BT-Drucksache 16/11661

Prävention der Glücksspielsucht stärken

Vom 21. Januar 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11661
16. Wahlperiode 21. 01. 2009

Antrag
der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, Kai Gehring,
Priska Hinz (Herborn), Ute Koczy, Elisabeth Scharfenberg, Irmingard Schewe-
Gerigk, Grietje Staffelt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Prävention der Glücksspielsucht stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In Deutschland gibt es schätzungsweise zwischen 80 000 und 400 000 Men-
schen, die glücksspielsüchtig sind. Angesichts dieser besorgniserregenden Zah-
len, dem mit dieser Erkrankung für die Betroffenen verbundenen Leid und den
dadurch entstehenden hohen volkswirtschaftlichen Kosten ist ein Handeln des
Gesetzgebers geboten, um die Prävention von Glücksspielsucht zu verbessern.

Zwingend für die Wirksamkeit der Prävention sind glaubwürdige und kohärente
Maßnahmen.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Ge-
richtshofes verlangen daher vom deutschen Gesetzgeber in Bund und Ländern
eine kohärente und systematische Prävention der Glücksspielsucht. Es ist eine
den europa- und verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende Rechts-
lage herzustellen.

Dabei bedarf es zur Stärkung von Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit vor allem
Maßnahmen insbesondere der Verhältnisprävention. Hierbei gilt es, die Rah-
menbedingungen der Glücksspiele so zu verändern, dass die die Sucht begüns-
tigenden Faktoren reduziert werden.

Um der steigenden Zahl der Glücksspielsüchtigen zu begegnen, ist zusätzlich
die Suchtkrankenhilfe und -beratung mit ausreichenden Mitteln auszustatten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die notwendigen bundesgesetzlichen Regelungen zu treffen, um eine kohärente
und systematische Prävention der Glücksspielsucht zu gewährleisten und
diese im Hinblick auf das Suchtpotential verhältnismäßig auszugestalten;

2. unter Beteiligung der Bundesländer eine Studie zur Epidemiologie der
Glücksspielsucht, zum Abhängigkeitspotential einzelner Glücksspielformen
und zu den volkswirtschaftlichen Folgekosten in Auftrag zu geben;
3. sich bei den Ländern dafür einzusetzen, dass ambulante und stationäre
Therapie- und Beratungsangebote im ausreichenden Maße vorhanden sind
und ihre finanzielle Grundlage gesichert ist.

Berlin, den 21. Januar 2009

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Drucksache 16/11661 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

Schätzungen zufolge sind von ca. 25 Millionen Glücksspielkonsumentinnen und
-konsumenten in Deutschland rund 80 000 bis 400 000 pathologische Glücks-
spielerinnen und -spieler. Verlässliche Angaben gibt es hierzu allerdings nicht.
Nach wie vor fehlt es in Deutschland an einer umfassenden epidemiologischen
Studie zur Verbreitung der Glücksspielsucht, insbesondere auch bei Jugend-
lichen. Schätzungen aus dem Bereich der Suchthilfe geben zwar Anhaltspunkte,
erfassen aber solche Spielsüchtigen nicht, die die Hilfseinrichtungen nicht auf-
suchen. Nach Ansicht der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. ist hier
mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist.

Pathologische Glücksspielsucht ist eine Verhaltenssucht und national sowie
international als eigenständige Krankheit anerkannt. Die Behandlung wird von
den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern bezahlt. Nach vorsichtigen
Schätzungen befanden sich im Jahr 2006 ca. 4 000 Spielsüchtige in ambulanter
therapeutischer Behandlung und mindestens 1 000 in stationärer Behandlung.
Sowohl die Zahl der diagnostizierten wie auch die der therapierten Spielsüchti-
gen sind in den letzten Jahren angestiegen.

Glücksspielsucht hat für die Betroffenen selbst wie auch für ihr soziales Umfeld
erhebliche Konsequenzen. Die Betroffenen verspielen nicht selten ihr Vermö-
gen, die meisten von ihnen sind hoch verschuldet und/oder verschaffen sich
Geld durch Kriminalität. Die Suizidalität ist im Vergleich zu anderen Suchter-
krankungen erhöht. Die Betroffenen verlieren mitunter Wohnung und Arbeits-
platz, viele Familien zerbrechen an der Sucht. Auch entstehen durch den Ausfall
an Arbeitsleitungen, das Angewiesensein auf staatliche Transferleistungen,
durch notwendige therapeutische und finanzielle Hilfen und etwaige Beschaf-
fungskriminalität hohe volkswirtschaftliche Kosten. Erste Ergebnisse einer
Untersuchung der Universität Hamburg beziffern diese auf einen Betrag in
zweistelliger Milliardenhöhe pro Jahr.

Das Suchtpotential eines Glücksspiels hängt maßgeblich von seinen strukturel-
len Merkmalen ab, d. h. von der Art und Weise, wie das Spiel gestaltet ist. Vor
allem Glücksspiele mit schnellen Gewinnabfolgen und einer hohen Ereignisfre-
quenz haben ein erhöhtes Suchtpotential, ebenso wenn es dem Spieler vorspie-
gelt, er habe durch sein aktives Eingreifen in das Spiel eine subjektive Einfluss-
möglichkeit auf seine Gewinnchancen. Suchtfördernd wirkt sich auch aus, wenn
ein Spiel mit nur geringem Aufwand schnell verfügbar ist. Auch hohe Gewinn-
möglichkeiten bei (vermeintlich) niedrigem Einsatz haben einen suchtfördern-
den Einfluss.

Aus diesem Grund ist das Suchtpotential verschiedener Glücksspielformen auch
differenziert zu bewerten: Rund 80 bis 90 Prozent der Hilfe suchenden Glücks-
spielerinnen und -spieler geben an, Probleme im Umgang mit Geldspielauto-
maten zu haben. Damit sind Spielerinnen und -spieler an Geldspielautomaten
die mit Abstand größte Gruppe der Glücksspielabhängigen. Ein ebenfalls nicht
unerhebliches Suchtpotential haben Glücksspiele im Internet, teilweise auch
Casinospiele und Sportwetten.

Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Placanica-Entscheidung vom 6. März
2007 erklärt, dass eine Einschränkung des Glücksspielangebots lediglich dann
zulässig ist, wenn sie systematisch und kohärent der Bekämpfung der Spielsucht
dient. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Sportwetten-Urteil
vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01) die Rechtmäßigkeit staatlicher Regelun-
gen danach beurteilt, ob sich diese konsequent an der Begrenzung und Bekämp-
fung der Spiel- und Wettsucht ausrichten.

Eine solche Regulierung ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie diesem Zweck

dient und dem Suchtpotential der einzelnen Spielform angemessen ist. Solche

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11661

Regelungen wurden bislang zugunsten von fiskalischen und wirtschaftlichen
Interessen mitunter vernachlässigt.

Um die Gefahr einer Abhängigkeit zu verhindern oder zumindest zu verringern,
bedarf es einer Stärkung der Primärprävention. Die Instrumente sowohl der Ver-
haltensprävention wie auch der Verhältnisprävention müssen im Sinne einer
wirksamen und rationalen Suchtpolitik genutzt werden. Als wichtige und wirk-
same Ergänzung zur Verhaltensprävention haben insbesondere gesellschaftliche
Rahmenbedingungen wie die Verfügbarkeit und Ausgestaltung von Glücksspie-
len einen erheblichen Einfluss auf die Reduzierung des riskanten Konsums bzw.
die Zahl der Suchtkranken. Wichtiger Maßstab ist auch hier das Suchtpotential
des jeweiligen Glücksspiels.

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