BT-Drucksache 16/12191

Übernahme der Premiere AG durch den Medienkonzern News Corporation

Vom 6. März 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12191
16. Wahlperiode 06. 03. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Lothar Bisky, Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Dietmar Bartsch,
Dr. Diether Dehm, Cornelia Hirsch, Wolfgang Neskovic, Volker Schneider
(Saarbrücken), Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE.

Übernahme der Premiere AG durch den Medienkonzern News Corporation

Nach Angaben der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medien-
bereich (KEK, 11. Jahresbericht, S. 196) ist der von K. Rupert Murdoch ge-
führte Medienkonzern News Corporation (News Corp.) seit Anfang 2008 über
eine Reihe von Tochtergesellschaften der größte Gesellschafter der Premiere
AG (Premiere). Die US-amerikanische News Corp. zählt zu den weltweit größ-
ten Medienkonzernen. Haupttätigkeitsbereiche des Konzerns bilden die Pro-
duktion und der Vertrieb von TV-Programmen, die Fernsehübertragung per
Satellit und Kabel, die Entwicklung der digitalen Übertragung, die Entwick-
lung von Conditional-Access-Technologien (CA-Technologien) und Abonnen-
tenverwaltungssystemen sowie die Produktion und der Vertrieb von Online-
Programmen weltweit.

Am 25. Juni 2008 genehmigte die Europäische Kommission ein von News Corp.
angemeldetes Zusammenschlussverfahren gemäß Artikel 4 der Verordnung (EG)
Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unterneh-
menszusammenschlüssen mit dem Ziel, die Kontrolle über die Gesamtheit von
Premiere durch Aktienkauf zu erwerben, unter Auflagen. Diese sollten garantie-
ren, dass andere Anbieter weiterhin Zugang zur Satellitenplattform von Premiere
haben (Case No COMP/M.5121 – News Corp./Premiere). Auf Nachfragen teilte
die Kommission allerdings mit, dass sie in dem Fusionskontrollverfahren zu
einer Bewertung von Maßnahmen, die den gleichen und diskriminierungsfreien
Zugang zu den Premiere-Abonnenten für alle Anbieter von Pay-TV-Diensten auf
Drittplattformen sicherstellen könnten, nicht befugt gewesen sei. Nicht der all-
gemeinen Regulierung des Marktes, sondern der „Wiederherstellung der Wett-
bewerbssituation, wie sie sich ohne den zu prüfenden Zusammenschluss darstel-
len würde“, habe das Verfahren gegolten (P-4598/08DE bzw. PE 411.557).

Nach der Ernennung eines von Seiten News Corp. kommenden Vorstandsvor-
sitzenden am 10. September 2008, führte die Premiere AG Anfang Oktober
2008 eine Neuklassifizierung des Abonnentenbestands ein, die nach Angaben
der Gesellschaft derjenigen von anderen erfolgreichen Pay-TV-Unternehmen
entspricht. Dabei wurden 940 000 Abonnenten, die nach der alten Klassifizie-

rung enthalten waren, herausgerechnet. In Folge stürzte der Kurs der Premiere-
Aktie ab.

Laut Presseberichten (http://www.handelsblatt.com/unternehmen/it-medien/
bafin-ermittelt-gegen-premiere;2058921, 9. Oktober 2008) leitete die Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nach dem Bekanntwerden
vermeintlich überhöhter Abonnentenzahlen eine Prüfung ein, ob Anhaltspunkte

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für Verstöße gegen kapitalmarktrechtliche Bestimmungen vorlägen. Die
Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e. V. hinterfragte die diesbezüglichen
Vorgänge bei der Premiere AG in der jüngsten Ausgabe ihres Mitgliedermaga-
zins mit den Worten: „Da die Abonnentenzahlen auch für die zurückliegenden
Jahre nach unten korrigiert worden sind, jedoch die Umsätze und Ergebnisse
der letzten Jahre beibehalten wurden, stellt sich natürlich die Frage, inwieweit
dies miteinander vereinbar ist. Bei niedrigeren Abonnentenzahlen hätte dies ja,
ausgehend von dem von der Gesellschaft in der Vergangenheit angegebenen
Umsatz pro Kunde, auch niedrigere Umsätze und somit Ergebnisse zur Folge
haben müssen, außer, der Umsatz pro Kunde war tatsächlich höher als von Pre-
miere bisher ausgewiesen. Auch ist fraglich, ob die niedrigeren Kundenzahlen
nicht auch den Wert der Vermögenswerte der Gesellschaft beeinflussen und so-
mit die Bilanzen der Vergangenheit unrichtig sind. Zu diesen Sachverhalten
gibt die Gesellschaft jedoch bis heute keine Auskunft“ (AktionärsReport 2009/1,
S. 33).

Am 23. Dezember 2008 berichtete die Premiere AG in einer mit „Premiere ver-
einbart langfristiges Finanzierungskonzept zur Umsetzung der neuen Unterneh-
mensstrategie“ überschriebenen Medienmitteilung, dass sich das hauseigene
Bankenkonsortium und News Corp. auf eine neue, langfristige Finanzstruktur
geeinigt hätten. Eine Absicherung durch News Corp. wurde unter der Bedin-
gung zugesagt, dass eine „Befreiung durch die BaFin für News Corp. von der
Verpflichtung, im Falle des Erreichens oder Überschreitens eines 30-Prozentan-
teils ein Pflichtangebot an die übrigen Aktionäre abgeben zu müssen“, erfolgt.
Diese Freistellung durch die BaFin wurde am 30. Januar 2009 erteilt.

News Corp. kann demnach auch ohne eine Komplettübernahme der Premiere AG
das Unternehmen weitestgehend nach eigenen Vorstellungen steuern. Sollte der
Konzern die Kontrolle erlangen, müsste er dies noch nicht einmal veröffent-
lichen. Die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND titelte daher: „Hurra, Pre-
miere ist Sanierungsfall!“ Der US-Investor habe seit seinem Einstieg bei der
Premiere AG darauf „hingearbeitet“: „Um Premiere zu retten, so das Kalkül,
braucht Murdoch freie Hand“ (http://www.ftd.de/technik/medien_internet/:
Kein-Zwangsangebot-Hurra-Premiere-ist-Sanierungsfall/469396.html, 3. Fe-
bruar 2009).

Am 26. Februar 2009 haben die Premiere-Aktionäre dem mit der Entscheidungs-
findung der BaFin verbundenen Sanierungskonzept von Vorstand und Aufsichts-
rat in einer außerordentlichen Hauptversammlung die Zustimmung erteilt. (http://
www.digitalfernsehen.de/news/news_740091.html, 26. Februar 2009) News
Corp. geht demnach die Verpflichtung ein, alle Aktien aus einer Kapitalerhö-
hung um weitere 412 Mio. Euro, die nicht von anderen Aktionären oder dritten
Investoren gezeichnet werden, direkt zu übernehmen. Damit wird der Konzern
voraussichtlich die Mehrheit von der Premiere AG erlangen.

Im Sanierungskonzept der Premiere AG sind auch Aussagen zu einer künftigen
Set-Top-Boxenstrategie enthalten. So spricht das Unternehmen davon, künftig
eine „stringentere Zuschauerführung“ zu ermöglichen, was laut Marktbeobach-
tern auf eine flächendeckende Einführung einer Middleware für Premiere Digi-
talreceiver hindeutet. (http://www.digitalfernsehen.de/news/news_737224.html,
23. Februar 2009) Mittels solche Receiver ist es möglich, den Markt zu domi-
nieren (siehe Case No COMP/M.5121 – News Corp/Premiere) und Hersteller
durch eine entsprechende Technik- und Auftragspolitik vom Markt auszugren-
zen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12191

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die von der Europäischen Kommission
konstatierte marktbeherrschende Stellung der Premiere AG auf dem deut-
schen Pay-TV-Markt aus medienrechtlicher sowie kartell- und wettbe-
werbsrechtlicher Sicht?

2. Bewertet die Bundesregierung das Fusionskontrollverfahren der EU-Kom-
mission und die dort gemachten Verpflichtungszusagen von News Corp.
für hinreichend, um einen Missbrauch marktbeherrschender Macht der
Premiere AG auf dem deutschen Pay-TV-Markt auszuschließen?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

3. Wer wurde nach Kenntnis der Bundesregierung zum Überwachungstreu-
händer ernannt, um der EU-Kommission in regelmäßigen Abständen Be-
richt über die Einhaltung der von News Corp., der News Corp. Tochter
NDS Group Limited (NDS) und der Premiere AG gegebenen Zusagen zu
erstatten?

4. Sind im Falle von NDS – dem Anbieter der von der Premiere AG einge-
setzten Verschlüsselungstechnologie – die gegenüber der EU-Kommission
gemachten Verpflichtungszusagen nach der am 27. Juni 2008 angekündig-
ten, inzwischen vollzogenen Einstellung der Börsennotierung (Delisting)
und der Aufteilung der NDS-Anteile im Verhältnis von 49 Prozent auf
News Corp. und 51 Prozent auf den Finanzinvestor Permira nach Rechts-
auffassung der Bundesregierung weiterhin bindend?

5. Wie sieht die Bundesregierung – insbesondere vor dem Hintergrund, dass
NDS im Gegensatz zu anderen CA-Anbietern seine Verschlüsselungstech-
nologie nicht mit einem Common Interface (CI) bzw. dem Nachfolgestan-
dard CI PLUS ausstattet, Premiere-Kunden somit gezwungen sind, proprie-
täre Set-Top-Boxen zu erwerben – sichergestellt, dass es auch zukünftig
noch einen freien Fachhandelsmarkt für Set-Top-Boxen geben wird?

6. Wie sieht die Bundesregierung sichergestellt, dass dritte Pay-TV-Anbieter
ihre Angebote tatsächlich technisch an Premiere-Abonnenten vermarkten
können und ihre Angebote auch aufgefunden werden können?

7. Welche Auswirkungen auf den deutschen Pay-TV-Markt bestehen nach
Einschätzung der Bundesregierung durch die Installation einer durchge-
henden Verwertungskette aus Programminhalten, Verschlüsselung und Set-
Top-Boxen von News Corp. bei der Premiere AG?

8. Welches Ergebnis ergab die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
tungsaufsicht (BaFin) im Oktober 2008 eingeleitete Prüfung in Hinsicht
auf zuvor vermeintlich überhöht ausgewiesene Abonnentenzahlen durch
die Premiere AG?

9. Wurde im Rahmen dieser BaFin-Prüfung auch der Sachverhalt bewertet,
dass nach Reduzierung der Abonnentenzahlen der ausgewiesene monat-
liche Programmumsatz pro Abonnent (Programm-ARPU) im dritten (und
vierten) Quartal 2008 gegenüber solchen Angaben aus dem Jahr 2007 (dort
annuitätisch ausgewiesen) nahezu gleich blieb?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

10. Welche Gründe waren für die BaFin maßgebend, der Premiere AG am
30. Januar 2009 „bestandsgefährdende Risiken“ zu bescheinigen und

News Corp. eine Freistellung von der Pflicht zur Abgabe eines Übernah-
meangebots an die verbliebenen Premiere-Aktionäre zu erteilen?

Drucksache 16/12191 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
11. War die Freistellungsgewährung durch die BaFin mit einer Prüfung des Ge-
schäftsgebarens der News Corp. gegenüber der Premiere AG im speziellen
und mit einer Bewertung vorangegangener Übernahmepraktiken (z. B.
MySpace Inc.) im generellen verbunden, und wurde im Rahmen der Ent-
scheidungsfindung die aktuelle wirtschaftliche Situation von News Corp.
selbst geprüft?

Wenn nein, warum nicht?

12. Wie bewertet die Bundesregierung den Sachverhalt, dass ein Unternehmen
eine für sein weiteres unternehmerisches Agieren positive Entscheidungs-
findung der BaFin zur Bedingung stellt in Hinsicht auf die Unabhängigkeit
der BaFin und in Hinsicht auf ordnungspolitische und wettbewerbsrecht-
liche Erwägungen?

13. Bildete das Überschreiten der Anteilsschwelle von 10 Prozent an der
Premiere AG durch den britischen Hedgefonds Odey Asset Management
LLP, der Branchenkennern zufolge dem erweiterten Familienkreis Mur-
dochs zugerechnet wird, am 21. Januar 2009 Anlass für die BaFin, diese
Beteiligung in Hinsicht auf eine Zuordnung zum Interessenbereich von
News Corp. zu prüfen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wie bewertet die Bundesregierung den Zugriff von Finanzinvestoren, die
die Anteilseigner der von ihnen verwalteten Fonds grundsätzlich als ver-
traulich klassifizieren und auch gegenüber der KEK nicht bekannt geben,
auf den deutschen TV-Markt aus medien- sowie kartell- und wettbewerbs-
rechtlicher Sicht generell?

Welche Lösungsansätze sieht sie?

Berlin, den 5. März 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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