BT-Drucksache 16/1158

Defizite im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt beseitigen

Vom 5. April 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/1158
16. Wahlperiode 05. 04. 2006

Antrag
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Patrick Döring, Horst Friedrich
(Bayreuth), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth,
Rainer Brüderle, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Dr. Edmund
Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-
Kasan, Elke Hoff, Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Max Stadler, Carl-
Ludwig Thiele, Christoph Waitz, Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Wolfgang
Gerhardt und der Fraktion der FDP

Defizite im Kampf gegen Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt beseitigen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bereits im Juni 2005 hat der Deutsche Bundestag in einem Beschluss (175. Sit-
zung) zum Ausdruck gebracht, dass er der Sicherheit des Schiffsverkehrs eine
große Bedeutung beimisst, da ein Schiffsunfall potenziell mit sehr großen
Gefahren für Mensch und Umwelt verbunden sein kann und deshalb der Kampf
gegen Alkoholmissbrauch in der Seeschifffahrt intensiviert werden soll.

Die 12. Verordnung zur Änderung seeverkehrlicher Vorschriften hat zwar erste
Verbesserungen gebracht, aber der 44. Verkehrsgerichtstag hat festgestellt, dass
die von der Mehrheit im Deutschen Bundestag und von der Bundesregierung
bislang beschlossenen Maßnahmen noch nicht ausreichend sind.

Nach wie vor fehlt den Vollzugsbehörden seit der Verabschiedung des See-
sicherheits-Untersuchungs-Gesetzes (SUG) am 21. Februar 2002 die Möglich-
keit des sofortigen Vollzugs. Selbst wenn die Wasserschutzpolizei bei einer
Kontrolle erhöhte Alkoholwerte feststellt, darf sie dem betroffenen Schiffs-
führer nicht das Patent entziehen. Nach seiner Ausnüchterung, darf er die unter-
brochene Fahrt fortsetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

eine Initiative zur Bekämpfung von Trunkenheitsfahrten in der Seeschifffahrt
zu starten, die u. a. folgende Maßnahmen umsetzt:

– ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten, das beim SUG die Rechtsgrund-
lage schafft, die vorläufige Patententziehung und das vorläufige Fahrverbot
wieder einzuführen;

– Verbesserung der Kontrolldichte und insbesondere Schaffung der recht-
lichen Voraussetzungen für Kontrollen der Verkehrstüchtigkeit. § 1 Abs. 2
SUG (Legaldefinition eines „schadens- oder gefahrverursachenden Vor-
kommnisses“) muss gesondert für die Seeämter ergänzt werden;

Drucksache 16/1158 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– die Voruntersuchungsstelle nach § 22 SUG abzuschaffen;

– das Alkoholverbot, das in der 12. Verordnung zur Änderung seeverkehr-
licher Vorschriften in der Fahrgastschifffahrt und bei einigen Gefahrgut-
transporten eingeführt wurde, ist durch den Passus klarzustellen, dass im
Dienst befindliche Besatzungsmitglieder nicht unter der Wirkung von Alko-
hol stehen dürfen. Gleiches muss für im Einsatz befindliche See- und Hafen-
lotsen gelten;

– Harmonisierung der Kriterien für die Erteilung und Entziehung von Fahr-
erlaubnissen und Befähigungszeugnissen bei Alkoholmissbrauch;

– eine wissenschaftliche Untersuchung unter Auswertung aller national und
international bekannt gewordenen Alkoholmissbräuche zu veranlassen, die
alle möglichen Ursachen (z. B. soziale Situation, Umfeld, Belastungen) er-
fasst und Vermeidungsstrategien entwickelt;

– Prüfung der Möglichkeit, bei den regelmäßigen Gesundheitsuntersuchungen
zur Seediensttauglichkeit auch Untersuchungen im Hinblick auf eine mög-
liche Drogen- bzw. Alkoholabhängigkeit durchzuführen und ggf. die er-
forderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen;

– Einrichtung eines zentralen Überwachungsregisters, in dem alle endgültigen
und vorläufigen Patentenziehungen registriert werden. Die Vollzugsbehör-
den müssen jederzeit Zugriff auf diese Daten haben;

– Schaffung eines EU-Überwachungsregisters.

Berlin, den 4. April 2006

Begründung

Bereits in der Anhörung des Bundestagsausschusses für Verkehr, Bau- und
Wohnungswesen am 14. November 2001 hatten drei Sachverständige darauf
hingewiesen, dass im Gegensatz zum ersetzten SeeUG (§ 14) das neue SUG
keinen Sofortvollzug bei Trunkenheitsfahrten mehr vorsähe. Trotz immer wie-
der von den Fachkreisen erfolgter Kritik daran waren die Mehrheit des Bundes-
tages und die letzte Bundesregierung nicht bereit, diese Regelungslücke zu
schließen. Nach dem nun auch der 44. Verkehrsgerichtstag am 27. Januar 2006
nochmals die Forderung aufgestellt hat, den Sofortvollzug, insbesondere auch

Hans-Michael Goldmann
Patrick Döring
Horst Friedrich (Bayreuth)
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Dr. Edmund Peter Geisen
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Elke Hoff

Michael Kauch
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Ina Lenke
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Christoph Waitz
Dr. Volker Wissing
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/1158

für Ausländer, wieder einzuführen, sollten Bundestag und Bundesregierung
ihre bisherige Haltung überdenken. Obwohl das Verkehrsministerium in der
Fragestunde wenige Tage nach dem Bundestagsbeschluss zum Alkoholmiss-
brauch in der Seeschifffahrt einräumen musste, dass es Probleme mit der Sank-
tionierung des Fehlverhaltens ausländischer Schiffsführer gibt und das Ministe-
rium geeignete Maßnahmen prüfe, ist bislang nichts geschehen, um den Miss-
stand zu beseitigen.

Wir haben nach wie vor die Situation, dass ein Kapitän nach seiner Ausnüchte-
rung sein Schiff weiter führen darf, obwohl z. B. festgestellte Alkoholwerte von
2 Promille und mehr auf eine Alkoholabhängigkeit hindeuten.

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat immer wie-
der darauf verwiesen, dass es Rechtsvorschriften gäbe, die dem Alkoholmiss-
brauch in der Schifffahrt begegneten, und bezieht sich dabei auf § 23 der
Schiffsoffizierausbildungs-VO. Allerdings sieht auch diese Vorschrift keinen
Sofortvollzug vor und kommt seitens der Wasser- und Schifffahrtsdirektionen
so gut wie nie zur Anwendung. Aber auch ein Verweis auf § 316 des Straf-
gesetzbuches führt nicht weiter, weil auch diese Strafvorschrift keine vorläufige
Patententziehung und kein vorläufiges Fahrverbot (zur Gefahrenabwehr) er-
möglicht. Bei Trunkenheitsfahrten ohne konkreten Unfall oder Beinahunfall
mangelt es an geeigneten Rechtsgrundlagen. Die Schiffsoffiziersausbildungs-
verordnung deckt in bestimmten Fällen das präventive Sicherheitsbedürfnis
nicht ab oder geht andererseits z. T. auch zu weit, da sie kein zeitlich befristetes
Fahrverbot bei Erfüllung von Auflagen zulässt. Solche Fälle sollten allein
schon aus Gründen der Gleichbehandlung, aber auch wegen der besonderen
Fachkompetenz von den Seeämtern entschieden werden. Deshalb muss § 1
Abs. 2 SUG gesondert für die Seeämter und nicht für die Bundesstelle für See-
unfalluntersuchung ergänzt werden. Dann wären z. B. die ausländischen Patente
bei nicht unfallbedingten Trunkenheitsfahrten voll erfasst. Gegenwärtig gibt es
dafür nämlich kein geeignetes Verfahren außer einer Meldung des Vorkomm-
nisses an die patentausstellende ausländische Behörde (das aber auch nur, wenn
der Fall den Direktionen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung bekannt ist;
oft werden solche Fälle nur den Strafverfolgungsbehörden bekannt. Die Was-
ser- und Schifffahrtsdirektionen erhalten von der Wasserschutzpolizei oder der
Staatsanwaltschaft nur Kenntnis, wenn der Fall im Ordnungswidrigkeitenbereich
liegt). Außerdem können wir in Deutschland nicht bei Alkoholunfällen, und
seien sie auch nur geringfügiger Art, den Anspruch erheben, mit Fahrverboten
gegen ausländische Patentinhaber vorzugehen (so geschieht es jetzt nach dem
SUG) und bei schweren Trunkenheitsfahrten ohne Unfall uns damit begnügen,
dass das zuständige Ausland etwas unternimmt. Das Sicherheitsbedürfnis für
deutsches Hoheitsgebiet ist in beiden Fällen gegeben. Wie will man erklären,
dass Deutschland z. B. gegen einen ausländischen Kapitän, der mit 1,1 Promille
sein Anlegemanöver verpatzt und die Brücke leicht beschädigt, ein Fahrverbot
verhängt und andererseits bei einem volltrunkenen ausländischen Kapitän mit
2,0 oder 2,5 Promille (also wahrscheinlich einem echten Alkoholiker) die
Sicherheitsfrage dem jeweiligen Ausland überlässt. Wer weiß schon, in welcher
Geschwindigkeit und ob überhaupt eine patentausstellende Behörde Maßnah-
men ergreift? Soll der Alkoholiker so lange auf deutschen Seeschifffahrtsstraßen
weiterfahren dürfen?

Eine Ausdehnung bzw. Ergänzung in § 1 Abs. 2 SUG ist aber andererseits auch
wichtig, weil das SUG mit seinen Instrumentarien (z. B. Auflagen, dass vor Auf-
hebung des Fahrverbots eine gerichtmedizinische Untersuchung stattzufinden
hat oder dass eine Befristung ausreichend ist) sich besser auf die konkrete Situ-
ation einstellen kann und damit auch den Anforderungen des Artikels 12 des
Grundgesetzes und der Verhältnismäßigkeit besser gerecht werden kann.

Drucksache 16/1158 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Die Vorprüfstelle nach § 22 SUG ist bürokratisch und überflüssig. Wir sind
120 Jahre ohne sie ausgekommen und werden es besser auch zukünftig können.
Sie ist nicht nur teuer und überflüssig, sondern hat auch zu einer Verzögerung
des regulären Verfahrens geführt. Ob ein öffentliches Interesse besteht oder
nicht, kann das Seeamt nicht nur genauso gut, sondern besser prüfen. Würde
die Vorprüfstelle bestehen bleiben, dann wäre ja zu entscheiden, wer den So-
fortvollzug einleitet. Würde es die Vorprüfstelle machen, weil sie nach dem jet-
zigen Meldeverfahren als erste von dem Fall erfährt, dann würde Eilentschei-
dung und endgültige Entscheidung in der Hauptsache durch unterschiedliche
Stellen entschieden. Das sollte vermieden werden. Bekommen die Seeämter
wieder den Sofortvollzug, dann ist die Vorprüfstelle ohnehin in den meisten
Fällen überflüssig. Sie kann dann eigentlich nur noch das öffentliche Interesse
in solchen Fällen prüfen, wo es nicht um Alkoholmissbrauch ging.

Die Bundesregierung hat im August 2005 durch die 12. Verordnung zur Ände-
rung seeverkehrlicher Vorschriften bereits einige Verbesserungen zur Bekämp-
fung von Trunkenheitsfahrten auf den Weg gebracht. Allerdings ist die Ände-
rung des § 3 der SeeSchStrO mit seiner 0-Promille-Regelung nicht sachgemäß.
Nach ständiger Rechtsprechung ist bei einem Promillewert von unter 0,3 nie-
mals eine Annahme alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit zu rechtfertigen. Ange-
sichts dessen, dass für den Seemann das Schiff nicht nur Arbeitsstätte, sondern
Ort seiner Privatsphäre ist, ist es fraglich, ob das von der Bundesregierung
formulierte Alkoholverbot fach- und sachgerecht ist. Der Verkehrsgerichtstag
hat deshalb zu Recht vorgeschlagen, den Begriff Alkoholverbot so klarzustel-
len, dass das Schiffspersonal nicht unter der Wirkung von Alkohol stehen darf.

Ein zentrales Überwachungsregister würde den Vollzugsbehörden die Arbeit
erleichtern und es wäre auch sinnvoll, ein solches Register europaweit ein-
zuführen. Die EMSA wäre auf europäischer Ebene die geeignete Behörde zur
Umsetzung dieser Forderung.

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