Haushalte erscheint die Herausforderung zum
Betreuungsausbau größer denn je. Um sie dennoch zu meistern, bedarf es einer
klaren familien- und finanzpolitischen Prioritätensetzung. Wir meinen ferner,
dass diese Form der Zukunftsgestaltung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe
ist, an der sich auch der Bund beteiligen sollte. Die vielfach vorhandene Bereit-
schaft gerade der Kommunen, ihrer Aufgabe in diesem Bereich nachzukommen,
wird durch ihre ohnehin schon zumeist prekäre Finanzlage gedämpft. Die
Kommunen werden diese Aufgabe allein und frühzeitig erkennbar nicht bewäl-
tigen können.

Zentrale Aufgabe für Bund, Länder und Kommunen

Der Bund muss einen weiteren Beitrag zur Frühförderung und Bildung von
Kindern leisten. Mit der Einführung des neuen Instruments der Kinderbetreu-
ungskarte kann die Inanspruchnahme von Kindertagesbetreuung direkt und
platzbezogen finanziell unterstützt werden. Die Länder müssen sich ebenfalls
bereit erklären, verstärktes – auch finanzielles – Engagement beim Ausbau und
der Qualitätsverbesserung und -sicherung von Kindertagesbetreuung sowie der
Gebührenreduzierung aufzubringen. Nur so können Maßnahmen entsprechend
der jeweils landes- oder regionalspezifischen Bedarfe ergriffen werden. Hierzu
können zählen der mengenmäßige Ausbau der Ganztagsangebote im gesamten
Elementarbereich, Maßnahmen zur Verbesserung der pädagogischen und Bil-
dungsqualität oder ggf. die Senkung oder Abschaffung von Elternbeiträgen.

Rechtsanspruch und Kinderbetreuungskarte

Grundlage zur Einführung der Kinderbetreuungskarte ist die Verankerung eines
gesetzlichen Betreuungsanspruchs für Kinder zwischen vollendetem ersten und
dritten Lebensjahr. Diese Regelung führt dazu, dass die Kommunen Betreu-
ungsplätze gemäß dem tatsächlichen Bedarf bereitstellen müssen und dieser
Bedarf auch rechtlich einklagbar ist.

Der Bund soll Eltern, die für ihre Kinder in diesem Alter Betreuungsangebote
der Jugendhilfe in Anspruch nehmen, finanziell unterstützen. Die Unterstüt-
zung besteht in einem Anspruch auf eine zweckgebundene Geldleistung. Der
Leistungstransfer wird über eine Kinderbetreuungskarte abgewickelt. Die Leis-
tung ist grundsätzlich pauschaliert und wird einkommensunabhängig gewährt.
In der Höhe variiert sie lediglich nach der in Anspruch genommenen Betreu-
ungsform, also nach Kindertagesbetreuung in Einrichtungen oder in Kinder-
tagespflege. Die Eltern reichen diese Mittel bei Inanspruchnahme der Kinder-
betreuung vollständig weiter. Auf diese Weise werden zusätzliche Mittel für
Bildung, Betreuung und Erziehung von Kindern aufgebracht und die Nachfra-
geposition von Eltern gestärkt. Die Ausweitung des Modells auf den Kinder-
gartenbereich ist perspektivisch möglich.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

● einen Rechtsanspruchs auf ganztägige Betreuung für Kinder zwischen voll-
endetem ersten bis dritten Lebensjahr im Kinder- und Jugendhilfegesetz/
Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) zu verankern;

● eine ‚Kinderbetreuungskarte‘ als Bundesleistung einzuführen, die eine
zweckgebundene Geldleistung für Betreuungsangebote für diese Alters-
klasse bereitstellt. Die Leistungserbringung wird in einem Geldleistungs-
gesetz geregelt. Leistungsberechtigt sind alle Eltern mit Kindern zwischen
vollendetem ersten bis dritten Lebensjahr. Die Leistung wird pro Kind
gewährt und ist ausschließlich an die tatsächliche Inanspruchnahme von
öffentlich bereitgestellter Kindertagesbetreuung in Einrichtungen und Kin-
dertagespflege (gemäß dem SGB VIII) gekoppelt. An die Karte gebunden ist
eine pauschale Geldleistung, die zwischen Betreuung in Einrichtungen oder
in Kindertagespflege unterscheidet;

● das bestehende Ehegattensplitting in eine Individualbesteuerung mit über-
tragbarem Höchstbetrag von 10 000 Euro umzuwandeln und dafür Sorge zu
tragen, dass die sich daraus ergebenden gesamtstaatlichen Mehreinnahmen
in Höhe von rund 5 Mrd. Euro für die Inanspruchnahme von Kindertages-
betreuung sowie in den Ausbau und in die Qualitätsverbesserung der Betreu-
ungsangebote sowie zur Gebührenreduzierung investiert werden.

Berlin, den 31. Mai 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Konzept und Finanzwirkung

Die altersmäßige Ausweitung des Rechtsanspruchs auf Kindertagesbetreuung
bedeutet einen wichtigen Schritt hin zu einem zukunftstauglichen Betreuungs-
system, welches Eltern tatsächlich eine Entscheidung ermöglicht, parallel zur
Familie einer Berufstätigkeit nachgehen zu können, und zu einer hochwertigen
Infrastruktur für die frühe Förderung von Kindern. Eltern werden zudem durch
die Kinderbetreuungskarte in ihrer Nachfragemacht auf dem Betreuungsmarkt
gestärkt. Diese gelangt durch das rechtlich gesicherte bedarfsgerechte Angebot
zu voller Geltung.

Es ist damit zu rechnen, dass die Ausweitung des rechtlichen Betreuungs-
anspruchs zur Etablierung einer Angebotsquote von 40 Prozent bei Kindern ab
vollendetem ersten Jahr und eine Quote von 70 Prozent bei Kindern ab vollen-
detem zweiten Jahr führen wird. Notwendig hierfür sind 800 000 Betreuungs-
plätze. Davon existieren derzeit bereits 240 000. Durch das TAG sind weitere
230 000 Plätze im Aufbau begriffen. Der Bund hat den Kommunen hierfür
jährlich Mittel in Höhe von 1,5 Mrd. Euro bereitgestellt. Abgesichert ist diese
Regelung durch eine Revisionsklausel. In den Fällen, in denen die Bundes-
länder die Mittel noch nicht vollständig an die Kommunen weitergeleitet haben,
ist dafür Sorge zu tragen, dass sie dieses schnellstmöglich nachholen. Der wei-
tere Ausbaubedarf umfasst somit 330 000 neue Plätze. Diese Ausbaukosten
hierfür werden durch die über die Eltern eingesetzen Mittel der Kinderbetreu-
ungskarte großteils gedeckt.

Mit Hilfe der Kinderbetreuungskarte fließen über die Eltern Mittel in das Be-
treuungssystem, so dass die bisherige Finanzierung erheblich ergänzt wird. Alle

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Eltern der relevanten Altersklasse erhalten über die Kinderkarte zweckgebun-
dene Finanzmittel, die für die Inanspruchnahme des Betreuungsplatzes be-
stimmt sind. Das bedeutet, dass über die Eltern Mittel in erheblichem Umfang
in das öffentliche System der Kindertagesbetreuung fließen. Daraus wiederum
entsteht mittelbar eine wichtige Unterstützung für die Kommunen, denen die
Umsetzung des ausgeweiteten Rechtsanspruchs obliegt.

Auf den Bund kommen mit der Einführung der Kinderbetreuungskarte Ausga-
ben in Höhe von 2,2 Mrd. Euro zu. Gewährt werden Pauschalen für Plätze in
Kindertagespflege und in Kindertageseinrichtungen. Bei letzteren wird noch-
mals zwischen Krippenplätzen und nach Plätzen in altersgemischten Gruppen
unterschieden. Die Leistungshöhe beträgt jährlich pro Krippenplatz 3 600 Euro,
pro Platz in altersgemischter Gruppe 2 340 Euro und in Kindertagespflege
2 130 Euro.

Gegenfinanzierung

Zur Gegenfinanzierung wird das bestehende Ehegattensplitting in eine Indivi-
dualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag von 10 000 Euro umgewan-
delt. Die dadurch entstehenden Mehreinnahmen für den Bund in Höhe von 2,13
Mrd. Euro fließen vollständig in die Finanzierung der Kinderbetreuungskarte.
Die Mehreinnahmen der Kommunen in Höhe von 0,75 Mrd. Euro verbleiben
bei diesen für die bei ihnen noch anfallenden Ausbaukosten.

Durch die Umwandlung des Ehegattensplittings entstehen auch bei den
Ländern Mehreinnahmen in Höhe von 2,13 Mrd. Euro. BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN fordern, dass auch diese Mittel vollständig in die Kinderbetreuung
fließen. Die zusätzlichen Mittel sollen je nach Situation vor Ort entweder für
den Ausbau der Ganztagsangebote für über dreijährige Kinder, für eine deut-
liche Qualitätsverbesserung bei den Betreuungsangeboten oder für eine Redu-
zierung der Elternbeiträge eingesetzt werden.

Die existierende Regelung zum Ehegattensplitting fördert die Ehe – unabhän-
gig davon, ob mit den Ehepartnern unterhaltsberechtigte Kinder leben. Mit der
Neuregelung des Ehegattensplittings soll bei unterschiedlichen Einkommen
beider Ehegatten oder Lebenspartner ein Teil des Einkommens des einen Ehe-
gatten oder Lebenspartners auf den anderen Ehegatten oder Lebenspartner steu-
erfrei übertragbar sein. Durch den übertragbaren Höchstbetrag werden die
Unterhaltspflichten zwischen Ehe- und Lebenspartnern steuerlich berücksich-
tigt und das verfassungsrechtliche Gebot der sozialrechtlichen Einstandspflicht
in der Ehe eingehalten.

Die Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag hat den Effekt,
dass für einkommensstarke Haushalte mit entsprechend unterschiedlich hohen
Einkommen der beiden Ehegatten die bisherige Ersparnis aus dem Ehegatten-
splitting sinkt. Der maximale Splittingvorteil tritt im Alleinverdienerfall ein
und kann derzeit bis zu 8 349 Euro pro Jahr inklusive Solidaritätszuschlag be-
tragen. Es ist sozial gerecht, den Splittingvorteil zu Gunsten einer verstärkten
und direkten Förderung von Familien zu begrenzen.

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