BT-Drucksache 16/1445

Keine Unterstützung für die indische Atomrüstung

Vom 10. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1445
16. Wahlperiode 10. 05. 2006

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Dr. Norman Paech, Monika Knoche,
Wolfgang Gehrcke, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Heike Hänsel,
Dr. Hakki Keskin, Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Kirsten Tackmann, Alexander
Ulrich, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Unterstützung für die indische Atomrüstung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die atomare Weiterverbreitung stellt eine zunehmende Gefahr dar. Der Ver-
trag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (NVV) ist der Grundpfeiler
der deutschen Nichtverbreitungspolitik. Die Exportkontrollpolitik der Bun-
desrepublik Deutschland sollte darauf ausgerichtet sein, den NVV durch
positive Anreize für die Vertragsstaaten zu stärken. Als Mitglied der Nuclear
Suppliers Group (NSG), einem informellen Zusammenschluss von 45 Liefer-
ländern für atomar relevante Technologien zur Gewährleistung einheitlicher
und restriktiver Bestimmungen, hat die Bundesrepublik Deutschland erheb-
lichen Einfluss auf die Ausfuhrbestimmungen anderer Exporteure.

2. Das Abkommen zwischen den Regierungen der Vereinigten Staaten von
Amerika und Indiens über zivile nukleare Zusammenarbeit vom 2. März
2006 bricht mit dem in den Vereinigten Staaten bislang gesetzlich veranker-
ten Grundsatz, dass Staaten, die nach den Bestimmungen des NVV als
Nichtkernwaffenstaaten gelten, nur dann mit atomarem Brennstoff und
Technologie beliefert werden dürfen, wenn sie die Sicherungsmaßnahmen
der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) für ihre gesamten atomaren
Aktivitäten („full-scope safeguards“) akzeptieren. Dieser Grundsatz wurde
auf Drängen der USA auch in die NSG-Richtlinien (INFCIRC 254/Rev.1/
Part 1) aufgenommen. Das Abkommen kann deshalb nur dann im Einklang
mit den NSG-Regeln umgesetzt werden, wenn die US-Regierung bei den
anderen Teilnehmerstaaten der NSG eine Ausnahmeklausel für den Handel
mit Indien durchsetzt.

3. Es war der indische Atomtest von 1974, der die damalige US-Regierung die
Initiative zur Gründung der Nuclear Supliers Group ergreifen ließ. Da die
Exportrestriktionen auch Nichtkernwaffenstaaten des NVV treffen können,
die ihre sämtlichen Aktivitäten unter IAEA-Sicherungsmaßnahmen gestellt

haben, wurden die Richtlinien von vielen Vertragsstaaten mit Skepsis be-
trachtet. Durch eine explizite Ausnahmegenehmigung für Indien würde ein-
deutig ein Staat privilegiert, der dem NVV nicht beigetreten ist. Der hiermit
geschaffene Präzedenzfall ermutigt geradezu andere Staaten, den gleichen
Weg wie Indien zu beschreiten. Das US-amerikanisch-indische Abkommen
unterminiert Sinn und Zweck des NVV und führt ihn letztlich ad absurdum.

Drucksache 16/1445 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

4. Indien hat 1998 erneut einen atomaren Sprengkörper gezündet und sich in
der Folge zum Atomwaffenstaat erklärt. Pakistan zündete im gleichen Jahr
ebenfalls einen atomaren Sprengsatz. Der Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen hat mit der Resolution 1172 vom 6. Juni 1998 Indien und Pakistan
aufgefordert, ihre Atomwaffenprogramme zu stoppen. Der Sicherheitsrat er-
mutigte zudem alle Staaten, den Export von Ausrüstungen, Materialien und
Technologie zu verhindern, die in irgendeiner Weise zu den Atomwaffen-
programmen Indiens oder Pakistans beitragen könnten. Indien und Pakistan
haben die Bestimmungen der Sicherheitsratsresolution nicht befolgt. Eine
Änderung der NSG-Richtlinien zum Vorteil Indiens, wie von der US-Regie-
rung gewünscht, stünde ebenfalls im Widerspruch zu den Forderungen des
Sicherheitsrates.

5. Das von der US-Regierung unterzeichnete Abkommen stößt im US-Kon-
gress auf erhebliche Bedenken. Mit einer klaren Haltung gegen eine Auf-
weichung der NSG-Richtlinien kann die Bundesregierung die Abgeordneten
im US-Kongress ermutigen, der zum Inkrafttreten des Abkommens notwen-
digen Änderung des Nuclear Energy Act die Zustimmung zu verweigern.
Die als Antwort auf den indischen Test von 1974 mit dem Nuclear Non-Proli-
feration Act von 1978 durchgesetzten Verschärfungen müssten zurückge-
nommen werden. Mit einer klaren Haltung gegen eine Aufweichung der
NSG-Richtlinien könnte die Bundesregierung die Kräfte innerhalb des US-
Kongresses stärken, die sich gegen eine entsprechende Änderung des Nuclear
Energy Act einsetzen.

6. Die Bundesrepublik Deutschland steht angesichts des deutschen Beitrags
zum Aufbau der pakistanischen und indischen Atomwaffenprogramme in
den 80er Jahren in einer besonderen historischen Verantwortung. Scharfe
Kritik durch die US-Regierung und einen Untersuchungsausschuss des
Deutschen Bundestages (vgl. Bundestagsdrucksache 11/7800) führten in
Deutschland zu einer erheblichen Verschärfung der Exportgesetze, der aus-
führenden Verordnungen und zu einem Ausbau der Kontrollmechanismen.
Seitdem sind „full-scope safeguards“ eine Bedingung für den Export atoma-
rer Technologie. Durch diese Verschärfungen ist die Bundesrepublik
Deutschland in einer starken Position, die von der damaligen US-Regierung
zu Recht eingeklagten strikten Regeln für Atomexporte nun gegenüber der
jetzigen US-Regierung einzufordern.

7. Das Abkommen verstärkt die politische Ungleichbehandlung von Staaten.
Während mit Indien ein Staat privilegiert wird, der dem NVV nicht beigetre-
ten ist und Atomwaffen entwickelt hat, soll der Iran trotz seines Beitritts
Mitgliedschaft im NVV als Nichtkernwaffenstaat, zum Verzicht auf Aktivi-
täten gedrängt werden, die unter dem NVV jedem Vertragsstaat zugestanden
werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. dem Vorschlag der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, für
Indien eine Ausnahmeklausel in die Richtlinien der Nuclear Suppliers
Group einzufügen, nicht zuzustimmen;

2. in der Europäischen Union intensiv dafür zu werben, diese Haltung bei der
für Juni 2006 angesetzten Sitzung der Nuclear Suppliers Group zu unterstüt-
zen;

3. bei der US-Regierung darauf zu drängen, das Atomabkommen mit Indien
dem US-Kongress nicht zur Ratifizierung vorzulegen;

4. die Kriterien für die Erteilung von deutschen Exportgenehmigungen für

Atomtechnologie beizubehalten;

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1445

5. sich weiterhin mit allen friedlichen Mitteln für den Fortbestand und für die
Stärkung des Vertrags über die Nichtverbreitung von Atomwaffen, auch
durch die Einforderung der atomaren Abrüstungsverpflichtungen unter Arti-
kel VI des Vertrags, einzusetzen.

Berlin, den 9. Mai 2006

Paul Schäfer (Köln)
Dr. Norman Paech
Monika Knoche
Wolfgang Gehrcke
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Diether Dehm
Heike Hänsel
Dr. Hakki Keskin
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Kirsten Tackmann
Alexander Ulrich
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.