BT-Drucksache 16/13523

Aktuelle Situation des Kunsthandels in Deutschland im internationalen Wettbewerb

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13523
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Christoph Waitz, Jens
Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Dr. h. c. Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Aktuelle Situation des Kunsthandels in Deutschland im internationalen
Wettbewerb

Der Kunsthandel in Deutschland ist in einer schwierigen Situation – u. a. auch
aufgrund verschiedener, gesetzlicher und behördlicher Restriktionen, die die
Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Standort für den Kunsthandel im Ver-
hältnis zu anderen Kunsthandelsstandorten im Ausland negativ beeinträchtigen.
Zu nennen sind vor allem die folgenden Themenkreise:

Die EU-Richtlinie 2001/84/EG (Folgerecht-Richtlinie) vom 27. September
2001 sollte Wettbewerbsverzerrungen im Kunsthandel entgegenwirken, die
aufgrund der unterschiedlichen nationalstaatlichen Regelungen hierzu existie-
ren. Die Folgerecht-Richtlinie ist durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des
Urheberrechtsgesetzes vom 10. November 2006 (BGBl. I S. 2587) in das deut-
sche Recht umgesetzt worden. Die Harmonisierung des Folgerechts auf euro-
päischer Ebene war sehr umstritten, weil das Urheberrecht in einigen europäi-
schen Ländern bis zur Schaffung der Folgerecht-Richtlinie den Künstlern einen
solchen Anspruch nicht gewährte. Das betraf insbesondere auch solche Länder,
die für den Kunsthandel von großer Bedeutung sind. Aus diesem Grund lässt
die Folgerecht-Richtlinie den Mitgliedstaaten als Ausdruck des notwendigen
politischen Kompromisses v. a. in Bezug auf die Schwellenwerte (Artikel 1

Absatz 3) einen recht weiten Gestaltungsspielraum. Mitgliedstaaten, die im
Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie ein Folgerecht nicht kannten, müs-
sen bis zum 1. Januar 2010 ein Folgerecht zugunsten der nach dem Tode des
Künstlers anspruchsberechtigten Rechtsnachfolger nicht anwenden (Artikel 8
Absatz 2). Von der Möglichkeit in einem Rahmen bis 10 000 Euro, den
Schwellenwert individuell festzulegen, haben die Mitgliedstaaten unterschied-
lich Gebrauch gemacht. In Deutschland sind Veräußerungen schon ab einem

Drucksache 16/13523 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Verkaufspreis von 400 Euro folgerechtspflichtig, vor Umsetzung der Folge-
recht-Richtlinie lag der Schwellenwert bei 50 Euro. In anderen EU-Mitglied-
staaten, die für den Kunsthandel von Bedeutung sind, liegt der Schwellenwert
dagegen höher. So ist z. B. in Großbritannien erst ab einem Verkaufspreis von
1 000 Euro die Folgerechtsabgabe zu zahlen, in Belgien ab 2 000 Euro und in
Österreich, den Niederlanden, Luxemburg sowie Italien erst ab 3 000 Euro. In
Großbritannien, Österreich und den Beneluxstaaten gilt die Folgerechtsrege-
lung zudem auf der Grundlage von Artikel 8 Absatz 2 bis zum 1. Januar 2010
zunächst nur für Werke lebender Künstler – der Großteil der Umsätze im
Kunsthandel (nach einer von der TEFAF in Auftrag gegebenen Studie von
2005 ca. 85 Prozent) wird jedoch gerade mit den Werken bereits verstorbener
Künstler erzielt. Die für den Kunstmarkt besonders wichtigen Standorte außer-
halb der Europäischen Union Schweiz und USA haben überhaupt kein Folge-
recht.

Mit der Ratifizierung und Umsetzung der UNESCO-Konvention von 1970 über
Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr
und Übereignung von Kulturgut sind zahlreiche neue Regelungen in Kraft ge-
treten, die dem Kunsthandel in Deutschland zusätzliche Pflichten auferlegen,
u. a. strenge Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Diese gehen teilweise
noch über das in der Konvention Geforderte hinaus. Vor allem aber sind die
hierzulande mit der Umsetzung der Konvention den Kunsthändlern auferlegten
Verpflichtungen viel weitgehender als die ihrer Konkurrenten im Ausland, zu-
mal kaum einer der Vertragsstaaten die Konvention überhaupt umgesetzt hat.
Viele Kunsthändler in Deutschland überlegen deshalb, ihre Geschäfte zukünftig
vermehrt oder ganz im Ausland zu tätigen, oder sie haben ihren Geschäftssitz
sogar schon verlegt. Dieser Trend wird dadurch verstärkt, dass sich die Branche
einem zunehmend kunsthandelsfeindlichen Klima in Teilen der Öffentlichkeit
ausgesetzt sieht.

Im Übrigen wird der Kunsthandel in Deutschland auch dadurch benachteiligt,
dass in einigen Ländern niedrigere Mehrwertsteuersätze für die angewandte
Kunst gelten.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Bundesregierung:

1. Welche Schritte wird die Bundesregierung unternehmen, damit die in
Artikel 11 der Folgerecht-Richtlinie geforderte Evaluation zur Durchfüh-
rung und den Auswirkungen der Richtlinie – die die EU-Kommission dem
Europäischen Parlament bis spätestens 1. Januar 2009 vorlegen sollte – zeit-
nah von der EU-Kommission vorgelegt wird?

2. Hat der weite Umsetzungsspielraum, den die Folgerecht-Richtlinie den Mit-
gliedstaaten in Bezug auf die Schwellenwerte lässt, nach Auffassung der
Bundesregierung dazu geführt, dass das Folgerecht in der Europäischen
Union nur unzureichend harmonisiert werden konnte und Wettbewerbsnach-
teile zu Lasten des deutschen Kunsthandels fortbestehen?

Wenn ja, welche Initiativen wird die Bundesregierung ergreifen, um diese
Wettbewerbsnachteile zu beseitigen bzw. zu reduzieren?

3. Welche Auswirkungen hat die breite Spanne der Schwellenwerte in den ein-
zelnen Mitgliedstaaten auf die Vergütungssituation deutscher ausübender
Künstler nach den Erkenntnissen der Bundesregierung in Bezug auf deren
Vergütungsaufkommen aus dem Folgerecht?

4. Sofern die Bundesregierung der Auffassung ist, dass Wettbewerbsnachteile
zu Lasten des deutschen Kunsthandels fortbestehen, welche Auswirkungen
haben diese Wettbewerbsnachteile auf die wirtschaftliche Situation deut-

scher Künstler?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13523

5. Wie steht die Bundesregierung zu dem Antrag Großbritanniens, Belgiens,
Luxemburgs, der Niederlande und Österreichs, dass ihnen über den in
Artikel 8 Absatz 2 der Folgerecht-Richtlinie vorgesehenen Zeitraum bis
1. Januar 2010 hinaus auch weiter erlaubt wird, nur bei der Veräußerung
von Werken lebender Künstler eine Folgerechtsabgabe zu erheben?

6. Wie bewertet die Bundesregierung die erst kürzlich erneut bekräftigte Ent-
scheidung des schweizerischen Parlaments, von einer Einführung des Fol-
gerechts in der Schweiz abzusehen, und welche Folgen für die Wettbe-
werbsfähigkeit des Kunsthandels in Deutschland erwartet sie hieraus?

7. Was hält die Bundesregierung den zur Begründung dieser Entscheidung
vorgebrachten Argumenten (Verlust von Standortvorteilen, die die Schweiz
für den internationalen Kunsthandel besonders attraktiv machen; Ungeeig-
netheit der Folgerechtsidee als Instrument zum Schutz der berechtigten So-
zialinteressen von Kulturschaffenden etc.) entgegen?

8. Wie viele deutsche Künstler bzw. Erben von Künstlern erhalten nach
Kenntnis der Bundesregierung Folgerechtsausschüttungen durch die VG
Bild-Kunst, und wie viele ausländische Künstler bzw. deren Erben erhalten
hier Folgerechtsausschüttungen?

9. Wie verteilen sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausschüttungen
auf die lebenden Künstler bzw. auf die Erben der Künstler?

10. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die Ausschüttungen
insgesamt pro Jahr, und wie hoch ist der durchschnittliche Ausschüttungs-
betrag jeweils bei lebenden und bereits verstorbenen Künstlern?

11. Wie viele deutsche bildende Künstler haben sich bei der VG Bild-Kunst als
folgerechtsberechtigt angemeldet, und wie viele ausländische Künstler?

12. In welcher Höhe haben deutsche Künstler im vergangenen Jahr in anderen
EU-Mitgliedstaaten Folgerechtsausschüttungen erhalten?

Wie viel davon entfallen absolut und relativ auf Großbritannien, Öster-
reich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg?

13. Nach welchen Kriterien wird die Bundesregierung Kulturgut der UNESCO-
Vertragsstaaten in das Verzeichnis nach der „Verordnung über das Verzeich-
nis wertvollen Kulturgutes nach dem Kulturgüterrückgabegesetz“ aufneh-
men, um auf diese Weise Einfuhrbeschränkungen für Kulturgut zu schaffen,
für die zurzeit keine nationale Rechtsgrundlage besteht?

14. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das deutsche Umsetzungs-
gesetz sich nur auf Sachverhalte nach Inkrafttreten der UNESCO-Konven-
tion in Deutschland bezieht, also keine Rückwirkung auf Kulturgüter ent-
faltet, die sich schon vor dem in dem Gesetz zur Ausführung des
UNESCO-Übereinkommens von 1970 genannten Stichtag 26. April 2007
hierzulande befanden?

15. Erachtet die Bundesregierung die Kritik in dem jüngst in der Zeitschrift
Kunst- und Urheberrecht (Ausgabe 2/09) erschienenen Artikel „Antiken,
Recht und (kein) Markt?“, in dem von aktuellen Bestrebungen vor allem
hessischer (u. a. Polizei-)Behörden berichtet wird, den Handel mit archäo-
logischen Gegenständen durch Beschlagnahmeaktionen u. a. nach Auffas-
sung des Autors mit dem geltenden Recht nicht zu vereinbarende Aktivitä-
ten massiv einzuschränken oder sogar ganz zu unterbinden, als berechtigt,
und teilt sie die Auffassung, dass allein der Besitz archäologischer Kunst-
gegenstände keinen hinreichenden Anfangsverdacht einer Ordnungswid-
rigkeit oder sogar einer Straftat mit der Folge von Ermittlungsverfahren

und Beschlagnahmungen begründet, auch wenn Besitzer keine Grabungs-
oder Exportlizenz vorlegen kann?

Drucksache 16/13523 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
16. Ist der Bundesregierung bekannt, dass bei gegenteiliger Auffassung (wie
sie gerade von den bereits erwähnten hessischen Behörden vertreten wird)
Hunderttausende von Kunstgegenständen bedroht sind, die sich teilweise
seit Jahrhunderten unter anderem auch in Privat- oder Museumsbesitz be-
finden?

17. Kann die Bundesregierung die Behauptung bestätigen, dass angeblich mit
Rücksicht auf drohende Rückforderungen anderer Staaten öffentliche
Museen in Deutschland (wie z. B. das Badische Landesmuseum Karlsruhe
oder die Archäologische Abteilung des Reiß-Museums in Mannheim) ihre
Sammeltätigkeit bezüglich archäologischer Exponate eingestellt haben,
und wenn ja, was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun?

18. Wie steht die Bundesregierung zu dem im Zusammenhang mit Kulturgut zu
beobachtenden Phänomen des „nationalen Retentionismus“, wie es z. B. un-
längst in dem von dem Direktor des Chicago Art Institutes, Prof. Dr. James
Cuno, herausgegebenen Buch „Whose Culture?“ von verschiedenen Seiten
eingehend analysiert wird?

19. Wie hoch sind die Mehrwertsteuersätze für bildende und angewandte
Kunst in den zur EU gehörenden Staaten sowie der Schweiz?

20. Wie steht die Bundesregierung zu der Handlungsempfehlung der Enquete-
Kommission „Kultur in Deutschland“, die empfiehlt, bei einer Überarbei-
tung des Begriffs der ermäßigt besteuerten Kunstgegenstände nach Num-
mer 53 der Anlage 2 zu § 12 Absatz 2 Nummer 1 und 2 des Umsatzsteuer-
gesetzes diesen um die Kunstfotografie zu erweitern und dabei auf die
Definition der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie abzustellen,
und womit begründet sie, dass bisher für den Verkauf von Kunstfotografie
nicht der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent gilt?

21. Mit welchen Steuermindereinnahmen rechnet die Bundesregierung bei
Einführung eines reduzierten Mehrwertsteuersatzes für die Kunstfotogra-
fie?

Berlin, den 17. Juni 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.