BT-Drucksache 16/12765

Gesundheitsschutz und Prävention durch "Drugchecking"

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12765
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Monika Knoche, Karin Binder, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Katja Kipping, Wolfgang Neskovic, Volker Schneider (Saarbrücken)
und der Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitsschutz und Prävention durch „Drugchecking“

Als „Drugchecking“ wird die Möglichkeit für Drogenkonsumenten/Drogenkon-
sumentinnen bezeichnet, auf dem Schwarzmarkt erworbene, zum Eigenkonsum
bestimmte psychoaktive Substanzen anonym auf ihre qualitative und quantita-
tive Zusammensetzung hin untersuchen zu lassen und die Testergebnisse zu-
rückgemeldet zu bekommen.

Im Juli 1999 lud das Bundesministerium für Gesundheit Vertreter/Vertreterinnen
mehrerer Bundesbehörden, Experten/Expertinnen aus dem Drogenbereich, Ver-
treter/Vertreterinnen von Szeneorganisationen und aus Institutionen des Dro-
genhilfesystems zu einer Besprechung „betreffs der Schadensminimierung beim
unbefugten Drogenkonsum durch Drug-Checking“ ein. Im September 2001 ver-
anstaltete die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) das Semi-
nar „Drogenkonsum in der Partyszene – Entwicklungen und aktueller Kenntnis-
stand“. Drugchecking bildete einen Arbeitsschwerpunkt der Tagung. Trotz
anderslautender Ankündigungen hat das Bundesministerium für Gesundheit
(BMG) jedoch bis heute das Thema nicht weiter verfolgt. Verschiedene Studien
bestätigen, dass etwa bezüglich der Erhöhung der Reichweite des Hilfesystems
(Akzeptanz der Maßnahmen), der Reduzierung von konsumbedingten Risiken
(Rezeption der Analyseergebnisse) sowie der nichtintendierten Wirkungen
Drugchecking positive Ergebnisse erzielt. Zahlreiche europäische Länder haben
dies im Gegensatz zur Bundesregierung bereits erkannt und setzen Drug-
checking entsprechend zur Verbesserung des Gesundheitsschutzes ihrer Bürger/
Bürgerinnen ein.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit von

a) stationärem Drugchecking (die Möglichkeit für Drogenkonsumenten,
Substanzproben in einer Drogenberatungsstelle oder anderen Hilfeinstitu-
tionen abgeben zu können und über diese Einrichtung später die Ergeb-
nisse mitgeteilt zu bekommen)
b) Vor-Ort-Drugchecking (die Möglichkeit für Drogenkonsumenten, Sub-
stanzproben bei einer im Rahmen aufsuchender Arbeit agierenden Hilfe-
institutionen, die ein mobiles Labor einsetzt, abgeben zu können und die
Ergebnisse unmittelbar danach mitgeteilt zu bekommen)

in Bezug auf

Drucksache 16/12765 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

aa) die Vermeidung gefährlicher Vergiftungen durch Warnung vor auf
dem Schwarzmarkt erworbenen Substanzen mit besonders erhöhtem
Risikopotenzial durch
– ungewöhnlich hohe Wirkstoffdosierungen?
– Verunreinigungen durch gesundheitsgefährdende Stoffe?
– Erwerb unter falschen Annahmen über die Art der Inhaltsstoffe?

bb) Vorbeugung von Gesundheitsschäden durch einen verbesserten
Zugang zu Drogengebraucher/Drogengebraucherinnen?

cc) Vorbeugung von Gesundheitsschäden durch eine erhöhte Glaub-
würdigkeit und Reichweite der über psychoaktive Substanzen, ihren
Gebrauch sowie die Angebote des Drogenhilfesystems verbreiteten
Informationen?

dd) Förderung eines selbstreflexiven, selbstkontrollierten, risikobewuss-
ten Konsums von illegal gehandelten psychoaktiven Substanzen?

ee) die Beeinflussung des Drogen-Schwarzmarkts dahingehend, dass die
hier gehandelten Produkte auch tatsächlich der erwarteten Substanz-
qualität und -quantität entsprechen?

ff) Gewinne von fundierten Informationen über Gebraucher/Gebrauche-
rinnen illegaler Substanzen, ihre Motivation zum Konsum und pro-
tektive Faktoren und Strategien beim Gebrauch?

2. Ist der Bundesregierung bekannt, dass sowohl das Amtsgericht Tiergarten als
auch das Landgericht Berlin 1999 festgestellt haben, dass das durch die
Vereinsmitglieder von Eve & Rave Berlin e. V. praktizierte Verfahren zur
Durchführung des Drugchecking-Programms von 1995 bis 1996 nicht gegen
geltendes Recht verstieß?

Wenn ja, welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus für die geltenden
rechtlichen Bedingungen für die Durchführung von Drugchecking in
Deutschland?

3. Welchen Institutionen ist (neben Apotheken und Labors der Strafverfol-
gungsbehörden) die Entgegennahme und Analyse von Substanzproben zum
Zwecke des Drugchecking im Sinne einer Maßnahme des Gesundheitsschut-
zes von Konsumenten illegaler Drogen erlaubt?

4. Nach welchen Richtlinien entscheidet das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) darüber, welchen Institutionen eine Analyse
gemäß Frage 3 gestattet ist?

5. Welche Informationen besitzt die Bundesregierung darüber, dass im Zeit-
raum von 1996 bis 1999 von Seiten des BfArM einigen Institutionen in
Deutschland (z. B. dem gerichtsmedizinischen Institut der Charité Berlin) die
Berechtigung entzogen wurde, Substanzproben von Stoffen, die unter das Be-
täubungsmittelgesetz (BtMG) fallen, entgegenzunehmen, sofern diese nicht
von Strafverfolgungsbehörden entgegen genommen werden?
a) Wie lautete die Begründung des BfArM für diese Maßnahme?
b) Teilt die Bundesregierung die Auffassung des BfArM?

6. Ist der Bundesregierung das im Nachgang des Expertinnen- und Experten-
gesprächs, das auf Einladung des BMG bestehend aus Vertreterinnen und
Vertretern mehrerer Bundesbehörden, Expertinnen und Experten aus dem
Drogenbereich und Vertreterinnen und Vertreter von so genannten Szeneorga-
nisationen aus dem Technomusik-Bereich im Juli 1999 im BMG stattfand,
vom „Techno-Netzwerk Berlin“ 1999 und 2000 erstellte „Drugchecking-

Konzept für die Bundesrepublik Deutschland“ bekannt?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12765

Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung das darin erstellte Konzept zur
Umsetzung von Drugchecking in Deutschland, insbesondere die Forderung
eines Bundesmodellprojekts, das eine wissenschaftliche Evaluation be-
inhaltet?

7. Kam das BMG seiner am Ende des Expertinnen- und Expertengesprächs
getätigten Ankündigung nach, die Diskussion über Drugchecking mit den
zuvor eingeladenen Expertinnen und Experten und Vertreterinnen und Ver-
tretern der Szeneorganisationen auf Grundlage des Konzepts fortzusetzen?

Wenn ja, in welcher Form, und mit welchen Ergebnissen?

Wenn nein, warum nicht?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auf dem im September 2001 von der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) veranstalteten Se-
minar „Drogenkonsum in der Partyszene – Entwicklungen und aktueller
Kenntnisstand“ Drugchecking einen Arbeitsschwerpunkt bildete und die
Arbeitsgruppe zum Drugchecking die Initiierung eines Modellprojekts be-
fürwortete sowie die Empfehlung aussprach, die Leitlinien der BZgA zur
Prävention des Ecstasykonsums durch eine wissenschaftliche Evaluation
zum Drugchecking zu ergänzen, die insbesondere folgende Ziele überprüft:
– Erhöhung der Reichweite des Hilfesystems (Akzeptanz der Maßnahmen),
– Reduzierung von konsumbedingten Risiken (Rezeption der Analyse-

ergebnisse),
– nichtintendierte Wirkungen,
– Effektivität der Maßnahme und die Effizienz der Methode?

Wenn ja:
a) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung hieraus auf die Dringlichkeit

der Umsetzung von Drugchecking?
b) In welcher Weise hat die Bundesregierung die Entwicklung eines Drug-

checking-Modellprojekts bislang gefördert?
c) Welche Gründe sind aus Sicht der Bundesregierung dafür zu nennen,

dass bislang kein Drugchecking-Modellprojekt initiiert wurde?
d) In welcher Weise reagierte die BZgA auf die oben genannte Forderung

der Arbeitsgruppe auf ein Modellprojekt?
e) Ist die Forderung der Arbeitsgruppe zur Ergänzung der Leitlinien zur

Prävention des Ecstasykonsums umgesetzt worden?

Wenn ja, wann, und in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

9. Sind der Bundesregierung die Ergebnisse der durch die EU geförderten
Studie „Pill Testing, Ecstasy & Prävention. Eine wissenschaftliche Evalu-
ationsstudie in drei europäischen Städten“ (Benschop, Rabes & Korf 2002)
bekannt?
a) Wie beurteilt die Bundesregierung die Ergebnisse der Studie bzgl. der

aufgeführten Aspekte in Frage 8?
b) Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen in Be-

zug auf die Förderung eines Modellprojekts zum Drugchecking?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, dass in den Niederlanden durch das Drugs
Information and Monitoring System (DIMS) Drugchecking in 30 Städten
angeboten und das Programm kontinuierlich wissenschaftlich evaluiert
wird?
Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Begleit-
forschung dieses Programms bzgl. der Aspekte aus Frage 8?

Drucksache 16/12765 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auch in der Schweiz, in Österreich
und Spanien Drugchecking-Angebote existieren, die wissenschaftlich eva-
luiert wurden oder werden?

Wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese Angebote bzgl. der
Aspekte aus Frage 8?

12. Sind in den vergangenen Jahren beim BMG, BfArM, BZgA oder anderen
Bundesbehörden Anträge zur
a) Genehmigung der Durchführung von Drugchecking-Projekten (im Sinne

der Schaffung von Rechtssicherheit) oder
b) Förderung für Drugchecking-Projekte
gestellt worden?

Wenn ja, wie, und mit welcher Begründung wurde jeweils beschieden?

Berlin, den 22. April 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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