BT-Drucksache 16/1544

Überschuldung privater Haushalte wirksam bekämpfen

Vom 18. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1544
16. Wahlperiode 18. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, Kersten Naumann,
Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann, Ulla Lötzer und der Fraktion DIE LINKE.

Überschuldung privater Haushalte wirksam bekämpfen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Jeder zwölfte Privathaushalt der Bundesrepublik Deutschland ist auf absehbare
Zeit nicht in der Lage, aus Einkommen oder Vermögen seine laufenden Zah-
lungsverpflichtungen zu erfüllen. Er gilt somit als zahlungsunfähig. Die Anzahl
der überschuldeten Haushalte hat sich seit 1993 mehr als verdoppelt und beläuft
sich gegenwärtig auf 3,13 Millionen. Weitere 570 000 Haushalte sind darüber
hinaus akut überschuldungsgefährdet.

Die Hauptursache der Überschuldung ist lang anhaltende Arbeitslosigkeit oder
ein dauerhaftes Niedrigeinkommen. Die wichtigste weitere Ursache ist der
Eintritt kritischer Lebenssituationen wie Krankheit, Trennung und gescheiterte
Selbständigkeit. Darüber hinaus führen auch die Vergabe nicht angemessener
Kredite ohne sorgfältige Bonitätsprüfung durch die Kreditinstitute sowie das
Eintreten von Bürgschaftsverpflichtungen zu Überschuldungen.

Laut Schuldenreport 2006 hatte in den alten Bundesländern die Mehrzahl der
betroffenen Haushalte Schulden zwischen 10 000 und 50 000 Euro, in den neuen
Bundesländern betrugen diese zwischen 2 500 und 10 000 Euro. Gläubiger sind
zu 70 Prozent Banken und Sparkassen, gefolgt von Versandhäusern und Ver-
sicherungsinstituten.

Hilfe erhalten überschuldete Menschen bei Schuldnerberatungen. Für die Eröff-
nung eines Verfahrens zur Privatinsolvenz ist die Beratung zudem gesetzlich
vorgeschrieben. Als Element der Daseinsvorsorge haben sich Schuldnerberatun-
gen nach Feststellung der Bundesregierung im jüngsten Armuts- und Reich-
tumsbericht (Bundestagsdrucksache 15/5015) „zu einem unverzichtbaren
Bestandteil der sozialen Infrastruktur entwickelt“. Auf Grundlage des Sozial-
rechts (Zweites und Zwölftes Buch Sozialgesetz – SGB II und SGB XII) werden
Schuldnerberatungsstellen von Städten und Gemeinden sowie den Wohlfahrts-
verbänden finanziert. Darüber hinaus erfolgt eine teilweise Finanzierung durch
Länder, sofern eine Anerkennung als Insolvenzberatungsstelle gemäß § 305 der
Insolvenzordnung (InsO) vorliegt. Die Finanzierungsstruktur unterscheidet sich

von Land zu Land erheblich. So wurden in Berlin und Schleswig-Holstein
Landesmittel für das Haushaltsjahr 2006 aufgestockt, hingegen in Hessen sämt-
liche Landesmittel für die Insolvenzberatung gestrichen.

Ohne qualifizierte Schuldnerberatung haben die betroffenen Menschen kaum
eine Chance, ihre aus der Überschuldung resultierenden Probleme zu lösen.
Soziale Kosten aus einer nicht bewältigten Überschuldung sind zudem ungleich
höher als die Kosten einer Beratung.

Drucksache 16/1544 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Nach Einschätzung des Schuldenreports 2006 reicht das bestehende Angebot an
Schuldnerberatungsstellen nicht aus, um die Zahl der überschuldeten Haushalte
zu verringern. Die 1 200 Beratungsstellen in der Bundesrepublik erreichen
aufgrund ihrer begrenzten Kapazitäten nur jeden achten überschuldeten Privat-
haushalt. Um eine hinreichende personelle Ausstattung mit Beratungsfach-
kräften zu gewährleisten, sind laut Schuldenreport bundesweit 1 000 zusätzliche
Berater notwendig. So könnten deutlich mehr überschuldete Menschen mit
Beratungsangeboten erreicht, die Qualität der Beratung erhöht und der Bevöl-
kerung finanzielles Allgemeinwissen vermittelt werden.

Wie aus ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
(Bundestagsdrucksache 16/1079) sowie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage
(Bundestagsdrucksache 16/1197) hervorgeht, sieht die Bundesregierung keine
rechtlichen Anknüpfungspunkte und keinen Bedarf, sich an der Finanzierung
der Schuldnerberatungsstellen zu beteiligen. Ebenfalls sieht sie nicht die
Notwendigkeit, geeignete gesetzliche Regelungen zu schaffen, um für die
Schuldner- und Insolvenzberatung finanzielle Planungssicherheit zu erreichen
und die Kreditwirtschaft an der Finanzierung zu beteiligen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Schuldnerberatung auszubauen, da sie nachweislich zur Existenzsiche-
rung und Stabilisierung überschuldeter Menschen beiträgt, das geeignete
Instrument zur Vermittlung zwischen Schuldner- und Gläubigerinteressen
darstellt und soziale Folgekosten senkt;

2. eine gesetzliche Grundlage zur langfristigen, ausreichenden und kontinu-
ierlichen Finanzierung der Schuldnerberatung zu schaffen. Neben den
Bundesländern, Kommunen und Wohlfahrtsverbänden beteiligt sich der
Bund mit Haushaltsmitteln. Die Kreditinstitute und Wirtschaftsverbände
werden, wie in anderen Ländern bereits der Fall, entsprechend der durch-
schnittlichen Gläubigerstruktur an der Finanzierung beteiligt;

3. als Grundlage der Finanzierung in Zusammenarbeit mit Städten und Gemein-
den sowie den in der Schuldnerberatung engagierten Verbänden einen Be-
darfsschlüssel zu ermitteln.

Berlin, den 17. Mai 2006

Dr. Barbara Höll
Dr. Kirsten Tackmann
Kersten Naumann
Dr. Axel Troost
Sabine Zimmermann
Ulla Lötzer
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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