BT-Drucksache 16/1538

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/1025, 16/1524- Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts

Vom 17. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1538
16. Wahlperiode 18. 05. 2006

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Mechthild Dyckmans, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Jörg van Essen,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Heinrich L.
Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina
Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/1025, 16/1524 –

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Genossenschaft
und zur Änderung des Genossenschaftsrechts

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Gesetz zur Einführung der Europäischen Genossenschaft und zur
Änderung des Genossenschaftsrechts wird zum einen das deutsche Genossen-
schaftsrecht modernisiert und den Bedingungen der Zeit angepasst. Die Än-
derungen des deutschen Genossenschaftsgesetzes, die sich aufgrund der Be-
ratungen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages unter Einbeziehung
von Sachverständigen ergeben haben, stellen eine im Verhältnis zu den Vor-
schlägen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung begrüßenswerte Weiterent-
wicklung des Genossenschaftsrechts dar. Das neue deutsche Genossenschafts-
gesetz wird dazu beitragen, dass mehr Genossenschaften gegründet und kleine
Genossenschaften von Bürokratie und unnötigen Regelungen befreit werden.
Damit wird den der Rechtsform der Genossenschaft innewohnenden Prinzipien

der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung besonderer Aus-
druck verliehen. Die Genossenschaften werden im Wettbewerb gestärkt.

Mit dem Gesetz sollen des Weiteren die Vorgaben durch die EU-Verordnung
(EG) Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft sowie
durch die Richtlinie 2003/72/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen
Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer in deutsches

Drucksache 16/1538 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Recht umgesetzt werden. Bei dieser Umsetzung ist es zum Vorteile deutscher
Gesellschaften, Genossenschaften sowie der deutschen Wirtschaft notwendig,
EU-Vorgaben 1 : 1 umzusetzen und nicht zum Nachteil deutscher Unternehmer
und damit deutscher Arbeitsplätze auszuweiten.

Durch die Einführung der Europäischen Genossenschaft wird nach der Ein-
führung der Europäischen Gesellschaft (SE) auch für Genossenschaften eine
europäische Rechtsform zur Verfügung gestellt. Diese neue europäische Rechts-
form soll den Besonderheiten der Genossenschaften gerecht werden, die als
eigenständige und freiwillige Vereinigungen von Personen der Wahrnehmung
gemeinsamer wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Interessen und
Bedürfnisse mittels eines in Gemeineigentum befindlichen und demokratisch
gelenkten Unternehmens dienen.

Für die Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für Genossenschaften im
europäischen Wettbewerb und im Interesse ihrer wirtschaftlichen Entwicklung
ist die Einführung der Europäischen Genossenschaft in Deutschland ein wich-
tiger Schritt. So können lange historische Traditionen der deutschen Genossen-
schaften bewahrt werden und sich auch auf europäischer Ebene weiterent-
wickeln. Genossenschaften stellen einen wichtigen und nicht zu unterschätzen-
den Faktor der deutschen Wirtschaft dar. Es ist wichtig, ihnen im Zusammen-
hang mit der Gründung Europäischer Genossenschaften im Rahmen der
europäischen Vorgaben möglichst viele Freiräume zu gewähren und sie nicht
durch beengende Regelungen im europäischen Wettbewerb einzuschränken. Es
sollten vielmehr alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die der
Erleichterung der Gründung Europäischer Genossenschaften unter Einbezie-
hung deutscher Gesellschaften und Genossenschaften dienen.

Die Europäische Genossenschaft kann auf verschiedene Weise gegründet wer-
den: durch Neugründung, Verschmelzung oder Umwandlung. Voraussetzung ist
stets, dass die Gründer aus mindestens zwei verschiedenen Mitgliedstaaten
stammen. Um die Beteiligung von deutschen Gesellschaften und Genossen-
schaften an Gründungen zu unterstützen und zu fördern, ist sicherzustellen, dass
ausländische Gesellschaften oder Genossenschaften, die mit einer deutschen
Gesellschaft oder Genossenschaft eine Europäische Genossenschaft gründen
wollen, durch die deutschen Vorschriften der Umsetzung von EU-Vorgaben, ins-
besondere hinsichtlich der Regelung der Beteiligung der Arbeitnehmer nicht
von einer Gründung insbesondere durch Verschmelzung abgehalten werden.

Ein gewichtiges Kriterium für die Gründung einer Europäischen Genossen-
schaft zusammen mit einer deutschen Genossenschaft sind für Genossenschaf-
ten mit Sitz in anderen europäischen Mitgliedstaaten die deutschen Um-
setzungsvorschriften zur Richtlinie 2003/72/EG zur Ergänzung des Statuts der
Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer.
Wie bereits bei der Umsetzung der EU-Vorgaben zur Europäischen Gesellschaft
wiederholt deutlich wurde, stellt der Export der deutschen Mitbestimmung in
europäische Unternehmensformen einen Hemmschuh für deutsche Unterneh-
men und damit für die Förderung deutscher Arbeitsplätze dar.

Die EU-Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen
Genossenschaft erlaubt die Gründung einer Europäischen Genossenschaft ent-
weder mit dem dualistischen Modell (Aufsichts- und Leitungsorgan) oder dem
monistischen Modell (Verwaltungsorgan). Die Einführung des monistischen
Systems für die Europäische Genossenschaft ist ein wichtiger Schritt für die
Gründung der Europäischen Genossenschaft. Eine Auswahl zwischen dem
dualistischen Modell und dem monistischen System bedeutet für die Unterneh-
men eine größere Wahl- und Entscheidungsfreiheit im internationalen Kontext.
Insbesondere ausländischen Investoren aus dem angelsächsischen Rechtsraum

ist das monistische System bekannter und vertrauter.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1538

Die Beteiligung der Arbeitnehmer in der monistisch organisierten Europäischen
Genossenschaft bestimmt sich nach den Vorgaben der Richtlinie 2003/72/EG
des Rates zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsicht-
lich der Beteiligung der Arbeitnehmer. Danach wird in der Europäischen Genos-
senschaft eine Vereinbarung über die Arbeitnehmerbeteiligung entweder gemäß
dem Verhandlungsverfahren oder gemäß der Auffangregelung zur Beteiligung
der Arbeitnehmer in dieser Richtlinie getroffen. Wird in dem Verhandlungsver-
fahren keine Einigung über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Verwaltungs-
organ der Europäischen Genossenschaft erzielt, soll sich nach einer im Anhang
zur Richtlinie formulierten Auffangregelung die Zahl der Arbeitnehmervertreter
im Verwaltungsorgan der Europäischen Genossenschaft nach dem höchsten An-
teil an Arbeitnehmervertretern richten, der in den Organen der beteiligten Ge-
sellschaften vor der Eintragung der Europäischen Genossenschaft bestanden
hat. Das höchste jeweilige nationale Niveau der Mitbestimmung ist damit maß-
geblich für die Zahl der Arbeitnehmervertreter.

Da es im deutschen Recht nur das dualistische System gibt, nicht jedoch ein
monistisches System, muss das Gesetz zur Einführung der Europäischen Genos-
senschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts für die Fälle, in denen
keine Einigung über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats getroffen wird,
nach der Auffangregelung der Richtlinie 2003/72/EG des Rates zur Ergänzung
des Statuts der Europäischen Genossenschaft hinsichtlich der Beteiligung der
Arbeitnehmer die Grundsätze des deutschen Mitbestimmungsrechts für das
dualistische System auf das monistische System übertragen. Für die Über-
tragung der Regelungen der Mitbestimmung auf das monistische System gilt
nach den EU-Vorgaben, dass die Beteiligung von Arbeitnehmern nicht beseitigt
oder eingeschränkt werden darf. Die bisherigen Regelungen zur Mitbestimmung
sollen demnach – ausgehend von den entsprechenden EU-Vorgaben – erhalten
bleiben. Es bestehen jedoch keine EU-Vorgaben dahin gehend, dass die Rege-
lungen der Mitbestimmung, sofern sie nach innerstaatlichem Recht z. B. für das
kontrollierende und beaufsichtigende Organ galten, auf das geschäftsführende
Organ auszudehnen sind.

Die deutschen Regelungen zur Mitbestimmung beziehen sich auf das dualisti-
sche System mit Aufsichtsrat und Vorstand. Die Funktionen dieser zwei Organe
gehen in der monistischen Europäischen Genossenschaft vollständig in einem
einzigen Verwaltungsorgan auf. Das bedeutet: Der Verwaltungsrat ist zugleich
Leitungs- und Überwachungsorgan der Europäischen Genossenschaft. Die
Übertragung der Grundsätze der paritätischen Mitbestimmung der Arbeit-
nehmer im Aufsichtsrat auf den Verwaltungsrat einer monistischen Euro-
päischen Genossenschaft ohne funktionale und qualitative Anpassung, wie sie
der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorsieht, bedeutet daher einen Macht-
zuwachs der Arbeitnehmervertreter in einer monistisch geführten Europäischen
Genossenschaft.

Die Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat wären nach Fassung des Gesetz-
entwurfs der Bundesregierung zusätzlich zu den Kontrollfunktionen, die den
Aufgaben des Aufsichtsrats im dualistischen System entsprechen, auch in unter-
nehmerische Entscheidungen einzubinden, die im dualistischen System vom
Vorstand getroffen und vom mitbestimmten Aufsichtsrat nur überwacht werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Mitbestimmungsgesetz
(1. März 1979 – 1 BvR 532,533/77, 419/78, 1 BvL 21/78) die paritätische
Mitbestimmung mit Artikel 14 des Grundgesetzes für vereinbar erklärt – dies
jedoch unter der Prämisse, dass der Gesetzgeber sich jedenfalls dann innerhalb
der Grenzen zulässiger Inhalts- und Schrankenbestimmung halte, wenn die Mit-
bestimmung der Arbeitnehmer nicht dazu führt, dass über das im Unternehmen

investierte Kapital gegen den Willen der Anteilseigner entschieden werden
kann, wenn diese nicht auf Grund der Mitbestimmung die Kontrolle über die

Drucksache 16/1538 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Führungsauswahl im Unternehmen verlieren und wenn ihnen das Letztent-
scheidungsrecht belassen wird.

Das Mitbestimmungsniveau in Deutschland wird durch die Vorschläge des
Gesetzentwurfs über die europäischen Vorgaben hinaus deutlich ausgeweitet.
Diese Ausweitung der Mitbestimmung auf das Leitungsorgan einer Genossen-
schaft wird insbesondere ausländische Investoren von Investitionen in Euro-
päische Genossenschaften mit Beteiligung deutscher Genossenschaften oder
Gesellschaften abschrecken, nicht aber sie zu wünschenswerten Investitionen
ermuntern. Durch die Europäische Genossenschaft werden so in Deutschland
keine Arbeitsplätze geschaffen, sondern in das Ausland unter Ausschluss deut-
scher verschmelzungswilliger Genossenschaften verlagert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. durch entsprechende gesetzliche Regelungen sicherzustellen, dass die in
Deutschland geltenden Grundsätze der Unternehmensmitbestimmung bei der
Einführung der Europäischen Genossenschaft nicht ausgeweitet, sondern
qualitativ, funktional und ihrer gesellschaftsrechtlichen Funktion entspre-
chend auf die Europäische Genossenschaft übertragen und damit europa-
rechtskonform in die monistisch geführte Rechtsform integriert werden;

2. durch entsprechende Regelungen sicherzustellen, dass eine Ausweitung der
Mitbestimmung auf das Leitungs- und Geschäftsführungsorgan der Euro-
päischen Genossenschaft ausgeschlossen ist.

Berlin, den 18. Mai 2006

Mechthild Dyckmans
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk

Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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