BT-Drucksache 16/13085

Israelische Siedlungspolitik und Vertiefung der israelisch-europäischen Beziehungen

Vom 19. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/13085
16. Wahlperiode 19. 05. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Jürgen Trittin, Alexander Bonde, Thilo
Hoppe, Ute Koczy, Winfried Nachtwei, Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Rainder Steenblock und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Israelische Siedlungspolitik und Vertiefung der israelisch-europäischen
Beziehungen

Die israelische Siedlungspolitik ist ein Hindernis auf dem Weg zu einer fried-
lichen Lösung des Nahostkonflikts. Um einer Zweistaatenlösung näher zu kom-
men wurden in der Roadmap 2003 von den Palästinenserinnen und Palästinen-
sern vor allem ein Ende terroristischer Gewalt, von Israel ein Ende des Ausbaus
und der Rückbau seit 2001 entstandener Siedlungen gefordert. Tatsächlich ist
die Zahl der Siedler seit Inkrafttreten der Roadmap um ca. 20 Prozent an-
gewachsen. Allein von 2007 bis 2008 ist die Zahl der Siedlerinnen/Siedler in
der Westbank (ohne Ost-Jerusalem) von 268 163 auf 282 362 um ca. fünf Pro-
zent gestiegen; die Gesamtzahl der israelischen Siedler in Westbank und Ost-
Jerusalem beträgt derzeit ca. 479 500 (www.btselem.org).

Ein Halbjahresbericht der israelischen Nichtregierungsorganisation „Peace
Now“ vom August 2008 stellte fest, dass sich die Zahl der Siedlungsbau-
projekte in der ersten Jahreshälfte 2008 zu 2007 fast verdoppelt hat. 2008
wurden vom israelischen Verteidigungsminister Ehud Barak dutzendfach
Siedlungsbauprojekte und der Ausbau von Hunderten von Wohneinheiten in
bestehenden Siedlungen genehmigt (Haaretz, 14. November 2008). Darüber
hinaus zeigte die Veröffentlichung einer geheim eingestuften Statistik des
israelischen Verteidigungsministeriums im Februar 2009, dass in 75 Prozent
der Siedlungen ohne Erlaubnis bzw. gegen bestehende Verbote Wohneinheiten
ausgebaut wurden (www.haaretz.com/hasen/spages/1060043.html). Durch die
Übernahme der neuen israelischen Regierung wird diese Entwicklung weiter
beschleunigt (Haaretz, 7. Mai 2009).

Im Rahmen des EU-Assoziationsabkommen erhalten Waren aus Israel Präfe-
renzbehandlung. Bereits seit längerem existiert hier eine Grauzone, da unklar
ist, inwieweit unter der Herkunftsbezeichnung „Israel“ in der Zollpraxis auch
Produkte aus Siedlungen in Gebieten jenseits der staatlichen Grenzen Israels
von 1967 einbezogen werden oder verbindliche Regelungen umgangen werden.
Aus diesem Grund hat sich in jüngster Zeit unter anderem der britische Außen-
minister David Miliband dafür ausgesprochen, eindeutig sicherzustellen, dass

Produkte aus israelischen Siedlungen jenseits der Grenzen von 1967 keine
Präferenzbehandlung erhalten (www.haaretz.com/hasen/spages/1037780.html).
Nichtregierungsorganisationen setzen sich für eine eindeutige Kennzeichnung
von Produkten, die in israelischen Siedlungen in diesen Gebieten hergestellt
werden, ein.

Drucksache 16/13085 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Israel und die EU befinden sich in einem anhaltenden Prozess der Vertiefung
der gegenseitigen Beziehungen. Grundlage ist das 1995 unterzeichnete und
2000 in Kraft getretene „Association Agreement“. Hauptinhalte sind der politi-
sche Dialog, Zusammenarbeit im Bereich Wirtschaft, Soziales und Kultur. Ein-
mal jährlich tritt das „Association Council“ auf Ministerebene zusammen, ein
eigener Ausschuss trägt die Verantwortung zur Umsetzung. Die Präambel
unterstreicht die Bedeutung der Prinzipien der VN-Charta, insbesondere der
Einhaltung der Menschenrechte, demokratischer Prinzipien und der wirtschaft-
lichen Freiheit. Am 16. Juni 2008 wurde auf dem 8. israelisch-europäischen
Assoziierungsrat eine Vertiefung der EU-Israel-Beziehungen beschlossen.
Unter anderem soll Israel an hochrangigen EU-Treffen beteiligen werden und
mit Missionen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP)
kooperieren können. Der Assoziierungsrat forderte Israel ausdrücklich auf, die
Siedlungstätigkeit und jeglichen Ausbau bestehender Siedlungen zu beenden
und seit März 2001 errichtete Außenposten zu räumen.

Aufgrund der schwierigen Lage im Nahostfriedensprozess seit dem Gaza-Krieg
im Januar 2009 wurde der Vertiefungsprozess mit der EU zwischenzeitlich ein-
gefroren. Die neue israelische Regierung unter Premierminister Benyamin
Netanyahu bekennt sich bisher nicht eindeutig zu einer Zweistaatenlösung.
EU-Kommissarin Dr. Benita Ferrero-Waldner hat mehrfach auf die Siedlungs-
politik und die Blockadepolitik gegen den Gazastreifen als Hindernisse einer
EU-Israel-Vertiefung verwiesen (AFP 24. März 2009; Antwort auf eine Petition
am 25. März 2009 http://ec.europa.eu/commission_barroso/ferrero-waldner/
speeches). Die nächste Sitzung des Assoziierungsrats ist für den 15. Juni 2009
geplant.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den derzeitigen Stand
der israelischen Siedlungspolitik?

2. Wie schätzt die Bundesregierung die Politik der neuen israelischen Regierung
ein, insbesondere hinsichtlich der möglichen Weiterführung umstrittener Pro-
jekte wie des „E1-Korridors“ zwischen Jerusalem und Maale Adumim
(www.haaretz.com/hasen/spages/1073771.html), und welche Haltung vertritt
die Bundesregierung hierzu in bilateralen Gesprächen?

3. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung in bilateralen Gesprächen mit
der neuen israelischen Regierung angesichts der Beteiligung der national-
religiösen Partei „Beit Yehudi“ und der Partei „Israel Beitenu“ des neuen
israelischen Außenministers Avigdor Liebermann, die vor der Wahl den Aus-
bau von „Städten, Orten und Vierteln“ in der Westbank, des Golan und Ost-
Jerusalems versprochen haben (www.beytenu.org/107/2513/article.html)?

4. Wie versucht die Bundesregierung bilateral und multilateral einer Aus-
dehnung der Siedlungspolitik insbesondere auch des umstrittenen sog. E1-
Siedlungsprojektes zwischen Ost-Jerusalem und der Siedlung Maale
Adumim entgegenzuwirken, und welche Projekte israelischer oder palästi-
nensischer Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützt sie in diesem
Bereich?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung den völkerrechtlichen Status der Sied-
lungen in der Westbank inklusive Ost-Jerusalems, und welche möglichen
Probleme sieht sie darin für Vereinbarungen zwischen der EU und Israel?

6. Wie beurteilt die Bundesregierung die Auslegungspraxis israelischer Be-
hörden, für Produkte aus diesen Siedlungen im Rahmen des Assoziierungs-
abkommens dieselbe Präferenzbehandlung wie für Produkte aus Israel in

Anspruch zu nehmen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/13085

7. Wie wird die Frage des Imports von Produkten aus diesen Siedlungen in
der Praxis der deutschen Zollbehörden behandelt, und wie bewertet die
Bundesregierung diese Frage?

a) Welche Waren genießen nach Rechtsauffassung der Bundesregierung
Präferenzbehandlung im Rahmen der Verträge mit Israel und der Paläs-
tinensischen Befreiungsorganisation (PLO)?

b) Auf welche Weise prüfen die Zollbehörden die Herkunft von Importen
aus Israel, und inwieweit unterscheidet sich diese Praxis zwischen ein-
zelnen EU-Mitgliedstaaten?

c) Ist die Herkunft von Produkten aus den Siedlungen für die Zollbehörden
in der Praxis erkennbar?

d) Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in der deutsche oder euro-
päische Firmen in diesen Siedlungen Waren produzieren lassen und auf
einer Präferenzbehandlung beim Import nach Deutschland oder in die
EU beharren?

Wenn ja, werden solche Fälle erfasst und veröffentlicht?

8. Wie bewertet die Bundesregierung die Initiative des britischen Außen-
ministers David Miliband, den bevorzugten Import von Produkten aus
israelischen Siedlungen jenseits der Grenzen von 1967 durch konsequente
Umsetzung der bestehenden Regelungen auch tatsächlich auszuschließen,
sowie Vorschläge von israelischen und internationalen NGOs, solche Pro-
dukte für Verbraucherinnen/Verbraucher kenntlich zu machen, und welche
Haltung vertritt die Bundesregierung dazu innerhalb der EU?

9. Wie ist die Haltung der Bundesregierung zu der anstehenden Vertiefung
der Beziehungen zwischen der EU und Israel?

a) Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die beschlossene Vertiefung
der EU-Israel-Beziehungen an Menschenrechtsstandards und den Fort-
gang der Siedlungspolitik geknüpft werden sollte?

Falls ja, an welche konkret?

b) Erwartet die Bundesregierung von der neuen israelischen Regierung
eine klare Anerkennung der Zweistaatenlösung als Voraussetzung einer
weiteren Vertiefung der EU-Israel-Beziehungen?

c) Tritt die Bundesregierung innerhalb der EU für eine rasche Umsetzung
oder einen zeitlichen Aufschub der Vertiefung ein?

10. Wo sieht die Bundesregierung Fortschritte in den Beziehungen mit Israel
im Rahmen des Action Plans?

11. Wo sieht sie Probleme, und welche Konsequenzen sollten daraus nach
Meinung der Bundesregierung mit Blick auf die Vertiefung der EU-Israel-
Beziehungen gezogen werden?

Berlin, den 19. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.