BT-Drucksache 16/1411

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung in das Grundgesetz

Vom 9. Mai 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1411
16. Wahlperiode 09. 05. 2006

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Petra Pau, Dr. Gregor Gysi, Dr. Lothar Bisky, Sevim Dagdelen,
Ulla Jelpke, Jan Korte, Kersten Naumann, Wolfgang Neskovic und der Fraktion
DIE LINKE.

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung
in das Grundgesetz

A. Problem

Nach der derzeitigen Regelung in Artikel 20 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes
wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Der
Begriff Abstimmungen lässt zwar grundsätzlich auch direkte Entscheidungen
der Wahlberechtigten über die Ausrichtung der Politik zu. Dies ist nach der
herrschenden juristischen Auslegung derzeit jedoch nur ausnahmsweise im Falle
des Artikels 29 des Grundgesetzes (vgl. Kommentierung des Grundgesetzes bei
Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Artikel 20, Rn. 50) möglich. Die geringe Wahl-
beteiligung ist ein Indiz für das Gefühl der Bürgerinnen und Bürger von den Ent-
scheidungen der Politik ausgeschlossen zu sein.

Um den Bürgerinnen und Bürgern mehr Verantwortung zu übertragen, muss das
Grundgesetz geändert und die Möglichkeit der direkten Einflussnahme fest-
geschrieben werden. Sowohl in der 14. Wahlperiode als auch in der 15. Wahl-
periode gab es Ansätze, die Wahlberechtigten umfassender an der politischen
Entscheidungsfindung zu beteiligen. Alle Bundesländer haben bereits Möglich-
keiten der unmittelbaren Einflussnahme der Wahlberechtigten eingeführt bzw.
werden in unmittelbarer Zukunft diese Einflussmöglichkeiten erweitern (bei-
spielsweise Berlin).

Bürgerinnen und Bürger direkt an den sie betreffenden Entscheidungen mit-
wirken zu lassen stärkt das zivilgesellschaftliche Engagement und stützt Ent-
scheidungen auf einen breiteren gesellschaftlichen Konsens. Wird Bürgerinnen
und Bürgern Verantwortung übertragen, verhalten sie sich in der Regel verant-
wortungsbewusst. Es ist und bleibt Aufgabe von Politik Betroffene zu Beteilig-
ten zu machen. Bürgerinnen und Bürgern wird mittels direkter Einflussnahme
auf politische Entscheidungen die Möglichkeit gegeben, aus der Zuschauer-
demokratie herauszutreten, sie werden zu Subjekten demokratischer Willensbil-

dung.

B. Lösung

Einführung direkter Einflussmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger auf
politische Entscheidungen und Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung
in das Grundgesetz.

Drucksache 16/1411 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Eine Prognose der genauen Kosten kann nicht aufgestellt werden. Welche Aus-
gaben auf die öffentlichen Haushalte zukommen hängt im Wesentlichen davon
ab, in welchem Umfang die Bürgerinnen und Bürger von den Instrumenten der
direkten Demokratie Gebrauch machen werden.

sensgehalt antasten, zum Haushaltsgesetz oder durch die
entscheiden, ob die Antwort mit „Ja“ oder „Nein“ grund-
gesetzkonform ist. Verneint das Bundesverfassungsge-
die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche
Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung sowie die
in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze be-
rührt werden, sind unzulässig.

richt dies, hat die betreffende Fraktion die Möglichkeit,
innerhalb von drei Wochen die Frage grundgesetz-
konform zu formulieren oder eine neue Sachfrage vor-
zulegen. Der gewählte Bundestag ist für seine Wahl-
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1411

Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der dreistufigen Volksgesetzgebung
in das Grundgesetz

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen; Artikel 79 Abs. 2 des Grund-
gesetzes ist eingehalten:

Artikel 1

Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1) in der im Bundesgesetz-
blatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten
bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Gesetz vom
26. Juli 2002 (BGBl. I S. 2863), wird wie folgt geändert:

1. Artikel 76 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Gesetzesvorlagen werden beim Bundestag durch
die Bundesregierung, aus der Mitte des Bundestages,
durch den Bundesrat oder durch Volksinitiativen einge-
bracht.“

2. Artikel 77 Abs. 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Die vom Bundestag beschlossenen Bundesgesetze
sind nach ihrer Annahme durch den Präsidenten des Bun-
destages unverzüglich dem Bundesrat zuzuleiten.“

3. Artikel 79 Abs. 2 wird wie folgt gefasst:

„(2) Ein solches Gesetz bedarf der Zustimmung von
zwei Drittel der Mitglieder des Bundestages und zwei
Drittel der Stimmen des Bundesrates oder entsteht auf
Grund eines Volksentscheides nach Artikel 82c Abs. 6.“

4. Artikel 82 Abs. 1 Satz 1 wird wie folgt gefasst:

„Die nach den Vorschriften dieses Grundgesetzes zu-
stande gekommenen Gesetze werden frühestens einen
Monat nach ihrem Zustandekommen vom Bundespräsi-
denten nach Gegenzeichnung ausgefertigt und im Bun-
desgesetzblatt verkündet.“

5. Nach Artikel 82 wird ein neuer Abschnitt mit den Arti-
keln 82a bis 82d eingefügt:

„VIIa. Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid

Artikel 82a
(Volksinitiative)

(1) Durch Volksinitiative können 100 000 Wahlbe-
rechtigte beim Bundestag Gesetzesvorlagen und andere
bestimmte Gegenstände der politischen Willensbildung
in den Bundestag einbringen. Die Vertrauensleute der
Volksinitiative haben das Recht auf Anhörung im Bun-
destag und seinen Ausschüssen.

(2) Volksinitiativen, die ein Grundrecht in seinem We-

Bundestag unverzüglich das Bundesverfassungsgericht
anrufen.

(4) Der Bundestag beschließt innerhalb einer Frist von
sechs Monaten über die Volksinitiative, dabei ist dem
Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die
Frist wird im Falle des Artikels 82a Abs. 3 bis zur Ent-
scheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.

Artikel 82b
(Volksbegehren)

(1) Frühestens zwei Monate nach der Ablehnung der
Volksinitiative durch den Bundestag haben deren Ver-
trauensleute das Recht, ein Volksbegehren einzuleiten.

(2) Das Volksbegehren ist zustande gekommen, wenn
mindestens eine Million Wahlberechtigte innerhalb von
sechs Monaten dem Volksbegehren zugestimmt haben.
Ein Volksbegehren, das eine Änderung des Grundgeset-
zes anstrebt, bedarf der Zustimmung von zwei Millionen
Wahlberechtigten.

(3) Hat ein Volksbegehren die Ablehnung eines nach
den Vorschriften dieses Grundgesetzes parlamentarisch
zustande gekommenen, aber noch nicht gegengezeichne-
ten und vom Bundespräsidenten ausgefertigten Gesetzes
zum Gegenstand (fakultatives Referendum), so ist es er-
folgreich, wenn es innerhalb von drei Monaten nach Zu-
standekommen des Gesetzes mindestens 500 000 Wahl-
berechtigte unterzeichnet haben. Ausgenommen hiervon
ist das Haushaltsgesetz.

Artikel 82c
(Volksentscheid)

(1) Entspricht der Bundestag nicht innerhalb einer
Frist von drei Monaten dem Volksbegehren, so findet
frühestens vier Monate, spätestens zwölf Monate nach
dem Abschluss eines erfolgreichen Volksbegehrens ein
Volksentscheid statt.

(2) Die Fraktionen des Bundestages können eigene
Gesetzesvorlagen zum selben Gegenstand mit zur Ab-
stimmung stellen.

(3) Der Bundestag kann mit der Mehrheit seiner Abge-
ordneten beschließen, einen Volksentscheid zu einem von
ihm behandelten politischen Gegenstand durchführen zu
lassen.

(4) Drei Wochen nach Festlegung des Wahltermins
zum Bundestag hat jede Fraktion des Bundestages das
Recht, eine Sachfrage zur Abstimmung am Wahltermin
vorzuschlagen. Das Bundesverfassungsgericht hat zu
(3) Soweit ein Drittel der Mitglieder des Bundestages
Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit hat, muss der

periode an die Entscheidung der Bürgerinnen und Bürger
in diesen Fragen gebunden.

Drucksache 16/1411 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

(5) Eine Gesetzesvorlage oder ein anderer bestimmter
Gegenstand der politischen Willensbildung sind durch
Volksentscheid angenommen, wenn die Mehrheit der
Abstimmenden zugestimmt hat. Es zählen nur die gülti-
gen Ja- und Nein-Stimmen. Bei Stimmengleichheit ist
der Entwurf abgelehnt. Bei Gesetzen, die der Zustim-
mung des Bundesrates bedürfen, gilt das Ergebnis der
Abstimmung in einem Land als Abgabe seiner Bundes-
ratsstimmen.

(6) Ein das Grundgesetz änderndes Gesetz bedarf der
Zustimmung von mindestens zwei Dritteln der abgege-
benen gültigen Stimmen. Mindestens ein Viertel der
Stimmberechtigten muss seine Stimme abgegeben haben.

Artikel 82d
(Information der Wahlberechtigten)

Das Nähere, insbesondere die Information der Wahlbe-
rechtigten über Inhalt und Gründe der Gegenstände der
Abstimmung, die Form der freien Unterschriftssamm-

lung, das Abstimmungsverfahren und die Kostenerstat-
tung regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des
Bundesrates bedarf.“

6. In Artikel 93 Abs. 1 wird nach Nummer 2a eine Num-
mer 2b mit folgendem Wortlaut eingefügt:

„2b. bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer
Volksinitiative oder eines Volksbegehrens nach den
Artikeln 82a und 82b auf Antrag von einem Drittel
der Mitglieder des Bundestages, über die Verfas-
sungsmäßigkeit von Sachfragen nach Artikel 82c
IV des Grundgesetzes sowie aus Anlass von Strei-
tigkeiten zum Gesetz über die dreistufige Volksge-
setzgebung;“.

Artikel 2

Inkrafttreten

Das Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft.

Berlin, den 9. Mai 2006

Petra Pau
Dr. Lothar Bisky
Sevim Dagdelen
Ulla Jelpke
Jan Korte
Kersten Naumann
Wolfgang Neskovic
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Zu Artikel 1 eine Frist zur Sammlung von Unterschriften werden Konflik-
Zu Nummer 1 (Artikel 76 Abs. 1 )

Artikel 76 Abs. 1 und 2 Satz 1 ist zu ändern, da der Kreis

te mit dem Grundsatz der Diskontinuität ausgeschlossen.

Zu Absatz 2
Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/1411

Begründung

A. Allgemeines

Mit der sog. Vereinigung im Jahr 1990 wurde die Chance
vertan, eine neue gemeinsame Verfassung zu erarbeiten, die
auch die Möglichkeit der direkten Einflussnahme von Bür-
gerinnen und Bürgern auf politische Entscheidungsprozesse
ermöglicht.

Seit dem Jahr 1990 hat sich das Verfassungsleben intensi-
viert. Insbesondere auf Länderebene wurden die Möglich-
keiten der Bürgerinnen und Bürger, sich an der politischen
Entscheidungsfindung zu beteiligen, verbessert. Dies führte
zu einer umfassenden Rechtsprechung über Voraussetzun-
gen und Grenzen der unmittelbaren Beteiligung der Bürge-
rinnen und Bürger an den politischen Entscheidungen.

Die Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger, in den ein-
zelnen Bundesländern direkten Einfluss auf die politische
Willensbildung zu nehmen, haben auch auf die Bundesebene
ausgestrahlt. Bereits in der 14. Wahlperiode gab es zwei
Gesetzentwürfe zur Einführung der Möglichkeiten direkter
Demokratie (Bundestagsdrucksachen 14/1129 und 14/8503).
Noch am 5. Juni 2002 empfahl der Innenausschuss des Deut-
schen Bundestages die Aufnahme von Elementen direkter
Demokratie in das Grundgesetz. In der 15. Wahlperiode ist
der Versuch unternommen worden, mittels Grundgesetzän-
derung der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, über die
europäische Verfassung mittels Volksentscheid abzustim-
men (vgl. Bundestagsdrucksachen 15/1112 und 15/2998).

Dem steht nur scheinbar das mangelnde Interesse von Bür-
gerinnen und Bürgern an politischen Entscheidungen gegen-
über, sichtbar in einer geringen Wahlbeteiligung. Bürgerin-
nen und Bürger direkt an den sie betreffenden Entscheidun-
gen mitwirken zu lassen, stärkt das zivilgesellschaftliche
Engagement, stützt Entscheidungen auf einen breiteren ge-
sellschaftlichen Konsens und aktiviert die Bürgerinnen und
Bürger politisch. Es ist und bleibt Aufgabe von Politik, Be-
troffene zu Beteiligten zu machen. Bürgerinnen und Bürgern
wird mittels direkter Einflussnahme auf politische Entschei-
dungen die Möglichkeit gegeben, aus der Zuschauerdemo-
kratie herauszutreten, sie werden zu Subjekten demokrati-
scher Willensbildung.

Im Interesse der Weiterentwicklung der in Artikel 20 Abs. 2
des Grundgesetzes verankerten Souveränität der Bevölke-
rung, von der alle Staatsgewalt ausgeht, ist es an der Zeit, die
repräsentative Demokratie durch direktdemokratische Ele-
mente zu ergänzen und zu verstärken. Dies um so mehr, als
eine Tendenz zur Einschränkung der Rechte der parlamenta-
rischen Opposition zu verzeichnen ist.

B. Die Regelungen im Einzelnen

Zu Nummer 2 (Artikel 77)

Die Regelung dient der Einflussnahme des Bundesrates und
damit der Beteiligung der Bundesländer. Eine Änderung ist
erforderlich um klarzustellen, dass von der Regelung nur die
vom Deutschen Bundestag erlassenen Bundesgesetze erfasst
sind, da künftig ja auch durch Volksgesetzgebung Gesetze
erlassen werden können.

Zu Nummer 3 (Artikel 79 Abs. 2)

Mit der Neuregelung in Artikel 79 Abs. 2 wird klargestellt,
dass eine Grundgesetzänderung auch durch Volksentscheid
möglich ist. Hinsichtlich der Zustimmungserfordernisse wird
auf die Regelungen in Artikel 82c Abs. 5 verwiesen.

Zu Nummer 4 (Artikel 82)

Die Regelung stellt sicher, dass das fakultative Referendum
nach Artikel 82b Abs. 3 nicht leer läuft. Die Initiatoren eines
fakultativen Referendums haben so einen überschaubaren
Rahmen, in welchem sie aktiv werden können.

Zu Nummer 5 (Artikel 82a, 82b, 82c, 82d )

Die Regelungen zur Volksgesetzgebung werden in einem
neuen Unterabschnitt angeordnet um klarzustellen, dass
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid nicht nur
Anhängsel im Gesetzgebungsverfahren von Bundstag und
Bundesrat sind, sondern hier eine direkte Einflussnahme
durch den Souverän erfolgt, die Wahlberechtigten als Inha-
ber der Staatsgewalt eine besondere Rolle einnehmen durch
Bekundung des politischen Willens allgemein, aber auch
durch Erlass, Änderung und Aufhebung von Gesetzen im
Besonderen.

Zu Artikel 82a

Der Artikel 82a regelt die erste Stufe der Volksgesetzgebung,
die Volksinitiative.

Zu Absatz 1

Im Absatz 1 wird der Kreis der Berechtigten (die Wahlbe-
rechtigten), die Gegenstände (Gesetzesvorlagen und andere
bestimmte Gegenstände politischer Willensbildung) und der
Charakter der Volksinitiative als Befassungsauftrag an den
Deutschen Bundestag bestimmt. Die Zahl von 100 000 Wahl-
berechtigten verhindert Bagatellinitiativen und stellt auf der
anderen Seite keine zu großen Hürden für das zivilgesell-
schaftliche Engagement von Bürgerinnen und Bürgern auf.
Das Quorum von 100 000 Wahlberechtigten entspricht in
etwa der Anzahl der Stimmen, die für ein Bundestagsmandat
erforderlich sind. Den Vertrauensleuten der Volksinitiative
wird ein Anspruch auf Anhörung im Deutschen Bundestag
und seinen Ausschüssen übertragen. Durch den Verzicht auf
der Berechtigten zur Einbringung von Gesetzesvorlagen mit
Einführung der Volksgesetzgebung erweitert wird.

Absatz 2 normiert die Ausschlusstatbestände der Volks-
initiative.

Drucksache 16/1411 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Zu Absatz 3

Der Absatz regelt, dass ein Drittel der Abgeordneten des
Deutschen Bundestages die Möglichkeit hat, vor dem Bun-
desverfassungsgericht die Zulässigkeit einer Volksinitiative
prüfen zu lassen. Dies ist sinnvoll, da das aufwendige und
Kosten verursachende Verfahren nicht erst bis zum Volksent-
scheid durchgeführt werden soll, um danach die Verfas-
sungswidrigkeit der Gesetzesvorlage oder der bestimmten
Gegenstände der politischen Willensbildung festzustellen.
Zudem wird eventuellen Vorwürfen gegenüber der Initiative
bezüglich der Verfassungswidrigkeit der Wind aus den
Segeln genommen und sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass
die Bürgerinnen und Bürger durch eine nach dem Volks-
entscheid ergehende Entscheidung über die Verfassungs-
widrigkeit frustriert werden.

Zu Absatz 4

Die in Absatz 4 normierte Frist soll eine Verfahrensverzöge-
rung durch Nichtbehandlung der Volkinitiative verhindern
und gleichzeitig sicherstellen, dass für den Fall der Vorlage
an das Bundesverfassungsgericht die Frist nicht neu zu lau-
fen beginnt.

Zu Artikel 82b

Der Artikel 82b regelt das Volksbegehren, die zweite Stufe
der Volksgesetzgebung.

Zu Absatz 1

Durch Absatz 1 wird klargestellt, dass ohne weitere Verfah-
rensschritte wie Beantragung etc. die Vertrauensleute der
Volksinitiative frühestens zwei Monate nach der Ableh-
nung durch den Deutschen Bundestag ein Volksbegehren
einleiten können.

Zu Absatz 2

Nach Absatz 2 sind für ein erfolgreiches Volksbegehren die
Unterschriften von mindestens einer Million Wahlberechtig-
ten innerhalb einer Frist von sechs Monaten erforderlich.
Dies entspricht in etwa 1,7 Prozent der Wahlberechtigten
und stellt einen Prozentsatz dar, welcher in vielen Staaten
üblich ist (Schweiz, Italien, Einzelstaaten der USA). Ange-
sichts der Bedeutung des Grundgesetzes erscheint es ange-
messen, die Zahl der notwendigen Unterschriften für ein
Volksbegehren zur Änderung der Verfassung auf zwei Milli-
onen Stimmberechtigte anzuheben. Dies würde einem Pro-
zentsatz von 3,3 Prozent der Stimmberechtigten entspre-
chen, soweit man eine Anzahl von 61 Millionen Stimmbe-
rechtigten zu Grunde legt. Es werden absolute Zahlen für
die Quoren verwendet, da diese trotz Veränderungen in der
Anzahl der Wahlberechtigten im Laufe der Jahre und da-
durch einer Veränderung des Prozentsatzes den unabweisba-
ren Vorteil haben, dass sie für die Initiatoren eines Volks-
begehrens leicht zu ermitteln sind.

Zu Absatz 3

Der Absatz 3 ermöglicht den Bürgerinnen und Bürgern, im
Rahmen eines Referendums vom Deutschen Bundestag
beschlossene Gesetze, die noch nicht gegengezeichnet und

um Bagatellabstimmungen zu verhindern. Die Bürgerinnen
und Bürger haben somit die Möglichkeit, direkt auf die
Willensbildung Einfluss zu nehmen, und können aus der
Protestdemokratie in die Mitbestimmungsdemokratie ein-
treten. Es handelt sich hierbei um ein völlig neuartiges
Instrument für die Bürgerinnen und Bürger, im Falle des
Zustandekommens von auf breiten Widerstand stoßenden
Gesetzen sogleich, ohne den Umweg über Volksinitiativen
gehen zu müssen, zu intervenieren. Der Ausschluss des
Haushaltsgesetzes entspricht der Budgethoheit des Parla-
ments.

Zu Artikel 82c

Der Artikel 82c behandelt die dritte Stufe der Volksgesetz-
gebung, den Volksentscheid.

Zu Absatz 1

Die Norm stellt zunächst klar, dass dem Deutschen Bundes-
tag auch nach einem erfolgreichen Volksbegehren die Mög-
lichkeit offen steht, dem Inhalt des Volksbegehrens zu ent-
sprechen. Soweit der Deutsche Bundestag von diesem Recht
nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten Gebrauch
macht, muss innerhalb einer Zeitspanne von vier bis zwölf
Monaten nach Abschluss des Volksbegehrens der Volks-
entscheid stattfinden. Dies ist im Interesse eines zügigen Ab-
schlusses des Verfahrens der Volksgesetzgebung erforder-
lich.

Zu Absatz 2

Der Absatz 2 eröffnet den Fraktionen des Deutschen Bun-
destages die Möglichkeit, einen Konkurrenzentwurf zum
Entwurf des erfolgreichen Volksbegehrens zu beschließen
und zur Abstimmung zu stellen.

Zu Absatz 3

Der Absatz 3 gibt dem Deutschen Bundestag selbst die Mög-
lichkeit, einen Volksentscheid mit der Mehrheit seiner Mit-
glieder zu beschließen.

Zu Absatz 4

Den Bürgerinnen und Bürgern wird durch die getroffene
Regelung die Möglichkeit eröffnet, mit der Bundestagswahl
eine Sachentscheidung zu treffen, die für die dann laufende
Wahlperiode verbindlich ist. Die Fraktionen können jeweils
eine Sachentscheidung zur Abstimmung stellen, die mit „Ja“
oder „Nein“ beantwortet werden kann. Um zu verhindern,
dass grundgesetzwidrige Fragen zur Abstimmung gestellt
werden, so zum Beispiel zur Todesstrafe, hat das Bundesver-
fassungsgericht über die Zulässigkeit zu entscheiden. Dies
würde den Fraktionen die Möglichkeit geben, die Sachent-
scheidungsfrage ggf. noch grundgesetzkonform auszugestal-
ten bzw. eine andere Frage zu stellen.

Der Vorteil einer solchen direkten Mitwirkungsmöglichkeit
für die Bürgerinnen und Bürger liegt darin, dass sie verbind-
liche Entscheidungen in gesellschaftlich relevanten Fragen
treffen und damit in die Verantwortung für Politik einbezo-
gen werden. Die Parteien müssten im Wahlkampf über diese
vom Bundespräsidenten ausgefertigt sind, abzulehnen. Das
Quorum ist angesichts der eng bemessenen Zeit ausreichend,

Fragen Aussagen treffen, was die Glaubwürdigkeit von
Politik erhöht. Die Wahlbeteiligung würde steigen, weil die

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/1411

Bürgerinnen und Bürger über eine konkrete Sachfrage ent-
scheiden wollen.

Zu Absatz 5

Der Absatz 5 benennt die Kriterien für die Annahme eines
Gesetzesentwurfs bzw. eines Beschlussentwurfs im Rahmen
des Volksentscheids. Es muss auch berücksichtigt werden,
dass bereits in den ersten zwei Stufen des Volksgesetz-
gebungsverfahrens eine Mindestanzahl von Beteiligten ihre
Zustimmung erklärt haben muss. Das Abstimmungsverfah-
ren entspricht den gewöhnlichen Abstimmungsregeln.

Die Einflussnahme des Bundesrates wird durch die separate
Zählung der Stimmen in einem Bundesland berücksichtigt.
Vorbild für das gewählte Verfahren ist das Modell der
schweizerischen „Volks- und Städemehr“ (Artikel 142
Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidge-
nossenschaft). Bei Gesetzen, die im parlamentarischen Ver-
fahren der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, werden
die Stimmen doppelt gezählt: Das Ergebnis in einem Land
gilt als die Abgabe seiner Bundesratsstimmen. Demnach
muss bei zustimmungspflichtigen Gesetzen die Mehrheit der
Abstimmenden in so vielen Ländern dem Gesetzentwurf zu-
stimmen, dass deren Stimmen einer Mehrheit im Bundesrat
entsprechen. Bei Verfassungsänderungen ist die Mehrheit in
so vielen Ländern erforderlich, dass deren Stimmen einer
Zweidrittelmehrheit im Bundesrat entsprechen.

Zu Absatz 6

Für ein Gesetz, mit dem das Grundgesetz geändert werden
soll, wird im Rahmen des Volksentscheids die Zustimmung
von zwei Dritteln der Abstimmenden vorausgesetzt. Es wird
gleichzeitig festgehalten, dass sich mindestens ein Viertel
der Stimmberechtigten an dem Volksentscheid beteiligen
muss, um die Änderung des Grundgesetzes durch kleinere
Gruppen auszuschließen.

Zu Artikel 82d

Der Artikel 82d verweist darauf, dass zur näheren Ausge-
staltung des Verfahrens nach den Artikeln 82a bis 82c ein
Ausführungsgesetz erforderlich ist. In diesem Ausführungs-
gesetz müssen zwingend Regelungen zur Unterrichtung der
Bürgerinnen und Bürger, zur Sicherung des freien Unter-
schriftensammelns, zum Ablauf des Verfahrens der Abstim-
mung und zur Kostenerstattung enthalten sein.

Zu Nummer 6 (Artikel 93 Abs. 1)

Durch die Einführung der Nummer 2b in Artikel 93 Abs. 1
soll sichergestellt werden, dass die Zuständigkeit des Bun-
desverfassungsgerichts in Streitfällen über die Zulässigkeit
von Volksinitiativen und Volksbegehren gegeben ist.

Zu Artikel 2

Inkrafttretungsregelung.

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