BT-Drucksache 16/13177

Sport fördert Integration

Vom 27. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13177
16. Wahlperiode 27. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Klaus Riegert, Wolfgang Bosbach, Norbert Barthle, Antje
Blumenthal, Michael Brand, Ingrid Fischbach, Dirk Fischer (Hamburg), Eberhard
Gienger, Markus Grübel, Bernd Heynemann, Manfred Kolbe, Hartmut Koschyk,
Katharina Landgraf, Stephan Mayer (Altötting), Michaela Noll, Rita Pawelski, Peter
Rauen, Dr. Norbert Röttgen, Dr. Andreas Scheuer, Karl Schiewerling, Wilhelm
Josef Sebastian, Johannes Singhammer, Marcus Weinberg, Elisabeth
Winkelmeier-Becker, Willi Zylajew, Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und der
Fraktion der CDU/CSU
sowie der Abgeordneten Swen Schulz (Spandau), Dagmar Freitag, Dr. Peter
Danckert, Martin Gerster, Wolfgang Grotthaus, Dr. Reinhold Hemker, Petra Heß,
Fritz Rudolf Körper, Ute Kumpf, Caren Marks, Thomas Oppermann, Axel Schäfer
(Bochum), Bernd Scheelen, Dr. Peter Struck und der Fraktion der SPD

Sport fördert Integration

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Gegenwärtig leben rund sieben Millionen Menschen mit einer ausländischen
Staatsangehörigkeit in Deutschland, das entspricht 8,1 Prozent der Gesamt-
bevölkerung – mit steigender Tendenz. Hinzu kommen die Deutschen ausländi-
scher Herkunft. Jeder fünfte Einwohner Deutschlands hat einen Migrations-
hintergrund, bei den unter 25-Jährigen sogar jeder vierte. Daraus ist die Heraus-
forderung erwachsen, das Zusammenleben zwischen Deutschen und Aus-
ländern zu fördern. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die
alle Lebensbereiche umfasst und entscheidende Bedeutung für Deutschlands
politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung in den nächsten Jahr-
zehnten hat.

Der Sport hat eine zentrale gesellschaftliche Funktion. Integration bedeutet
darum auch Teilhabe am Sport. Gleichzeitig ist der Sport Impulsgeber und
Verstärker von Integration. Sport ist gelebte Integration. Er ist somit einer der
Bereiche, in denen künftig verstärkte Anstrengungen zur Integration unter-
nommen werden müssen. Dieses wird im Nationalen Integrationsplan zu Recht
gewürdigt.
Sport bietet beste Voraussetzungen, Integration von Zuwanderern in der Gesell-
schaft im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch zu erreichen. Kinder unter-
schiedlicher Herkunft lernen sich über gemeinsame sportliche Aktivitäten ken-
nen, verbringen ihre Freizeit miteinander und entwickeln Freundschaften. Sport
kann insofern dabei helfen, kulturelle Ressentiments abzubauen. Außerdem
können durch Sport Sozialkompetenz, Selbstvertrauen und Selbstständigkeit
aufgebaut sowie Sprachbarrieren abgebaut werden. Sport schafft Gemeinsam-

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keiten und gegenseitiges Vertrauen. Anders als viele andere Freizeitaktivitäten
ist Sport zudem in der Lage, alle Bevölkerungsgruppen unabhängig der sozia-
len Herkunft zu erreichen. Beim Sport zählt weniger der jeweilige soziale bzw.
finanzielle Hintergrund des Elternhauses, sondern das eigene Engagement.

Auch die Weltmeisterschaften in Deutschland haben gezeigt: Die Sprache des
Sports wird überall auf der Welt gesprochen und verstanden. Sport ist inter-
national und kann alle Kulturen, Hautfarben, Religionen und Sprachen integrie-
ren. Sport im Team zu betreiben, heißt Verantwortung zu übernehmen, Regeln
zu akzeptieren, den Gegner zu achten und Rücksicht zu nehmen, gemeinsame
Niederlagen zu verarbeiten und Erfolge zu genießen. Toleranz und Anerken-
nung sind Grundlagen des fairen sportlichen Wettbewerbs. Sie können dabei
helfen, Vorurteile abzubauen und Minderheiten zu integrieren. Damit leistet der
Sport einen wesentlichen Beitrag zur Prävention gegen Extremismus, Gewalt
und Fremdenfeindlichkeit und stärkt den Zusammenhalt von Menschen mit
verschiedenen kulturellen und ethnischen Hintergründen.

Die Arbeit der Sportvereine ist von herausragender Bedeutung für die Integra-
tion der Migrantinnen und Migranten. In Deutschland gibt es mehr als 90 000
Sportvereine, in denen über 27 Millionen Mitglieder registriert sind. Auch viele
Migrantinnen und Migranten finden den Weg in die Sportvereine. In Sportver-
einen ist Integration täglich gelebte und sehr erfolgreiche Praxis.

Mit Blick auf die verschiedenen Zuwanderergruppen, Sportarten und Sport-
organisationen ist die Integration aber nicht gleichermaßen erfolgreich ver-
laufen. Insgesamt betrachtet sind Migrantinnen und Migranten gemessen an
ihrem Bevölkerungsanteil noch deutlich unterrepräsentiert.

Unabhängig von Nationalität und Herkunft ist das Engagement in Sportver-
einen durch ein soziales Gefälle geprägt: je geringer das Einkommen und je
niedriger das Bildungsniveau ist, desto weniger häufig ist eine Mitgliedschaft
in einem Sportverein. Hiervon sind Migrantinnen und Migranten besonders
stark betroffen.

Zu sozialen kommen auch kulturelle Hürden. Insbesondere Mädchen, Frauen
und ältere Menschen mit Migrationshintergrund nehmen am organisierten
Sport kaum teil, obwohl sie sich unabhängig von der nationalen Herkunft wün-
schen, häufiger Sport zu treiben. Es sind vielfältige Strategien nötig, um die un-
terschiedlichen Hindernisse, die Mädchen und Frauen insbesondere muslimi-
schen Glaubens vom Sport abhalten, zu überwinden und einen besseren und
freieren Zugang zu verschiedenen Sportarten zu ermöglichen.

Die Partizipation der zugewanderten Bevölkerung am Sport unterliegt einem
Wandel. In den letzten Jahrzehnten gründeten sich neben Kultur- und Religions-
vereinen vermehrt eigenethnische Sportvereine. Inzwischen gibt es herkunfts-
spezifische Sportangebote für Migrantinnen und Migranten sowie ethnisch
homogene Mannschaften unter dem Dach deutscher Vereine. Diese Entwicklung
führte zu einer deutlichen Zunahme des Anteils der Migrantinnen und Migranten
am organisierten Sport in Deutschland. Einerseits bringt die Ausweitung der
eigenethnischen Angebote zahlreiche Migrantinnen und Migranten zum Sport,
die den Weg in einen deutschen Verein sonst nicht gefunden hätten. Andererseits
müssen aber die Grenzen durch den ständigen Kontakt zu diesen Gruppen offen
bleiben, um das verständigungsfördernde Potenzial des Sports auszuschöpfen.
Der Sport ist angesichts seiner politischen und religiösen Neutralität grundsätz-
lich für alle Menschen offen. Diese Neutralität muss sich aber auch in allen
Sportvereinen selbst widerspiegeln.

Die Integration von zugewanderten Menschen in die Sportvereine geschieht
häufig nicht selbstverständlich. Hierzu bedarf es einer bewussten interkulturel-

len Sensibilisierung der Funktionsträgerinnen und Funktionsträger wie auch der
Beschäftigten im organisierten Sport, um Migrantinnen und Migranten vor Ort

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anzusprechen und für eine aktive Mitwirkung im Verein zu gewinnen. Vielen
Vereinen ist dieser Schritt in der Vergangenheit gelungen, wenngleich Migran-
tinnen und Migranten in Vorstandsämtern und im Übungsbetrieb bislang deut-
lich unterrepräsentiert sind. Grundsätzlich steigt die Integrationsfähigkeit im
Sport mit der Zahl der Migrantinnen und Migranten, die auch Funktionen im
Verein ausüben.

Der organisierte Sport hat eine vorbildliche Funktion im Bereich der Integra-
tion übernommen. So trat er für ein stärkeres Engagement der Migrantenver-
eine in der Jugendarbeit, der Mädchen- und Frauenförderung sowie in der inter-
kulturellen Begegnung ein. Dennoch ist auch hier noch ein weiter Weg zurück-
zulegen. Die Öffnung der Sportvereine für Teilnehmerinnen und Teilnehmer
unterschiedlicher Herkunft und der Aufbau interkultureller und partnerschaft-
licher Strukturen sind gleichermaßen bedeutend für die Vereine mit über-
wiegend deutschen Mitgliedern wie auch für Vereine mit einem überwiegenden
Anteil von Mitgliedern mit Migrationshintergrund.

Eine gute Plattform für die Öffnung der Sportvereine bieten Jugendfreiwilligen-
dienste als besondere Form des bürgerschaftlichen Engagements und wichtige
Lernorte zwischen Schule und Beruf. Sie können insbesondere jungen Migran-
tinnen und Migranten neue Lernerfahrungen und wichtige soziale und inter-
kulturelle Fähigkeiten vermitteln, bieten Orientierung und stärken Selbst-
ständigkeit, Selbstbewusstsein sowie Eigen- und Fremdverantwortung.

Um die integrative Kraft des Sports zu fördern und weiterzuentwickeln, ist ein
Aktionsplan „Sport für alle!“ von großem Nutzen. Sinnvoll ist insbesondere die
Kooperation mit anderen Netzwerkpartnern – Schulen, Unternehmen, Sozial-
verbänden, Stadtteilbüros, Kultur- und Moscheevereinen u. a. m.

Hierdurch werden nachhaltige Integrationsstrukturen geschaffen und der Dia-
log gefördert. Auch öffentliche Unterstützungsleistungen für den Sport und
eine verbesserte Anerkennung von ehrenamtlichem sozialem Engagement müs-
sen ausgebaut werden. Bestrebungen zur Einschränkung der steuerlichen För-
derung des Sports ist eine klare Absage zu erteilen.

II. Der Deutsche Bundestag begrüßt:

– Integrationsprojekte wie das seit 1989 bestehende und mit Bundesmitteln
durchgeführte Projekt „Integration durch Sport“;

– die vielfältigen Aktivitäten des organisierten Sports für die Integration
von Migrantinnen und Migranten und die Selbstverpflichtung zu weiteren
Aktivitäten;

– die Vorlage des Nationalen Integrationsplans, in dem der Integration durch
Sport eine besondere Bedeutung zugemessen wird.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gemeinsam mit den Ländern, Kommunen und gesellschaftlichen Gruppen
einen Aktionsplan „Sport für alle!“ ins Leben zu rufen, mit dem die sozialen
und kulturellen Hürden für das Engagement in Sportvereinen gesenkt wer-
den;

2. insbesondere darauf zu achten, dass kostengünstige oder kostenlose Sport-
angebote für Menschen mit geringem Einkommen bereitgestellt werden;

3. das Programm „Integration durch Sport“ zu evaluieren, fortzuentwickeln
und auszubauen;

4. eine Sammlung und Dokumentation von Integrationsangeboten im Sport so-
wie von vorbildlichen Projekten der Integration durch Sport zu erstellen, den

regelmäßigen Informationsaustausch zwischen Sportvereinen und Projekten
zu erleichtern und die Verbreitung erfolgreicher Konzepte zu unterstützen;

Drucksache 16/13177 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
5. die ehrenamtliche Arbeit in den Vereinen durch professionelle Helfer zu
unterstützen bei der Etablierung von Angeboten, Durchführung besonderer
Aktivitäten und zur Lösung besonderer Integrationsprobleme;

6. Maßnahmen zu unterstützen, die bei den Funktionsträgerinnen und Funk-
tionsträgern wie auch den Beschäftigten im organisierten Sport zur Aus-
weitung der Kenntnisse über die verschiedenen Kulturen beitragen;

7. gemeinsam mit dem organisierten Sport darauf hinzuwirken, dass es zu
einer stärkeren Mitwirkung von Migrantinnen und Migranten in den Vor-
ständen sowie im Ausbildungssystem des Sports kommt;

8. den Kontakt und die Vernetzung zwischen Sportvereinen mit und ohne
ethnischem Charakter zu unterstützen;

9. Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund einen besseren Zugang zu
verschiedenen Sportarten zu ermöglichen;

10. auf die Länder einzuwirken, sicherzustellen, dass auch Schülerinnen mit
Migrationshintergrund im Blick auf die integrative Wirkung am Sport-
unterricht teilnehmen, in einem ersten Schritt die dritte Sportstunde zum
Standard in ganz Deutschland zu machen und möglichst schnell zumindest
eine tägliche Bewegungsstunde zu realisieren;

11. die Lärmschutzbestimmungen gemeinsam mit den Bundesländern so zu
verändern, dass Sport- und Spielplätze nicht mehr so stark in ihrer Nutzung
eingeschränkt und somit dringend benötigte Bewegungsräume eingeengt
werden. Hierzu sind möglichst kurzfristig Vorschläge zu unterbreiten;

12. Projekte zu unterstützen, die Sport und Bildung verbinden und benachteilig-
ten Jugendlichen über Sportvereine attraktive Bildungsangebote machen,
insbesondere auch in Jugendfreiwilligendiensten für Jugendliche mit
Migrationshintergrund;

13. bei der Neukonzeption der generationenübergreifenden Freiwilligendienste
im Sport Fragen der Integration einzubeziehen;

14. die verschiedenen Maßnahmen des Bundes im Bereich Integration durch
Sport zu koordinieren, Belange des Sports in die Programme der Städte-
bauförderung, insbesondere „Soziale Stadt“, „Stadtumbau West“ und
„Stadtumbau Ost“, aktiv einzubeziehen und dabei die Mittel aus Program-
men wie „Integration durch Sport“ und „Goldener Plan Ost“ zu nutzen;

15. die Möglichkeiten des Sports für internationale Verständigung zu nutzen
und Initiativen für den Jugendaustausch weiter auszubauen;

16. gemeinsam mit dem organisierten Sport verstärkt Initiativen gegen Gewalt
und Extremismus zu ergreifen;

17. wie im Nationalen Integrationsplan vereinbart, das Thema „Integration in
und durch Sport“ als Forschungsschwerpunkt des Bundesinstituts für
Sportwissenschaft zu verankern sowie die Forschungsergebnisse in Sport,
Politik und Öffentlichkeit zu vermitteln.

Berlin, den 27. Mai 2009

Volker Kauder, Dr. Peter Ramsauer und Fraktion
Dr. Peter Struck und Fraktion

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