BT-Drucksache 16/12079

Diplomatischer und Konsularischer Schutz für in der Türkei inhaftierte deutsche Staatsangehörige

Vom 27. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/12079
16. Wahlperiode 27. 02. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dag˘delen, Wolfgang Neskovic, Ulla Jelpke,
Dr. Norman Paech, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Diplomatischer und Konsularischer Schutz für in der Türkei inhaftierte deutsche
Staatsangehörige

Der Fall des wegen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs einer dreizehnjähri-
gen Britin im türkischen Badeort Antalya inhaftierten Schülers Marco W. aus
Uelzen sorgte im Jahr 2007 für Aufruhr in den deutschen Medien. Die Bundes-
kanzlerin, Dr. Angela Merkel, selbst intervenierte auf höchster Regierungs-
ebene der Türkei, um die Freilassung und Heimkehr des Jungen zu erreichen.

Daneben gibt es aber Fälle deutscher Staatsangerhöriger im Gewahrsam türki-
scher Behörden, denen weniger Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteil
wird. Aktuell sind hier die Fälle der deutschen Staatsangehörigen Mehmet I.
sowie Mehmet D. zu nennen.

Die Betroffenen sitzen häufig jahrelang in Untersuchungshaft. Sie sind teils
menschenrechtswidrigen Behandlungen bis hin zur Folter ausgesetzt. Die deut-
schen und türkischen Anwälte fechten einen oft aussichtslosen Kampf gegen
türkische Polizei- und Anklagebehörden und Gerichte.

Das nachdrückliche, mithin verzweifelte Nachsuchen um konsularischen bezie-
hungsweise im Falle der Verletzung völkerrechtlicher Pflichten um diplomati-
schen Schutz für diese Menschen wird regelmäßig mit dem Hinweis quittiert,
eine Einflussnahme der Botschaft Ankara oder des Auswärtigen Amts auf die
unabhängige türkische Justiz sei nicht möglich.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welcher Weise erlangen die Botschaften beziehungsweise die konsulari-
schen Abteilungen und Konsulate in der Türkei Kenntnis von Fällen der Be-
troffenheit eines deutschen Staatsangehörigen?

2. Mit welcher Intensität wird eine Sachverhaltsaufklärung betrieben? Dazu
folgende Detailfragen:

a) Nehmen Botschaftsmitarbeiter die Anklageschriften zur Kenntnis, und
unterziehen sie diese einer Prüfung?
b) Werden Fragen der örtlichen Zuständigkeit türkischer Behörden behan-
delt, etwa wenn sich Vorwürfe auf angebliche Taten in der Bundesrepu-
blik Deutschland beziehen?

c) Wie wird geprüft und sichergestellt, dass deutsche Staatsangehörige in
der Türkei entsprechend internationalen rechtsstaatlichen Standards be-
handelt werden?

Drucksache 16/12079 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

d) Nehmen Vertreter der deutschen Botschaft an Behörden- und Gerichts-
terminen teil, um diese Standards auch während einer Verhandlung zu
gewährleisten?

3. Von wie vielen Strafverfahren in der Türkei gegen deutsche Staatsbürgerin-
nen und Staatsbürger hat das Auswärtige Amt bzw. die deutsche Botschaft
Ankara Kenntnis?

4. Wie viele deutsche Staatsangehörige befinden sich aktuell in türkischen
Gefängnissen einschließlich Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft?

5. Wie viele dieser Strafverfahren beziehen sich auf politische Aktivitäten
bzw. auf nach türkischem Recht strafrechtlich relevante Handlungsweisen,
die in einem politischen Kontext stehen, bzw. von den türkischen Behörden
als gegen den Staat gerichtet betrachtet werden?

6. Wie viele der betroffenen Personen sind deutsche Staatsangehörige kraft
Erklärung und wie viele kraft Einbürgerungsentscheidung?

7. In welcher Anzahl der Fälle sind Personen mit einer vormals türkischen
Staatsangehörigkeit betroffen?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass der diplo-
matische und konsularische Schutz durch die deutschen Behörden allen
deutschen Staatsangehörigen unbesehen des Erwerbsgrundes der Staatsan-
gehörigkeit in gleichem Umfang zuteil werden muss?

9. Bei wie vielen Verfahren gegen deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbür-
ger ist die deutsche Auslandsvertretung zur Beobachtung anwesend?

10. Nach welchen Kriterien wird entschieden, ob die Anwesenheit eines Bot-
schaftsvertreters/einer Botschaftsvertreterin erforderlich ist?

11. In welcher Weise kann das Auswärtige Amt oder die deutsche Botschaft
die Interessen deutscher Staatsangehöriger im Rahmen strafrechtlicher Ver-
fahren vertreten?

12. Wie kann das Auswärtige Amt bzw. die deutsche Botschaft deutsche
Staatsangehörige im Ausland vor nicht rechtsstaatlicher Behandlung schüt-
zen?

13. Welche Beschwerdemöglichkeiten hat das Auswärtige Amt bzw. die deut-
sche Botschaft?

14. Wer trifft die Entscheidungen über Beschwerden oder andere Interventio-
nen seitens des Auswärtigen Amtes bzw. der deutschen Botschaft in einem
Strafverfahren gegen deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger?

15. Wie erklärt die Bundesregierung die anscheinend unterschiedliche Behand-
lung und Unterstützungsleistung im oben dargestellten Fall des Marco W.
einerseits und in den Fällen der ebenfalls deutschen Staatsangehörigen
Mehmet I., der nach Darstellung des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein
aufgrund der Aussagen eines ebenfalls unter türkischen Haftbedingungen
einsitzenden Belastungszeugen in der Türkei inhaftiert ist, sowie des
Mehmet D., der seit 2002 in der Türkei festgehalten wird, inhaftiert ist
und gefoltert wurde andererseits?

16. Ist das Auswärtige Amt der Auffassung, dass die Verfahren in den Fällen I.
und D. rechtsstaatlichen Kriterien genügen (bitte Begründung angeben)?

17. Hält das Auswärtige Amt im Fall des Mehmet I., bei dem die Anklage auf
einer einzigen unter den Bedingungen in türkischer Haft erfolgten Zeugen-
aussage beruhte, die inzwischen widerrufen wurde, die Beweislage für aus-
reichend, um nach einem halben Jahr einen weiteren Verbleib des Betroffe-

nen in Haft zu rechtfertigen, und ist in diesem Fall noch die Verhältnis-
mäßigkeit gewahrt (bitte Begründung angeben)?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/12079

18. Welche Rechtsvorschriften in der Türkei rechtfertigen eine Haftdauer von
mehr als sechs Monaten bei einer derartigen Beweislage?

19. Ist das Vorgehen nach türkischen Rechtsvorschriften als rechtmäßig zu be-
trachten, wenn wie im Fall des Mehmet I. jeweils neue Verhandlungster-
mine anberaumt wurden, da jedes Mal wichtige Akten oder Informationen
der Anklage nicht beschafft worden waren und beim ersten Verhandlungs-
termin im November die Akte des einzigen Belastungszeugen nicht vorlag,
obwohl dieser bereits bei Inhaftnahme Mitte Juli bekannt war und beim
zweiten Termin Klärungsbedarf bezüglich des Wohnsitzes des Zeugen fest-
gestellt wurde, was auch schon vor dem Verhandlungstermin hätte vorbe-
reitet werden können, jedenfalls aber für den Beschuldigten eine Verlänge-
rung der Untersuchungshaft von jeweils zwei Monaten bedeutete?

20. Welche Schritte werden das Auswärtige Amt bzw. die deutsche Botschaft
unternehmen, um auf eine Haftentlassung von Mehmed I. hinzuwirken,
wie es im über die Medien bundesweit bekannt gewordenen Fall des Deut-
schen Marko W. inzwischen möglich wurde und er den Ausgang des Ver-
fahrens in Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland abwarten kann?

21. Welche Unterstützungsmöglichkeiten sieht das Auswärtige Amt für deut-
sche Familien grundsätzlich und für die betroffene Familie von Mehmed I.
in diesem konkreten Fall, der aufgrund der Inhaftierung nichts mehr zum
Lebensunterhalt seiner Familie beitragen kann, gleichzeitig der Familie
aber für die Rechtsvertretung durch die lange Verfahrensdauer immer mehr
Kosten für den Rechtsbeistand entstehen?

Berlin, den 27. Februar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.