BT-Drucksache 16/11365

Medienkompetenz Älterer stärken - Die digitale Kluft schließen

Vom 15. Dezember 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/11365
16. Wahlperiode 15. 12. 2008

Antrag
der Abgeordneten Britta Haßelmann, Grietje Staffelt, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Medienkompetenz Älterer stärken – Die digitale Kluft schließen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Teilhabe an der Gesellschaft wird zunehmend über Medien gewährleistet. Und
gerade neue Medien ermöglichen es im demografischen Wandel, die Beteili-
gung Älterer an der Gesellschaft zu verbessern. Angesichts einer schrumpfen-
den und älter werdenden Gesellschaft muss die Integration Älterer in die Infor-
mationsgesellschaft daher ein zentrales politisches und gesellschaftliches Ziel
sein.

In Deutschland leben bereits heute rund 20,6 Millionen Menschen im Alter von
über 60 Jahren. Im Jahr 2030 werden es voraussichtlich ca. 29 Millionen Men-
schen sein. Allerdings sind erst 40 Prozent der über 50-Jährigen nach den
neuesten Ergebnissen des (N)ONLINER Atlas 2008 online, stellen aber gleich-
zeitig eine der am stärksten wachsenden Gruppen von Internetnutzerinnen und
-nutzern dar. Allerdings steigt mit zunehmendem Alter die Zahl der Offliner. Bei
den über 70-Jährigen liegt die Zahl der Onliner in Deutschland nur bei 16,3 Pro-
zent und ist damit im Vergleich zum Vorjahr lediglich um 3,1 Prozent gestiegen,
womit sie erneut unter der durchschnittlichen Steigerung liegt. Obwohl das
Aktionsprogramm der Bundesregierung „iD 2010 – Informationsgesellschaft
Deutschland 2010“ vorsieht, „aktiv Maßnahmen, die helfen, technische Hemm-
schwellen und gewohnheitsmäßige Skepsis zu überwinden“ zu unterstützen,
weist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Zugang älterer Menschen zu neuen Medien“ auf
Bundestagsdrucksache 16/10540 darauf hin, dass sie keine spezifische Förde-
rung der Medienkompetenz Älterer leistet bzw. plant.

Dabei zeigt der europäische Vergleich, dass die Integration Älterer in die Infor-
mationsgesellschaft deutlich schneller vollzogen werden kann. Nach einer Un-
tersuchung von Eurostat aus dem Jahr 2007 lag der Anteil derjenigen, die das In-
ternet durchschnittlich mindestens einmal wöchentlich nutzen, in der Alters-
gruppe der 55- bis 74-Jährigen bei 22 bzw. 37 Prozent (Frauen bzw. Männer).

Im Vergleich dazu nutzten bereits 51 bzw. 60 Prozent der 55- bis 74-jährigen
Frauen und Männer in Dänemark mindestens einmal in der Woche das Internet.
Die Integration Älterer in Deutschland in die Informationsgesellschaft ist also
noch nicht vollzogen, die digitale Kluft noch nicht geschlossen. Da auch die sog.
Generation 50plus keine homogene Gruppe ist, gilt es besonders auch jene zu
fördern, die bisher kaum online sind, wie zum Beispiel ältere nicht berufstätige
Frauen, Migrantinnen und Migranten.

Drucksache 16/11365 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Hintergründe für diese Entwicklung sind vielfältig. Häufig mangelt es Älte-
ren an konkreten Erfahrungsmöglichkeiten mit dem Internet, denen Jüngere all-
täglich begegnen. Während Jüngere neue Technologien und Angebote einfach
spielerisch ausprobieren, haben viele Ältere große Hemmungen, mit neuen Ge-
räten umzugehen. Um die Zugangs-, Kommunikations- und Informationsmög-
lichkeiten nutzen zu können, sind ein diskriminierungsfreier Zugang zu den An-
geboten sowie eine gezielte Förderung der Medienkompetenz Älterer daher
unerlässlich.

Und das Anwendungspotenzial neuer Medien ist vielfältig. Schon heute nutzen
Ältere das Internet für die Kommunikation, da es wichtige Kontaktmöglichkei-
ten mit Familie, Freunden und Bekannten bietet. Insgesamt kommt der Nutzung
neuer Medien daher für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind,
eine besondere Bedeutung zu.

In ländlichen Gebieten wird angesichts einer schrumpfenden und älter werden-
den Gesellschaft das vermehrte Angebot von Onlinedienstleistungen ein wichti-
ges Instrument sein, um den Folgen des demografischen Wandels zu begegnen.
So erweitert das Internet als Ort der Kommunikation und Information schon
heute die Möglichkeiten der Teilhabe. Aber auch der Zugang zu Gesundheits-
oder Bankangeboten im Internet wird – nicht nur in schrumpfenden Regionen –
an Bedeutung gewinnen. Die Nutzung von Dienstleistungen, Informationsdiens-
ten oder Angeboten aus den Bereichen der Kultur und Unterhaltung oder Fort-
bildung setzen allerdings immer öfter einen breitbandigen Internetzugang vo-
raus. Da dieser insbesondere in strukturschwachen Regionen häufig nicht gege-
ben ist, reduzieren sich hier die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe
zusätzlich. Der Ausbau einer flächendeckenden Breitbandinfrastruktur ist daher
unerlässlich.

Da sich Angebote und die Gestaltung von Angeboten im Internet darüber hinaus
häufig an einer jüngeren Klientel ausrichten, sind Benutzeroberflächen noch zu
selten bedienungsfreundlich oder barrierefrei ausgestaltet. Auch ist die Entwick-
lung von Geräten und technologischen Anwendungen oder von Hard- und Soft-
ware noch zu selten an den speziellen Bedürfnissen von älteren Menschen aus-
gerichtet. Dies erschwert den Zugang zu neuen Medien. Deshalb muss die Ent-
wicklung von Geräten und Anwendungen gefördert werden, die den spezi-
fischen Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden. Wo es diese bereits gibt,
teilweise mit öffentlichen Mitteln erforscht und gefördert, müssen Anreize ge-
schaffen werden, diese zumindest in öffentlichen Einrichtungen verstärkt einzu-
setzen.

Dass der „Wegweiser durch die digitale Welt“ – gefördert vom Bundesministe-
rium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz – bereits in der
zweiten Auflage erscheint, kann als Hinweis dafür gedeutet werden, wie groß
das Informationsbedürfnis älterer Menschen ist. Denn die Notwendigkeit in der
Informationsgesellschaft, Qualifikationen für den Umgang mit den neuen
Medien zu erwerben, wächst stetig. Die Fähigkeit, Computer und Internet beruf-
lich oder privat nutzen zu können, wird vielfach zu einer Voraussetzung, den
Alltag zu bewältigen. So steigt etwa die Zahl an öffentlichen Dienstleistungen,
die über das Internet angeboten werden, konstant an. Die Lebenswelt digitali-
siert sich – von der Wohnungsummeldung bis hin zur Abgabe der Steuerklärung.
Zudem sind viele Angebote, wie etwa ein günstiger Handytarif, immer häufiger
mit dem Abschluss eines Onlinevertrages verbunden. Nicht zuletzt hat auch die
Diskussion um die sogenannte Schaltergebühr der Deutschen Bahn AG gezeigt,
dass der Zugang zu neuen Medien auch eine monetäre Bedeutung hat. Umso
wichtiger ist eine Steigerung der Anzahl von öffentlich zugänglichen barriere-
freien Internetzugängen. Einerseits wird so eine einfache Zugangsmöglichkeit

zum Internet sichergestellt und andererseits kann die verstärkte Präsenz neuer

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Medien im öffentlichen Raum dazu beitragen, bestehende Hemmschwellen ab-
zubauen.

So offenbaren sich insbesondere in ländlichen Räumen, die oftmals von einer
schrumpfenden Daseinsvorsorge gekennzeichnet sind, für ältere Menschen
Kumulationseffekte problematischer Lebenslagen. Betroffen sind insbesondere
ältere Menschen in dünn besiedelten Gebieten ohne entsprechende Onlinekom-
petenz bzw. mit eingeschränktem Onlinezugang. Fehlen für die Bewältigung der
Alltagsanforderungen die Voraussetzungen, reduziert das die Möglichkeiten der
gesellschaftlichen Teilhabe. Es ist daher eine politische Aufgabe, individuelle
Möglichkeiten der Internetnutzung zu verbessern. Den Fokus hierbei allein auf
die wirtschaftspolitische Bedeutung des Internets zu richten, greift zu kurz. Die
ältere Generation ist nicht nur ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft.

Angesichts der Bedeutung des Internets für die Teilhabechancen aber auch die
Lebensqualität älterer Menschen muss daher auch das Bundesministerium für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend der digitalen Kluft entschieden entgegen-
wirken. Bisher fehlt es an einem nachhaltigen Programmaufbau. Vor dem Hin-
tergrund der vielfältigen Aufgabenfelder der gezielten Qualifizierung und Wei-
terbildung für eine Erhöhung der Medienkompetenz von älteren Menschen ist
eine einheitliche Strategie der Bundesregierung dringend geboten. Um nicht
immer neue Doppelstrukturen zu schaffen, könnte beispielsweise das Kurs-
angebot der Initiative „50plus ans Netz“ mit einem erweiterten spezifischen
Zielgruppenangebot, das die kulturellen und sozialen Lebenslagen der sog. Ge-
neration 50plus stärker berücksichtigt, gefördert werden. Neue Modellpro-
gramme sollten sich auch besonders an diesem differenzierten Altersbild orien-
tieren. Dabei ist es unerlässlich, eine starke Begleitforschung zu etablieren, um
den Erfolg der Maßnahmen und Programme evaluieren zu können. Erfolgreiche
Länder- und kommunale Programme, wie etwa die Senior-Internet-Helfer in
Baden-Württemberg, sollten in einem Best-Practice-Katalog dargestellt und
miteinander vernetzt werden. Um die zahlreichen Senioren-Internetorganisatio-
nen zu stärken, muss die Aufnahme des Förderkriteriums „Medien- und Internet-
kompetenz“ in den Bundesaltenplan erfolgen, damit sich die entsprechenden
Organisationen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend um Fördergelder bewerben können.

Gleichsam sollte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und ihr
eigenes Weiterbildungsangebot den spezifischen Bedürfnissen Älterer im Um-
gang mit neuen Medien anpassen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unter der Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend eine Strategie zur Erhöhung der Onlinekompetenz für
ältere Menschen zu entwickeln und die Ergebnisse dem Deutschen Bundes-
tag vorzulegen. Bestandteile dieser Strategie sollten sein:

● die Entwicklung von Modellprojekten unter Einbeziehung der Wohlfahrts-
pflege sowie der Weiterbildungsträger für die Erhöhung der Medien-
kompetenz Älterer, die sich insbesondere an einem differenzierten Alters-
bild unter der Berücksichtigung der unterschiedlichen Bedürfnisse und
kulturellen und sozialen Lebenslagen orientiert;

● Stärkung der wissenschaftlichen Begleitforschung, um die Evaluation der
Maßnahmen und Modellprojekte zu gewährleisten;

● Entwicklung eines bundesweiten Best-Practice-Katologes und die Vernet-
zung von Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene;
● Medien- und Internetkompetenz als Förderziel in die Richtlinien des Bun-
desaltenplans aufnehmen;

Drucksache 16/11365 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
2. die Bemühungen zu verstärken, eine flächendeckende Breitbandinfrastruk-
tur, die nicht auf hochfrequenten elektromagnetischen Feldern basiert, zu ge-
währleisten und für sämtliche Haushalte und Gemeinden in Deutschland
Breitbandanschlüsse sicherzustellen;

3. die Anwendung bzw. den Einsatz von neuen Medien in öffentlichen Einrich-
tungen barrierefrei zu gestalten;

4. sich für eine Steigerung der Anzahl von öffentlich zugänglichen barriere-
freien Internetzugängen einzusetzen;

5. verstärkt die öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung im Be-
reich von Geräten und technologischen Anwendungen sowie von Hard- und
Software zu fördern, die an den speziellen Bedürfnissen von älteren Men-
schen ausgerichtet sind;

6. die zentralen Maßnahmen der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung
zum Umgang mit dem Internet um spezifische Angebote für Ältere zu ergän-
zen.

Berlin, den 15. Dezember 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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