BT-Drucksache 16/11374

Verlässliche Bildungsförderung für Erwachsene noch in dieser Legislatur auf den Weg bringen

Vom 16. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11374
16. Wahlperiode 16. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Volker Schneider (Saarbrücken), Dr. Lothar Bisky,
Cornelia Hirsch, Dr. Lukrezia Jochimsen, Kornelia Möller, Dr. Petra Sitte
und der Fraktion DIE LINKE.

Verlässliche Bildungsförderung für Erwachsene noch in dieser Legislatur
auf den Weg bringen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die veränderten Rahmenbedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens
und der Arbeitswelt stellen neue Anforderungen an Bildung, Weiterbildung und
lebenslanges Lernen. Immer weniger Arbeitsplätze stehen An- und Ungelernten
offen, die Anforderungen an die berufliche Aus- und Fortbildung steigen und in
vielen Branchen gewinnt die Hochschulbildung an Bedeutung. Um hierauf zu
reagieren und die weitere Entwicklung zu gestalten steht die Politik vor der
Herausforderung, allen Menschen in allen Lebensphasen einen Zugang zu all-
gemeiner und beruflicher Aus-, Fort- und Weiterbildung zu ermöglichen.

Doch die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland ist nach einem nahezu kon-
tinuierlichen Anstieg in den 1980er und 1990er Jahren seit 1997 gesunken und
stagniert derzeit auf einem niedrigen Niveau (vgl. Berichtssystem Weiterbildung
2007). Die sozialen Disparitäten sind seit Jahren unverändert: Die Weiterbil-
dungsteilnahme von Personen mit Abitur liegt bereits seit zehn Jahren doppelt
so hoch wie die von Personen mit Hauptschulabschluss oder ohne Schul-
abschluss. Personen mit Hochschulabschluss nehmen mehr als viermal so häufig
an Weiterbildungen teil wie Personen ohne Berufsabschluss (Nationaler Bil-
dungsbericht 2008). Obwohl sowohl die Politik als auch die Wirtschaft immer
wieder auf die Bedeutung lebenslangen Lernens hinweisen, sind die Ausgaben
für Weiterbildungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren teils drastisch ge-
kürzt worden.

Die betriebliche Fortbildung bildet eine tragende Säule für wirtschaftliche Inno-
vationen, Produktivitätsfortschritte und eine nachhaltige Unternehmensent-
wicklung. Die Verantwortung für diesen Bereich liegt daher in erster Linie bei
den Unternehmen. Der in den vergangenen Jahren beobachtbare Rückzug der
Unternehmen aus der Finanzierung von Fortbildungsmaßnahmen ist dringend
umzukehren. Ein deutlich stärkeres Engagement muss auch von der Bundes-

agentur für Arbeit eingefordert werden. Bei der Förderung von Weiterbildung
nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch sind seit Mitte der 1990er Jahre und
noch einmal verschärft seit der sogenannten Hartz-Gesetzgebung dramatische
Einschnitte zu beobachten. Gerade vor dem Hintergrund der Finanzkrise sind In-
strumente von besonderer Bedeutung, die Unternehmen fördern, die Beschäf-
tigte weiterqualifizieren statt sie zu entlassen. Das Programm Weiterbildung Ge-

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ringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen (WeGebAU) wurde
in der Vergangenheit kaum in Anspruch genommen und hat sich insoweit nicht
bewährt. Zudem sind auch die Ausgaben der öffentlichen Haushalte für die Wei-
terbildungsförderung gesunken (Nationaler Bildungsbericht 2008).

Zu einer starken vierten Säule unseres Bildungssystems kann die Weiterbildung
nur werden, wenn sie in allen Bereichen auf eine stabilere finanzielle Grundlage
gestellt wird: durch mehr Engagement der Unternehmen in der betrieblichen
Fortbildung, durch eine deutlich umfangreichere Förderung von Weiterbil-
dungsmaßnahmen durch die Bundesagentur für Arbeit sowie durch einen Aus-
bau der Förderleistungen durch Bund, Länder und Kommunen.

Bund und Länder stehen in der Verantwortung, die individuelle Bildungsför-
derung auszubauen und auf eine neue Grundlage zu stellen. Hierbei müssen die
Fortbildung im erlernten Beruf und eine Erhöhung der Professionalität der eige-
nen Tätigkeit gleichermaßen im Fokus stehen wie das Nachholen von Schul-
oder Berufsabschlüssen und die Erschließung neuer beruflicher Perspektiven.
Ein ganzheitliches und transparentes System öffentlicher Förderleistungen muss
eine verlässliche Grundlage bilden für die individuelle Gestaltung von Bil-
dungswegen. Modelle des Bildungssparens sind für eine umfassende und ein-
kommensunabhängig tragfähige Bildungsförderung ungeeignet, da das Spar-
potential vieler Haushalte längst überstrapaziert ist und gerade die Gruppe der
finanziell Schlechtergestellten, deren Weiterbildungsbeteiligung am dringends-
ten erhöht werden muss, von dieser Art der Förderung faktisch ausgeschlossen
ist.

Die formulierten Ansprüche an eine zukunftsfähige Bildungsförderung für Er-
wachsene lassen sich allein innerhalb des Rahmens des Aufstiegsfortbildungs-
förderungsgesetzes (AFBG) nicht verwirklichen. Ein umfassendes Konzept der
Förderung der Erwachsenenbildung muss stattdessen alle Branchen abdecken
und auch Qualifizierungsmaßnahmen unterhalb der Aufstiegsfortbildung, das
Erwerben von Zusatzqualifikationen sowie akademische Bildungswege umfas-
sen. Die bisher im Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) geregelte Stu-
dienförderung muss zur Verwirklichung lebenslangen Lernens unabhängig vom
Alter und vom Elternhaus zugänglich werden. Es ist daher notwendig, die bis-
lang zersplitterte Förderlandschaft für die Qualifizierung Erwachsener durch ein
ganzheitliches System der Erwachsenenbildungsförderung zu ersetzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dem Bundestag noch in dieser Legislatur den Entwurf für ein Erwachsenenbil-
dungsförderungsgesetz (EBiföG) vorzulegen, das mindestens die folgenden An-
forderungen erfüllt:

1. Das EBiföG gewährleistet, dass alle Bürgerinnen und Bürger ihr Grundrecht
auf Bildung im Sinne lebenslangen Lernens in allen Phasen ihres Lebens ver-
wirklichen können.

2. Das EBiföG schafft eine umfassende, systematische und transparente Förder-
struktur für alle Ausbildungsbereiche vom Nachholen eines Schulabschlus-
ses über die Berufsausbildung bis zum Hochschulstudium und zur beruf-
lichen Aufstiegsfortbildung.

3. Die Ausgestaltung des EBiföG orientiert sich am Ziel einer deutlich erhöhten
Durchlässigkeit des Bildungssystems.

4. Das EBiföG geht davon aus, dass auch junge Erwachsene als selbständige
und mündige Bürgerinnen und Bürger eigenständig über ihren Bildungsweg
entscheiden können. Alle Leistungen werden daher elternunabhängig ge-

währt und direkt an die Lernenden ausgezahlt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/11374

5. Das EBiföG berücksichtigt über die berufliche Aufstiegsfortbildung hinaus
auch berufsübergreifende Weiterbildungsmaßnahmen und ermöglicht Be-
schäftigten auch im Laufe ihres Erwerbslebens berufliche Neuorientierun-
gen.

6. Alle Bürgerinnen und Bürger haben jederzeit Anspruch auf eine bedarfsde-
ckende Förderung, wenn sie außerhalb betrieblicher Ausbildungen den Ab-
schluss einer beruflichen Erstausbildung anstreben. Die Förderung wird als
Vollzuschuss gezahlt.

7. Alle Bürgerinnen und Bürger haben unabhängig von ihrem Alter Anspruch
auf eine bedarfsdeckende Förderung mindestens des Erststudiums. Die För-
derung wird als Vollzuschuss gezahlt.

8. Die Ausgestaltung der Förderung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen
gewährleistet, dass Aufstiegsfortbildungen in allen Branchen für die Be-
schäftigten zugänglich sind.

9. Die Förderung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wird so ausgestal-
tet, dass die Fort- und Weiterbildungsbeteiligung insgesamt deutlich gestei-
gert werden kann und insbesondere geringer Qualifizierte und ältere Be-
schäftigte in deutlich stärkerem Maße teilhaben.

10. Die Förderung von Qualifizierungsmaßnahmen freier Bildungsträger wird
so ausgestaltet, dass die Qualität der Bildungsmaßnahmen im Vordergrund
steht und der Entstehung eines Niedriglohnsektors in der Weiterbildung ent-
gegengewirkt wird.

Berlin, den 16. Dezember 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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