BT-Drucksache 16/11943

Gemeinsames Internetzentrum

Vom 11. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11943
16. Wahlperiode 11. 02. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gisela Piltz, Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann,
Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Marina Schuster, Carl-
Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Daniel Volk, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Gemeinsames Internetzentrum

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP „Internet Moni-
toring und Analysestelle (IMAS)“ vom 16. Dezember 2006 (Bundestagsdruck-
sache 16/2946) führt die Bundesregierung aus, dass „im Rahmen der
Bekämpfung des islamistischen Terrorismus […] der Auftrag des ,Internet-
zentrums‘ darin bestehen [soll], Informationen durch Beobachtung einschlägi-
ger Websites zu beschaffen und auszuwerten.“ Diese Aufgabe nimmt entgegen
der Ankündigung der Bundesregierung, nach der „die Einrichtung eines ,Inter-
netzentrums‘ beim ,Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum‘ (GTAZ)“ (Vor-
bemerkung, Bundestagsdrucksache 16/2946) geplant war, nun nicht das GTAZ,
sondern das Gemeinsame Internetzentrum (GIZ) wahr.

Im Januar 2007 hat das GIZ seine Arbeit aufgenommen. Mitarbeiter des Bun-
deskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz, des Bundesnachrich-
tendienstes, des Militärischen Abschirmdienstes, der Generalbundesanwalt-
schaft und des Landes Rheinland-Pfalz arbeiten nach Aussage des Bundes-
ministers des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, nach dem „bewährten Muster des
Gemeinsamen Terrorabwehrzentrums“ zusammen, wie er in seiner Rede zur
Vorstellung des GIZ am 26. Oktober 2007 ausführte. Weiter führte er aus: „Das
GIZ beobachtet das offene, jedem zugängliche Internet. Es nimmt also nur Auf-
gaben wahr, für die keine besonderen Hoheitsrechte erforderlich sind.“

Das Bundesverfassungsgericht führt in seinen Leitsätzen des Urteils vom

27. Februar 2008 zum nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz
(1 BvR 370/07) zur heimlichen Beobachtung des Internet aus: „Verschafft der
Staat sich Kenntnis von Inhalten der Internetkommunikation auf dem dafür
technisch vorgesehenen Weg, so liegt darin nur dann ein Eingriff in Art. 10
Abs. 1 GG, wenn die staatliche Stelle nicht durch Kommunikationsbeteiligte
zur Kenntnisnahme autorisiert ist. Nimmt der Staat im Internet öffentlich
zugängliche Kommunikationsinhalte wahr oder beteiligt er sich an öffentlich

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zugänglichen Kommunikationsvorgängen, greift er grundsätzlich nicht in
Grundrechte ein.“ In der Urteilsbegründung führt das Bundesverfassungsge-
richt weiter aus: „[Rn. 292] Das heimliche Aufklären des Internet greift […]
dann in Art. 10 Abs. 1 GG ein, wenn die Verfassungsschutzbehörde zugangsge-
sicherte Kommunikationsinhalte überwacht, indem sie Zugangsschlüssel nutzt,
die sie ohne oder gegen den Willen der Kommunikationsbeteiligten erhoben
hat. So liegt es etwa, wenn ein mittels Keylogging erhobenes Passwort einge-
setzt wird, um Zugang zu einem E-Mail-Postfach oder zu einem geschlossenen
Chat zu erlangen. […] [Rn. 308] Eine Kenntnisnahme öffentlich zugänglicher
Informationen ist dem Staat grundsätzlich nicht verwehrt. Dies gilt auch dann,
wenn auf diese Weise im Einzelfall personenbezogene Informationen erhoben
werden können. Daher liegt kein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeits-
recht vor, wenn eine staatliche Stelle im Internet verfügbare Kommunikations-
inhalte erhebt, die sich an jedermann oder zumindest an einen nicht weiter ab-
gegrenzten Personenkreis richten. So liegt es etwa, wenn die Behörde eine all-
gemein zugängliche Website im World Wide Web aufruft, eine jedem Interes-
sierten offen stehende Mailingliste abonniert oder einen offenen Chat
beobachtet. [Rn. 309] Ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbe-
stimmung kann allerdings gegeben sein, wenn Informationen, die durch die
Sichtung allgemein zugänglicher Inhalte gewonnen wurden, gezielt zusammen-
getragen, gespeichert und gegebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Daten
ausgewertet werden und sich daraus eine besondere Gefahrenlage für die Per-
sönlichkeit des Betroffenen ergibt. Hierfür bedarf es einer Ermächtigungs-
grundlage.“

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Mitarbeiter jeweils welcher Behörden arbeiten seit wann im GIZ?

2. Ist geplant, dass neben Rheinland-Pfalz weitere Bundesländer sich am GIZ
beteiligen?

Wenn nein, warum nicht?

3. Welche Bedeutung für die Verbreitung von islamistischer Propaganda und
für die Kommunikation islamistischer oder anderer terroristischer Netz-
werke misst die Bundesregierung dem World Wide Web zu, und auf welche
Erkenntnisse stützt sie dies?

4. Hält die Bundesregierung an der vom Bundesminister des Innern, Dr. Wolf-
gang Schäuble, in seiner Rede bei der Justizpressekonferenz am 7. Novem-
ber 2007 in Karlsruhe geäußerten Auffassung fest, dass „die globale Infor-
mationsgesellschaft […] eben auch die Basis des Verbrechens [ist]“, und wie
begründet sie dies?

5. Welche Bedeutung für die Verbreitung von islamistischer Propaganda und
für die Kommunikation islamistischer oder anderer terroristischer Netz-
werke misst die Bundesregierung sog. Weblogs zu, und auf welche Erkennt-
nisse stützt sie dies?

6. Wie schätzt die Bundesregierung das Phänomen Weblogs allgemein ein, ins-
besondere unter dem Gesichtspunkt der Meinungs- und Informationsfreiheit
sowie der Gefahrenlage für welche Rechtsgüter?

7. Welche Bedeutung für die Verbreitung islamistischer Propaganda und für
die Kommunikation islamistischer oder anderer terroristischer Netzwerke
misst die Bundesregierung Angeboten wie YouTube, Flickr und anderen
Plattformen für den Austausch und das Hochladen und Verbreiten von Film-
und Bildmaterial zu, und auf welche Erkenntnisse stützt sie dies?

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8. Wie schätzt die Bundesregierung das Phänomen von Plattformen für den
Austausch und das Hochladen und Verbreiten von Film- und Bildmaterial
allgemein ein, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Meinungs- und
Informationsfreiheit sowie der Gefahrenlage für welche Rechtsgüter?

9. Welche Bedeutung für die Verbreitung von islamistischer Propaganda und
für die Kommunikation islamistischer oder anderer terroristischer Netz-
werke misst die Bundesregierung sog. Social Communities im Internet wie
Facebook, StudiVZ, XING etc. zu, und auf welche Erkenntnisse stützt sie
dies?

10. Wie schätzt die Bundesregierung das Phänomen Social Networks im Inter-
net allgemein ein, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Meinungs-
und Informationsfreiheit sowie der Gefahrenlage für welche Rechtsgüter?

11. Welche Bedeutung für die Verbreitung von islamistischer Propaganda und
für die Kommunikation islamistischer oder anderer terroristischer Netz-
werke misst die Bundesregierung dem Usenet zu, und auf welche Erkennt-
nisse stützt sie dies?

12. Wie schätzt die Bundesregierung das Phänomen Usenet allgemein ein, ins-
besondere unter dem Gesichtspunkt der Meinungs- und Informationsfrei-
heit sowie der Gefahrenlage für welche Rechtsgüter?

13. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts vom 27. Februar 2008 zum nordrhein-westfä-
lischen Verfassungsschutzgesetz (1 BvR 370/07) für die Beobachtung des
öffentlich zugänglichen Internets?

14. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund des genannten Urteils des
Bundesverfassungsgerichts an der Auffassung, die der Bundesminister des
Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, in seiner Rede vom 26. Oktober 2007 zur
Vorstellung des GIZ geäußert hat, fest, dass für die Aufgabenwahrnehmung
des GIZ „keine besonderen Hoheitsrechte erforderlich“ seien?

15. Wie stellt die Bundesregierung bei der Arbeit des GIZ sicher, dass nicht in
die informationelle Selbstbestimmung eingegriffen wird und insbesondere
nicht, wie vom Bundesverfassungsgericht in Rn. 309 des genannten Urteils
ausgeführt, „Informationen, die durch die Sichtung allgemein zugänglicher
Inhalte gewonnen wurden, gezielt zusammengetragen, gespeichert und ge-
gebenenfalls unter Hinzuziehung weiterer Daten ausgewertet werden und
sich daraus eine besondere Gefahrenlage für die Persönlichkeit des Betrof-
fenen ergibt“?

16. Werden, falls ja, von welchen Behörden, im GIZ auch geschlossene Ange-
bote im Internet beobachtet, und wie werden hierfür die Zugangsdaten be-
schafft?

17. Plant die Bundesregierung die Schaffung weitergehender rechtlicher und
technischer Überwachungsmöglichkeiten für das Internet, insbesondere
auch für geschlossene Angebote, für welche Behörden, und wie sollen
diese ausgestaltet sein?

18. Wie arbeitet das GIZ mit dem europäischen Programm „Check the Web“
zusammen?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung den Erfolg des GIZ seit seiner Errich-
tung für die Bekämpfung des internationalen Terrorismus, und worauf
stützt sie ihre Einschätzung?

Drucksache 16/11943 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
20. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass aufgrund der
verstärkten Beobachtung des Internets potentielle Betroffene auf andere
Kommunikationsmöglichkeiten ausweichen, und wenn ja, auf welche, und
wie reagiert die Bundesregierung hierauf?

21. Gibt es Schnittstellen zum Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, wie
gestaltet sich die Zusammenarbeit, und welche verfassungsrechtlichen oder
einfachrechtlichen Voraussetzungen sind hierbei zu beachten?

22. Wie begründet die Bundesregierung die Erforderlichkeit einer eigenen
Stelle, während sie in der Beantwortung der oben genannten Kleinen An-
frage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksache 16/2946) noch darauf
hinwies, dass die Aufgaben des heutigen GIZ vom GTAZ wahrgenommen
werden sollten?

23. Wie stellt die Bundesregierung eine fortlaufende Information des Deut-
schen Bundestages über die Arbeit des GIZ sicher?

Berlin, den 11. Februar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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