BT-Drucksache 16/1533

Indisch-amerikanisches Nuklearabkommen substantiell nachbessern oder ablehnen

Vom 18. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1533
16. Wahlperiode 18. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Elke Hoff, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Birgit Homburger, Dr. Heinrich L. Kolb, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen,
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Indisch-amerikanisches Nuklearabkommen substantiell nachbessern
oder ablehnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 2. März 2006 haben der Präsident der Vereinigten Staaten, George W. Bush,
und der indische Premierminister, Mammohan Singh, ein Abkommen über eine
zivile Nuklearkooperation unterzeichnet. Diese bilaterale Übereinkunft ist ein
Wendepunkt in der US-amerikanischen Nuklearpolitik. Seit dem ersten in-
dischen Atomwaffentest im Jahre 1974 haben die Vereinigten Staaten jegliche
Form der Kooperation mit Indien auf nukleartechnischem Gebiet abgelehnt.
Diese nuklearpolitische Wende ist vor allem eine geostrategische Entscheidung
der Vereinigten Staaten und kein Schritt mit dem Ziel, das nukleare Nicht-
verbreitungsregime zukunftsfähiger zu machen. Für Indien endet mit dem Ab-
kommen nach fast 30 Jahren die Ära des atomaren Pariadaseins auf inter-
nationaler Ebene.

Die internationale nukleare Abrüstungspolitik steckt in einer Sackgasse. Diese
Erkenntnis hat sich nicht erst nach dem Scheitern der Überprüfungskonferenz des
nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) im vergangenen Jahr durchgesetzt.

Seit Jahren fordern Experten weltweit eine Reform des nuklearen Nichtverbrei-
tungsregimes. Besonders die Existenz der drei Atommächte Indien, Pakistan
und Israel außerhalb des Vertragswerks stellt eine Herausforderung für die inter-
nationale Gemeinschaft dar. Gerade hier bedarf es neuer Impulse. Daher ist es
grundsätzlich zu begrüßen, wenn Indien sich im Rahmen des amerikanisch-
indischen Nuklearabkommens internationalen Kontrollen unterwerfen will und
sich damit dem globalen Nichtverbreitungsregime annähert.

Drucksache 16/1533 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ein bilaterales amerikanisch-indisches Nuklearabkommen bedeutet aber auch
eine Zäsur in der internationalen Nichtverbreitungspolitik. Mit dem Abkommen
wird erstmals einem Staat, der nicht Mitglied des NVV und darüber hinaus
selbst Atommacht ist, Zugang zu externem Nuklearmaterial und modernstem
technologischen Know-how erhalten. Bisher war es das alleinige Recht der Mit-
gliedstaaten des NVV, unter internationaler Kontrolle Nukleartechnik friedlich
zu nutzen. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussion um das iranische Atom-
programm ist der Zeitpunkt für eine solche indische Sonderregelung schwer
nachvollziehbar. Es erweckt den Anschein, international würde mit zweierlei
Maß gemessen, und liefert den Verfechtern eines iranischen Atomwaffenpro-
gramms neue Nahrung. Die Glaubwürdigkeit des nuklearen Nichtverbreitungs-
regimes wird so auf’s Spiel gesetzt.

Bevor das amerikanisch-indische Nuklearabkommen in Kraft treten kann, be-
darf es noch der Zustimmung des US-Kongresses sowie der Nuclear Suppliers
Group (NSG).

Beratungen zu diesem Nuklearabkommen stehen auf der Tagesordnung der
nächsten Plenarsitzung der NSG, der Deutschland und die USA angehören. Die
Richtlinien der NSG schreiben vor, dass nukleare Exporte nur in solche Länder
getätigt werden dürfen, die Mitglied des NVV sind und sich in vollem Umfang
den Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) unterwerfen.
Indien erfüllt beide Bedingungen nicht.

Indien ist weder Mitglied des NVV, noch hat sich die indische Regierung dazu
verpflichtet, im Rahmen des Nuklearabkommens ihre gesamten Atomanlagen
unter internationale Kontrolle zu stellen. Die indische Regierung erklärt sich bis-
her nur bereit, ihre als zivil deklarierten Nuklearanlagen der internationalen
Kontrolle zu unterwerfen. Militärische Nuklearanlagen werden von der Verein-
barung nicht erfasst. Darüber hinaus entscheidet die indische Regierung selbst,
ob eine Reaktoranlage als zivil oder militärisch anzusehen ist. Daher werden nur
65 Prozent der indischen Atomanlagen den Inspektoren der IAEO zukünftig
offen stehen. Ganz ausgenommen aus der amerikanisch-indischen Vereinbarung
sind Indiens „schnelle Brüter“, die den Kern des indischen Atomwaffenpro-
gramms darstellen.

Eine Zustimmung der Nuclear Suppliers Group für eine indische Sonderreglung
unter diesen Konditionen würde die Existenzberechtigung der NSG selbst in
Frage stellen. Das nukleare Nichtverbreitungsregime würde einen finalen
Glaubwürdigkeitsverlust gegenüber Staaten wie Brasilien und Südafrika erlei-
den, die bewusst dem NVV beigetreten sind und auf ein Atomwaffenprogramm
verzichtet haben. Die Folgen für die internationale Sicherheit sind kaum abseh-
bar.

Deutschland ist Mitglied der NSG. Die Bundesregierung muss hier Verantwor-
tung für die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abrüstungspolitik und der nuklea-
ren Nichtverbreitung übernehmen. Jetzt, vor der endgültigen Beschlussfassung
in der NSG, ist noch Zeit, substantielle Nachbesserungen einzufordern, die In-
dien wirklich näher an das Nichtverbreitungsregime heranführen. Indien muss
als Kernwaffenstaat in dieselbe Verantwortung genommen werden wie die fünf
Atommächte des NVV. Die Bundesregierung darf sich nicht hinter den anderen
Mitgliedern der NSG verstecken und dadurch eine eindeutige Positionierung zu
diesem Thema vermeiden. Deutschland muss sich an die Spitze der Nichtkern-
waffenstaaten in der NSG stellen und für Nachverhandlungen des Nuklearab-
kommens zwischen Indien und den Vereinigten Staaten eintreten. Nur so kann
aus dieser bilateralen Vereinbarung statt eines Todesstoßes noch eine Chance für
das nukleare Nichtverbreitungsregime werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1533

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. sich in der Nuclear Suppliers Group gemeinsam mit anderen Mitgliedern
dafür einzusetzen, dass es zu erkennbaren Nachbesserungen des amerika-
nisch-indischen Nuklearabkommens kommt;

2. sich dafür einzusetzen, dass folgende Punkte im Rahmen von Nachverhand-
lungen vereinbart werden:

– Indien erklärt ein Moratorium für die Produktion waffenfähiger Spalt-
materialien und verzichtet auf einen weiteren Ausbau seines Atomwaffen-
programms;

– Indien verpflichtet sich, dem Vertrag über das umfassende Verbot von
Nuklearversuchen (CTBT) beizutreten;

– Indien muss klare und eindeutige Kriterien entwerfen, anhand derer die
Unterteilung zwischen zivilen und militärischen Atomanlagen erfolgt.
Sämtliche zivile Anlagen, auch zukünftige, müssen unter Kontrolle der
IAEO gestellt werden;

3. sich in der Nuclear Suppliers Group gegen das amerikanisch-indische
Nuklearabkommen auszusprechen und bei den anderen Mitgliedern für eine
Ablehnung zu werben, falls die Nachverhandlungen in den oben genannten
Punkten nicht in vollem Umfang Erfolg haben;

4. die bisherige nationale restriktive Exportpolitik für Nukleartechnologie gegen-
über Indien weiterhin aufrechtzuerhalten, so lange Indien keine wirklichen
Schritte einer Annäherung an das Nichtverbreitungsregime vollzieht.

Berlin, den 18. Mai 2006

Elke Hoff
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich (Bayreuth)
Dr. Edmund Peter Geisen
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Heinrich L. Kolb
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann

Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Michael Link (Heilbronn)
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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