BT-Drucksache 16/11663

Kürzungen bei künstlicher Befruchtung zurücknehmen

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11663
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Elke Reinke, Volker Schneider (Saarbrücken), Jörn Wunderlich
und der Fraktion DIE LINKE.

Kürzungen bei künstlicher Befruchtung zurücknehmen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag bekräftigt die Entschließung des Bundesrates vom
4. Juli 2008 (Bundesratsdrucksache 434/08). Er fordert die Bundesregierung
auf, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen, der den alten Rechtszustand
vor 2004 im Hinblick auf die Finanzierung der künstlichen Befruchtung (§ 27a
des Fünften Buches Sozialgesetzbuch – SGB V) wiederherstellt.

Um die vollständige Kostenübernahme für Maßnahmen der künstlichen Be-
fruchtung zu gewährleisten, wird der Bundeszuschuss an die gesetzliche Kran-
kenversicherung (GKV) entsprechend erhöht.

Berlin, den 20. Januar 2009

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Das GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14. November 2003 hat mit
Wirkung vom 1. Januar 2004 die Kostenübernahmeregelungen für Maßnahmen
zur künstlichen Befruchtung wesentlich eingeschränkt. Bis zu dieser Gesetzes-
änderung waren vier Versuche möglich, die zu 100 Prozent von der gesetzlichen
Krankenversicherung finanziert wurden. Seit der Änderung sind für die betroffe-
nen Paare nur drei Versuche möglich. Zudem müssen sie sich zu 50 Prozent an
den Kosten selbst beteiligen.

Weitere Änderungen betreffen die Einführung von Mindest- und oberen Alters-
grenzen. Es werden nur noch dann die Kosten für Maßnahmen der assistierten
Reproduktion übernommen, wenn die Frau mindestens 25, aber höchstens
40 Jahre alt ist und wenn der Mann nicht älter als 50 Jahre ist.
Diese mit dem GMG eingeführten Beschränkungen sind zu restriktiv. Seit ihrer
Einführung sind es oft finanzielle Gründe, die Frauen bzw. Paare daran hindern,
eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. Das Selbstbestimmungs-
recht der Frau und des Mannes, durch künstliche Befruchtung ein Kind zu
bekommen, wird damit eingeschränkt. Die Größe des Geldbeutels sollte aber
nach Auffassung des Deutschen Bundestages nicht über die Durchführung

Drucksache 16/11663 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

einer künstlichen Befruchtung entscheiden, sondern der Wille derer, die Eltern
werden wollen, aber auf natürlichem Wege nicht werden können.

Die Beschränkungen sind auch deshalb ungerechtfertigt, weil keine Frau sich
leichtfertig für die mit starken Nebenwirkungen behaftete Prozedur entscheidet,
bloß weil die Maßnahme der künstlichen Befruchtung vollständig durch die ge-
setzliche Krankenversicherung übernommen wird. Umgekehrt ist eine unzurei-
chende öffentliche Finanzierung für Menschen mit geringem Einkommen jedoch
oft ein Ausschlussgrund für die Durchführung einer künstlichen Befruchtung.

Besonders deutlich wird dies durch die stark zurückgegangene Anzahl der dies-
bezüglichen Behandlungen, für die es keine andere plausible Erklärung gibt als
die fehlende öffentliche Finanzierung. Nach Angaben des Deutschen IVF-Re-
gisters gab es nach Inkrafttreten des GMG im Jahr 2004 nur noch gut halb so
viele Behandlungen wie im Vorjahr. 2005 gab es einen erneuten Rückgang.
Vermutlich durch erfolgreiches teils jahrelanges Sparen hat sich diese Zahl bis
2007 zwar wieder leicht auf 61 Prozent des Ausgangswertes (2003) erhöht;
eine Trendwende ist dies jedoch nicht1.

Die starren Altersgrenzen, die 2004 eingeführt wurden, sind sachlich nicht ge-
rechtfertigt. So ist z. B. bei einem zeugungsunfähigen Paar, wenn die Frau
22 Jahre alt ist, nicht davon auszugehen, dass sich dieses Problem in den nächs-
ten drei Jahren ohne Behandlung lösen wird. Dennoch wird die Kostenerstattung
durch die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verweigert. Umgekehrt
kann eine Behandlung einer 42-jährigen Frau noch sinnvoll sein. Bis 2003
hatten die Krankenkassen auch hier einen Ermessensspielraum, dieser Frau die
Behandlung zu ermöglichen und in der Folge die Erstattung der Kosten im
Einzelfall bis zu einem Lebensalter von 45 Jahren zu genehmigen.

Bei einem Mann kann man davon ausgehen, dass er in vielen Fällen auch mit
über 50 Jahren noch fruchtbar ist. Auch was diese Altersgrenze betrifft, ist also
der alte Rechtszustand wiederherzustellen.

Ein ethisches Problem wird mit der derzeit unzureichenden öffentlichen Finan-
zierung vergrößert. Viele Frauen bzw. Paare entscheiden sich, weil sie die Kos-
ten selbst tragen müssen sowie die Anzahl der von der Krankenkasse finanzier-
ten Befruchtungsversuche reduziert wurde und weitere Behandlungen nicht
erschwinglich sind, die Chance auf eine Schwangerschaft pro Behandlungsver-
such zu maximieren und lassen die gesetzlich erlaubte Maximalzahl von drei
Embryonen implantieren. Gäbe es eine Vollfinanzierung, bestünde kein finanzi-
eller Anreiz für diese riskante Entscheidung. Durch die Implantierung von drei
Embryonen besteht eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit für Drillings- und
Zwillingsschwangerschaften. Aufgrund gesundheitlicher Risiken für die Mutter
und das werdende Leben werden diese Mehrlingsschwangerschaften zum Teil
durch die Abtötung eines oder zweier Föten reduziert. Man schätzt die Anzahl
dieser ethisch und moralisch abzulehnenden Fälle auf etwa 150 pro Jahr in
Deutschland. Durch eine Vollfinanzierung ließe sich diese Zahl vermutlich ver-
ringern.

Mittlerweile ist das Bundesland Sachsen dazu übergegangen, aus Landesmit-
teln Maßnahmen der künstlichen Befruchtung finanziell zu unterstützen. Das
mag im Einzelfall zu begrüßen sein, aber wenn dieses Beispiel bei anderen
Ländern Schule macht, entsteht im Ergebnis ein bundesweiter und unübersicht-
licher Flickenteppich von Landesregelungen. Das ist aus Sicht des Deutschen
Bundestages ordnungspolitisch im Sinne der betroffenen Paare nicht gewollt.
1 http://www.meb.uni-bonn.de/frauen/DIR_downloads/dirjahrbuch2007.pdf, Seite 10

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11663

Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom 4. Juli 2008 (Bundesratsdruck-
sache 434/08) bereits die Bundesregierung aufgefordert, den alten Rechts-
zustand wiederherzustellen. Die Bundesregierung sah jedoch offensichtlich
keinen Grund, dieser Entschließung des Bundesrates zu folgen. Die Bundesmi-
nisterin für Gesundheit, Ulla Schmidt (SPD), sprach sich bislang dagegen aus
(ÄRZTE- ZEITUNG, 9. Juli 2008), die alte Regelung wiederherzustellen. Zur
Begründung führte sie an, dass es sich bei der zweiten Hälfte der Vollfinanzie-
rung um eine familienpolitische Maßnahme handle.

Diese Begründung darf jedoch nicht zum Stillstand für die betroffenen Paare
führen. Daher ist der Deutsche Bundestag, wie auch der Bundesrat, der Auffas-
sung, dass die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die Maßnahmen
der künstlichen Befruchtung vollständig gemäß der alten Rechtslage bis 2003
zu übernehmen haben. Der Bundeszuschuss an die gesetzlichen Krankenkassen
ist daher um die zusätzlich benötigten Mittel zu erhöhen. Nach Angaben der
Bundesregierung wurden nach einer Grobschätzung ca. 100 Mio. Euro durch
die zurückzunehmenden Kürzungen eingespart.

Ungeachtet der vorliegenden Problematik erfordert die derzeitige Begrenzung
der Finanzierung der künstlichen Befruchtung auf verheiratete Paare eine er-
weiterte Regelung.

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