BT-Drucksache 16/11789

Reaktionen der Bundesregierung auf den Gasstreit zwischen der Russischen Förderation und der Ukraine

Vom 28. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11789
16. Wahlperiode 28. 01. 2009

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Rainer
Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild
Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus
Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-
Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig
Thiele, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Reaktionen der Bundesregierung auf den Gasstreit zwischen der Russischen
Föderation und der Ukraine

Der Gasstreit zwischen der Russischen Föderation und der Ukraine hat Deutsch-
land und Europa die Grenzen seiner bisherigen Energiepolitik aufgezeigt und
zahlreiche europäische Staaten an den Rand einer existenziellen Versorgungs-
krise geführt. Auch wenn der Streit keine Lieferengpässe für deutsche Verbrau-
cher nach sich zog, stellt sich die energiepolitische Frage, ob die sichere Versor-
gung Deutschlands mit Energie auch für die Zukunft gesichert ist. Das
Festhalten der Bundesregierung am Atomausstieg wird zusammen mit dem von
allen Experten vorausgesagten Anstieg des Gasanteils in der Stromerzeugung in
Zukunft zu einer immer größeren Abhängigkeit der deutschen Volkswirtschaft
von Gaslieferungen aus der Russischen Föderation führen. Vor allem als Reser-
vekraftwerke für die stark schwankende Stromerzeugung aus Wind und Sonne
werden als Folge des steigenden Anteils erneuerbarer Energien in Zukunft mehr
Gaskraftwerke benötigt. Der Ersatzbedarf für Kernkraftwerke und die Verteue-
rung der Energieerzeugung aus Kohle durch den Emissionshandel setzen zusätz-
liche Anreize, Gaskraftwerke in der Grundlast einzusetzen. Nach dem voraus-
sichtlichen Ende der Auseinandersetzungen gilt es daher nun, Konsequenzen zu
ziehen und Handlungsspielräume zu identifizieren, um eine konsistente und eu-
ropäisch verankerte Energiestrategie zu definieren.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Möglichkeiten und Ansätze sieht die Bundesregierung grundsätzlich,
um Ereignissen wie dem Gasstreit zwischen der Russischen Föderation und
der Ukraine in Zukunft wirksam zu begegnen?

Drucksache 16/11789 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

2. Sieht die Bundesregierung in den russisch-ukrainischen Einigungen und
den auf dieser Grundlage unterzeichneten Verträgen eine dauerhafte
Lösung des Konflikts?

3. Ist der bisherige ukrainische Zwischenhändler Rosukrenergo, der von
vielen Seiten für die aufgetretenen Probleme verantwortlich gemacht wird,
mit dem neuen Gasliefervertrag nunmehr endgültig ausgeschaltet?

4. Kann die Bundesregierung die in den Medien genannte Laufzeit von zehn
Jahren des neuen Gasliefervertrages zwischen Gazprom und der Ukraine
bestätigen?

5. Welche Änderungen ergeben sich aus dem neuen Gasliefervertrag für die
europäischen Abnehmerländer, insbesondere für Deutschland?

6. Über welche Mittel verfügt die Bundesregierung im Falle einer Gasknapp-
heit, die Belieferung von Gaskraftwerken mit Gas zum Zwecke der Strom-
erzeugung sicherzustellen?

7. Welche direkten und indirekten Kosten hat der Gasstreit zwischen Russland
und der Ukraine in Deutschland verursacht, und wer trägt diese?

8. Welche Auswirkungen hat die Gaskrise auf den Wettbewerb im deutschen
Gasmarkt?

9. Bis wann erwartet das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
Ergebnisse der am 15. Januar 2009 zusammen mit der Gaswirtschaft einge-
richteten Arbeitsgruppe?

10. Sind in der Arbeitsgruppe auch neue Gasanbieter vertreten, und wenn nein,
warum nicht?

11. Warum wird eine solche Arbeitsgruppe erst jetzt eingerichtet, obwohl be-
reits die russisch-ukrainischen Lieferstreitigkeiten vergangener Jahre allen
Anlass zu solchen Gesprächen boten?

12. In welchem Umfang konnten die Lieferausfälle durch zusätzliche Lieferun-
gen aus anderen Leitungen ausgeglichen werden?

13. Haben Gasversorger aufgrund der erheblich reduzierten Gaslieferungen in
Deutschland industrielle Gasendverbraucher – zum Beispiel wegen unter-
brechbarer Gasversorgungsverträge – oder sonstige Abnehmer nicht oder
nur teilweise mit Gas beliefert?

14. Wann ist ein konsistentes deutsches Energieprogramm zu erwarten, das sich
insbesondere einer Strategie zur Reduzierung der Abhängigkeit von energe-
tischen Rohstoffimporten widmet?

15. Wie und in welchem zeitlichen Rahmen will die Bundesregierung vor dem
Hintergrund des Gasstreits die Realisierung des Energiebinnenmarktes der
EU vorantreiben?

16. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um auf
europäischer Ebene eine gemeinsame Energieaußenpolitik zu formulieren?

Welche Handlungsfelder sollten nach Meinung der Bundesregierung hier
im Vordergrund stehen?

17. Hält die Bundesregierung europäische Erdgasreserven bzw. eine europäisch
koordinierte Gasbevorratung für erforderlich, und wenn ja, welche Schritte
hat sie unternommen, um diesem Ziel näher zu kommen?

18. Hält die Bundesregierung die Einführung einer Pflicht zur Bevorratung von
Erdgas auf europäischer Ebene oder in Deutschland für geboten, um die
Versorgungssicherheit zu erhöhen?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11789

19. Hält die Bundesregierung eine Verpflichtung von Gasspeicher betreibenden
Energiekonzernen zur Offenlegung über den Befüllungsgrad der Speicher
und die Eigentumsverhältnisse der eingelagerten Gasmengen zur Erhöhung
der Transparenz für zielführend?

20. Wenn ja, welche geeigneten Maßnahmen wird die Bundesregierung ergrei-
fen, und wie würde sich dieses Transparenzgebot voraussichtlich auf den
Wettbewerb auswirken?

21. Wenn nein, warum nicht, und welche Alternativen zur Einbindung von be-
stehenden Gasspeichern in eine Gesamtstrategie für Deutschland sieht die
Bundesregierung?

22. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass nach Aussagen des
Bundesverbandes neuer Energieanbieter zusätzliche Gaslieferungen aus
Norwegen durch unzureichende Kuppelkapazitäten behindert werden, die
derzeitigen Leitungskapazitäten für ausreichend?

23. Wird die Bundesregierung den grenzüberschreitenden Ausbau der Grenz-
kuppelstellen vereinfachen und beschleunigen?

24. Wenn ja, welche Maßnahmen sollen ergriffen werden?

25. Welcher Anteil an Energieimporten entfällt aktuell auf Importe aus der rus-
sischen Föderation und der Ukraine (Öl und Gas)?

26. Wie viel Mrd. Kubikmeter betragen die Gasimporte aus der Russischen
Föderation im Jahr?

27. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lieferzuverlässigkeit von Gazprom
angesichts der Lieferausfälle?

28. Ist der Bundesregierung die aktuelle Studie von A. T. Kearney zur Abhän-
gigkeit Europas von russischem Gas bekannt?

29. Wenn ja, wie beurteilt die Bundesregierung diese Studie, und welche Kon-
sequenzen zieht sie daraus?

30. Wie schätzt die Bundesregierung die Entwicklung des zukünftigen deut-
schen Erdgasbedarfs und die Abhängigkeit Deutschlands von Erdgasimpor-
ten aus der Russischen Föderation ein, exemplarisch für die Jahre 2020,
2030 und 2040?

31. Wie beurteilt die Bundesregierung den steigenden Anteil von verstromtem
Erdgas in Deutschland, auch hinsichtlich der anfallenden Kosten?

32. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirkung der Öl-Gas-Preisbindung
vor dem Hintergrund des Gasstreits?

33. Stimmt die Bundesregierung der Vermutung zu, dass eine weitere Zunahme
der Verstromung von Erdgas und die in der A. T. Kearney-Studie dargelegte
Zunahme der Abhängigkeit Europas von Erdgas auch zu einer Erhöhung
der deutschen Erdgasimporte aus der Russischen Föderation führen wird,
sofern keine Anpassung der Energiestrategie der Bundesregierung erfolgt?

34. Hat sich die Position der Bundesregierung – durch den Gasstreit und vor
dem Hintergrund der zunehmenden Verstromung von Erdgas – hinsichtlich
der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken zur Senkung der
Abhängigkeit von Gasimporten geändert?

35. Teilt die Bundesregierung die auf der „16. Handelsblatt Jahrestagung Ener-
giewirtschaft 2009“ am 20. Januar 2009 geäußerte Einschätzung des Bun-
desministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, wonach längere
Laufzeiten für die deutschen Kernkraftwerke Teil einer „strategischen Ant-

wort auf die Gaskrise“ sein können?

Drucksache 16/11789 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
36. Beabsichtigt die Bundesregierung die bei der genannten Tagung vom Bun-
desminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, geforderte
Besserstellung neuer Kohlekraftwerke im Rahmen des europäischen Emis-
sionshandels umzusetzen, und wenn ja, wie will sie dies bewerkstelligen?

37. Teilt die Bundesregierung die dort zudem geäußerte Sorge des Bundes-
ministers für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, bezüglich einer
starken Zunahme der Gasverstromung im deutschen Stromerzeugungsmix,
und wenn ja, wie will sie eine solche Zunahme verhindern?

38. Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass Experten der Energie-
wirtschaft einen erheblichen Zubaubedarf an Gaskraftwerken als Folge des
stetig wachsenden Bedarfs an Regelenergie sehen, der durch den Ausbau
der Stromerzeugung aus Windkraft ausgelöst wird und Regelenergie zum
Erhalt der Stabilität im gesamten Stromnetz unabdingbar ist, die zuneh-
mende Abhängigkeit eines stabilen Betriebs der Stromnetze in Deutschland
von Gasimporten für unbedenklich?

39. Welche Fortschritte bei der Energieeffizienz, die einer Abhängigkeit von
Energieimporten entgegenwirken könnten, und der Energieeinsparung wur-
den, gemessen an den Zielen der Bundesregierung, in den letzten drei Jahren
realisiert?

40. Wann wird die Bundesregierung endlich die Marktzersplitterung beenden
und einen börsenfähigen deutschlandweiten Gashandel ermöglichen?

41. Will sich die Bundesregierung für den Bau der Nabucco-Pipeline einsetzen,
und wenn ja, welche Mittel setzt sie dafür ein?

42. Wie beurteilt die Bundesregierung die jüngsten Äußerungen des türkischen
Ministerpräsidenten, in denen ein Zusammenhang zwischen den Beitritts-
perspektiven der Türkei und der Verwirklichung des Nabucco-Projekts her-
gestellt wurde?

43. Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang das Veto der
Republik Zypern gegen die Eröffnung des Energiekapitels in den Beitritts-
verhandlungen mit der Türkei?

44. Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Nabucco-Konsortiums, dass
auch ohne den Iran in ausreichendem Umfang Gas für einen wirtschaftlichen
Betrieb der Leitungen kontrahiert werden kann?

45. In welchem Umfang (Mrd. m3) könnte ohne das Lieferland Iran das
Nabucco-Projekt zusätzlich Gas für Deutschland aus anderen Lieferländern
zur Verfügung stellen?

46. Wie weit ist das Projekt der Ostsee-Pipeline „Nord Stream“ nach Kenntnis
der Bundesregierung gediehen?

47. Welche Bedeutung hat die Pipeline vor dem Hintergrund des aktuellen Gas-
streits?

48. Für wann rechnet die Bundesregierung mit Inbetriebnahme der ersten
Röhre der Ostsee-Pipeline?

Berlin, den 28. Januar 2009

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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