BT-Drucksache 16/11807

Finanzierung und Qualität des Ausbaus der Kindertagesbetreuung

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11807
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring-Eckardt, Britta
Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Grietje Staffelt, Kerstin Andreae
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Finanzierung und Qualität des Ausbaus der Kindertagesbetreuung

Frühkindliche Förderung ist einer der wichtigsten Schlüssel zu mehr Chancen-
gerechtigkeit. Aktuelle Ergebnisse der Entwicklungsforschung verdeutlichen
die Relevanz der ersten Lebensjahre für die weitere körperliche, kognitive und
emotionale Entwicklung bei Menschen. Gerade in den ersten Lebensjahren ver-
fügen Kinder über ein großes Lernpotential, das für ihre emotionale, soziale
und kognitive Entwicklung stärker unterstützt werden muss. In der Bundes-
republik Deutschland wurde die frühkindliche Förderung lange unterschätzt.
Inzwischen wird auch hierzulande anerkannt, dass Kinder, die in einem für sie
günstigen familiären Umfeld aufwachsen, von einer qualitativen Betreuung und
frühen Förderung in Kindertageseinrichtungen zusätzlich profitieren. Bei Kin-
dern, die in einem weniger günstigen familiären Umfeld aufwachsen, können
eine gute Betreuung und Förderung helfen, Defizite rechtzeitig zu kompensie-
ren. Qualitativ hochwertige und flächendeckend ausreichend vorhandene Kin-
derbetreuung für unter Dreijährige leistet hier einen entscheidenden Beitrag.

In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/6654
äußert sich auch die Bundesregierung entsprechend: „Der Ausbau der Kinder-
betreuung hat für die Bundesregierung eine hohe Priorität. Zusammen mit dem
Elterngeld erleichtert er jungen Eltern die schwierige Balance zwischen Familie
und Beruf und trägt zur Chancengleichheit für die Kinder bei.“

Allerdings sind noch viele Aspekte dieses Ausbauvorhabens (zuletzt geregelt
durch das Kinderförderungsgesetz KiföG) ungeklärt bzw. entfalten die finan-
ziellen Rahmenbedingungen bislang nur eingeschränkt ihre Wirkung. Das An-
gebot deckt vielerorts längst nicht den vorhandenen Bedarf. Für viele Kommu-
nen, die sich in einer schlechten Haushaltslage befinden (Haushaltssicherungs-
verfahren oder Nothaushalt), stellt der Ausbau eine nahezu unüberwindliche
Hürde dar: zum einen ist hier die Infrastruktur häufig noch schlechter als im
Bundesdurchschnitt, zum anderen können sie die Gelder zur Kofinanzierung
der Bundes- und Landesmittel nicht aufbringen – ein verheerender doppelter
Investitionsstau entsteht.

Auch der qualitative Aspekt der Infrastruktur bleibt in der Bundesrepublik

Deutschland bislang hinter dem europäischen Durchschnitt zurück. Die Fach-
welt ist sich einig, dass die Qualität von Pädagogik und Bildungsleistung hier-
zulande zumeist gerade mal durchschnittlich ist.

Qualitätsverbesserungen in den Betreuungseinrichtungen in der Bundesrepuplik
Deutschland sind daher weiterhin dringend erforderlich. Das Kinderförderungs-
gesetz hat in diesem Bereich keine Verbesserungen in die Wege geleitet. Gesetz-
liche Rahmenbedingungen in Bezug auf kleinere Gruppen und bessere Perso-

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nalschlüssel, bessere Aus- und Fortbildung des Personals sowie ein effizientes
Qualitätsmanagement im Kitasystem usw. wurden nicht geschaffen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wurden von der gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Ermittlung
der Gesamtkosten des Betreuungsausbaus im Jahr 2007 bei der Ermittlung
der Gesamtsumme von 12 Mrd. Euro folgende kostenrelevanten Parameter
berücksichtigt: a) Rechtsanspruch ab dem ersten Lebensjahr 2013 und
b) hälftige Übernahme des Anteils an der Kranken- und Pflegeversicherung
für Tagesmütter durch die Träger der Jugendhilfe?

Wenn ja, wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlichen Kosten, die
durch einen allgemeinen Rechtsanspruch für unter Dreijährige entstehen,
gegenüber der im Kostentableau des Krippengipfels 2007 berücksichtigten
35-Prozent-Quote?

Wenn nein, stimmt die Bundesregierung der Feststellung zu, dass somit die
Kosten des Ausbaus der Betreuung von unter Dreijähigen deutlich zu nied-
rig angesetzt sind?

2. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlichen Kosten, die durch
die hälftige Übernahme des Anteils an der Kranken- und Pflegeversicherung
für Tagesmütter durch die Träger der Jugendhilfe entstehen?

3. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Kosten, die zusätzlich durch die
Qualifizierung von Tagesmüttern für Großpflegestellen entstehen?

4. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie hoch die tatsächlichen Be-
lastungen für die Kommunen durch den im KiföG beschlossenen Ausbau
der Kinderbetreuung für unter Dreijährige sind?

Wenn ja, bitte aufschlüsseln, und wenn nein, warum nicht?

5. Welche Schritte unternimmt die Bundesregierung vor dem Hintergrund der
insgesamt durch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu gering geschätzten
Kosten für den Kinderbetreuungsausbau, um zu gewährleisten, dass die zu-
sätzlichen Kosten nicht einseitig zu Lasten der Kommunen gehen?

6. Wird die Bundesregierung vor dem Hintergrund der insgesamt durch die
Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu gering geschätzten Kosten die Bundesmittel
mit Blick auf die beschlossene Drittelfinanzierung aufstocken?

Wenn ja, in welcher Höhe, und zu welchem Zeitpunkt?

Wenn nein, warum nicht?

7. Sieht die Bundesregierung die Notwenigkeit einer Verringerung des Kom-
munalanteils von bislang einem Drittel der Kosten für den Ausbau der Kin-
dertagesbetreuung vor dem Hintergrund der Finanzschwäche eines Großteils
der Kommunen?

Wenn nein, warum nicht?

8. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass vor dem Hintergrund der
dringend notwendigen Verringerung der deutschen Infrastrukturschwäche
bei der Kindertagesbetreuung, aber auch mit Blick auf die konjunkturelle
Wirkung kommunaler Investitionen, sichergestellt werden muss, dass ins-
besondere finanzschwache Kommunen (vor allem solche im Haushalts-
sicherungsverfahren und mit Nothaushalten) beim Ausbau der Kindertages-
betreuung stärker durch die Bundesregierung unterstützt werden müssen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, welche konkreten Schritte leitet die Bundesregierung daraus ab?
Zu welchem Zeitpunkt und mit welchem Finanzvolumen sollen diese umge-
setzt werden?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11807

9. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um sicherzustel-
len, dass finanzschwache Kommunen (vor allem solche im Haushaltssiche-
rungsverfahren und mit Nothaushalten) die Investitionsmittel für den Kin-
derbetreuungsausbau in Anspruch nehmen können?

10. Zieht die Bundesregierung in Erwägung für finanzschwache Kommunen
Sonderregelungen zur Kitafinanzierung aufzulegen, so dass diese ohne die
übliche Kofinanzierung Investitionsmittel für den Ausbau der Kindertages-
betreuung in Anspruch nehmen können?

Wenn ja, wann sollen diese in Kraft treten?

Wenn nein, warum nicht?

11. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, die Beteiligung
der Länder an den Kosten des Ausbaus in der von den Ländern zugesagten
Höhe von insgesamt 4 Mrd. Euro rechtlich verbindlich zu regeln?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, inwiefern die Bundesländer
sich in der auf dem Krippengipfel vereinbarten Höhe an den Kosten des
Ausbaus beteiligen (bitte nach Bundesländern, Höhe der Landesbeteili-
gung und Zielrichtung – Betriebskosten, Investitionen – aufschlüsseln)?

Wenn ja, bitte nach Höhe und Zeitpunkt der Beteiligung aufschlüsseln, und
wenn nein, warum nicht?

13. Welche Indizien hat die Bundesregierung dafür, dass die Länder wie zuge-
sagt dafür Sorge tragen, dass die vom Bund zur Verfügung gestellten Mittel
für die Betriebskosten tatsächlich und zusätzlich den Kommunen und Trä-
gern zur Verfügung gestellt werden, sowie, dass die Länder die finanziellen
Voraussetzungen dafür schaffen, die vereinbarten Ziele zu erreichen (bitte
nach Bundesländern aufschlüsseln)?

Wenn nein, warum nicht?

14. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Länder die Bundesmittel für
das Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG), das Kinderförderungsgesetz und
das Gebäudesanierungprogramm für Kitas innerhalb des Konjunkturpa-
kets II nicht miteinander vermischen und somit Landesmittel einsparen?

15. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Ausbau der Kinderta-
gesbetreuung von unter Dreijährigen in der Bundesrepublik Deutschland
nicht allein nach quantitativen, sondern gleichermaßen nach qualitativen
Gesichtpunkten erfolgen muss?

Wenn nein, warum nicht?

16. Welche Kriterien sind nach Auffassung der Bundesregierung entscheidend
für die Qualität von Kindertagesbetreuung vor dem Hintergrund der Förde-
rung frühkindlicher Bildung?

17. Welchen Mindest-Stundenumfang an täglicher Betreuungszeit für Ein- bis
unter Dreijährige hält die Bundesregierung im Hinblick auf die frühkind-
liche Förderung und Bildung, aber auch mit Blick auf die Berufstätigkeit
der Eltern für angemessen (bitte begründen)?

18. Warum hat die Bundesregierung von einer Regelung des Mindestumfangs
der Kinderbetreuung beim Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungs-
platz ab 2013 abgesehen, obwohl der Anspruch des Gesetzgebers im Kin-
derförderungsgesetz auch eine gute Frühförderung einschließt?

19. Welche Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um die Qualität in
der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige zu verbessern (bitte nach

Zielkriterien, Mittelvolumen und Laufzeit aufschlüsseln)?

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20. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Niveau und Qualität der
Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen
ein wesentliches Kriterium der Qualität von Kindertagesbetreuung darstel-
len?

Wenn nein, warum teilt die Bundesregierung diese Auffassung nicht?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung bislang darauf verzichtet, Niveau
und Qualität der Erzieherausbildung flächendeckend anzuheben bzw. über
bundesgesetzliche Rahmenregelungen zu steuern, während die zuständigen
Ministerinnen und Minister bundesgesetzliche Kompetenz in diesem Be-
reich reklamierten?

21. Über welche Ausbildungskapazitäten verfügen derzeit die Fachschulen,
Fachakademien und Hochschulen, um das pädagogische Personal für den
Einsatz in der Kidnertagesbetreuung auszubilden (bitte nach Ausbildungs-
jahren bis 2015 aufgliedern)?

22. Wie und bis wann wird die Bundesregierung ihre im Onlinemagazin für
Soziales, Familie und Bildung Nr. 67/2008 getroffene Feststellung umset-
zen: „Um Fachkräftebedarf zu decken, werden auch künftig Ausbildungs-
kapazitäten der Fachschulen und Fachakademien in Anspruch genommen
und, wenn nötig, ausgebaut werden.“?

23. In welchem Umfang ist nach Auffassung der Bundesregierung ein Ausbau
der Ausbildungskapazitäten der Fachschulen, Fachakademien und Hoch-
schulen notwendig, um den pädagogischen Fachkräftebedarf unter qualita-
tiven und quantitativen Aspekten zu erfüllen?

24. Welche Annahmen hat die Bundesregierung für den Kabinettbeschluss
zum Konjunkturpaket II zugrunde gelegt, in dem ein Ausbaubedarf an ca.
80 000 Erzieherinnen und Erziehern für die Kindertagesbetreuung konsta-
tiert wird?

25. Worin unterscheiden sich diese Annahmen von denen, die die Bundesregie-
rung in der Antwort auf die Kleine Anfrage (Bundestagsdrucksache 16/5407)
zugrunde gelegt und sich daraus „ein zusätzlicher Bedarf an Personen mit
einer einschlägigen Ausbildung von ca. 92 000“ ergeben hat?

26. Wie hoch schätzt die Bundesregierung, vor dem Hintergrund eines geplan-
ten quantitativen Ausbaus der Kindertagesbetreuung und den erwünschten
qualitativen Verbesserungen, den zusätzlichen Bedarf an pädagogischem
Personal ein (bitte in einer Zeitschiene bis 2015 nach Qualifikation auf-
schlüsseln)?

27. Welchen Beitrag will die Bundesregierung leisten, um diesen Fachkräfte-
bedarf zu decken (bitte nach Schwerpunkten gliedern)?

28. Welchen Stellenwert nimmt dabei das Onlineportal zur Förderung des
pädagogischen Personals ein?

29. Beabsichtigt die Bundesregierung die eigenen Bemühungen zur Verbesse-
rung der Qualifizierung des pädagogischen Personals für die Kindertages-
betreuung einschließlich Kindertagespflege über das Onlineportal extern
wissenschaftlich zu evaluieren?

Wenn ja, durch welches Forschungsinstitut und mit welcher Laufzeit?

Wenn nein, warum nicht?

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30. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Erzieher-Kind-Relation
in Kindertageseinrichtungen wesentliches Kriterium der Qualität von Kin-
dertagesbetreuung darstellt?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung bislang darauf verzichtet, die Er-
zieher-Kind-Relation flächendeckend zu verbessern bzw. über bundesge-
setzliche Rahmenregelungen zu steuern?

31. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Gruppengröße in Kin-
dertageseinrichtungen wesentliches Kriterium der Qualität von Kinder-
tagesbetreuung darstellt?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung bislang darauf verzichtet, die
Gruppengröße als wesentliches Qualitätskriterium bundesweit zu verbes-
sern bzw. über bundesgesetzliche Rahmenregelungen zu steuern?

Wenn nein, warum nicht?

32. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass Niveau und Qualität der
Ausbildung der Tagespflegepersonen wesentliches Kriterium der Qualität
von Kindertagespflege darstellen?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, warum hat die Bundesregierung bislang darauf verzichtet, ent-
sprechende nationale Standards für die Qualifikation von Tagespflegeper-
sonen über die bundeseinheitliche Rahmengesetzgebung zu formulieren?

33. Hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie die gesetzliche Forderung
nach leistungsgerechter Bezahlung für Tagesmütter in der Praxis umgesetzt
wird, und in welcher Höhe und analog welches vergleichbaren Berufspro-
fils diese Bezahlung vorgenommen wird?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 28. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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