BT-Drucksache 16/12433

60 Jahre NATO - Deutschland muss sich in Diskussion über die Zukunft der NATO konstruktiv einbringen

Vom 25. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12433
16. Wahlperiode 25. 03. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Rainer Stinner, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Mechthild Dyckmans, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich
L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Markus Löning, Dr. Erwin Lotter, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Dr. Daniel Volk, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

60 Jahre NATO – Deutschland muss sich in Diskussion über die Zukunft der NATO
konstruktiv einbringen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der NATO-Gipfel vom 3. bis 4. April 2009 feiert zu Recht das 60-jährige Beste-
hen des Bündnisses: Die NATO ist das erfolgreichste Sicherheitsbündnis der
Geschichte. Sie hat sich stets als politisches Bündnis verstanden, dessen militä-
rische Fähigkeiten nie Selbstzweck waren, sondern der Erreichung friedlicher
politischer Ziele dienten und deren politische Dimension stets auch das Angebot
friedlicher Konfliktlösungen und insbesondere Vertrauensbildung, Abrüstung
und Rüstungskontrolle umfasste. Sie hat sich dabei als ein starkes und stets ver-
lässliches Bindeglied der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Demokratien im nord-
atlantischen Raum verstanden und dadurch als Wertebündnis der europäischen
und amerikanischen Partner bewährt. Der Doppelcharakter der NATO, der
einerseits ein ebenso attraktives wie glaubwürdiges Angebot zu Vertrauensbil-
dung, Abrüstung und friedlicher Konfliktlösung unterbreitet wie andererseits
die Fähigkeit und Entschlossenheit der Mitgliedstaaten zu solidarischer Vertei-

digung ihrer Freiheit gegen jede Aggression eindrucksvoll vor Augen führt, be-
steht seit dem HARMEL-Bericht aus den 60er-Jahren. Er gilt auch angesichts
der neuen Bedrohungen unverändert weiter. Dieses Bündnis steht auch nach
seinem größten Erfolg, der friedlichen Überwindung der Spaltung Deutschlands
und Europas, nicht zur Disposition, im Gegenteil:

Drucksache 16/12433 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die NATO muss nach vorn schauen und sich angesichts der bestehenden und
neuen Herausforderungen auf einen gemeinsamen Konsens einigen. Die neue
US-amerikanische Administration unter Präsident Barack Obama hat die Bereit-
schaft zu einem neuen, konstruktiven Dialog deutlich erklärt. Dieses Angebot
muss von der europäischen und deutschen Seite aufgegriffen werden. Um
das Auseinanderdriften der Partner in der NATO zu verhindern, begrüßt der
Deutsche Bundestag eine Diskussion im Bündnis über die gemeinsame Werte-
basis. Grundlage dafür ist die Bindung an die Errungenschaften der Aufklärung
wie vor allem Achtung und Schutz der Würde jedes einzelnen Menschen,
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Marktwirtschaft. Die NATO, ergänzt um
eine dynamische Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, bleibt nach
wie vor unerlässliches Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik.

Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, auf dem Gipfel den Auftrag für
die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzepts zu erteilen. Da die NATO
für Deutschland unverzichtbar ist, muss Deutschland sich aktiv in die Gestaltung
dieser inhaltlichen Positionen der NATO einbringen. Das neue strategische Kon-
zept soll dem Deutschen Bundestag dann zur Zustimmung vorgelegt werden.

Für den Deutsche Bundestag sind dabei folgende Punkte von zentraler Bedeu-
tung:

1. Grundlage allen sicherheitspolitischen Handelns der Bundesrepublik
Deutschland ist das Völkerrecht. Unbeschadet des Rechts auf individuelle
und kollektive Selbstverteidigung gemäß der Charta der Vereinten Nationen
handelt Deutschland militärisch nur im Einklang mit dem Völkerrecht, einer
Mandatierung durch die Vereinten Nationen und gemeinsam mit seinen Part-
nern in EU und NATO. Eine Selbstmandatierung durch NATO oder EU lehnt
der Deutsche Bundestag ab.

2. Als politisches Bündnis mit einer wesentlichen militärischen Dimension
muss die NATO das Forum sein, auf dem alle relevanten sicherheitspoliti-
schen Themen ihrer Mitglieder diskutiert werden. Dabei muss die NATO
einerseits bestrebt sein, für sicherheitspolitische Problemlagen politische
Lösungen zu entwickeln und anzubieten. Andererseits müssen auch zivile
Politikfelder Gegenstand von NATO-Diskussionen sein, wenn, etwa im Zu-
sammenhang von NATO-Operationen, sicherheitspolitische Erfolge zwin-
gend von Erfolgen im zivilen Bereich abhängen. Der Deutsche Bundestag be-
kräftigt, dass bei Entscheidungen des NATO-Rates am Konsensprinzip
festzuhalten ist.

3. Vertrauensbildung und Abrüstung, Rüstungskontrolle und konsequente Ver-
hinderung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen müssen in-
tegraler Bestandteil der Bündnispolitik sein. Die Erfüllung der eingegange-
nen Verpflichtungen aus den einschlägigen internationalen Verträgen ist für
alle NATO-Partner ebenso bleibender Auftrag wie eine aktive Verhinderung
neuer Rüstungswettläufe. Die Bundesrepublik Deutschland muss diesen An-
spruch innerhalb des Bündnisses mit Nachdruck vertreten. Unkoordinierte
Maßnahmen wie eine rein bilateral organisierte Aufstellung einer Raketen-
abwehr in Europa lehnt der Deutsche Bundestag ab.

4. Die Koordinationsmechanismen zwischen NATO und EU sind völlig unter-
entwickelt, obwohl ein Großteil der Mitgliedsländer beiden Organisationen
angehört. Dies ist völlig inakzeptabel. Deutschland als wichtiges Mitglied
dieser Organisationen ist daher aufgerufen, aktiver als bisher an der Gestal-
tung solcher Mechanismen mitzuarbeiten. Vor allem ist es wichtig, die fall-
weise Koordination zwischen NATO und EU wesentlich zu verbessern, ins-
besondere in konkreten Einsätzen wie z. B. Afghanistan. EU und NATO

stehen nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich. Unbeschadet der immer

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12433

notwendigen Koordination der europäischen Sicherheitsinteressen in der
EU sind die Europäer gut beraten, bei konkreten Einsatzentscheidungen die
Strukturen der NATO zu nutzen, wenn das Nordatlantische Bündnis hand-
lungsfähig und handlungswillig ist. Rivalitäten sind angesichts der großen
Herausforderungen für die Sicherheitspolitik der Zukunft völlig unange-
bracht.

5. Die NATO muss eine an ihre Werte, Ziele und Aufgaben angepasste Bei-
trittsstrategie entwickeln. Eine Ausdehnung der NATO über Europa und
Nordamerika hinaus lehnt der Deutsche Bundestag ab. Die Länder des
westlichen Balkans im Partnership-for-Peace-Programm der NATO haben
die Möglichkeit beizutreten, sobald sie die Kriterien erfüllen. Auch wenn
die Politik der offenen Tür der NATO bestehen bleibt, steht die Aufnahme
von weiteren Staaten darüber hinaus derzeit für den Deutschen Bundestag
nicht auf der Tagesordnung. Grundsätzlich können in die NATO nur Staaten
aufgenommen werden, die den Kriterien von Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit genügen, denen gegenüber die NATO die Artikel-5-Beistands-
verpflichtung glaubwürdig für das gesamte Staatsgebiet vertreten kann und
deren Aufnahme für die Allianz einen Zugewinn an Sicherheit bedeutet.
Der Deutsche Bundestag bekennt sich weiterhin zur Notwendigkeit der
NATO, ihre militärischen Fähigkeiten so zu organisieren, dass sie ihrer Ver-
pflichtung gemäß Artikel 5 nachkommen kann, unabhängig davon, woher
ein Angriff erfolgt.

6. Unabhängig von der sich eher verstärkenden kritischen Betrachtung der
russischen Politik ist es im Interesse der NATO-Mitglieder, im Verhältnis zu
Russland den partnerschaftlichen Ansatz weiter in den Vordergrund zu stel-
len. Es ist besser, Russland in die Lösung internationaler Probleme und
Konflikte einzubeziehen, als Russland auszugrenzen. Der Deutsche Bun-
destag begrüßt deshalb ausdrücklich die Wiederbelebung des NATO-Russ-
land-Rates. Die Aussetzung des Dialogs war von Anfang falsch.

7. Die bestehenden Beziehungen zu Ländern mit gemeinsamer Wertebasis, bei
denen ein Beitritt aus geografischen Gründen nicht in Betracht kommt, etwa
Australien, Neuseeland, Japan oder Südkorea, sollen intensiviert und insti-
tutionalisiert werden, wenn diese Länder das ebenfalls wünschen. Dafür
könnte die Form eines multilateralen NATO-Kooperationsrates mit diesen
Ländern geeignet sein.

8. Der Deutsche Bundestag spricht sich dafür aus, das Prinzip des „Common
funding“ in der NATO auszuweiten.

9. Der Deutsche Bundestag lehnt eine NATO-weite Festlegung von Quoten
für den Militärhaushalt ab. Entscheidend ist die Erfüllung der NATO-An-
forderungen, die einstimmig von den Mitgliedsländern im NATO-Rat be-
schlossen werden, und die gesicherte Bereitstellung von zugesagten Fähig-
keiten.

10. Der Deutsche Bundestag beobachtet mit Besorgnis das faktische Scheitern
der NATO Response Force (NRF). Der Deutsche Bundestag sieht darin eine
schwere Belastung der Glaubwürdigkeit der Allianz. Sie fordert ein realis-
tisches und belastbares Konzept für eine deutlich kleinere Eingreiftruppe
der NATO. Für diese Truppe sollen möglichst viele Mitgliedstaaten konti-
nuierlich Kräfte bereitstellen, um in einem Krisenfall deutlich zu machen,
dass sich nicht nur einzelne Mitgliedstaaten, sondern die gesamte NATO
engagiert.

11. Der Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr wird durch
die militärische Planung der NATO nicht berührt. Jeglichen Versuchen,

etwa mit Bezug auf die NRF Vorratsmandate für Bundeswehreinsätze zu
beschließen, erteilt der Deutsche Bundestag eine klare Absage. Er sieht die

Drucksache 16/12433 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Notwendigkeit, einen Entsendeausschuss zu bilden, in dem über geheime
und eilbedürftige Einsätze entschieden sowie über geheime Einsätze unter-
richtet wird.

Berlin, den 25. März 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.