BT-Drucksache 16/1639

Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Staudammprojekt

Vom 30. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1639
16. Wahlperiode 30. 05. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, Dr. Norman Paech,
Heike Hänsel, Ulla Lötzer und der Fraktion DIE LINKE.

Hermes-Bürgschaft für das Ilisu-Staudammprojekt

Der Bundesregierung liegt derzeit ein Antrag für eine Exportkreditversicherung
über ca. 100 Mio. Euro für die Beteiligung der ZÜBLIN AG am Bau des Ilisu-
Staudamms am Tigris im Südosten der Türkei vor. Ein erstes im Jahr 1997 auf
den Weg gebrachtes Vorhaben zum Bau dieses Staudamms scheiterte, nachdem
sich 2001 einige Konsortialpartner und mit der Union Bank of Switzerland
schließlich auch der Hauptfinanzier aufgrund sozialer und ökologischer Beden-
ken aus dem Projekt zurückzogen. Ende 2005 wurden für den Bau des umstrit-
tenen Staudamms eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung und ein neuer
Umsiedlungsplan vorgelegt, mit denen nach Darstellung des Konsortiums die
Kritikpunkte ausgeräumt werden sollten.

Der Weltbank- und OECD-Experte für Umsiedlungsfragen, Prof. Dr. Michael
M. Cernea, kommt demgegenüber in einem von ihm für die Berne Declaration
und die Ilisu Campaign Europe erstellten Gutachten vom Februar 2006 zu dem
Schluss, dass der Umsiedlungsplan keinesfalls ausgereift genug ist, um als
Grundlage für eine Exportkreditversicherung anerkannt zu werden. Ersatzland
für die über 50 000 von Umsiedelung Betroffenen stehe nicht in ausreichendem
Maße zur Verfügung. Die geplanten Maßnahmen zur Schaffung neuer Einkom-
mensquellen schätzt Prof. Dr. Michael M. Cernea als völlig unrealistisch ein.

Ein von WEED und weiteren Nichtregierungsorganisationen bei dem Wasser-
forschungsinstitut EAWAG und der Consultingfirma Philip Williams & Asso-
ciates in Auftrag gegebenes Gutachten hat zudem die neue Umweltverträglich-
keitsprüfung gründlich analysiert. Die Gutachter heben hervor, dass mit den
Versäumnissen in der Alternativenprüfung sowie der fehlenden Berücksichti-
gung grenzüberschreitender Auswirkungen erhebliche Verfahrensfehler began-
gen wurden. Die Gutachter befürchten eine dramatische Verschlechterung der
Wasserqualität, ein massives Fischsterben sowie die Zerstörung lebenswichtiger
Lebensräume bedrohter Vogelarten und anderer Tiere. Zu demselben Ergebnis
kam der Türkische Naturschutzverein Doga Dernegi.

Das Ilisu-Staudammprojekt droht im Übrigen unwiederbringliche Kulturgüter
zu vernichten. Die bestehenden Pläne zur Rettung des Kulturgutes scheinen ins-
besondere mit Blick auf den Zeitplan und die zur Verfügung gestellten Ressour-

cen unrealistisch zu sein. Im Falle einer Flutung würden die immensen kulturel-
len Schätze der Jahrtausende alten Stadt Hasankeyf und der Umgebung für
immer untergehen.

Besondere Brisanz erhält das Projekt durch die Tatsache, dass der Tigris ein
grenzüberschreitender Fluss ist. Die Anrainerstaaten Syrien und Irak wären von
der Aufstauung des Wassers maßgeblich betroffen.

Drucksache 16/1639 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesregierung über die Bewil-
ligung der beantragten Hermes-Bürgschaft für den Ilisu-Staudamm?

b) Sind diese Kriterien nach Auffassung der Bundesregierung erfüllt?

c) Wenn nein, wurden dem Antragsteller zur Bewilligung einer Hermes-
Bürgschaft Auflagen gestellt, und wenn ja, welche?

d) Wann beabsichtigt die Bundesregierung eine Entscheidung über die bean-
tragte Bürgschaft zu fällen?

2. a) Geht die Bundesregierung angesichts der beantragten Exportkreditversi-
cherung davon aus, dass das Ilisu-Staudammprojekt nach dem derzeitigen
Planungsstand nachhaltige Schäden an der Umwelt verursachen wird, und
wenn ja, welche?

b) Hat die Bundesregierung die von den zuständigen türkischen Behörden er-
stellte Umweltverträglichkeitsprüfung einer eigenständigen Begutachtung
unterzogen?

c) Wenn ja, zu welchem Ergebnis hat dies geführt?

d) Wenn nein, was hat die Bundesregierung dazu bewegt, darauf zu verzich-
ten?

3. a) Hält die Bundesregierung die im Umsiedlungsplan genannten Maßnah-
men zur Entschädigung der durch das Projekt betroffenen Personen für
ausreichend?

b) Geht die Bundesregierung davon aus, dass die im Umsiedlungsplan ge-
nannten Maßnahmen zur Wiederherstellung der Einkommensgrundlagen
der durch das Projekt betroffenen Personen ausreichen, um deren Exis-
tenzgrundlagen dauerhaft zu sichern?

c) Hat die Bundesregierung den von den zuständigen türkischen Behörden
erstellten Umsiedlungsplan einer eigenständigen Begutachtung unterzo-
gen?

d) Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

e) Wenn nein, was hat die Bundesregierung dazu bewegt, darauf zu verzich-
ten?

4. a) Welchen Stellenwert weist die Bundesregierung der Gefährdung von Kul-
turgut in ihrer Entscheidung zu?

b) Geht die Bundesregierung angesichts der beantragten Exportkreditversi-
cherung davon aus, dass die Rettung der archäologischen Schätze der
Stadt Hasankeyf sichergestellt ist?

c) Hält die Bundesregierung die von der türkischen Regierung vorgelegten
archäologischen Rettungspläne für angemessen und ausreichend?

d) Wenn ja, hält sie die darin vorgesehenen Maßnahmen für umsetzbar?

5. a) Geht die Bundesregierung davon aus, dass das Ilisu-Staudammprojekt
nach derzeitigem Planungsstand die internationalen Standards der Welt-
bank und der OECD sowie die Empfehlungen der Weltstaudammkommis-
sion (WCD) einhält?

b) Wenn nein, in welchen Bereichen werden nach Ansicht der Bundesregie-
rung diese Standards nicht eingehalten?

Wurde dieser Standpunkt dem Konsortium mitgeteilt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1639

6. a) Wie schätzt die Bundesregierung das internationale Konfliktpotential ein,
das durch die Stauung des Tigris entsteht?

b) Welche Rolle spielt dies für den Genehmigungsprozess der beantragten
Exportkreditversicherung?

c) Ist die Bundesregierung über die Einbeziehung der zuständigen Stellen im
Irak und Syrien in die Planungen durch die türkische Regierung infor-
miert?

d) Wenn ja, in welcher Form und mit welchem Ergebnis ist dies geschehen?

e) Wenn nein, welche Anstrengungen hat sie unternommen, um an diese
Informationen zu gelangen?

Berlin, den 29. Mai 2006

Hüseyin-Kenan Aydin
Monika Knoche
Dr. Norman Paech
Heike Hänsel
Ulla Lötzer
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.