BT-Drucksache 16/1643

Für eine starke Wissenschaftsinfrastruktur im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern

Vom 30. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1643
16. Wahlperiode 30. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Krista Sager, Kai Boris Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Grietje Bettin, Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann,
Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine starke Wissenschaftsinfrastruktur im gemeinsamen Interesse
von Bund und Ländern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Föderalismusreform sieht vor,
dass die bisherige Gemeinschaftsaufgabe (GA) Hochschulbau nach Artikel 91a
Abs.1 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) beendet wird und in einem neuen Artikel
91b GG lediglich gemeinsame Forschungsförderung von überregionaler Bedeu-
tung möglich sein soll.

Damit entfällt die gemeinsame Prioritätensetzung für den Hochschulbau durch
Bund und Länder. Der Bund wird zwar bis 2013 rund 700 Mio. Euro jährlich
weiterhin für den Hochschulbau an die Länder ausschütten, die anderen 30 Pro-
zent der Mittel werden im Rahmen der neuen GA Forschungsförderung inkl.
Großgeräte eingesetzt. Die Länder sollen aber sofort aus der Verpflichtung
entlassen werden, ihren Beitrag für den Hochschulbau ebenfalls erbringen zu
müssen.

Nach einer Überprüfungsphase soll die Zweckbindung Ende 2013 dann auch
für die Bundesmittel entfallen. Das heißt, die Länder wären vorbehaltlich der
Überprüfung völlig frei, die bis 2019 ausgezahlten Bundesmittel für völlig an-
dere Investitionsvorhaben einzusetzen.

Die an die Länder ausgeschütteten jährlichen Festbeträge richten sich nach den
Zahlungen bzw. vorgesehenen Zahlungen an die einzelnen Länder aus der
Referenzperiode 2000 bis 2008. Ungleichgewichte und Ungerechtigkeiten bei
der Mittelverteilung in der Vergangenheit werden also zementiert und in die
Zukunft fortgeschrieben.

Die Finanzierungsmechanismen der GA Hochschulbau stehen seit vielen Jahren
in der Kritik: Die komplizierten Verfahren mit mehrstufigen stets überbuchten
Rahmenplänen werden nur noch von Spezialisten durchschaut. Den Landespar-
lamenten ist eine angemessene Mitwirkung bei der Entscheidung über Hoch-

schulbaumaßnahmen kaum noch möglich. Die Verteilung der Hochschulbau-
mittel erfolgt nicht nach einer festen Quote, sondern ist davon abhängig, wie
weit die Länder Projekte in der Vergangenheit realisieren konnten. Länder, die
ihre Möglichkeiten – z. B. wegen fehlender Komplementärmittel – nicht voll
ausschöpfen konnten, würden nun auch in der Zukunft schlechter gestellt.
Starke Länder, die Mittel überproportional abgeschöpft haben, würden dadurch
zukünftig besser gestellt.

Drucksache 16/1643 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die mangelnde Berücksichtigung der Nachfrage nach Studienplätzen und der
Studierendenströme bei der Verteilung der Mittel steht schon seit langem im
Mittelpunkt der Kritik vieler Politiker, Politikerinnen und Fachleute. Eine
ausschließliche Vergabe der Hochschulbaumittel nach Studierendenzahlen ist
jedoch nicht möglich, da die unterschiedlichen Fächer und Hochschulbereiche
sehr unterschiedliche Investitionsbedarfe sowohl für die Lehre als auch für die
Forschung haben.

Bei einer sofortigen Beendigung und Auflösung der GA Hochschulbau wäre es
allerdings kaum möglich – quasi nachträglich – neue Spielregeln für die Mittel-
verteilung einzuführen. Eine sofortige Auflösung der GA würde also zwangsläu-
fig zu Verlierern (z. B. Nordrhein-Westfalen, Hamburg; Berlin, Rheinland-Pfalz
und Hessen) und Gewinnern auf der Länderseite führen und bestehende Dispari-
täten und Ungleichgewichte verstärken. Das Verfassungsgebot der Gleichwertig-
keit der Lebensverhältnisse würde weiter entwertet und ignoriert.

Der Verzicht auf jede Selbstverpflichtung der Länder und der mittelfristige
Wegfall der Zweckbindung für die Bundesmittel würden dazu führen, dass in
vielen Bundesländern schon sehr bald deutlich weniger Mittel für den Hoch-
schulbau zur Verfügung stünden.

Eine leistungsfähige wissenschaftliche Infrastruktur ist aber von gesamtstaat-
licher Bedeutung. Hinreichende Mittel für wissenschaftliche Infrastruktur ist
sowohl für die Lehre als auch für die Forschung notwendig. Die steigenden
Studienbewerberzahlen in den nächsten Jahren erfordern zusätzliche Investitio-
nen in die Hochschulinfrastruktur, um diese Chance für die Erreichung einer
höheren Absolventenquote zu nutzen, bevor der demografische Wandel auch
die Hochschulen erreicht.

Für die Rekrutierung von wissenschaftlichem Personal auch für die Forschung
ist die Qualität der Hochschulinfrastruktur von entscheidender Bedeutung.

Eine gute Hochschulinfrastruktur ist auch entscheidend für den wirtschaft-
lichen Wettbewerb von Regionen, da Hochschulen zunehmend zentrale Kristal-
lisationspunkte für die regionalwirtschaftliche Clusterbildung sind.

Ein erheblicher Anteil der Mittel aus der GA Hochschulbau fließt heute in die
Modernisierung und Sanierung der Universitätsklinken, deren Zukunft nach der
Auflösung der GA unter Experten als besonders ungesichert gilt.

Bei der Qualitätssicherung und Evaluierung von Investitionsentscheidungen im
Hochschulbereich spielt heute der Wissenschaftsrat eine zentrale Rolle, die
nach einer Beendigung der GA ebenfalls in Frage gestellt wäre.

Eine Bagatellegrenze von 5 Mio. Euro bei der Vergabe der übrigen (30 Prozent)
Mittel aus der bisherigen GA im Rahmen einer neuen GA Forschungsförderung
z. B. für Großgeräte würde – gemessen an der Mittelverteilung der vergangenen
Jahre – außer Bayern und Baden-Württemberg kaum anderen Bundesländern
eine Chance eröffnen, wichtige Infrastrukturvorhaben von überregionaler Be-
deutung aus dieser neuen GA finanziert zu bekommen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● dafür Sorge zu tragen, dass die gemeinsame Förderung von Investitionen für
Hochschul- und Forschungszwecke durch Bund und Länder weiterhin mög-
lich bleibt. Die Möglichkeit, bei Investitionen im Hochschul- und Forschungs-
bereich zusammenzuwirken, soll zukünftig generell als Kann-Bestimmung
mit Befristungsregelung und verpflichtender Evaluierung geregelt werden;

● bis Ende 2007 unter Mitwirkung von Expertinnen und Experten z. B. des Wis-

senschaftsrates und der Hochschulrektorenkonferenz das bisherige Regelwerk
und die Verfahren der GA Hochschulbau neu zu regeln, zu modernisieren und

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1643

zu vereinfachen. Dabei ist auch darauf zu achten, dass die Landesparlamente
in Zukunft besser an den Prioritätsentscheidungen ihres jeweiligen Bundes-
landes mitwirken können;

● bei der Verhandlung über eine Neuregelung das Ziel zu verfolgen, einen
Ausgleichsmechanismus zwischen den Ländern, die überproportional viel
zur Ausbildung von Studierenden beitragen und denjenigen Ländern, die
relativ wenig zur Studierendenausbildung beitragen, zu vereinbaren;

● insgesamt das Ziel zu verfolgen, bei der Vergabe der Mittel für Hochschul-
bauinvestitionen die Studierendennachfrage und Studierendenströme stärker
zu berücksichtigen;

● bei der Neuregelung zukünftig eine Bevorzugung finanzstarker Länder und
eine Benachteiligung finanzschwächerer Länder sowie eine Verschärfung
von Disparitäten zu vermeiden;

● bei der Neuregelung ferner dafür Sorge zu tragen, dass Mittel des Bundes
aus der bisherigen GA Hochschulbau in den Ländern nicht für andere Inves-
titionszwecke eingesetzt werden können;

● im Rahmen einer neu geregelten GA dafür Sorge zu tragen, dass die Länder
sich nicht aus jeder Selbstverpflichtung und Verantwortung für den Hoch-
schulbau verabschieden können;

● bei der Neuregelung dafür Sorge zu tragen, dass die Zukunft und Perspek-
tiven der Universitätskliniken gesichert und geklärt werden;

● bei der Vergabe von Mitteln für Großgeräte nicht wie bisher geplant eine
Bagatellegrenze von 5 Mio. Euro einzuführen;

● bei der Neureglung dafür Sorge zu tragen, dass der Wissenschaftsrat eine
zentrale Rolle für die Qualitätssicherung und Evaluierung im Bereich Hoch-
schulbau behält.

Berlin, den 30. Mai 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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