BT-Drucksache 16/12670

Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte Regelungen gesetzlich absichern

Vom 22. April 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12670
16. Wahlperiode 22. 04. 2009

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link
(Heilbronn), Dr. Erwin Lotter, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef
Parr, Cornelia Pieper, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Schutz von Arbeitnehmerdaten durch transparente und praxisgerechte
Regelungen gesetzlich absichern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Schutz von Arbeitnehmerdaten ist unzureichend gesetzlich geregelt. Wäh-
rend eines Beschäftigungsverhältnisses sammeln sich umfangreiche personen-
bezogene Daten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, deren Verarbeitung
in ganz überwiegendem Maße in automatisierter Form erfolgt. Die Bewertung
dieser Sachverhalte anhand der geltenden landes- und bundesdatenschutz-
rechtlichen Vorschriften erweist sich dabei oftmals als schwierig und unüber-
sichtlich. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer werden auf eine Analyse
der bestehenden Rechtsprechung verwiesen, die indes regelmäßig einzelfall-
bezogen ist und allenfalls von einem kleinen Expertenkreis überblickt wird.

2. Zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern besteht oftmals kein gleich-
berechtigtes Verhältnis. Arbeitnehmer machen nicht selten wegen der man-
gelnden Kenntnis der Rechtslage von den ihnen bereits jetzt bei Verstößen
gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen zur Verfügung stehenden Mög-
lichkeiten keinen Gebrauch. Darüber hinaus droht die Situation einzutreten,

dass Arbeitnehmer aus Angst vor Nachteilen oder gar dem Verlust des Ar-
beitsplatzes auf die Geltendmachung eigener Rechte bewusst verzichten.

3. Nur ein umfassendes Arbeitnehmerdatenschutzrecht wird dem Schutz der
Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer gerecht. Die Ausgestaltung der Rah-
menbedingungen gerade eines so vielgestaltigen Themenbereiches der Judi-
katur zu überlassen, ist als der falsche Weg. Ein gesetzgeberisches Handeln
ist längst überfällig.

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4. Die Daten müssen grundsätzlich beim Betroffenen erhoben werden. Hin-
sichtlich der zulässigen Fragen an Bewerber ist die geltende Rechtslage aus-
reichend. Unzulässige Fragen dürfen schon jetzt weder dokumentiert noch
gegenüber den Betroffenen oder Dritten durch den potentiellen Arbeitgeber
verwendet werden. Öffentlich zugängliche Daten über den Bewerber können
zur Kenntnis genommen werden (Erlangung von Spezialkenntnissen auch
durch Nutzung von Angeboten, die einer Registrierung bedürfen, wie z. B.
XING). Das Verbot der automatisierten Einzelentscheidung (bisher § 6a des
Bundesdatenschutzgesetzes – BDSG), das insbesondere bei psychologischen
Auswahltests eine Rolle spielen kann, soll auch in Arbeitsverhältnissen und
bei ihrer Begründung gelten.

5. Bei gefahrgeneigter Tätigkeit soll es zum Schutz Dritter, des Arbeitgebers
und des Arbeitnehmers selbst möglich sein, regelmäßige Untersuchungen
durchzuführen. Diese Untersuchungen sollen allerdings nur möglich sein,
wenn sie für die Eignung, die Tätigkeit auszuüben, zwingend notwendig sind
(z. B. Alkoholtest bei Lkw-Fahrern). Untersuchungen, die keine Aussage zur
Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers bzgl. der konkreten Tätigkeit zulassen,
dürfen nicht vorgenommen werden. Gentests oder Fragen zu genetischen
Dispositionen sollen ausgeschlossen werden.

6. Bewerbungsunterlagen sind dem Bewerber zurückzusenden und die Bewer-
berdaten zu löschen. Im Falle einer erfolglosen Bewerbung dürfen Daten nur
so lange aufbewahrt werden, wie dies rechtlich geboten ist, z. B. im Hinblick
auf die Anforderungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
Wird eine längere Aufbewahrung seitens des Arbeitgebers gewünscht, setzt
dies das Einverständnis des Bewerbers voraus.

7. Zur Personalakte gehören alle Unterlagen und Vorgänge, die in einem unmit-
telbaren inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis des Mit-
arbeiters stehen. Zur Personalakte gehören daher auch alle schriftlichen Auf-
zeichnungen, die sich mit der Person des Arbeitnehmers und dem Inhalt und
Verlauf seines Beschäftigungsverhältnisses befassen. Es ist dabei nicht ent-
scheidend, wo, in welcher Form und unter welcher Bezeichnung die Daten
gespeichert sind. Demjenigen, der Personalentscheidungen zu treffen hat,
stehen die für eine sachgerechte Entscheidung erforderlichen Unterlagen zur
Verfügung. Der Kreis der Zugriffsberechtigten ist so klein wie möglich zu
halten. Bei elektronischer Aktenführung muss die Zugriffsberechtigung ge-
regelt werden. Betriebsräte haben nur mit Zustimmung des Betroffenen Ein-
sicht in die Personalakte. Auf Stammdaten können der Dienstvorgesetzte und
der Betriebsrat zugreifen. In die Personalakte dürfen nur korrekte Informati-
onen/Daten aufgenommen werden. Andernfalls stehen dem Betroffenen ge-
gen die entsprechenden Inhalte/Daten unabhängig von der Art der Verarbei-
tung neben dem bestehenden arbeitsrechtrechtlichen Anspruch auf Gegen-
darstellung, Abwehrrechte nach dem BDSG (Löschung, Berichtigung, Aus-
kunft, Sperrung) zur Verfügung. Dem Betroffenen ist Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben.

8. Die Übermittlung von Arbeitnehmerdaten an Dritte ist ohne Einwilligung des
betroffenen Mitarbeiters nur dann zulässig, wenn ein „gravierendes Inte-
resse“ an der Durchbrechung des Grundsatzes der Vertraulichkeit besteht.
Ein solches gravierendes Interesse kann z. B. bei Unternehmensverkäufen
bestehen. Bei einem Unternehmensverkauf mit „Due Diligence Prüfungen“
dürfen Daten nur anonymisiert weitergegeben werden. Daten von Angestell-
ten im Sinne des § 5 Absatz 2 bis 4 des Betriebsverfassungsgesetzes
(BetrVG) dürfen jedoch weiter gegeben werden. Ein europaweites Konzern-
privileg ist grundsätzlich möglich. Über Europa hinaus soll ein Konzern-
privileg nur dann möglich sein, wenn ein vergleichbares Datenschutzniveau

besteht und die Rechte des Betriebsrates, die Einhaltung der gesetzlichen
Voraussetzungen zu prüfen, erhalten bleiben.

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9. Biometrische Daten dürfen nur zu dem Zweck verwendet werden, für den
sie ursprünglich erhoben wurden. Zweckänderungen sind unzulässig. Zu-
gangskontrollen sollen grundsätzlich nur der Identitäts- und Anwesenheits-
kontrolle dienen. Die Arbeitnehmer müssen darüber informiert werden,
welche Daten gespeichert werden. Lösungen, bei denen die gespeicherten
Referenzdaten unter der alleinigen Kontrolle der Betroffenen stehen und
ausschließlich zum Vergleich verarbeitet werden (datensparsame Templa-
tes), sind vorzuziehen. Nichtdiskriminierende Ausweichmöglichkeiten sind
grundsätzlich vorzusehen, da ein ausnahmsloser Benutzerzwang gegen das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen kann. Insbesondere
lassen sich grundsätzlich biometrische Verfahren, die der Verifikation die-
nen, mit einer dezentralen Datenspeicherung betreiben (1:1 Abgleich). Es
müssen detaillierte Zugriffskonzepte geschaffen werden, um eine zweck-
widrige Nutzung zu vermeiden und die Daten vor unberechtigtem Zugriff
und vor Diebstahl zu schützen. Eine Vorabkontrolle durch den betrieblichen
Datenschutzbeauftragten ist zu etablieren. Biometrische Daten sollen inner-
halb festgesetzter Fristen gelöscht werden und deren Löschung muss über-
prüfbar sein.

10. Neben dem im Einzelfall berechtigten Einsatz spezieller Überwachungssys-
tem dürfen Videoüberwachungssysteme oder andere permanente technische
Systeme mit vergleichbarer Eingriffsintensität (RFID, GPS) nicht zu Zwe-
cken der Leistungs- und Verhaltenskontrolle, zum Leistungsvergleich oder
zur Leistungsbemessung eingesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Ver-
fahren des Data Minings oder Screenings. Die Überwachung von Produk-
tionsabläufen zur Einhaltung gewerblicher Auflagen sowie von Kassen und
sonstigen öffentlich zugänglichen Geschäftsbereichen soll möglich bleiben.
Vor dem Einsatz von Videoüberwachung ist eine Vorabkontrolle des Sys-
tems durch den betrieblichen Datenschutzbeauftragten durchzuführen. Die
Überwachung von einzelnen Beschäftigten mittels Videoüberwachung und
Aufzeichnungssystemen ist grundsätzlich untersagt, ebenso wie eine Video-
überwachung, die die Intimsphäre der Arbeitnehmer verletzt (z. B. Toilette
und Umkleidekabinen). Auswertungen von Videoaufzeichnungen dürfen
bei konkretem Anlass zur Aufklärung oder Verhinderung von Straftaten ge-
nutzt werden und sind zu protokollieren. Heimliche Videoüberwachungen
sind grundsätzlich nicht gestattet. Aufzeichnungen sind unverzüglich zu lö-
schen, wenn sie nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen
der Beschäftigten entgegenstehen. Darüber hinaus dürfen unzulässige Video-
aufzeichnungen nicht gegen den Betroffenen verwendet werden.

11. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, in die private Nutzung von E-Mails,
Internet und Telefon einzuwilligen oder diese als sozialadäquates Verhalten
zu dulden. Auch bei dienstlicher Nutzung von z. B. E-Mail, Internet oder
Telefon ist eine Auswertung, die die systematische Kontrolle des Beschäf-
tigten zum Ziel hat, unzulässig. Möglich sind lediglich stichprobenhafte und
zeitnahe Auswertungen zu Protokolldaten. Dabei ist ein transparentes Ver-
fahren sicherzustellen und die Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften
sind entsprechend anzupassen. Die Arbeitnehmer sind über die Inhalte und
Details von Protokolldaten zu informieren, Löschungsfristen sind vorzuse-
hen. Eine technische Überwachung des digitalen Arbeitsplatzes ohne
Kenntnis der Arbeitnehmer darf grundsätzlich nicht durchgeführt werden.
Soweit der Arbeitgeber die private Nutzung von Informations- und Kom-
munikationstechnik gestattet, hat er für den Schutz der Privatsphäre des Ar-
beitnehmers Sorge zu tragen.

12. Der Betriebsrat muss datenschutzrechtliche Belange der Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer wahrnehmen können. Dies gilt insbesondere vor dem

Hintergrund des bestehenden Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Arbeit-
nehmer und Arbeitgeber, das nicht zu einer „datenschutzrechtlichen Abhän-

Drucksache 16/12670 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
gigkeit“ des Arbeitnehmers führen darf, z. B. diesen zur Zustimmung zu
Erhebung, Nutzung und Verarbeitung von Daten zu bewegen. Die Mit-
bestimmungsregeln zugunsten des Betriebsrates dürfen nicht dazu führen,
dass der einzelne Arbeitnehmer übergangen wird, z. B. wenn es um die Zu-
stimmung zu Überwachungsmaßnahmen geht. Das Allgemeine Persönlich-
keitsrecht ist ein höchstpersönliches Rechtsgut und darf nicht der alleinigen
Disposition eines Kollektivorgans unterworfen werden. Eine formalisierte
Informationspflicht des Arbeitgebers gegenüber den Betriebsräten im Hin-
blick auf Arbeitnehmerdatenverarbeitung außerhalb der Personalverwal-
tung ist zu etablieren. Die Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen
und die Sanktionierung von etwaigen Verstößen muss auch in Betrieben
sichergestellt werden, die nicht über einen Betriebsrat verfügen. An die Ver-
letzung der Unterrichtungspflicht an den betrieblichen Datenschutzbeauf-
tragten muss eine unmittelbare Rechtsfolge geknüpft sein. Transparenz im
Mitbestimmungsrecht soll gefördert werden, wobei eine unnötige Behinde-
rung des Produktivgeschäftes vermieden werden sollte. Eine Informations-
pflicht für den Fall der Datenverarbeitung im Auftrag, auch im Bereich der
Personalverwaltung, ist zu etablieren.

13. Soweit Daten der Arbeitnehmer nicht mehr zur Sicherung von Rechtsposi-
tionen benötigt werden, sind diese umgehend und umfassend zu löschen.
Dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer muss die Möglichkeit eröffnet wer-
den, den Löschvorgang einzusehen und nachzuvollziehen. Soweit gesetz-
liche oder vertragliche Vorgaben eine umgehende Löschung verbieten, sind
die verbleibenden Daten nur für diese konkreten Vorgaben zu verwenden.
Eine anderweitige Nutzung ist ausgeschlossen. Nach Ablauf der Aufbe-
wahrungsfristen sind vorhandene Unterlagen einer ordnungsgemäßen Ent-
sorgung (nach DIN 32757 Stufe 3) zuzuführen. Die Entsorgung ist zu
dokumentieren. Die Verarbeitung gesperrter personenbezogener Daten ist
grundsätzlich untersagt.

14. Soweit keine besonderen Bestimmungen für den Arbeitnehmerdatenschutz
getroffen werden, gelten die Bestimmungen des BDSG und des BetrVG.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unter Berücksichtigung der vorgenannten Erwägungen einen Gesetzentwurf
für ein umfassendes und transparentes Arbeitnehmerdatenschutzrecht vor-
zulegen, der insbesondere der Zielsetzung einer einfachen und anwender-
freundlichen Handhabung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
gerecht wird;

2. das Datenschutzniveau im Geltungsbereich des öffentlichen Dienstrechts
anhand der vorgenannten Grundsätze und unter Berücksichtigung der dort
geltenden Besonderheiten zu überprüfen, und, sofern erforderlich, auch
insoweit gesetzliche Regelungsvorschläge vorzulegen.

Berlin, den 21. April 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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