BT-Drucksache 16/13723

Haltung der Bundesregierung zur Fortschreibung 2008/2009 des Programms "Innere Sicherheit" der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder

Vom 1. Juli 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13723
16. Wahlperiode 01. 07. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike
Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link
(Heilbronn), Dr. Erwin Lotter, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Haltung der Bundesregierung zur Fortschreibung 2008/2009 des Programms
„Innere Sicherheit“ der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder

Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hat am
5. Juni 2009 die Fortschreibung 2008/2009 des Programms „Innere Sicherheit“
beschlossen.

Selbstverständlich ist es notwendig, die Befugnisse der Sicherheitsbehörden
wie auch die Sicherheitsarchitektur an aktuelle Herausforderungen für die
Innenpolitik anzupassen. In den vergangenen 15 Jahren, die seit der letzten um-
fassenden Überarbeitung des Programms „Innere Sicherheit“ vergangen sind,
hat sich die Sicherheitssituation in Deutschland und der Welt maßgeblich ver-
ändert. Damit Deutschland auch weiterhin eines der sichersten Länder der Welt
bleiben kann, brauchen die Sicherheitsbehörden eine klare Perspektive. Damit
Deutschland auch weiterhin eines der freiheitlichsten Länder der Welt bleiben
kann, braucht die Innenpolitik aber ebenso ein klares Bekenntnis zur Achtung
und Wahrung rechtsstaatlicher Prinzipien.

Das Programm „Innere Sicherheit“ hat Auswirkungen nicht nur auf die Länder
und deren innenpolitische Handlungsleitlinien, sondern auch auf den Bund. Ins-

besondere die Frage nach der Sicherheitsarchitektur in unserem föderalen Staat,
aber auch die Frage nach Eingriffsbefugnissen der Sicherheitsbehörden in die
Grundrechte der Menschen betreffen auch bundespolitische Weichenstellungen.

So sieht das Programm in seiner Fortschreibung 2008/2009 vor, die Bundes-
wehr künftig auch mit militärischen Mitteln im Inland einzusetzen. Hierzu soll
das Grundgesetz geändert werden. Der Einsatz der Bundeswehr im Innern ist

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aufgrund der historischen Erfahrungen Deutschlands bislang nicht zulässig.
Eine strikte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit und die daraus fol-
gende Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Bundeswehr sind Ausdruck
und Gewähr zugleich für die Achtung der Grundsätze des Rechtsstaates, in dem
Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nicht den Regeln des Kriegsrechts folgen
dürfen.

Die föderale Sicherheitsarchitektur hat sich in Deutschland bewährt. Sie trägt
nicht nur dem Grundsatz Rechnung, dass Sicherheit am besten vor Ort gewähr-
leistet werden kann, sondern auch dem Schutz der Grundrechte der Bürgerinnen
und Bürger. Die Kumulierung von schwerwiegenden Eingriffsbefugnissen bei
einer zentralen Polizeibehörde kann dem Grundrechtsschutz nicht in gleichem
Maße gerecht werden.

Die internationale Verantwortung Deutschlands wird auch durch Beteiligung an
internationalen Polizeimissionen wahrgenommen. Die hervorragenden Leistun-
gen deutscher Polizistinnen und Polizisten auch im Ausland muss stärker gewür-
digt werden. Hierfür müssen die richtigen Weichenstellungen getroffen werden,
um Deutschlands Verantwortung für eine friedliche Welt auch künftig gerecht
werden zu können.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Stimmt die Bundesregierung der Analyse der künftigen Herausforderungen
für die Innenpolitik, wie diese im Programm „Innere Sicherheit“ nach dem
Beschluss der Innenministerkonferenz vom 5. Juni 2009 beschrieben wird
zu?

Falls ja, aus welchen Gründen?

Falls nein, warum nicht?

2. Wie versteht die Bundesregierung die Aussage, dass „die Kernkompetenz
für die polizeiliche und nichtpolizeiliche Aufgabenwahrnehmung bei den
Ländern“ liegt, und was bedeutet dies für die föderale Aufgabenverteilung?

3. Welche Konsequenzen, insbesondere im Hinblick auf gesetzgeberische Vor-
haben, zieht die Bundesregierung aus dem Beschluss der Innenminister-
konferenz, die Bundeswehr künftig auch im Inland mit militärischen Mitteln
zum Eingriff zu ermächtigen?

4. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung nach
einer „intensiven Zusammenarbeit mit Telekommunikationsunternehmen
und -anbietern“ zur Bekämpfung der Informations- und Kommunikations-
kriminalität, insbesondere im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung so-
wie die aktuell diskutierten Internetsperrungen?

5. Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung der Innenminister-
konferenz, dass die „gestiegene Gewaltbereitschaft gegenüber den Sicher-
heitskräften einen hohen Kräfteeinsatz sowie ein konsequentes und profes-
sionelles Vorgehen“ erforderten, insbesondere vor dem Hintergrund der
Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage der Abgeordneten
Gisela Piltz (Bundestagsdrucksache 16/12549), nach der ein Anstieg der
Gewalt gegen Polizeibeamte nicht erkennbar sei?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung,
dass „insbesondere die Kriminalitätsfurcht älterer Menschen und das damit
einhergehende Verlangen nach mehr Sicherheit“ zu berücksichtigen sei, ins-
besondere vor dem Hintergrund, dass angesichts sinkender Kriminalitäts-
zahlen für diese Furcht kein Anlass besteht?

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7. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung bereits umgesetzt, um bei der
Personalgewinnung in Bundesbehören der Forderung nach verstärkter Ein-
stellung von Personen mit Migrationshintergrund nachzukommen?

Aus welchen Gründen besteht hier noch weiterer Verbesserungsbedarf, ins-
besondere aus welchen Gründen wurden die entsprechenden Maßnahmen
von der Bundesregierung noch nicht getroffen?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung
nach Zugang der Sicherheitsbehörden zu zentralen europäischen Daten-
banken und vorhandenen nationalen Datenbanken, insbesondere, welche
Datenbanken sollen davon betroffen sein, und wie sollen die Voraussetzun-
gen definiert werden, um dem Datenschutz gerecht zu werden?

9. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung,
dass der Informationsaustausch der Nachrichtendienste in Europa eine
hohe Bedeutung für die multilaterale Zusammenarbeit habe?

10. Wie versteht die Bundesregierung die Aufforderung, „Möglichkeiten einer
stärkeren Konzentration des Bundeskriminalamts auf Phänomene der
schweren, Organisierten und politische motivierten Kriminalität“ in Über-
legungen zu gesetzlichen Zuständigkeiten einzubeziehen, und welche
Schlussfolgerungen für die Sicherheitsarchitektur zieht die Bundesregie-
rung daraus?

11. Was versteht die Bundesregierung unter einer „sachgerechten Kooperation“
zwischen Polizei und Militär?

12. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung nach
einer „Harmonisierung des Straf- und Polizeirechts“ sowie des Daten-
schutzes in Europa, und in welchen Bereichen, insbesondere im Strafrecht,
hält die Bundesregierung dies für „geboten zur Verbesserung der trans-
nationalen Zusammenarbeit und einer angemessenen Behandlung trans-
nationaler Sachverhalte“?

13. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zum Einfluss von er-
kennbarer Videoüberwachung insbesondere an Kriminalitätsbrennpunkten
im öffentlichen Raum auf den Rückgang dort begangener Straftaten vor?

14. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung zu einem etwaigen Ver-
drängungseffekt von Straftaten an andere Orte aufgrund von Videoüber-
wachung an bestimmten Stellen vor?

15. Aus welchen Gründen findet bislang in der Regel keine systematische
Bewertung von kriminalpräventiven Ansätzen, Maßnahmen und Initiativen
statt, wenn diese gleichzeitig als „unverzichtbar“ bezeichnet wird?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung nach Einführung des
Entzugs der Fahrerlaubnis als Nebenstrafe auch für Delikte, die nicht im
Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verübt wurden?

17. Wie versteht die Bundesregierung die Behauptung, dass durch anonymen
Kontakt in Foren zum Erwerb von Technikkompetenz oder Technik selbst
das „Entstehen internationaler Strukturen begünstigt“ werde?

18. Was versteht die Bundesregierung unter „anderen Auswertestrukturen“ bei
Ermittlungs- und Beweissicherungsmethoden?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Fest-
stellung, dass die „Telekommunikationsüberwachung sich neuen Problem-
stellungen“ gegenübersähe, „deren Bewältigung bisher nur ansatzweise
erkennbar“ sei?

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20. Wie bewertet die Bundesregierung, dass einerseits gefordert wird, dass
durch „technische Sicherung der Übertragungswege“, mithin u. a. durch
Kryptierung, Tatgelegenheiten reduziert werden sollen, und andererseits
beklagt wird, dass sich Kriminelle gerade dieser Techniken bedienen, z. B.
„Terroristen in Ausbildungslagern systematisch im Umgang mit moderner
IuK-Technik und konspirativer Kommunikation geschult“ würden?

21. Welche weiteren „Befugnisse für verdeckte Eingriffe in informations-
technische Systeme, die Anpassung der Möglichkeiten der Telekommuni-
kationsüberwachung und Maßnahmen nach dem G10“ plant die Bundes-
regierung für welche Sicherheitsbehörden?

22. Welche Schlussfolgerungen für das sog. Kompetenzzentrum TKÜ (Tele-
kommunikationsüberwachung) beim Bundesverwaltungsamt zieht die
Bundesregierung aus der Aussage, dass die „Errichtung entsprechender
Dienstleistungszentren“ zu prüfen sei, um „aus Effizienzgründen länder-
übergreifende Kooperationen beim Vorhalten und Betrieb der Technik“ zur
„Überwachung der von Tätern genutzten modernen Kommunikations- und
Speichermedien“ zu schaffen?

23. Wie versteht die Bundesregierung oben genannte Überlegung insbesondere
im Hinblick auf den Aspekt der „Überwachung von Speichermedien“,
sprich Online-Durchsuchung, und plant sie eine etwaige Ausweitung der
Tätigkeit des Bundesverwaltungsamts auf diese?

24. Welche Schlussfolgerungen für die Ausstattung der Bundespolizei im
Zusammenhang mit der maritimen Sicherheit zieht die Bundesregierung
aus der Feststellung, dass die Polizeien nicht über die notwendigen Ein-
satzmittel verfügen?

25. Welche Regelungen für welche Befugnisse der Bundeswehr im Rahmen
eines Seesicherheitsgesetzes erwägt die Bundesregierung aus welchen
Gründen?

26. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderungen nach einem Einsatz
der Bundeswehr im Innern?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forderung
nach dem verstärkten Einsatz von Fahrassistenz- und Telematiksystemen,
insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz?

28. Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um die „Verkehrs-
überwachung mit der Kriminalitätsbekämpfung“ zu verbinden, und wie be-
wertet sie dies z. B. im Hinblick auf Kfz-Kennzeichenscanning unter dem
Gesichtspunkt des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung?

29. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Forderung der
Errichtung einer EU-weiten Datei „Gewalttäter Sport“ bzw. der Gewäh-
rung des gegenseitigen Zugriffs auf entsprechende nationale Dateien inner-
halb Europas?

30. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung, dass „die Datenbestände
einer Sicherheitsbehörde jeweils untereinander verknüpft und auf dieser
Grundlage gezielt auswertbar sein“ müssten, insbesondere im Hinblick auf
den Datenschutz?

Berlin, den 1. Juli 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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