BT-Drucksache 16/11880

Entwicklungschancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen

Vom 11. Februar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11880
16. Wahlperiode 11. 02. 2009

Antrag
der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, Jens Ackermann,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst,
Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Ina Lenke, Dr. Erwin Lotter, Horst Meierhofer,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Gisela Piltz, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Volker Wissing,
Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Entwicklungschancen für den wissenschaftlichen Nachwuchs schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im „Bundesbericht zur Förderung des Wissenschaftlichen Nachwuchses“ wird
anschaulich dargestellt, wie sich die Situation von Personen entwickelt hat, die
sich im Anschluss an einen ersten Studienabschluss durch wissenschaftliche Ar-
beit an einer Hochschule oder einer außeruniversitären Forschungseinrichtung
für eine Tätigkeit qualifizieren, in der sie an der Mehrung und Weiterentwick-
lung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und technischen Innovationen mitwir-
ken können. Leider fallen die Überlegungen und Schlussfolgerungen der Bun-
desregierung, die sich dem Bericht anschließen, im Vergleich äußerst dürftig
aus.

Der Bericht zeichnet ein vielfach positiveres Bild der „Bildungsrepublik
Deutschland“ als wir es in den vergangenen Jahren gewohnt waren. Es scheint,
zumindest auf den ersten Blick, dass sich die Lage des wissenschaftlichen Nach-
wuchses besser als erwartet darstellt. Doch bei genauerer Betrachtung lassen
sich altbekannten Handlungsdefizite und Schieflagen identifizieren. Dabei ge-
ben die Vorschläge der Bundesregierung keinen berechtigten Anlass, um auf
eine Lösung dieser Probleme hoffen zu dürfen.

Die Zahl der postgradualen Abschlüsse an deutschen Hochschulen ist im EU-

Vergleich überdurchschnittlich hoch. Kein anderes Land schafft es, so viele
junge – oder auch nicht mehr ganz so junge Menschen (die Hauptaltersgruppe
liegt in Deutschland im Segment zwischen 30 und 35 Jahren) – zum Doktor-
grad zu bringen. Während der EU-27-Durchschnittwert bei 2,73 Promotionen
je 100 Hochschulabschlüssen liegt kann Deutschland eine Quote von stolzen
11,7 Prozent vorweisen. Damit liegen wir erheblich über dem Anteil Frank-
reichs (2,09 Promotionen) oder Großbritanniens (2,63).

Drucksache 16/11880 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Doch leider bleibt nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Wissenschaft-
lerinnen und Wissenschaftler nach der Verleihung des Grades dem Wissen-
schaftssystem erhalten. Ursache hierfür sind häufig nicht allein die fehlenden
Perspektiven oder die beruflichen Entwicklungschancen an Hochschulen oder
Forschungseinrichtungen, sondern auch die vergleichsweise hohe Attraktivität
alternativer Angebote. Grundsätzlich ist die Anschlussfähigkeit der Abschlüsse
außerhalb der Hochschulen und der außeruniversitären Forschungseinrichtun-
gen zu begrüßen. Dennoch hat die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse an
einer höheren Verbleibsquote und daran, den Abzug des wissenschaftlichen
Nachwuchses zu minimieren. Gerade deswegen müssen die Rahmenbedingun-
gen den Ansprüchen und Bedürfnissen der jungen Menschen angepasst werden.

Der 10. Studierendensurvey an Universitäten und Fachhochschulen hat empi-
risch unterlegt, dass die Zufriedenheit der Studierenden mit dem Studienangebot
gewachsen ist – 72 Prozent schätzen sie als gut oder sehr gut ein. Allerdings er-
scheint den Studierenden der „Verbleib an der Hochschule eher als eine Not-
lösung“. Im Bericht heißt es, dass „über die Hälfte aller Studierenden beabsich-
tigt weiterzustudieren, falls der Berufseinstieg nicht gelingen sollte“. Gerade
einmal 3 Prozent eines Jahrganges wollen aber unbedingt an einer Hochschule
arbeiten (vgl. „Studiensituation und studentische Orientierung – 10. Studien-
survey an Universitäten und Fachhochschulen“; Bundesministerium für Bildung
und Forschung 2008). Eine solche Entwicklung ist einmalig und für den
deutschen Hochschulraum kennzeichnend.

Promotionsvorhaben müssen bessere Unterstützung erfahren und, wenn erfor-
derlich, durch eine bessere Einbindung in Forschung und Lehre flankiert wer-
den, damit diese auch erfolgreich und in höchster wissenschaftlicher Qualität zu
Ende geführt werden können. Gerade der Aufbau von Graduiertenkollegs kann
ein wirksames Instrument darstellen. Durch eine adäquate wissenschaftliche Be-
treuung und Austauschmöglichkeiten wird den Doktoranden ein Arbeitsumfeld
geboten, welches Supervision ohne allzu enge Fesseln ermöglicht.

Aber auch der klassische Weg zum Doktorgrad, das Promovieren auf einer Mit-
arbeiterstelle am Lehrstuhl oder über drittmittelfinanzierte Forschungsprojekte,
bedarf verbesserter Bedingungen. Ein erheblicher Anteil der wissenschaftlichen
Mitarbeiter an Lehrstühlen verfügt nach eigener Einschätzung über nicht genü-
gend Zeit zur Arbeit an der Promotion. Dies trifft eher für die Vollzeit- als für
die Teilzeitbeschäftigten und eher für Sozial- und Geisteswissenschaftler als für
Naturwissenschaftler zu (vgl. „Empfehlungen zur Doktorandenausbildung“,
Wissenschaftsrat, November 2002). Hier könnte ein Wissenschaftstarifvertrag
effektive Abhilfe verschaffen.

Insgesamt muss die Leistungsfähigkeit und Flexibilität sowie die internationale
Wahrnehmbarkeit des deutschen Wissenschaftssystems erhöht werden. Damit
dies gelingen kann, ist die Eigenverantwortung der Wissenschaftler und Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftseinrichtungen hervorzuheben und der Ent-
scheidungsspielraum der betroffenen Akteure auszuweiten. Hierfür müssen
Bund und Länder ihre jeweiligen Verantwortungen konsequent wahrnehmen
und durch gemeinsame Anstrengungen, wie heute bereits im Rahmen des Hoch-
schulpaktes, des Paktes für Forschung und Innovation und der Nationalen Qua-
lifizierungsinitiative, die Voraussetzungen für eine grundlegende qualitative und
quantitative Stärkung des Wissenschaftssystems schaffen.

Es reicht jedoch nicht aus, nur finanzielle Anreize zu setzen. Wir müssen das
rechtliche Korsett aufschnüren, das die Entwicklung des wissenschaftlichen
Nachwuchses einengt. Die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland
müssen attraktiv, forschungsfreundlich und international konkurrenzfähig aus-
gestaltet werden. Es bedarf eines mutigen Schritts, hin zu einem bundesweiten
Wissenschaftsfreiheitsgesetz, das einen gemeinsamen Handlungsrahmen be-

schreibt, bestehende Hemmnisse beseitigt und die Handlungsspielräume des
Wissenschaftssystems ausweitet.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11880

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich mit Nachdruck für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für den wis-
senschaftlichen Nachwuchs einzusetzen. Neben den bislang erfolgten Unterstüt-
zungsmaßnahmen sind insbesondere folgende Forderungen zeitnah umzusetzen:

1. Die Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems soll durch den
Ausbau der Kooperationsmöglichkeiten zwischen Universitäten, außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen und der Wirtschaft bei gleichzeitiger
Erhöhung der Eigenverantwortung von Wissenschaftlern und Wissenschaft-
lerinnen sowie Wissenschaftseinrichtungen gesteigert werden.

2. Die Einführung eines eigenständigen Wissenschaftstarifvertrags ist zu unter-
stützen. Durch einen Wissenschaftstarifvertrag werden die Voraussetzungen
für ein eigenständiges Tarif- und Vergütungssystem für den wissenschaft-
lichen Nachwuchs geschaffen. Das deutsche Wissenschaftssystem steht mit
den führenden Wissenschaftseinrichtungen und der Wirtschaft in einem welt-
weiten Wettbewerb um die besten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.
Dieser globale Konkurrenzkampf wird sich in Zukunft noch weiter verschär-
fen. Um hier erfolgreich bestehen zu können, müssen die Forschungseinrich-
tungen exzellenten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen attraktivere
Vergütungskonditionen anbieten.

3. Die Bedeutung und Rolle des wissenschaftlichen Nachwuchses soll mit Blick
auf das Exzellenzprogramm des Bundes und bei dem Ausbau der Studien-
platzkapazitäten im Rahmen des Hochschulpaktes II noch stärker in den Fokus
gerückt werden. Dies ist unerlässlich, da die Entwicklungsperspektiven der
Hochschulen maßgeblich durch den Umgang mit personellen Ressourcen
vorgezeichnet sind. Andererseits ergibt sich durch eine verantwortungsvolle
Einbindung des wissenschaftlichen Nachwuchses bei der Betreuung von
Studierenden in Bachelor- und Master-Studiengängen eine für beide Seiten
vorteilhafte Situation.

4. Es müssen zusätzliche Möglichkeiten zur finanziellen Unterstützung von
Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern geschaf-
fen werden. Grundsätzlich sollten alle an Graduiertenkollegs Promovierende
Zugang zu Stipendien oder anderen finanziellen Unterstützungsleistungen er-
halten. Es ist sicherzustellen, dass qualifizierte Promotionsvorhaben nicht
durch den Zwang zur Aufnahme eines wissenschafts- oder forschungsfrem-
den Gelderwerbs gefährdet werden.

5. In Deutschland ausgebildete exzellente ausländische Wissenschaftler und
Wissenschaftlerinnen müssen zukünftig unbürokratisch eine Aufenthalts-
und Arbeitserlaubnis erhalten. Auch für die Familie und die Lebenspartner
sind adäquate Chancen zu ermöglichen. Für Hochqualifizierte darf es keine
ausländerrechtlichen bürokratischen Hürden geben.

6. Der Ausbau familienfördernder Infrastruktur an Hochschulen und außeruni-
versitären Forschungseinrichtungen sowie von familienunterstützenden An-
geboten und Arbeitsbedingungen ist im Rahmen der gegebenen Möglich-
keiten zu unterstützen.

7. Der wissenschaftliche Mittelbau bedarf zusätzlicher beruflicher Entwick-
lungschancen. Durch die Schaffung neuer Karrierewege und Berufsbilder
entstehen neue Perspektiven für die Betroffenen und die Wissenschaftsein-
richtungen können gleichermaßen von der Expertise dieses Personenkreises
profitieren.

Berlin, den 10. Februar 2009
Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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