BT-Drucksache 16/12867

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Vom 6. Mai 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12867
16. Wahlperiode 06. 05. 2009

Antrag
der Abgeordneten Claudia Roth (Augsburg), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin
Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Grietje
Staffelt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz des Klosters Mor Gabriel sicherstellen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gegen-
über der türkischen Regierung aktiv dafür einzusetzen, dass die türkische
Regierung die Existenzgrundlage und die Lebensperspektive des Klosters Mor
Gabriel dauerhaft garantiert und die syrisch-orthodoxe Minderheit in ihrem
Land als Minderheit im Sinne des Vertrages von Lausanne vom 24. Juli 1923
anerkennt.

Berlin, den 6. Mai 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung
Mor Gabriel, gelegen im Distrikt Midyat, Provinz Mardin der türkischen
Republik, ist eines der ältesten christlichen Klöster weltweit. Wahrscheinlich
397 nach Christus gegründet, stellt es heute als eines der letzten intakten christ-
lichen Klöster das geistliche und kulturelle Zentrum Syrisch-Orthodoxer in
Südostanatolien dar. Das Kloster kann auf eine 1 600 Jahre währende kontinu-
ierliche Ausübung der Liturgie und klösterlichen Lebens verweisen. Es ist ein
Ort für Exerzitien einheimischer Mönche, die dort auf ein Leben als Eremit
vorbereitet werden. Das Kloster Mor Gabriel spielt eine entscheidende Rolle
bei der Pflege der syrisch-aramäischen Kirchen- und Alltagssprache und sichert
institutionell das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Bevölkerung. Schließ-
lich ist das Kloster faktisch seit der Bischofsweihe des Abtes von Mor Gabriel
Sitz des Bischofs Mor Timotheos Samuel Aktas. In dem Kloster leben neben
dem Bischof zurzeit 2 Mönche, ca. 13 Nonnen, die Familien dreier Lehrkräfte
und weitere Mitarbeiter. Darüber hinaus werden ca. 40 Kinder und Jugendliche,

die auch im Kloster wohnen, in der syrischen, arabischen und englischen
Sprache sowie in Kirchengeschichte unterrichtet.

Eine Verschlechterung jeglicher Rahmenbedingungen für die Existenz des
Klosters würde zugleich den Fortbestand der Kultur syrisch-orthodoxer
Christen insgesamt akut gefährden. Zahlenmäßig erlitt diese christliche
Minderheit in der Türkei im vergangenen Jahrhundert erhebliche Verluste:

Drucksache 16/12867 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Fühlten sich Anfang des 20. Jahrhundert noch 200 000 Menschen des syrisch-
orthodoxen Glaubens verpflichtet, sind es heute noch ca. 13 000 Menschen in
der Türkei, von denen bis zu 3 000 Menschen in der Region um Mor Gabriel
und die restlichen, ca. 10 000, in Istanbul beheimatet sind.

Die Republik Türkei hat sich im Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 dazu
verpflichtet, dass „türkische Staatsbürger, die nicht-muslimischen Minderheiten
angehören“, die „gleichen bürgerlichen und politischen Rechte genießen wie
Muslime“ (Artikel 39 Absatz 1 des Vertrages). Die türkischen Verfassungen
folgten seither dieser Verpflichtung. Praktisch sieht die Türkei die Minderheit
der Syrisch-Orthodoxen in ihrem Land nicht als Minderheit im Sinne des Lau-
sanner Vertrages an. Deshalb verfügt die syrisch-orthodoxe Kirche in der Türkei
über keine Anerkennung als Rechtspersönlichkeit. Sie besitzt nicht das Recht,
religiöse Stiftungen und Schulen zu unterhalten und darf ihre Gebäude nicht zu
Ausbildungszwecken nutzen. Auch wenn das Kloster Mor Gabriel zivilrechtlich
als Gemeindestiftung organisiert ist, wird ihm das Recht abgesprochen, als Aus-
bildungsstätte zu fungieren. In einer weltoffenen Gesellschaft gehört es dazu,
dass die universell geltenden Menschenrechte eingehalten und garantiert wer-
den. Das umfasst auch die Vielfalt der Religionen.

Das Kloster Mor Gabriel befindet sich aktuell in drei vor Gericht geführten
Auseinandersetzungen. In zwei Verfahren klagt das Kloster gegen die Ergeb-
nisse einer in jüngster Vergangenheit durchgeführten Katastererfassung, mit der
seine Besitzungen beschnitten wurden. Ortsvorsteher dreier angrenzender Ge-
meinden behaupten in den Verfahren, das Kloster verletze ihre Dorfgrenzen
und habe ca. 100 ha Land unrechtmäßig besetzt. Beide Verfahren wurden erst-
instanzlich vom Kloster verloren. Die Entscheidungen sind bislang nicht
rechtskräftig. In einem weiteren Verfahren klagt das Schatzamt des Distriktes
Midyat gegen das Kloster, das erneut eine Grundstücksangelegenheit zum Ge-
genstand hat. Insbesondere ist hierin eine durch das Kloster errichtete Mauer
strittig. Hiermit habe sich nach Ansicht des Schatzamtes das Kloster unrecht-
mäßig Staatswald angeeignet, der prinzipiell im Eigentum der türkischen
Staatskasse stünde.

Prozessbeobachter haben den Eindruck geäußert, das Gericht habe bewusst alle
weiteren Terminierungen der Prozesse auf die Zeit nach den Kommunalwahlen
vom 29. März 2009 gelegt.

Das durch das Schatzamt Midyat angestrengte immobilienrechtliche Verfahren
zog für den Verwalter des Klosters, Kyriakos Ergün, ein weiteres, strafrecht-
liches Verfahren nach sich. Der Fortgang des Verfahrens ist auf den 6. Mai
2009 terminiert. Geahndet werden soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft
das aufrührerische Verhalten des Klosterverwalters, welches in der angeblich
widerrechtlichen Errichtung der Klostermauer zum Ausdruck käme.

Weltweit werden die Prozesse mit großer Aufmerksamkeit und Besorgnis ver-
folgt. Seitens der Europäischen Union, verschiedener EU-Mitgliedstaaten und
diverser Nichtregierungsorganisationen sind Prozessbeobachter entsandt. Ver-
treterinnen und Vertreter des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien
konnten sich am 27. Februar 2009 im Rahmen einer Delegationsreise von der
akuten Gefährdung des Klosters ein Bild machen. Die Abgeordneten sind sich
nach dem Besuch in der Prognose einig, dass ein Prozessende zu Ungunsten
des Klosters weitreichende Einschnitte in die syrisch-orthodoxe Kultur bis hin
zur akuten Existenzgefährdung nach sich ziehen würde.

Der Schutz für bedeutsame Kulturgüter verpflichtet uns, die Rettung des
Klosters Mor Gabriel im Verständnis des internationalen Kulturguterhaltes an-
zumahnen und den Respekt vor Minderheiten und kleinen Glaubensgemein-
schaften in der Region anzuerkennen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12867

Der Deutsche Bundestag ist davon überzeugt, dass die Gewährleistung der Re-
ligionsfreiheit für Christen in der Türkei im wohlverstandenen eigenen Inter-
esse der Türkei liegt und dass die Republik Türkei ihre religiöse Vielfalt sowie
ihr reiches kulturelles Erbe schützen und bewahren muss.

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