BT-Drucksache 16/1668

Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden - Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als Lackmustest für die Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialstandards

Vom 31. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1668
16. Wahlperiode 31. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Ute Koczy, Jürgen Trittin, Undine Kurth (Quedlinburg),
Cornelia Behm, Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Thilo Hoppe, Kerstin Müller
(Köln), Winfried Nachtwei, Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Schaden von der Reputation der Osteuropabank abwenden –
Das Öl- und Gasprojekt Sachalin II als Lackmustest für die Einhaltung
internationaler Umwelt- und Sozialstandards

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag bedauert das Ausmaß der Nichteinhaltung interna-
tionaler Umwelt- und Sozialnormen bei der Errichtung des weltweit größten
Öl- und Gasprojekts auf der russischen Pazifikinsel Sachalin. Das Öl- und
Gasprojekt Sachalin II umfasst drei Offshore-Bohrplattformen, Offshore-
und Onshore-Pipelines, Verladeeinrichtungen und Terminals. Das Öl und
Gas soll in 800 km langen Pipelines vom Norden in den Süden der Insel
transportiert worden, von wo es aus der ganzjährig eisfreien Aniva-Bucht
verschifft werden soll.

Das Konsortium Sakhalin Energy Investment Company Ltd. (SEIC) reali-
siert das Projekt. Der britisch-niederländische Konzern Shell ist mit 55 Pro-
zent an SEIC beteiligt, die japanischen Konzerne Mitsui und Mitsubishi mit
jeweils 25 und 20 Prozent. Die Gesamtkosten werden derzeit auf 20 Mrd.
US-Dollar geschätzt. Ursprüngliche SEIC-Schätzungen gingen von einer
halb so hohen Investitionssumme aus. Inzwischen ist Sachalin II nach Anga-
ben der Betreiber zu über 70 Prozent realisiert. Ein Großteil der Bauten
wurde somit bereits errichtet.

Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE/Osteu-
ropabank) in London prüft derzeit, ob sie dem Wunsch des Firmenkonsorti-
ums SEIC nach einer Teilfinanzierung von Sachalin II in Höhe von 300 Mio.
US-Dollar nachkommt. Aufgrund der im Regelfall äußerst aufmerksamen
Prüfung von Finanzierungsanträgen durch die EBWE hat eine Beteiligung an
Sachalin II Signalwirkung auch für andere Banken. Die Osteuropabank ver-
bindet ihre Kreditzusagen mit international gültigen Sozial- und Umwelt-
standards. Es steht allerdings zu befürchten, dass im Fall einer Kreditfinan-
zierung der EBWE für Sachalin II die bereits erfolgten und kaum noch

revidierbaren Verstöße von Shell, Mitsui und Mitsubishi gegen russische
und internationale Umwelt- und Sozialnormen die Glaubwürdigkeit der
EBWE dauerhaft beschädigen werden. Zudem sehen Experten eine stark er-
höhte Gefahr von zukünftigen großen Ölaustritten durch die Art und Weise
des Baus und Betriebs von Sachalin II. Die Verantwortung für eine Ölkata-
strophe in der empfindlichen Wildnis auf und vor Sachalin würde letztend-
lich auch die EBWE treffen.

Drucksache 16/1668 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Beim Bau von Sachalin II hat SEIC bereits gegen zahlreiche Standards ver-
stoßen, die für EBWE und Weltbank (International Finance Corporation –
IFC) grundsätzlich zu den Voraussetzungen einer Finanzierungsbeteiligung
zählen. Dazu gehört unter anderem, dass mit der Umsetzung des Projekts
vor Ort begonnen wurde, ohne die Umweltbeeinträchtigungen anhand einer
Umweltverträglichkeitsprüfung untersuchen zu lassen. Die Bundesregierung
stellte am 30. März 2006 in einem schriftlichen Bericht an den Ausschuss
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bun-
destages dazu fest: „Wenn sich die EBWE entschließen sollte, sich an der
Finanzierung zu beteiligen, billigt das Direktorium damit auch eine Abwei-
chung vom normalen Verfahren.“

Die Bevölkerung von Sachalin ist zunehmend skeptisch gegenüber dem Pro-
jekt. Über 10 000 Bewohnerinnen und Bewohner zweier besonders betroffe-
ner Städte auf der Insel haben inzwischen eine Petition an die Osteuropa-
bank unterschrieben, das Projekt nicht zu finanzieren. Die Protestbewegung
vereint lokale Fischer, gewählte Volksvertreter, den Gouverneur und die In-
digenen von Sachalin. Sie kritisieren auch, dass das Projekt auf nationaler
und lokaler Ebene weit weniger Einkünfte erbringen wird, als ursprünglich
versprochen.

Die lokale Bevölkerung, Experten und Nichtregierungsorganisationen stel-
len in Frage, ob die EBWE in der Lage ist sicherzustellen, dass in der laufen-
den Bauphase 2 von Sachalin II hohe Umweltstandards eingehalten werden.
Geleitet werden diese Bedenken von den Problemen bei der Durchsetzung
der Einhaltung von Umweltstandards während der viel kleineren Bauphase
1. Ein Audit der ersten Phase zeigt, dass in zwei Dritteln von 90 untersuch-
ten Punkten die Ergebnisse hinsichtlich der Einhaltung von Umweltstan-
dards negativ waren (siehe RSK ENSR Lenders Tier III HSE Audit for
Phase One).

Eine unter den Anteilseignern und in der Öffentlichkeit als sehr wichtig an-
gesehene Aufgabe der Osteuropabank ist es, Best-Practice-Methoden und
Standards in die Staaten Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion wei-
terzugeben. Die Bank hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie dieser Auf-
gabe nachzukommen vermag. Zur Vermittlung von Standards und Best-
Practice-Methoden kann es jedoch notwendig sein, dass die EBWE sich aus
Projekten, in denen Standards in hohem Maße missachtet werden, zurück-
zieht.

Selbst wenn Shell und seine Konsortialpartner auf Forderungen der EBWE
eingehen, kann sich die akute Gefährdung für die Bevölkerung und ihre na-
türliche Umwelt auf und vor Sachalin aufgrund des fortgeschrittenen Reali-
sierungsstandes des Projektes nur noch in geringen Teilen reduzieren lassen.
Es muss daher befürchtet werden, dass eine Entscheidung der Osteuropa-
bank für eine Finanzierungsbeteiligung an Sachalin II ein starkes Signal der
Aufweichung von Standards an zukünftige ähnliche Erschließungsvorhaben
aussenden würde. Zudem würde sich die EBWE in akutem Maße der Gefahr
eines Reputationsverlustes aussetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert darum die Bundesregierung als Anteilseig-
nerin der EBWE auf,

1. darauf hinzuwirken, dass die EBWE ihre Beschlussempfehlung für das
Direktorium unter Berücksichtigung der damit verbundenen hohen Präze-
denzwirkung hinsichtlich der Aufweichung von Standards erarbeitet;

2. im Direktorium der EBWE aufgrund der beschriebenen massiven Nicht-

einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards beim Bau von Sachalin II
einer Kreditvergabe an SEIC nicht zuzustimmen;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1668

3. sich innerhalb der EBWE auch in Zukunft für eine konsequente Einhal-
tung der eigenen Standards einzusetzen;

4. sich innerhalb der EBWE dafür einzusetzen, dass der möglicherweise
bereits Anfang Juni 2006 zur Verabschiedung anstehende Entwurf für
eine neue Energiepolitik der Bank dahin gehend überarbeitet wird, dass
die Finanzierung von Energieeffizienz und erneuerbaren Energien (ohne
Berücksichtigung großer Wasserkraftwerke) in weit stärkerem Maße aus-
gedehnt wird, als im Entwurf vorgesehen.

Berlin, den 31. Mai 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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