BT-Drucksache 16/13244

Verbot des Schwangerschaftsabbruches aus medizinischer Indikation

Vom 27. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13244
16. Wahlperiode 27. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Monika Knoche, Karin Binder, Eva Bulling-Schröter,
Dr. Martina Bunge, Sevim Dag˘delen, Heike Hänsel, Ulla Jelpke, Katja Kipping,
Katrin Kunert, Kornelia Möller, Kersten Naumann, Dr. Kirsten Tackmann
und der Fraktion DIE LINKE.

Verbot des Schwangerschaftsabbruches aus medizinischer Indikation

Im Rahmen der UN-Millenniumsziele und deren Verabschiedung auf der Gene-
ralversammlung der Vereinten Nationen im September 2000 hat sich auch die
Deutsche Regierung dazu verpflichtet, sich für die Gleichstellung der Ge-
schlechter und die Stärkung der Rolle der Frauen sowie für die Senkung der
Müttersterblichkeit einzusetzen (Millenniumsziele 3 und 5). Diesem Ziel steht
entgegen, dass in vielen Ländern das Verbot selbst von Schwangerschaftsabbrü-
chen existiert, die medizinisch indiziert sind. Denn wenn medizinische Gründe
dafür angeführt werden können, dass eine Fortführung der Schwangerschaft mit
hoher Wahrscheinlichkeit zu schweren gesundheitlichen Folgen bis hin zum Tod
der betroffenen Frau führen kann, ist ihr Recht auf Gesundheit und Leben betrof-
fen. Jede politische Entscheidung, die der kranken Frau in dieser Situation den
ungehinderten Zugang zu Gesundheitsressourcen und Behandlung einschließ-
lich des medizinisch indizierten Aborts raubt, schränkt damit ihre fundamen-
talen Menschenrechte ein.

Die Folgen eines solchen Verbotes sind in vielen Ländern dokumentiert worden:
Frauen sterben aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft,
weil sie versuchen, unter prekären Umständen dennoch einen Schwanger-
schaftsabbruch vorzunehmen oder erleiden gravierende gesundheitliche Schä-
den in der Folge illegaler, nicht fachlich durchgeführter Schwangerschafts-
abbrüche. So schätzt die Weltgesundheitsorganisation, dass von den jährlich
3,7 Millionen illegalen Schwangerschaftsabbrüchen in Lateinamerika, 4 000
bis 6 000 tödlich enden. 80 Prozent der überlebenden Frauen leiden unter dau-
erhaften Gesundheitsfolgen durch den Eingriff.

Entsprechend befand die UN-Kommission für Menschenrechte, dass restriktive
Schwangerschaftsabbruchgesetze Artikel 6 (Recht auf Leben) und Artikel 7
(Verbot der grausamen und unmenschlichen Behandlung) des Paktes über zivile
und politische Rechte verletzten. Die UN-Kommission überprüft regelmäßig die
Berichte von Ländern mit restriktiven Schwangerschaftsabbruchgesetzen (Irland,
Guatemala, Peru, Mali, El Salvador, Gambia, Kolumbien, Marokko, etc.) und

forderte in der Vergangenheit alle diese Länder auf, ihre Gesetze zu revidieren
und Ausnahmen vom Verbot zuzulassen. So rügte die UN-Kommission auf ihrer
Sitzung im Frühjahr 1999 die rigorosen Schwangerschaftsabbruchverbote in
Chile und Costa Rica und im Sommer 1999 und ein zweites Mal Ende 2004 die
restriktiven gesetzlichen Regelungen Polens.

Nach Ansicht des zuständigen UN-Ausschuss gegen die Diskriminierung der Frau
(CEDAW) verstößt das strikte Schwangerschaftsabbruchsverbot auch gegen das

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UN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau
(sog. Frauenkonvention). Im Februar 2007 formulierte der Ausschuss seine
Sorge bezüglich der Verschärfung des Schwangerschaftsabbruchsrechts hin zum
totalen Verbot in Nicaragua und bezüglich der hohen Anzahl von illegalen Ab-
brüchen dort und forderte die Regierung auf, die Bestimmungen zu revidieren.

Insgesamt verfolgen – so scheint es – immer mehr Regierungen dieser Welt eine
sehr restriktive Frauen- und Familienpolitik, einschließlich des totalen Verbots
von Schwangerschaftsabbrüchen. Ein Grund für diese unbefriedigende Situation
ist gerade in den Ländern des Südens der zunehmende Einfluss der katholischen
Kirche, die etwa in Lateinamerika mit ihrer Kampagne „Recht auf Leben“ für
ein totales Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen eintritt und dies zu einer
ihrer Hauptforderungen gegenüber den jeweiligen Regierungen gemacht hat.

Das totale Schwangerschaftsabbruchverbot ist ein schwerwiegender Eingriff in
das Selbstbestimmungsrecht. Es verletzt die Menschenrechte auf Leben und Ge-
sundheit sowie auf Sicherheit der Frau. Der damit quasi verbundene Gebär-
zwang sogar bei Gefährdung der körperlichen und psychischen Gesundheit wird
auch als Verletzung des Verbots der Leibeigenschaft interpretiert.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn die psychische oder körperliche Gesundheit der Frau durch Schwan-
gerschaft und Geburt gefährdet ist oder die Schwangerschaft aufgrund einer
Vergewaltigung zustande gekommen ist?

2. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn die psychische oder körperliche Gesundheit der Frau durch Schwan-
gerschaft und Geburt gefährdet ist?

3. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn die körperliche Gesundheit der Frau durch Schwangerschaft und Ge-
burt gefährdet ist oder die Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung
zustande gekommen ist?

4. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn die körperliche Gesundheit der Frau durch Schwangerschaft und Ge-
burt gefährdet ist?

5. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn das Leben der Frau durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist
oder die Schwangerschaft aufgrund einer Vergewaltigung zustande gekom-
men ist?

6. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch nur dann zugelassen,
wenn das Leben der Frau durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist?

7. Bezüglich der Fragen 1 bis 6: Wie lauten die jeweiligen gesetzlichen Be-
stimmungen für den Abbruch bezüglich des Einverständnisses von An-
gehörigen (Ehemann, gesetzlicher Vertreter, gesetzliche Vertreterin) zum
Abbruch, der Anzahl ärztlicher Gutachten und anderer einzuhaltender For-
malitäten, zuzüglich der Frage der Kostenübernahme?

8. Bezüglich der Fragen 1 bis 6: Welche Strafen für die betroffenen Frauen und
Ärzte bzw. Ärztinnen werden bei Zuwiderhandlung angedroht?

9. In welchen Staaten ist ein Schwangerschaftsabbruch aus sozialen Gründen
gestattet?

10. In welchen Staaten bestehen Gesetze, die Abtreibung total verbieten, sogar
wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau gefährdet, und welche Stra-

fen werden bei Zuwiderhandlung den Frauen oder den Ärzten und Ärztin-
nen angedroht?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13244

11. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Welche Anzahl illegaler Abtreibungen
werden in den betroffenen Ländern vorgenommen, wie viele Frauen sterben
an den Folgen dieser Abbrüche, und wie viele Frauen erleiden welche Ge-
sundheitsfolgen?

12. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Welche Kosten entstehen den Gesund-
heitssystemen der betroffenen Länder aufgrund der Einweisung von
Frauen, die an akuten und chronischen Folgen illegaler Schwangerschafts-
abbrüche leiden?

13. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Welche offizielle Haltung vertreten die
katholischen und die evangelischen Landeskirchen bezüglich Abtreibung in
den jeweiligen Ländern, und gibt es von ihnen Kampagnen für ein totales
Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen?

14. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Wie ist der Zugang von Frauen und
Mädchen zu Verhütungsmitteln (prozentuale Verfügbarkeit, Kosten) in die-
sen Ländern geregelt?

15. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Wie hoch ist das durchschnittliche
Alter der Erstgebärenden in diesen Ländern?

16. Bezüglich der Fragen 1 bis 6 und 10: Wie hoch ist die Müttersterblichkeit
in diesen Ländern?

17. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass restriktive Ge-
setze weniger Schwangerschaftsabbrüche verhindern als vielmehr dazu
führen, dass diese Abbrüche unsachgemäß durch Nicht-Ärzte und -Ärztin-
nen durchgeführt werden, dass Frauen sich bei Komplikationen nicht in
ärztliche Behandlung zu begeben wagen, dass oft viel Zeit verstreicht, bis
sie eine Schwangerschaftsabbruchmöglichkeit gefunden haben und dass
insbesondere sozial benachteiligte Frauen von restriktiven gesetzlichen Re-
gelungen diskriminiert werden, weil ihnen die materiellen Voraussetzungen
für alternative Zugänge zu Schwangerschaftsabbrüchen, z. B. Reisen ins
Ausland, fehlen?

18. Teilt die Bundesregierung die Interpretation von Artikel 12 der Frauenkon-
vention (betr. Gesundheit) der CEDAW, wonach es eine Diskriminierung
der Frau sei, „bestimmte medizinische Eingriffe“, die nur von Frauen bean-
sprucht werden, zu kriminalisieren?

19. Sieht die Bundesregierung in der Verweigerung eines Schwangerschafts-
abbruchs selbst dann, wenn die medizinische Indikation gegeben ist, einen
Verstoß gegen die Menschenrechte, und wenn ja, auf welche Weise hat die
Bundesregierung dies gegenüber welchen Regierungen deutlich gemacht?

Wenn nein, warum nicht?

20. Stehen nach Auffassung der Bundesregierung restriktive gesetzliche Rege-
lungen zu Schwangerschaftsabbrüchen der Umsetzung der Millenniums-
ziele 3 und 5 entgegen?

Wenn ja, trifft dies nach Meinung der Bundesregierung zu, wenn Schwan-
gerschaftsabbrüche nur dann zugelassen sind, wenn

a) die psychische oder körperliche Gesundheit der Frau oder ihr Leben
durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist oder eine Vergewal-
tigung Ursache der Schwangerschaft ist,

b) die psychische oder körperliche Gesundheit der Frau oder ihr Leben
durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist,

c) die körperliche Gesundheit der Frau oder ihr Leben durch Schwanger-

schaft und Geburt gefährdet ist oder eine Vergewaltigung Ursache der
Schwangerschaft ist,

Drucksache 16/13244 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
d) die körperliche Gesundheit der Frau oder ihr Leben durch Schwanger-
schaft und Geburt gefährdet ist,

e) das Leben der Frau durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist oder
eine Vergewaltigung Ursache der Schwangerschaft ist,

f) das Leben der Frau durch Schwangerschaft und Geburt gefährdet ist,

g) Schwangerschaftsabbrüche total verboten sind?

21. Spielt die Position der Bundesregierung zu restriktiven Gesetzen zu
Schwangerschaftsabbrüchen eine Rolle bei den Regierungsverhandlungen
mit den entsprechenden Regierungen, in deren Ländern es totale Verbote
gibt?

Wenn ja, welche Forderungen hat die Bundesregierung vorgetragen?

Wenn nein, warum nicht?

22. Spielt die Position der Bundesregierung zu restriktiven Gesetzen zu
Schwangerschaftsabbrüchen eine Rolle beim Dialog mit der katholischen
und den evangelischen Kirchen sowohl in den betroffenen Ländern als auch
mit den Amtskirchen in Deutschland?

Wenn ja, welche Fragen oder Kritikpunkte wurden vorgetragen?

Wenn nein, warum nicht?

23. Inwiefern setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass Frauen ein diskri-
minierungsfreier Zugang zu sicheren und legalen Abbrüchen ermöglicht
wird, d. h. Frauen über echte Wahlmöglichkeiten verfügen, um ihr repro-
duktives Leben selbst zu bestimmen?

24. Wird die Bundesregierung Mittel zur Finanzierung der Dokumentation und
Veröffentlichung der Ursachen von Müttersterblichkeit in Ländern mit
strikten Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen bereitstellen, und wenn
ja, in welchen Ländern (bitte mit Begründung und gegebenenfalls unter An-
gabe der konkreten Vorhaben)?

25. Plant die Bundesregierung, die finanzielle Unterstützung für Programme in
Ländern mit strikten Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen auszuwei-
ten, die sich mit dem Thema der reproduktiven Gesundheit beschäftigen,
und wenn ja, in welchen Ländern (bitte mit Begründung und gegebenenfalls
unter Angabe der konkreten Vorhaben)?

26. Plant die Bundesregierung, Kampagnen zur Unterrichtung von Frauen in
Ländern mit strikten Verboten von Schwangerschaftsabbrüchen über ihre
Rechte auf Verhütungsmittel und Abtreibung bzw. entsprechende Organisa-
tionen zu unterstützen (bitte mit Begründung und gegebenenfalls unter
Angabe der konkreten Vorhaben)?

27. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass sich aus der Verletzung elemen-
tarer Menschenrechte durch ein totales Verbot von Schwangerschaftsabbrü-
chen selbst bei medizinischer Indikation ein Asylgrund ableitet?

Wenn nein, warum nicht?

28. Wurde dieser Grund bei Asylanträgen vorgebracht?

Falls ja, wie oft, und wie wurden solche Anträge beschieden?

Berlin, den 20. Mai 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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