BT-Drucksache 16/13402

Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden

Vom 17. Juni 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13402
16. Wahlperiode 17. 06. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Birgitt Bender, Christine Scheel, Irmingard
Schewe-Gerigk, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Grauen Kapitalmarkt durch einheitliches Anlegerschutzniveau überwinden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Durch die Finanzmarktkrise können die dramatischen Defizite beim Anleger-
schutz endlich nicht weiter ignoriert werden. Fälle wie die Insolvenz von Lehman
Brothers Inc., die für zahlreiche Anlegerinnen und Anleger den Totalausfall
brachte, bestimmen die öffentliche Debatte. Vorschläge von BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN und Verbraucherschützern zur Verbesserung des Anlegerschut-
zes, die noch bei der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie MiFID (Markets in
Financial Instruments Directive) von der Bundesregierung und den Koalitions-
fraktionen der CDU/CSU und SPD abgelehnt wurden, werden endlich mit dem
Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldver-
schreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit
von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung (Bundestagsdrucksache
16/12814) umgesetzt. Ebenso hat das gigantische Schneeballsystem des Finanz-
maklers Bernard Madoff Aufsehen erregt, bei dem Anlegern ein Schaden von
circa 50 Mrd. Euro entstand. Auch hier mündete die öffentliche Debatte in erste
legislatorische Schritte. Die Europäische Kommission plant, die Regelungen
für Depotbanken in der Publikumsrichtlinie OGAW (Organismen für gemein-
same Anlagen in Wertpapieren) zu verschärfen (vgl. FINANCIAL TIMES
DEUTSCHLAND v. 29. Mai 2009, S. 18). Doch all diese Ansätze sind bisher
lückenhaft und unvollständig. Sie lassen den Willen vermissen, wirklich etwas
zu verändern. Es bleibt bei der Reaktion auf Einzelfälle.

Eine der größten Lücken ist bisher, dass der so genannte graue Kapitalmarkt
unangetastet bleibt. Dabei versickern in diesem Bereich jährlich Anlagegelder
der Bürgerinnen und Bürger in Milliardenhöhe.

Nötig ist, die bestehende Spaltung des Kapitalmarktes in zwei Teilbereiche zu
überwinden. Bisher existiert zum einen der geregelte Kapitalmarkt, der durch
die staatliche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kontrol-
liert wird und Akteure wie Banken, Investmentfonds, Versicherungen und Wert-

papierdienstleister einschließt. Auf der anderen Seite gibt es den weitgehend un-
regulierten so genannten grauen Kapitalmarkt.

Der graue Kapitalmarkt entstand Anfang 1970, als breite Bevölkerungskreise
erstmals wieder über anlagefähige Ersparnisse nennenswerten Umfangs verfüg-
ten. Zu diesem Zeitpunkt traten Unternehmen auf, die, ohne gesetzlichen Anfor-
derungen zu unterliegen, ein Investment in ausländische Fonds anboten und
erheblich höhere Renditen als die Anlage in Aktien versprachen. Neu war vor

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allem, dass die Anbieter mit einer Vielzahl von eigens geschulten „Finanzbera-
tern“ und aggressiven Vertriebsmethoden direkt an die Bürgerinnen und Bürger
herantraten. Damals wurden innerhalb kürzester Zeit bis zu 4 Mrd. DM an An-
legergeldern eingesammelt. Als die Fonds zusammenbrachen, blieb das System
der Strukturvertriebe erhalten und suchte sich andere Anlageprodukte, die kei-
ner speziellen Regulierung unterlagen.

Insbesondere geschlossene Immobilienfonds in der Rechtsform der Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR), der Kommanditgesellschaft (KG) oder der GmbH &
Co. KG entwickelten sich zum gängigen Anlageprodukt. Diese meist mit zusätz-
lichen Steuervorteilen angepriesene Anlage entpuppte sich in der Vergangenheit
für bis zu 1 Million Anleger als ein Desaster. Die Immobilien waren zumeist in
baufälligem Zustand und die prognostizierten Erträge fern jeder realistischen
Berechnung.

Nicht jede Kapitalsammelstelle (Fonds), die wegen ihrer Rechtsform als Perso-
nengesellschaft dem grauen Kapitalmarkt zuzurechnen wäre, ist allerdings auf
betrügerische Übervorteilung der Anleger ausgerichtet. Gegenteilig kann ein
geschlossener Fonds eine sinnvolle und kostengünstige Finanzierungsform für
bestimmte Projekte sein sowie eine geeignete Anlage darstellen. Die Anzahl
unseriöser Anbieter ist gleichwohl nach wie vor hoch.

Neben den geschlossenen Fonds umfasst der graue Kapitalmarkt auch völlige
Phantasieprodukte wie Bankgarantiegeschäfte oder Depositendarlehen, bei de-
nen Anleger mit einer interessanten Vermarktung und der Aussicht auf hohe
Rendite zur Vorleistung überredet werden und ihr Geld nie wiedersehen. Auch
Schneeballsysteme, wie etwa jenes der Göttinger Gruppe, sind weit verbreitet.
Die Methode ist simpel: Anlegerinnen und Anleger werden durch speziell ge-
schulte Finanzberater zu Verträgen mit langer Laufzeit überredet – es wird ein
Altersvorsorgeprodukt mit vergleichsweise hohen Renditen ohne nennenswer-
tes Risiko angepriesen. Der Anleger tätigt seine Einlage und erhält laufende Ver-
zinsungsauszahlungen. Diese Auszahlungen geringen Umfangs werden jedoch
nicht von dem Unternehmen erwirtschaftet, sondern von den Einlagen neu ge-
worbener Anleger finanziert. Bei zunehmenden Rückforderungen oder Kündi-
gungen sowie ausbleibenden Neukunden bricht das System mangels Liquidität
zusammen.

In der Summe umfasst der graue Kapitalmarkt also größtenteils Anbieter und
Vermittler, deren Finanzprodukte nur geringfügig der staatlichen Kontrolle
unterliegen und die zudem kaum Verhaltenspflichten zur transparenten und
fairen Beratung genügen müssen.

Die Auswirkungen der Unterteilung in geregelten und grauen Kapitalmarkt sind
gerade im Anlegerschutzbereich für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger
drastisch:

● Aufgrund der fehlenden Regulierung besteht ein starkes Anlegerschutzge-
fälle zwischen dem geregelten und dem grauen Kapitalmarkt. Auch verein-
zelte Gerichtsentscheidungen zugunsten von Anlegern konnten diese Schutz-
lücken am grauen Kapitalmarkt nicht beheben. Die derzeitige Rechtslage
stellt für dubiose Anbieter von Anlageprodukten sowie unqualifizierte
Anlagevermittler einen Anreiz dar, sich eher am grauen Kapitalmarkt zu en-
gagieren – nicht zuletzt um einer Beaufsichtigung durch die BaFin zu entge-
hen. Dieses Gefälle wird noch dadurch verstärkt, dass der geregelte Kapital-
markt im Zuge der europäischen Harmonisierung mittlerweile ein höheres
Niveau anlegerschützender Vorschriften erreicht hat. Das Anlegerschutz-
niveau am grauen Kapitalmarkt ist im Vergleich dazu absolut unterent-
wickelt.
● Der unzureichende Anlegerschutz am grauen Kapitalmarkt sorgt für die Ver-
nichtung von Anlegergeldern in immenser Höhe. Die exakte Ermittlung der

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Schadenssummen gestaltet sich schwierig, da die genauen Anlagevolumina
der Firmen unbekannt sind, es im Verlustfall selten zur zivilrechtlichen Klage
Geschädigter kommt und eine Schadensstatistik des Bundeskriminalamtes
nur aufgeklärte Fälle umfasst und nicht explizit nach Zugehörigkeit zum
grauen Kapitalmarkt differenziert. Die Dunkelziffer ist demgemäß hoch.
Dennoch reichen veröffentlichte Schätzungen darüber, wie hoch die Summe
der versickerten Gelder am grauen Kapitalmarkt ist, von mehreren Milliarden
Euro (Bericht der Bundesregierung zum „Grauen Kapitalmarkt“ vom
17. September 1999, Bundestagsdrucksache 14/1633) bis zu 30 Mrd. Euro
(Pressemitteilung Verbraucherzentrale NRW v. 27. April 2006) pro Jahr.
Trauriger Höhepunkt war die Insolvenz der Göttinger Gruppe, bei der Anle-
gergelder im Gegenwert von über 1 Mrd. Euro verlorengingen. Und Experten
sehen darin lediglich die Spitze des Eisberges. Denn während die Anlage-
formen früher stärker auf Wohlhabende zugeschnitten waren, sind mittler-
weile Geringverdiener zur Zielgruppe avanciert. Dass mit dieser breiten
Masse trotz niedriger Einlagesummen gute Umsätze zu erzielen sind, zeigt
auch der rasante Anstieg der Fondsinitiatoren von 170 Ende 2004 auf mittler-
weile 373 Ende 2006 (Bartelsberger/Boutonnet/Loipfinger/Nickl/Richter,
Geschlossene Immobilienfonds, S. 33 f.). Die Zahl derer, die unseriös
agieren, hat laut Fachanwälten zugenommen (Nittel/Lembach, in: Assies/
Beule/Heise/Strube, Bank- und Kapitalmarktrecht, S. 1241). Viele Bürgerin-
nen und Bürger erleiden einen Totalverlust, der Übergang von ineffizienten
zu unseriösen Anlageprodukten ist fließend. Besonders tragisch ist, dass die
Anlage für die meisten Betroffenen nicht den Zweck spekulativer Vermö-
gensmehrung hat. Vielmehr verlieren sie das eingeplante Geld für die private
Altersvorsorge und oftmals – aufgrund fortgeschrittenen Alters – auch die
Möglichkeit, erneut vom Berufsentgelt über Teilbeträge wieder relevantes
Vermögen für das Rentenalter anzusparen.

● Auch die Wachstumschancen der Volkswirtschaft werden durch die Zweitei-
lung des Kapitalmarktes beeinträchtigt. Das im grauen Kapitalmarkt vernich-
tete Kapital fehlt für die Finanzierung von Unternehmen am geordneten
Kapitalmarkt. Zum zweiten ist der Vertrauensverlust der Anleger enorm
schädlich für die Funktionsfähigkeit deutscher Kapitalmärkte insgesamt.
Durch die bekannt gewordenen Fälle entsteht eine generelle Angst davor, am
Kapitalmarkt zu investieren. Die meisten Bürgerinnen und Bürger kennen die
Differenzierung zwischen geregeltem und grauem Kapitalmarkt nicht. In der
Folge werden bei Schadens- und Betrugsmeldungen Kapitalmarktprodukte
allgemein gemieden. Das ist einer Kapitalmarktkultur abträglich und fördert
einseitige Ansparmethoden etwa mittels Sparbuch, die alleine nicht geeignet
sind, um Vermögenslücken im Alter vorzubeugen.

Obgleich diese Schutzlücken und Nachteile seit Jahrzehnten bekannt sind, hat
sich die Politik der Problematik bisher entweder gar nicht oder nur halbherzig
angenommen. In einer Reihe von Fällen haben sich Politiker sogar in fahrlässiger
Weise in die Vermarktungsstrategien dubioser Firmen einbinden lassen – etwa
bei dem Unternehmen Göttinger Gruppe – und so zum Schaden zahlreicher
Anleger beigetragen.

Erst kürzlich hätte für den Gesetzgeber die Möglichkeit bestanden, im Zuge der
Umsetzung der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID Teilbereiche des
grauen Kapitalmarktes in den Anwendungsbereich des Wertpapierhandelsgeset-
zes (WpHG) zu überführen und damit dem geregelten Kapitalmarkt anzuglei-
chen. Vorschläge dazu hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mittels
Entschließungsantrag in die parlamentarischen Beratungen im Deutschen
Bundestag eingebracht (Bundestagsdrucksache 16/4884). Die große Koalition
aber wehrte sich beispielsweise gegen eine Aufnahme von geschlossenen Fonds

oder die Einbeziehung freier Anlagevermittler.

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Immerhin wurde anlässlich der kürzlich verabschiedeten Pfandbriefrechts-
novelle (Bundestagsdrucksache 16/11130) ein neuer Erlaubnistatbestand namens
Anlageverwaltung im Kreditwesengesetz (KWG) einführt. Damit werden
Finanzdienstleister, die etwa Anteile an Treuhandkommanditmodellen (ge-
schlossenen Fonds) auflegen und anbieten, bestimmten Organisations- und Ver-
haltenspflichten unterworfen. Allerdings ist der Anwendungsbereich erheblich
beschränkt, weil nur solche Modelle erfasst werden, die in bestimmte Finanz-
instrumente investieren. Sachwerte wie Immobilien oder Schiffe gehören nicht
dazu.

Insgesamt greift dieser Ansatz daher zu kurz. Der graue Kapitalmarkt lässt sich
nicht en passant durch eine Einzelmaßnahme an das Schutzniveau des geregel-
ten Kapitalmarktes anpassen. Der graue Kapitalmarkt wird vielmehr durch De-
fizite in unterschiedlichen Bereichen und Ebenen am Leben gehalten; etwa im
Zivilrecht, Zivilprozessrecht, Kapitalmarktrecht, Strafrecht sowie bei der Orga-
nisation der Staatsanwaltschaft und der Gerichtsbarkeit. Eine Reform des Anle-
gerschutzrechts, die dem grauen Kapitalmarkt nachhaltig den Garaus machen
soll, muss diese Punkte umfassend berücksichtigen und auch im Blick haben,
dass Länder- und Bundeszuständigkeiten bei Aufsicht und Gesetzgebungsbe-
fugnis berührt sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

folgende Punkte gesetzlich zu regeln oder – sofern selbst nicht befugt – sich für
eine Regelung durch zuständige Institutionen einzusetzen:

1. Das Wertpapierhandelsgesetz ist zu einem ganzheitlichen Kapitalanlagerecht
weiterzuentwickeln, um ein einheitliches Schutzniveau unabhängig vom
Anlageprodukt oder Vertriebsweg zu gewährleisten.

a) Dazu ist auf Produktebene insbesondere eine differenzierte Angleichung
des Regulierungsniveaus geschlossener Fonds an jenes von Anlagepro-
dukten des Wertpapierhandelsgesetzes vorzunehmen.

b) Auf Vertriebsebene müssen alle Finanzdienstleister einheitlichen Min-
deststandards – etwa ausreichende Qualifikation sowie Nachweis einer
Berufshaftpflichtversicherung – genügen.

2. Die Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ist
auszuweiten und zu verbessern.

a) Dazu ist die derzeitige formelle Prüfung von Prospekten durch die BaFin
zumindest auf eine Kohärenzkontrolle (Schlüssigkeit und Widerspruchs-
freiheit) auszuweiten.

b) Zudem ist die laufende Kontrolle des Geschäftsgebarens von Finanz-
dienstleistern am grauen Kapitalmarkt in Anlehnung an die Wohlverhal-
tenspflichten gemäß § 31 ff. WpHG zu gewährleisten. Hierzu soll eine
Task Force grauer Kapitalmarkt nach österreichischem Vorbild eingerich-
tet werden.

c) Eine umfassendere Ausrichtung der BaFin auf den Anlegerschutz muss mit
einer Verstärkung der personellen Kapazitäten der Behörde einhergehen.

3. Die prozessuale Durchsetzbarkeit berechtigter Schadenersatzansprüche von
Anlegern muss verbessert werden.

a) Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) muss umgehend
evaluiert und reformiert werden, um u. a. kollektive Rechtsdurchsetzungs-
möglichkeiten zu erleichtern.

b) Außerdem sind gesetzliche Beweiserleichterungen zugunsten klagender

Anleger zu statuieren, was insbesondere zur besseren Nachweisbarkeit
von Pflichtverletzungen bei der Anlageberatung notwendig ist.

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4. Das Fachwissen und die Kapazitäten der Justiz im Bereich Kapitalanlage-
recht sind auszubauen.

a) In jedem Bundesland müssen ausreichend Spezialkammern bei den Land-
gerichten angesiedelt sein, deren Richter mit der komplexen Materie des
Kapitalanlagerechts hinreichend vertraut sind.

b) Über eingerichtete Schwerpunktstaatsanwaltschaften im Bereich Wirt-
schaftsstrafrecht hinaus sollte es spezielle Unterabteilungen geben, die
sich mit Ermittlungen im Bereich grauer Kapitalmarkt befassen.

5. Die finanzielle Allgemeinbildung der Bürgerinnen und Bürger ist zu stärken.
Fächer wie Gemeinschaftskunde oder Gesellschaftskunde sind um solche
Inhalte zu erweitern, die ein erstes Verständnis für wirtschaftliche Prozesse
des Alltags sowie des Vermögensaufbaus (zur Altersvorsorge) vermitteln.

Berlin, den 17. Juni 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

1. Die uneinheitliche Regulierung in Abhängigkeit davon, ob der Anleger ein
Produkt des grauen oder geregelten Kapitalmarktes erwirbt, führt zu unter-
schiedlichen Schutzniveaus für die Bürgerinnen und Bürger. Außerdem er-
zeugt es Rechtsunsicherheit und Haftungsgefahren für die Anbieter und Ver-
mittler der Produkte. So müssen Berater unterschiedlichen Pflichten entspre-
chen, je nachdem ob eine fondsgebundene Lebensversicherung, ein Zertifikat
oder ein geschlossener Schiffsfonds angeboten wird. Das ist für alle Seiten
verwirrend, für Anlegerinnen und Anleger aber vor allen Dingen gefährlich.
Dadurch, dass die Anlageprodukte des grauen Kapitalmarktes wegen ihrer
rechtlichen Ausgestaltung (z. B. als Anteile an Personenhandelsgesellschaf-
ten) nicht den Regeln des WpHG unterfallen, fehlen beispielsweise wesent-
liche Vorgaben für den Vertrieb dieser Produkte. Das betrifft insbesondere die
gerade erst durch die Finanzmarktrichtlinie MiFID verschärften und konkre-
tisierten Wohlverhaltenspflichten der Finanzberater. So müssen beispiels-
weise seit dem 1. November 2007 alle Bankberater sämtliche Provisionen ge-
genüber dem Kunden offenlegen, die sie für den Verkauf eines Anlagepro-
duktes erhalten. Das gilt aber eben nur für jene Produkte, die im Anwen-
dungsbereich des WpHG liegen. Das ist fatal, denn gerade bei geschlossenen
Fondsanteilen, die zunehmend auch über den Bankschalter angeboten wer-
den, sind die Provisionen regelmäßig besonders hoch – meist über 10 Pro-
zent. Ausgerechnet hier hat aber kürzlich die Rechtsprechung befunden, dass
die Vorlage des allgemeinen Anlageprospektes als Aufklärung des Anlegers
genügen soll (BGH v. 25. September 2007 – XI ZR 320/06). Die Provisionen
sind im Verkaufsgespräch nicht explizit zu nennen. Zwar hat die Recht-
sprechung für so genannte Bestandsrückvergütungen mittlerweile eine Of-
fenlegung vorgeschrieben, um Interessenkonflikte transparent zu machen
(Kick-Back-Urteil des BGH v. 20. Januar 2009 – XI ZR 510/07). Es scheint
hier gleichwohl angezeigt, dass der Gesetzgeber für Rechtssicherheit sorgt,
indem er einen umfassenden Regelungsansatz zur Transparenz von Zuwen-
dungen festlegt.

a) Anlageprodukte
Es ist dringend geboten, die Anlageprodukte des grauen Kapitalmarktes,
insbesondere Anteile an Personenhandelsgesellschaften, in den Anwen-

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dungsbereich des WpHG einzubeziehen. Diese Einbeziehung kann nicht
pauschal erfolgen und muss insbesondere signifikanten Unterschieden
wie beispielsweise der unterschiedlichen Übertragungsweise und dadurch
eingeschränkter Handelbarkeit Rechnung tragen. Solche formalen Unter-
schiede der Rechtsmäntel dürfen am Ende aber kein Hindernis sein, wenn
es darum geht, einen einheitlichen Anlegerschutz zu verwirklichen. Auch
die Europäische Kommission hat diesen Gedanken gegenwärtig aufge-
griffen. Sie hat kürzlich ein Konsultationsverfahren eingeleitet, demge-
mäß darüber beraten wird, ob für substitutive Anlageprodukte – also all
jene Produkte, die Privatanlegern trotz unterschiedlicher Rechtsform glei-
chermaßen zum Vermögensaufbau und zur Altersvorsorge dienen – in be-
stimmten Bereichen gleiche Regeln gelten sollten.

b) Vertrieb

Wir fordern die Einführung spezieller Berufszulassungsvoraussetzungen
für Finanzberater, die über die Anforderungen des allgemeinen Gewerbe-
rechts hinausgehen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere der
Nachweis hinreichender Qualifikation im Bereich der Anlageberatung
oder Produktvermittlung sowie das Vorhalten einer Berufshaftpflichtver-
sicherung von Bedeutung. Ohne Berufshaftpflichtversicherung verfügen
Finanzvermittler andernfalls über kein nennenswertes Haftungskapital, so
dass Klagen der betroffenen Anleger von vornherein aussichtslos sind.
Außerdem ist eine Registrierung der tätigen Finanzberater notwendig. Die
dadurch entstehende Transparenz sorgt auch für eine Aufdeckung der
Strukturen am grauen Kapitalmarkt und lässt Aussagen über die Gesamt-
zahl tätiger Vermittler zu. Diese Angaben können die Gewerbeämter bis-
her mangels differenzierter Einteilung erteilter Gewerbezulassungen nicht
leisten. Bei den Umsetzungsdetails, beispielsweise wo das Register anzu-
legen ist und wer die Prüfung der Berufsqualifizierung abnimmt, können
die Regelungen der kürzlich umgesetzten Versicherungsvermittlerricht-
linie als Maßstab verwendet werden. Die regulatorischen Verbesserungen
in diesem Bereich sind von immenser Bedeutung, zumal die Gruppe der
Finanzberater und -vermittler wegen des unmittelbaren Kundenkontakts
den größten Einfluss auf die Anlegerentscheidung hat.

2. Zur Überwachung der geregelten Kapitalmärkte und ihrer Marktteilnehmer
ist 2002 die Allfinanzaufsicht durch die BaFin geschaffen worden. Kontrol-
liert werden jedoch nur diejenigen Produkte, Anbieter und Finanzberater, die
den einschlägigen Gesetzen unterliegen. Produkte und Anbieter des grauen
Kapitalmarktes, für die eine spezialgesetzliche Regelung fehlt, werden nicht
beaufsichtigt.

a) Selbst die 2005 eingeführte formale Prospektprüfung der BaFin für Kapi-
talanlagen des grauen Kapitalmarktes hat daran nichts geändert. Denn es
erfolgt lediglich eine formale Kontrolle. So prüft die BaFin zum Beispiel,
ob der Prospekt ein Inhaltsverzeichnis hat und ob der Sitz des Anbieters
genannt ist. Die BaFin klärt aber nicht, ob die Angaben zur Leistungs-
bilanz des Anbieters stimmen und ob die in Aussicht gestellten Renditen
evident unrealistisch sind. Ein Immobilienfonds könnte die Genehmigung
der BaFin selbst dann erhalten, wenn ihm die im Prospekt genannte Im-
mobilie gar nicht gehört. Aufgrund der Tatsache, dass die Anbieter und
Vermittler im Verkaufsgespräch dann auch noch damit werben, die Kapi-
talanlage sei von der BaFin geprüft, also quasi staatlich abgesegnet, hat
sich die formale Prospektpflicht am grauen Kapitalmarkt eher als kontra-
produktiv erwiesen. Es ist daher unerlässlich, dass die BaFin diese Pros-
pekte künftig auch auf deren Plausibilität hin überprüft. Selbst wenn es nur

eine Kontrolle auf offenkundige Unzulänglichkeiten des Geschäfts-
modells gäbe, würden damit diverse Unternehmen davon abgehalten,

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 7 – Drucksache 16/13402

Kapitalanlagen anzubieten, die von vornherein völlig ineffizient und un-
praktikabel sind oder gar auf betrügerische Anlagesysteme hinauslaufen.
Außerdem ist eine weitreichende Standardisierung der Prospekte nötig.
Das erleichtert die Vergleichbarkeit der Angaben unterschiedlicher An-
bieter und erschwert das Verschleiern wesentlicher Angaben innerhalb
100-seitiger Prospekte. Wie auf europäischer Ebene für Investmentfonds
angedacht, sollte es ein Informationsblatt von ein bis zwei Seiten geben,
das die wesentlichen Informationen einer Anlage kurz und bündig zusam-
menfasst. Der ausführliche Prospekt kann dann auf Nachfrage überreicht
werden oder auf der Homepage des Anbieters hinterlegt sein.

b) Die Anlageberater von Wertpapieren und andere regulierte Finanzdienst-
leister müssen umfassenden Pflichten entsprechen, die die BaFin laufend
kontrolliert. Dabei geht es beispielsweise um anleger- und anlagegerechte
Beratung, um die Vermeidung von Interessenkonflikten, um Organisa-
tionspflichten und die Dokumentation der Dienstleistungen, damit sich die
BaFin anhand der Aufzeichnungen ein Bild des Geschäftsgebarens machen
kann (sog. Wohlverhaltenspflichten nach § 31 ff. WpHG). All diese essen-
tiellen Vorgaben fehlen am grauen Kapitalmarkt gänzlich. Diese Über-
wachungsaufgaben müssen von den allgemeinen Gewerbeämtern mit den
ungeeigneten Eingriffsbefugnissen des Gewerbeaufsichtsrechts erbracht
werden. Dazu sind die Gewerbeämter in keiner Weise fähig, so dass selbst
bei groben Verstößen der am grauen Kapitalmarkt tätigen Anbieter und
Vermittler keine Konsequenzen folgen. Dabei ist auffällig und bedenklich,
dass die Frage der staatlichen Überwachung von Finanzdienstleistern in
erheblichem Maße davon beeinflusst wird, dass sich Bund und Länder
über die Zuordnung der Kosten einigen müssten (vgl. Debatte zur Auswei-
tung der Aufsicht im Rahmen der 6. KWG-Novelle 1997). Bisher fällt die
Aufsicht über den grauen Kapitalmarkt durch die Gewerbeämter in die
Zuständigkeit der Länder, während die BaFin dem Bund unterstellt ist. Die
Frage der Kosten einer Überwachung darf aber auf keinen Fall zu Lasten
des Anlegerschutzniveaus gehen und damit auf dem Rücken der Bürgerin-
nen und Bürger ausgetragen werden. Interessant ist in diesem Zusammen-
hang die Entwicklung der Finanzmarktaufsicht in Österreich. Österreich
hat als einziges europäisches Land einen Kapitalmarktbereich, der dem des
grauen Kapitalmarktes in Deutschland – auch von den Produkten her – ver-
gleichbar ist. In Österreich ist am 1. März 2006 das so genannte Enforce-
ment-Paket in Kraft getreten. Dadurch entstand bei der Finanzmarktauf-
sichtsbehörde (FMA) eine „Task Force Grauer Kapitalmarkt“ mit
weitreichenden Befugnissen im Rahmen von Verwaltungs- und Verwal-
tungsstrafverfahren. Ziel ist es, unerlaubt betriebene Geschäfte effizienter
zu verfolgen und zu unterbinden und damit den Anlegerschutz nachhaltig
zu stärken. Berufszulassungsregeln wie ein Minimum an Qualifikation so-
wie geeignete Pflichtversicherungen sind erste Schritte, um das Anleger-
schutzniveau beim Vertrieb am grauen Kapitalmarkt zu heben. Damit auch
nach erteilter Befugnis ein faires und transparentes Geschäftsgebaren
gewährleistet ist, bedarf es für die Anbieter und Vermittler am grauen
Kapitalmarkt Wohlverhaltenspflichten, die an jene bewährten Vorschriften
von § 31 ff. WpHG angelehnt sind. Dass diese Wohlverhaltenspflichten
tatsächlich eingehalten werden, muss staatlich beaufsichtigt werden. Es
muss festgelegt werden, ob eine solche laufende Kontrolle dezentral über
die Gewerbeämter bewerkstelligt werden kann oder es der Expertise und
gewachsener Strukturen der BaFin bedarf. Es ist in Erwägung zu ziehen,
nach dem österreichischen Vorbild eine Task Force grauer Kapitalmarkt
bei der BaFin zu bilden. Dadurch ließe sich eine Expertengruppe ins Le-
ben rufen, die zielgerichtet und effektiv Verwaltungs- und Bußgeldverfah-

ren durchzuführen vermag. Jedenfalls ist die Aufsicht über die Einhaltung

Drucksache 16/13402 – 8 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

der gesetzlichen Vorgaben die beste Möglichkeit, missbräuchliches und
schädigendes Verhalten von Finanzdienstleistern frühzeitig aufzudecken
und Schäden zu begrenzen.

3. Eigentlich gibt es auch bei der Anlage am grauen Kapitalmarkt die Möglich-
keit, Schadenersatz einzuklagen, wenn man als Anleger betrogen wurde oder
durch den Finanzberater eine Falschberatung erfolgte, die zu einem Wertver-
lust führte. Diese Rechte stehen aber bei den üblichen Konstellationen am
grauen Kapitalmarkt lediglich auf dem Papier. Kommt es bei den unseriösen
Anbietern zu einer Veruntreuung des Vermögens oder zu einer Insolvenz,
dann nützt dem Anleger die Geltendmachung der Ansprüche nicht viel. Das
Unternehmen ist pleite, die Anbieter scheinbar vermögenslos oder unter-
getaucht; das Geld jedenfalls regelmäßig unauffindbar. Auch der Anlage-
vermittler verfügt meist nicht über ausreichende finanzielle Mittel, als dass
sich Betroffene schadlos halten könnten. Pflichtversicherungen gibt es nicht
und eine Anlegerentschädigungseinrichtung existiert am grauen Kapital-
markt ebensowenig. Hinzu kommt noch erschwerend, dass sich kaum An-
wälte finden, die bei geringeren Beträgen die Rechtsberatung übernehmen
oder viele Anleger aus Angst vor den Prozesskosten gar nicht erst Klage
erheben. Oftmals werden Anleger auch hingehalten, bis die Verjährung der
Ansprüche eingetreten ist. Schließlich fehlen auch die prozessualen Struktu-
ren für eine gemeinschaftliche Geltendmachung von Klagen der Anlegerin-
nen und Anleger. Das 2005 eingeführte Kapitalanleger-Musterverfahrens-
gesetz hat zu keiner ausreichenden Verbesserung der Situation geführt und
auch geltende Beweislastregeln behindern Anleger generell in der Durch-
setzung ihnen zustehender Ansprüche.

a) Um den Anlegern auch beim Verlust vermeintlich kleinerer Beträge eine
zügige und einfache Haftungsklage gegen die Verantwortlichen zu ermög-
lichen, muss das 2005 geschaffene Kapitalanleger-Musterverfahrensge-
setz weiterentwickelt werden. Die bisherigen Verfahren haben gezeigt,
dass es nur bedingt zur Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung
beitragen kann. Das KapMuG gilt befristet bis 2010 und soll dann vom
Gesetzgeber auf seine Tauglichkeit hin überprüft und gegebenenfalls
nachgebessert werden. Wir fordern, dass unmittelbar nach Abschluss des
laufenden Präzedenzfalles gegen ein großes Telekommunikationsunter-
nehmen eine umfassende Evaluierung des KapMuG erfolgt. Die Rechts-
schutzmöglichkeiten der geschädigten Anleger sind von zu großer Bedeu-
tung, als dass erst 2010 mit einer Analyse der Mängel begonnen werden
sollte. Ziel einer Fortentwicklung des KapMuG oder einer Neuregelung ist
es, Anlegerinnen und Anleger bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu stär-
ken, indem Sammelklagen (Möglichkeiten kollektiver Rechtsdurchset-
zung) erleichtert werden.

b) Allein eine Ausweitung der prozessualen Klagemöglichkeiten wird Anle-
gern jedoch nicht zu dem ihnen zustehenden Recht verhelfen. Insbeson-
dere geltende Beweisführungsgrundsätze sorgen regelmäßig dafür, dass
Anleger ihnen zustehende Ansprüche nicht einklagen können. Ihnen man-
gelt es an ausreichender Dokumentation von Beratungssituationen oder
der Nachweisbarkeit, dass eine Pflichtverletzung in der Art und Weise der
Beratung vorlag. Hier sind per Gesetz geeignete Beweiserleichterungen
bis hin zur Beweislastverlagerung einzuführen.

4. Betrugsfälle am grauen Kapitalmarkt sind oft komplexer Natur. Es sind
tiefgreifende Kenntnisse etwa gesellschaftsrechtlicher oder gar steuerrecht-
licher Zusammenhänge und betriebswirtschaftliches Know-how erforder-
lich, um das pflichtwidrige oder strafrelevante Verhalten aus der Auflage und

dem Vertrieb von Fondskonstrukten beurteilen zu können. Die anzustellen-
den Recherchen können umfangreich sein. Zwar haben mittlerweile viele

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 9 – Drucksache 16/13402

Bundesländer spezielle Wirtschafts(straf)kammern und Schwerpunktstaats-
anwaltschaften eingerichtet. Aber diese werden nur selten mit speziell aus-
gebildeten Juristen besetzt und auch die Anzahl der laufenden Fortbildungen
ist ungenügend – wenn überhaupt angeboten. Das hat zur Folge, dass bei-
spielsweise bei der Göttinger Gruppe noch 1996 ein Oberlandesgericht (OLG
Celle v. 15. Mai 1996 – AZ: 9 U 41/95) nicht erkannte, dass es sich bei dem
Unternehmen um ein klassisches Schneeballsystem handelte, obwohl bereits
seit 1994 von Verbraucherschutzzentralen und Fachzeitschriften vor dem
Schneeballsystem gewarnt wurde. Davon abgesehen sind die personellen
Kapazitäten der Justiz insgesamt schwach und werden ständig abgebaut. Gab
es im Jahre 2000 noch 20 880 Richter, waren es nach Angaben des Statis-
tischen Bundesamtes 2004 nur noch 20 395. Laut Deutschem Richterbund
fehlen derzeit zur angemessenen Bewerkstelligung laufender Verfahren rund
4 000 Stellen (Handelsblatt v. 28. Februar 2008, S. 10). Ähnlich problema-
tisch ist die Zahl der Staatsanwälte, die im Zeitraum von 1995 bis 2005 um
269 Personen auf 5106 zurückging. Diese Defizite gepaart mit bei komplexen
Wirtschaftsstrafsachen tendenziell überforderten Schöffen tragen dazu bei,
dass Wirtschaftsstraftäter wie jene des grauen Kapitalmarktes von der deut-
schen Justiz bislang nicht viel zu befürchten haben. Die Abschreckungswir-
kung bisher durchgeführter Strafverfahren war gering und bei der Bevölke-
rung erodiert hierdurch das Vertrauen in den Rechtsstaat.

5. Bei der Regulierung von Finanzdienstleistungen und -produkten hat sich der
Gesetzgeber für eine Verbraucherschutzsystematik durch Information und
Transparenz entschlossen. Grundgedanke ist, dass ein mündiger Anleger
lediglich ausreichend und verständlich über Anlageprodukt und Finanz-
dienstleistung informiert werden muss, um darauf basierend seine eigenstän-
dige Anlageentscheidung treffen zu können. Um die offengelegten Informa-
tionen rational verarbeiten oder zumindest kritische Nachfragen daraus ablei-
ten zu können, müssen die Anlegerinnen und Anleger aber ein Minimum an
finanzieller Allgemeinbildung aufweisen. Daran fehlt es bislang in Deutsch-
land eindeutig. Damit laufen aber auch die meisten Anlegerschutzbemühun-
gen ins Leere. Eine Angleichung der Regeln zwischen grauem und geregeltem
Kapitalmarkt kann also Strukturen schaffen, die für eine geringere Wahr-
scheinlichkeit des Betruges oder unqualifizierter Beratung sorgen; sie muss
aber immer mit einer intensiven Bemühung um die stärkere Bildung der Bür-
gerinnen und Bürger im Bereich Finanzen einhergehen. Die Verbraucherzen-
tralen allein sind damit überfordert und die punktuellen Bemühungen der
Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 16/6760, S. 13 f.) verpuffen ohne
nennenswerten Erfolg. Wir fordern deshalb dringend die Erweiterung von
Fächern wie Gemeinschaftskunde und Gesellschaftskunde um solche Inhalte,
die ein erstes Verständnis für wirtschaftliche Prozesse des Alltags sowie des
Vermögensaufbaus (zur Altersvorsorge) vermitteln. Eine flächendeckende
finanzielle Allgemeinbildung würde nicht nur den Anlegerschutz massiv auf-
werten, sondern gleichzeitig präventiv bei der zunehmenden Überschuldung
deutscher Haushalte wirken und den Staat dadurch mittelfristig bei den Kos-
ten für Transferleistungen entlasten.

Der Schutz investierender Anlegerinnen und Anleger spielt für eine funktionie-
rende Marktwirtschaft sowie eine effektive Altersvorsorge der Bevölkerung
eine zentrale Rolle. Daher muss der graue Kapitalmarkt dringend einen Regulie-
rungsrahmen erhalten, der ein angemessenes Schutzniveau für die Bürgerinnen
und Bürger gewährleistet. Ziel ist es dabei nicht etwa, den Anlegerinnen und
Anlegern das Risiko der Kapitalanlage abzunehmen. Ziel muss es aber sein,
faire Rahmenbedingungen für die Kapitalanlage zu bieten und eine eigenstän-
dige Entscheidung auf verständlicher Informationsgrundlage zu sichern. Ziel

Drucksache 16/13402 – 10 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

muss es darüber hinaus sein, geprellten Anlegern ein Rechtssystem zur Ver-
fügung zu stellen, das ihnen den einfachen und zügigen Ausgleich zu Unrecht
erlittener Verluste auf gerichtlichem Wege ermöglicht.

Die Probleme sind offenkundig und der Politik bekannt. Lösungsansätze liegen
auf dem Tisch. Ein verantwortungsbewusster Gesetzgeber darf nicht länger zu-
sehen, wie Jahr für Jahr Milliarden an mühsam Erspartem im grauen Kapital-
markt volkswirtschaftlich unsinnig vernichtet werden.

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